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Vor kurzem noch kam der aggressive materialistisch-naturwissenschaftliche Atheismus aus dem Osten - bis zum Zusammenbruch eines inhumanen Systems. Heute meldet er sich mit neuer Inbrunst und alten Argumenten - aus dem Westen: Religion sei schädlich, Gottesglaube Wahn, religiöse Erziehung Kindesmissbrauch. Richard Schröder, einer der brillantesten und klarsten Wissenschaftler, fragt nach Argumenten, Hintergründen, Konsequenzen der Debatte. Was passiert, wenn die Evolutionstheorie auf die Ebene der Weltanschauung gehoben wird oder Hirnforschung das Menschenbild bestimmt? Wo sind die Grenzen…mehr

Produktbeschreibung
Vor kurzem noch kam der aggressive materialistisch-naturwissenschaftliche Atheismus aus dem Osten - bis zum Zusammenbruch eines inhumanen Systems. Heute meldet er sich mit neuer Inbrunst und alten Argumenten - aus dem Westen: Religion sei schädlich, Gottesglaube Wahn, religiöse Erziehung Kindesmissbrauch. Richard Schröder, einer der brillantesten und klarsten Wissenschaftler, fragt nach Argumenten, Hintergründen, Konsequenzen der Debatte. Was passiert, wenn die Evolutionstheorie auf die Ebene der Weltanschauung gehoben wird oder Hirnforschung das Menschenbild bestimmt? Wo sind die Grenzen wissenschaftlich notwendiger Reduktion? Was bedeutet Religion für das Denken, für unsere Kultur, für das Leben des Menschen? Ein Plädoyer für Vernunft im Umgang zwischen Naturwissenschaft und Religion.
Autorenporträt
Richard Schröder, geb. 1943, Professor für Philosophie und Evangelische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin, war Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender der SPD in der Volkskammer der DDR und Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Als unabhängiger scharfsinniger Denker ist er an vielen Stellen gefragt, u. a. als Kolumnist, als Mitglied im Nationalen Ethikrat und in der Deutschen Nationalstiftung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2009

Erlösung für den Gen-Behälter
Wiederkehr der Religion? Richard Schröder hält die österliche Botschaft gegen Richard Dawkins hoch

Warum ein weiteres Buch gegen Richard Dawkins? Es sind wohl letztlich sehr persönliche Motive, die Richard Schröder dazu bewegt haben.

Als Vorsitzender der SPD-Fraktion in der letzten DDR-Volkskammer war der protestantische Theologe und Philosoph zugleich Zeuge der Überwindung eines politischen Systems, das sich die "Abschaffung der Religion" - so Schröders Buchtitel - zum Ziel setzte. "Im Osten liest sich manches anders" lautet denn auch eine Kapitelüberschrift. Schröder will es Dawkins nicht durchgehen lassen, "im 21. Jahrhundert von einer Welt ohne Religion zu schwärmen und einfach zu übergehen, auf welche Weise das im 20. Jahrhundert zum politischen Programm geworden ist". Das kann man verstehen. Aber trägt dieses Motiv ein ganzes Buch hindurch?

Nun liest man bei Schröder gewiss noch andere, wenn auch kaum neue kritische Einwände. Im Kern ist Schröders Buch ein Plädoyer für die Anerkennung einer Perspektivenvielfalt, mit der unterschiedliche Rationalitätsformen ins Verhältnis zu setzen sind, ohne in einer monistischen Einheitswissenschaft aufgelöst zu werden. So wird die Religion ins Recht gesetzt, ohne ihr ein Erkenntnismonopol anzumaßen. Man kann vermuten, dass Schröder hier ebenso sehr an Kant wie an die Unterscheidungslehren Martin Luthers anknüpft. Und man wäre gespannt, was er zu der von Benedikt XVI. erneuerten These der Einheit von Athen und Jerusalem, von Vernunft und Glaube zu sagen hätte, zumal der Papst diese These ja kritisch gegen einen in dieser Perspektive verfallsgeschichtlich gedeuteten Protestantismus wendet.

Den von Dawkins vertretenen reduktionistischen Naturalismus erachtet Schröder für so verbreitet, dass es geboten sei, daran zu erinnern, "dass jenseits der naturwissenschaftlichen Forschung nicht das freie Feld des wilden Mutmaßens beginnt, sondern auch dort die Sorgfalt des Denkens, der Wahrnehmung und des Unterscheidens unerlässlich ist". Überzeugend zeigt Schröder, dass Dawkins' Verdikte gegen die Religion vor Unwissenheit und Dünkel strotzen und dass die Art und Weise, wie er naturwissenschaftliche Theoreme zu kulturwissenschaftlichen und weltanschaulichen Spekulationen extrapoliert, "schlechte Metaphysik" ist - "Pseudoreligion".

Schröder hält dagegen, dass sich ernsthaft "kein gesunder Mensch" im Sinne Dawkins' als Gen-"Behälter" verstehe, weil "alle Menschen irgendwie den Unterschied zwischen Person und Sache kennen". Aber leider: Wenn das so wäre, würde sich sein Buch erübrigen. Und lässt sich, wer allen Ernstes meint, durch die Bekehrung zum Atheismus werde die Welt von allerlei Gewalt und anderem Übel befreit, durch Gründe vom Gegenteil überzeugen? Es stellt sich ja doch die Frage nach den Lebensverhältnissen und den von ihnen hervorgebrachten Mentalitäten, für die die Unterscheidung zwischen Jemand und Etwas immer unschärfer wird.

Vor allem: Droht die "Abschaffung der Religion" wirklich von Seiten naturalistischer Spekulationen à la Dawkins? Dessen verblüffend erfolgreiche Bücher mögen in der Tat den weltanschaulichen Horizont vieler Zeitgenossen bekräftigen. Dennoch vermute ich, dass der Religion, wenn dieser abstrakt-allgemeine Begriff hier einmal erlaubt ist, heute größerer Schaden durch die religiösen Fundamentalismen aller Couleur droht - und durch die damit scheinbar legitimierten religionspolitischen Initiativen, die etwa von Udo di Fabio kritisiert werden (F.A.Z. vom 15. Oktober 2008) und die unter dem Vorwand plausibel erscheinender Kritik an atavistischen kulturellen Gebräuchen in Migrantenmilieus das Grundrecht auf aktive Religionsfreiheit einschränken wollen. Aus dem weltanschaulich neutralen säkularen Staat würde so unter der Hand der Staat einer säkularistischen Weltanschauung. "Was Werte sind, bestimmen jetzt wir", war schon vor längerer Zeit aus dem politischen Lager zu hören, das in Berlin und Brandenburg staatliche Werteerziehung an die Stelle eines von den Religionsgemeinschaften mitverantworteten Religionsunterrichts setzen will. Die vielbeschworene "Wiederkehr der Religion", die den religionssoziologischen Säkularisierungstheorien zu widersprechen scheint, könnte in einer Kulturkampfatmosphäre enden, die die Liberalität dieses Landes in jeder Hinsicht - im religiösen wie im religionskritischen Lager - gefährden würde.

Gefährlich jedenfalls wird die naturalistische Ideologie erst, wenn sie sich mit einem religionspolitischen Säkularismus verbindet, der zu seiner Rechtfertigung gar nicht so weit weltanschaulich ausholen muss und sich auf antifundamentalistische Rhetorik beschränken kann. Ironischerweise sitzen, in dieser Perspektive, die Gegner Richard Schröders nicht zuletzt in seiner eigenen Partei.

BERNHARD DRESSLER.

Richard Schröder: "Abschaffung der Religion?" Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2008. 224 S., geb., 14,95 [Euro].

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