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In this brilliant, groundbreaking biography, twenty years in the making, James H. Jones presents a moving and even shocking portrait of the man who pierced the veil of reticence surrounding human sexuality. Jones shows that the public image Alfred Kinsey cultivated of disinterested biologist was in fact a carefully crafted public persona. By any measure he was an extraordinary man-and a man with secrets. Drawing upon never before disclosed facts about Kinsey's childhood, Jones traces the roots of Kinsey's scholarly interest in human sexuality to his tortured upbringing. Between the sexual…mehr

Produktbeschreibung
In this brilliant, groundbreaking biography, twenty years in the making, James H. Jones presents a moving and even shocking portrait of the man who pierced the veil of reticence surrounding human sexuality. Jones shows that the public image Alfred Kinsey cultivated of disinterested biologist was in fact a carefully crafted public persona. By any measure he was an extraordinary man-and a man with secrets. Drawing upon never before disclosed facts about Kinsey's childhood, Jones traces the roots of Kinsey's scholarly interest in human sexuality to his tortured upbringing. Between the sexual tensions of the culture and Kinsey's devoutly religious family, Jones depicts Kinsey emerging from childhood with psychological trauma but determined to rescue humanity from the emotional and sexual repression he had suffered. New facts about his marriage, family life, and relationships with students and colleagues enrich this portrait of the complicated, troubled man who transformed the state of public discourse on human sexuality.
Autorenporträt
James H. Jones is the award-winning author of Bad Blood: The Tuskegee Syphilis Experiment and Alfred C. Kinsey: A Life. An independent scholar, he lives in San Francisco, California.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.1998

Von Dämonen getrieben
James H. Jones findet eine Zahnbürste und manches andere im Leben des Sexualforschers Alfred Kinsey

In der Berliner Urania, berichtete 1991 Max Goldt, habe er sich einmal einen Vortrag über den Schriftsteller Klaus Mann angehört und dabei ein Mädchen beobachtet, das sich Notizen machte: "K. M. H'sexuell", habe das Mädchen notiert. "Da die einzige gängige Alternative zu homosexuell auch mit h beginnt, krönte ich das Mädel im Geiste zu Berlins heimlicher Abkürzungskönigin." Berühmtheiten müssen darauf gefaßt sein, eines Tages willkürlich als promisk, "H'sexuell", bisexuell, masochistisch, sadistisch, pädophil, fetischistisch, nekrophil oder sonstwie ungewöhnlich geoutet zu werden. Wer Aufmerksamkeit erregen will, muß nur das richtige Reizwort fallenlassen. Es darf auch das falsche sein: "Können Sie sich einen heterosexuellen Bundespräsidenten vorstellen?" fragte einst der Fernsehkomiker Wigald Boning Straßenpassanten, die sich allesamt entrüstet dagegen verwahrten.

Schlagzeilenträchtig ist auch der Befund, den der Historiker James H. Jones als Biograph des Zoologen und Sexualforschers Alfred C. Kinsey vorgelegt hat: Kinsey war ein bisexueller Masochist, der als Zeremonienmeister bei Gruppensexorgien fungierte und sich eines Tages in der Badewanne mit einer Taschenmesserklinge ohne Betäubung eigenhändig beschnitten hat. Daß solche Neuigkeiten der Sensationslust des Publikums entgegenkommen, ist unvermeidbar; es muß nicht gegen Jones und sein Buch sprechen, für das er mehr als zwanzig Jahre lang geforscht und viele von Kinseys Mitarbeitern befragt hat.

Alfred C. Kinsey, Jahrgang 1894, hatte einen sittenstrengen Vater, der seinen Kindern das Tanzen, das Trinken, das Rauchen und das Kartenspielen strikt untersagte. Sein Rezept für alle Wechselfälle des Lebens waren Gebete und kalte Duschen. Der heranwachsende Kinsey war nach Jones ein kränkelndes, an seiner freien Entwicklung gehindertes Kind, von dem Ehrgeiz zerfressen, den rigorosen Ansprüchen des Vaters zu genügen und dem Bild des kraftstrotzenden "all-American boy" zu entsprechen. In allen Disziplinen habe er der Beste sein wollen, und das Klavierspielen habe er erst aufgegeben, als er merkte, daß ihm das Talent zum Spitzenpianisten fehlte.

Ein Hauch von Küchenpsychologie durchweht die Kapitel, in denen Jones die Spannungen zwischen dem jungen Kinsey und dessen bärbeißigem Vater abhandelt: Weil der Sohn den väterlichen Anforderungen nicht entsprach, konnte er bis zum Ende seines Lebens keine Ruhe finden, denn das böse Gewissen plagte ihn - daher die Ruhelosigkeit, daher die stupende Arbeitswut, daher auch die Akte der Selbstbestrafung (schon reifen Alters, führte Kinsey sich vor Augenzeugen eine Zahnbürste mit dem Borstenkamm voran in die Harnröhre). Was Kinsey zeitlebens getan und getrieben habe, sei letzten Endes nur getan und getrieben worden, um den übermächtigen, über den Tod hinaus Schrecken verbreitenden Vater zu besänftigen.

Ein Bürstenstiel, versteckt unter den Bohlen des Jugendzimmers von Kinsey, hat sich nach Jahrzehnten angefunden, aber der Indizienbeweis, den Jones damit zu führen versucht, ist dürftig. Aller Wahrscheinlichkeit nach, heißt es, habe sich Kinsey mit der Bürste urethral befriedigt, und vermutlich sei er sich dabei schlecht und verdorben vorgekommen. Damals habe er seine homosexuellen und masochistischen Neigungen entdeckt, die er als sündhaft, kriminell und pathologisch empfunden habe. Jones stellt weitreichende Spekulationen über Kinseys daraus resultierende Gewissensqualen an, muß aber eingestehen, daß dieser seine Konflikte vor der Welt verborgen gehalten hatte.

Aus Lust und Schmerz

Kinsey fand keinen Anschluß und schien auch keinen zu suchen, wurde zum isolierten Sonderling und befreite sich erst spät von überkommenen Moralvorstellungen. 1921 heiratete er Clara Bracken McMillen, die so unerfahren war wie er selbst. Sie hatte ihren Mann zunächst für zu schüchtern und "too churchy" gehalten. Nach Jones' Ermittlungen hat das Paar die Ehe erst mehrere Monate nach der Hochzeit vollzogen. Der Autor hat hierzu minutiöse Recherchen angestellt. Er kennt alle Stationen der Hochzeitsreise und die jeweils herrschenden Wetterverhältnisse, und er hat sogar ausgekundschaftet, mit welchem Gesichtsausdruck Kinsey später auf sexuelle Stimulation reagierte, nämlich mit einer nahezu grotesken Leidensmiene; dafür kann Jones Zeugen aufrufen. Für Kinsey, folgert er, seien Lustgewinn und Schmerz untrennbar miteinander verbunden gewesen.

1948 wurde Kinsey, der sich bis dahin nur als Fachmann für Gallwespen einen Namen gemacht hatte, durch seine Studie über das sexuelle Verhalten des Mannes weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus bekannt. Als 1953 seine lang erwartete Arbeit über sexuelle Gewohnheiten der Frau erschien, war er bereits ein Mann von Weltruf, vielfach angefeindet, aber finanziell abgesichert und populär. Der Überlieferung zufolge widmete er sich aufopferungsvoll der sexuellen Aufklärung. Sein Biograph stellt ihn dagegen als einen Menschen dar, der von "Dämonen" getrieben worden sei: Die ins Gigantische getriebene Sammlung von Fallgeschichten verdanke sich im Grunde nur dem späten Gehorsam gegenüber dem im Vaterhause gepredigten Arbeitsethos. Selbst als Rebell gegen die viktorianische Moral habe Kinsey sich nicht von ihr befreien können. Belege für die Naturwidrigkeit der tradierten Sexualmoral habe er mit der Besessenheit eines Neurotikers gesammelt.

Von den Studenten und Kollegen, die Jones zitiert, wird Kinsey durchweg als besserwisserisch, verschroben, jähzornig, herrschsüchtig und egozentrisch beschrieben. Auch der Fototeil zeigt Kinsey nicht gerade als sympathischen und zugänglichen Menschen. Zu sehen ist ein grimmiger Gallwespensortierer in Unterhemd und Schnürstiefeln, der sich in späteren Jahren zu einem verbitterten, rigide frisierten Miesepeter mit dunklen Egon-Krenz-Schatten um die Augen entwickelte, an der Seite einer Ehefrau, deren herbes Erscheinungsbild die dokumentierten Orgien gegen alle Evidenz zu widerlegen scheint.

Kinseys Biograph entwirft jedoch keineswegs das Bild eines tumben Wüstlings. Jones würdigt die Leistung, die Alfred Kinsey, aus welchen Motiven auch immer, als Pionier auf dem Gebiet der Sexualforschung erbracht hat. Kinsey habe ein "Doppelleben" geführt, frohlockten manche Rezensenten, als Jones' Biographie gerade erschienen war, obwohl die Botschaft im Kern nur besagte, daß Kinsey ein Mensch war, der ein Geschlechtsleben führte, dessen Einzelheiten niemanden etwas angingen. Ebenso freudig hätten die Sensationsjournalisten wahrscheinlich auch kolportiert, daß Kinsey heterosexuell gewesen sei. Nicht jeder, der - wie Kinsey - im Obstkeller eine Dunkelkammer für die Entwicklung erotischer Fotografien einrichtet und "H'sexuell" ist, muß deswegen ein "Doppelleben" führen, das postum mit großem Tamtam aufgedeckt werden kann. Fürs multimediale Ballyhoo ist Kinseys Biograph nicht verantwortlich. Er hat nur sorgfältig gearbeitet. Und daß man sich auch unter Alfred C. Kinsey einen Menschen mit Mängeln, Spleens und Beschädigungen vorzustellen hat, kann niemanden überraschen, der sein Menschenbild nicht aus der Kinderbibel gewonnen hat.

Aber wer soll das alles lesen? Die Biographie umfaßt mit Anmerkungen und Register knapp tausend Seiten. Kinseys Leben, erzählt von James H. Jones, offenbare "die geheime Geschichte unseres Jahrhunderts", jubelt der Verlag in frommer Übertreibung. Tatsächlich ist das Buch nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, wenn auch ein recht großer für die Kinsey-Forschung. GERHARD HENSCHEL

James H. Jones: "Alfred C. Kinsey". A Public Private Life. W.W. Norton, New York, London 1997. 938 S., Abb., geb., 28,- Brit. Pfund.

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