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Produktdetails
  • Verlag: Stock & Stein Verlagsges.
  • Seitenzahl: 1114
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 1784g
  • ISBN-13: 9783937447018
  • ISBN-10: 3937447016
  • Artikelnr.: 08348756
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2003

Mit Lux-Seife
Wahrlich kein Sonntagskind: Käte Woltemaths Erinnerungen

Es war einmal ein guter Mensch und der hieß Woltemath. Daß gute Menschen in unserer Welt manchmal Ärger mit den Vertretern des jeweiligen Großen Bruders bekommen, hat uns schon Herr Orwell begreiflich gemacht. Käte Ebeling, heute Käte Woltemath, wurde am Sonntag, dem 9. Mai 1920 in Rostock geboren und ist dort ein Leben lang geblieben. Ihre Lebenserinnerungen mit dem resignativen Titel "4x Deutschland . . . und keins für mich dabei" sind heuer erschienen. Man sollte sie kaufen, lesen und verschenken. Vielleicht sollte man sogar alles glauben, was darin steht. Man muß allerdings etwas Zeit einplanen. Der Umfang beläuft sich auf über elfhundert Seiten.

Käte Woltemath ist eine - nennen wir es ruhig so, sie wird nicht böse sein - einfache Frau. Sie wünscht sich, daß alle Menschen Brüder werden und daß beim Streben nach dem Glück für jeden etwas davon abfällt. Dafür hat sie ein Leben lang gekämpft. Erfolge und Mißerfolge lösten sich dabei ab. Zu DDR-Zeiten wurde sie nolens volens Stasi-IM. Das dadurch verursachte Gerichtsverfahren nach der Wende wurde irgendwann eingestellt, man gab ihr nicht die Gelegenheit, sich zu rehabilitieren. Deshalb wollen wir die sehr alte Frage "Was ist Wahrheit?" hier auch nicht beantworten, sondern nur den Inhalt ihres zweibändigen Werks beschreiben.

Die Autorin schildert ihr ganzes Leben, das private und das politische. Dabei breitet sie eine kaum glaubliche Fülle von Details aus. Sie muß ein Gedächtnis wie ein Elefant haben. Selbst ihre Defloration in der Nacht vom 15. zum 16. Oktober 1938 wird dezent beschrieben. Bei dieser Gelegenheit wurde der Sohn Manfred gezeugt. Die große Liebe ihres Lebens war "ihr" Wilhelm, aber der kam erst später. Die zwei Bücher sind auch die Geschichte des Lebens einer Großfamilie in der DDR. Kinder, Enkel und Urenkel werden geboren, man heiratet und läßt sich scheiden, man fährt zu Verwandten in Ost- und Westdeutschland, und am Schluß versucht die Tochter, die in ihrem Herzen einem Betrüger gut ist, erfolglos, die Mutter aus ihrem Haus zu klagen.

Frau Woltemath war immer eine Anhängerin der Ideale der Sozialdemokratie, seit sich 1926 die Kükengruppe der Roten Falken um sie, das uneheliche Kind einer armen Waschfrau, kümmerte. Das "4x Deutschland" des Titels bezieht sich natürlich auf die Weimarer Republik, die Nazi-Herrschaft, die DDR und die wiedervereinigte Bundesrepublik. In der Weimarer Republik war sie noch ein - oft krankes - Kind. Im Dritten Reich hatte sie viel Kontakt mit Juden und begriff aus eigener Anschauung, daß es nicht die geringste Rechtfertigung für das verbrecherische Treiben der Nazis gab. In der DDR nach dem Krieg arbeitete Wilhelm Woltemath als Bauingenieur, und Käte engagierte sich sozial für Frauen, Kinder und anderes. Dabei scheute sie keine Konflikte. Im Jahr 1954 begann Wilhelm eine freiberufliche Tätigkeit. Er arbeitete viel und verdiente gut. Ende 1958 wurden beide verhaftet, sie von der Staatssicherheit und er von der Kripo.

Frau Woltemath wurde der Abweichung von der Parteilinie verdächtigt, und ihr Wilhelm wurde fertiggemacht, weil er freier Unternehmer war. 1961 hatten beide ihre Haftstrafen abgesessen. Wegen ihres schlechten Gesundheitszustands wurde Käte Woltemath bald Invalidenrentnerin, der es erlaubt war, in den Westen zu reisen. Zwischen 1966 und 1973 arbeitete sie dabei aufgrund erheblichen Drucks als IM. Wenn man ihren Erzählungen Glauben schenken darf, war das eher absurdes Theater als effiziente Agententätigkeit.

Nach der Wende engagierte sich Käte Woltemath in der neu gegründeten Ost-SPD, bis sie von ihrer Stasi-Vergangenheit eingeholt wurde. Es begann eine Schmierenkomödie von vorschnellen Verurteilungen, falschen Tatsachenbehauptungen und westlicher Überheblichkeit. Anfang 1992 trat sie aus der SPD aus. Ihre Schrift ist wohl auch als Rechtfertigung der Stasi-Jahre gedacht. Leider schlägt gerade bei diesem Thema die ansonsten durchaus angenehme Detailverliebtheit in ermüdende Penibilität um. Man kann sich nicht alles merken, und verliert dann den Faden. Um ein extremes Beispiel zu nennen: Daß in einer Akte "Käthe" statt "Käte" steht, ist vielleicht doch nicht so relevant.

Das alles wird in einer Sprache erzählt, die in ihrer Ironielosigkeit manchmal fast schon an Heftromane erinnert. Die Guten sind besonders gut, die Bösen sind besonders böse. Im Zweifelsfall wird alles ganz genau geschildert. Wilhelm Woltemath ist ein "siebenfacher Aktivist, mit Eintragungen in das goldene Ehrenbuch der Milchwirtschaft". Seine Frau bringt als Geschenk aus der BRD "ein Stück Lux-Seife, eine Packung hübsche Papierservietten, eine farblich dazu passende Kerze und einen kleinen Kunstblumenkranz und kleine Glasleuchter" mit. Hier wurde wohl auch ein typischer Teil des DDR-Alltags und der DDR-Sprache festgehalten.

ERNST HORST

Käte Woltemath: "4x Deutschland . . . und keins für mich dabei". Zwei Bände. Stock und Stein Verlag, Schwerin 2003. 550 und 563 S., Abb., br., 35,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Ernst Horst findet Käte Woltemaths außerordentlich umfangreiche Lebenserinnerungen reichlich ermüdend. Zum einen, weil ihn Woltemath - eine "einfache Frau", wie er sie nennt, ohne ihr zu nahe treten zu wollen - nicht besonders interessiert. Zum anderen, weil Woltemath ihr ganzes Leben - sie war Stasi-IM und engagierte sich nach der Wende in der neu gegründeten Ost-SPD, bis sie von ihrer Stasi-Vergangenheit eingeholt wurde -, mit einer fast unglaublichen Detailversessenheit schildert. Das Ganze in einer Sprache, die Horst in ihrer "Ironielosigkeit" bisweilen fast an "Heftromane" erinnert - die Guten seien besonders gut, die Bösen besonders böse und im Zweifelsfall werde alles ganz genau geschildert. Als Geschichte einer Großfamilie in der DDR und Beschreibung des DDR-Alltags in "DDR-Sprache" findet er die beiden Bände immerhin aufschlussreich.

© Perlentaucher Medien GmbH