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In seiner Monografie "1948. Der erste arabisch-israelische Krieg" beleuchtet Benny Morris die Hintergründe und Ereignisse, die zum Ende des Britischen Mandats in Palästina, zur Zersplitterung der arabisch-palästinensischen Gesellschaft und schließlich zur Geburt des Staates Israel führten. Im Fokus der Betrachtung steht dabei die unmittelbare Reaktion auf die Staatsgründung: der panarabische Angriffskrieg.Morris' akribische Auswertung der seit den 1980er Jahren zugänglichen israelischen und internationalen Archive ermöglicht einen klaren, dokumentarischen Blick auf die vielfach mythologisierte…mehr

Produktbeschreibung
In seiner Monografie "1948. Der erste arabisch-israelische Krieg" beleuchtet Benny Morris die Hintergründe und Ereignisse, die zum Ende des Britischen Mandats in Palästina, zur Zersplitterung der arabisch-palästinensischen Gesellschaft und schließlich zur Geburt des Staates Israel führten. Im Fokus der Betrachtung steht dabei die unmittelbare Reaktion auf die Staatsgründung: der panarabische Angriffskrieg.Morris' akribische Auswertung der seit den 1980er Jahren zugänglichen israelischen und internationalen Archive ermöglicht einen klaren, dokumentarischen Blick auf die vielfach mythologisierte Geschichte des Krieges von 1948 und seine politischen wie militärischen Akteure. Gegen die mithin geschichtsvergessenen und ressentimentgeladenen Debatten um Israel und Palästina, um Zionismus und Vertreibung liefert dieses erstmals in deutscher Sprache erscheinende Buch somit die dringend benötigte historische Aufklärung.
Autorenporträt
ist emeritierter Professor der Geschichte an der Ben-Gurion-Universität des Negev und ein renommierter Vertreter der "Neuen Historiker". Er publizierte zahlreiche Beiträge zum arabisch-israelischen Konflikt, darunter: One State, Two States. Resolving the Israel/Palestine Conflict (2009), The Birth of the Palestinian Refugee Problem Revisited (2003), Righteous Victims. A History of the Zionist-Arab Conflict, 1881-1999 (2001). Zuletzt erschien von ihm die Biografie: Sidney Reilly. Master Spy (2022).
Rezensionen
"Eine beeindruckende, hervorragend dokumentierte und faire Studie über die Ereignisse, die im Gefolge des Holocaust einem Volk eine souveräne Heimat gaben und ein anderes enteigneten. [...] Was an Morris' Arbeit als Historiker so bemerkenswert ist: dass sie niemandes Vorurteilen schmeichelt, am wenigsten seinen eigenen." David Remnick, New Yorker "Morris erzählt die Geschichte seines neuen Buches nüchtern und düster, unparteiisch und erschöpfend. [...] Ein maßgeblicher und fairer Bericht über ein epochales und brisantes Ereignis. Er hat dieses Ereignis mit schonungsloser Genauigkeit rekonstruiert." David Margolick, New York Times Book Review "Morris' Bericht erscheint bewundernswert, weil er keine Angst hat, beide Lager zu verärgern. [...] Sein Engagement für die Suche nach der historischen Wahrheit verdient ebenso viel Bewunderung wie seine Bestürzung über die arabische Unnachgiebigkeit Sympathie hervorruft. [...] Morris' Buch ist keine bloße militärische Erzählung, sondern eine knackige, lebendige Einführung in die historische Tragödie Palästinas." Max Hastings, Sunday Times "Wenn es darum geht, die Geschichte zu interpretieren, die sie 1947-49 gemeinsam erlebt haben, folgen Araber und Israelis zwei radikal unterschiedlichen Narrativen. [...] Eine der vielen Errungenschaften dieses bewundernswerten Buches besteht darin, dass es den Lesern zu verstehen hilft, warum jedes Narrativ eine solche Autorität besitzt und warum sie so hartnäckig unversöhnlich bleiben." Andrew Bacevich, Boston Globe…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Viel zu lernen auch mit Blick auf die Aktualität des Nahostkonflikts gibt es laut Rezensent Ludger Heid aus Benny Morris' Buch über den ersten arabisch-israelischen Krieg im Jahr 1948, der unmittelbar an die Gründung des Staates Israels anschloss. Morris gehört, so Heid, zu den sogenannten "Neuen Historikern", die in den 1980ern die Geschichte Israels neu zu erschließen begannen und dabei geläufige Erzählungen sowohl der Zionisten als auch ihrer Feinde zu hinterfragen begannen. So stellt Morris Heid zufolge dar, dass die Vertreibung von 700000 Palästinensern im Zuge des Krieges zwar nicht Teil eines israelischen Masterplans war, aber keineswegs friedlich ablief. Allerdings reagierte die zionistische Ideologie, so Heid mit Morris, dabei auf eine arabische Aggression, die sich gegen alle jüdische Ansiedlungen im Nahen Osten richtete, umfangreiche Vertreibungen von Juden aus zahlreichen arabischen Staaten einschloss und das von der UN verbriefte Existenzrecht Israels nicht anerkennt. Der Konflikt beruht nach wie vor auf unvereinbaren Ansprüchen der beiden verfeindeten Gruppen, lernt Heid von Morris.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024

Der Stachel im Fleisch

Von Ende 1947 an wurde der erste israelisch-arabische Krieg ausgekämpft, dessen Folgen bis heute den Nahostkonflikt nähren. Der israelische Historiker Benny Morris hat ihm eine umfassende Darstellung gewidmet, die nun auch auf Deutsch vorliegt.

Von Thomas Thiel

Vieles von dem, was man über den israelisch-arabischen Krieg von 1947 bis 1948 weiß, das weiß man von Benny Morris. Umso erstaunlicher, dass das vor fünfzehn Jahren erschienene Standardwerk, das der israelische Historiker über den ersten Krieg zwischen Juden und Arabern schrieb, erst jetzt auf Deutsch vorliegt ("1948. Der erste arabisch-israelische Krieg", Hentrich & Hentrich Verlag). Die in Oldenburg ansässige Gesellschaft für kritische Bildung gab dazu den Anstoß. Die in angenehm nüchternem Duktus geschriebene Darstellung ist geeignet, manches Vorurteil über den Nahostkonflikt zu entkräften.

Morris, der bis zu seiner Emeritierung an der Ben-Gurion-Universität des Negev lehrte, gehörte zur losen Gruppierung der Neuen Historiker, die in den Achtzigerjahren die klassische zionistische Geschichtsschreibung auf der Basis neu zugänglicher Akten erschütterten. Im Kern ging es um die bis heute umstrittene Frage, wie es dazu kam, dass zwischen 1947 und 1949 rund 700.000 palästinensische Araber das heutige Israel verließen. Nach der gängigen Deutung hatten die arabischen Führer sie dazu aufgefordert, weil sie meinten, nach dem Sieg der arabischen Armeen problemlos dorthin zurückkehren zu können.

Morris zeigte nun in mehreren Büchern, dass Israel an dieser Flucht nicht unschuldig war. Ein Teil der Araber floh nach seiner Darstellung aus eigenem Entschluss unmittelbar mit dem Einsetzen der Kampfhandlungen aus Furcht vor dem Krieg. Der kleinere Teil der Flüchtlinge gehe auf Vertreibungen durch lokale israelische Kommandeure zurück. Nach Morris gab es für die Vertreibung genauso wenig einen zentralen Befehl, wie es innerhalb der zionistischen Führung einen lang gehegten Plan zur Vertreibung der Araber gegeben habe. Die Vertreibungen gingen unmittelbar aus dem Kriegsgeschehen hervor. In erster Linie war die Flucht eine Reaktion auf die von arabischer Seite begonnenen Kämpfe. Wenn es auf israelischer Seite zu mehr Gewalt an Zivilisten kam als auf arabischer, dann liegt das nach Morris vor allem daran, dass die israelische Armee deutlich mehr arabische Dörfer und Siedlungen eroberte als umgekehrt.

Es stimmt allerdings auch, dass die jüdische Seite kein Interesse daran hatte, die fliehenden Araber zurückzuhalten. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr sah Israel die Chance, sein Staatsgebiet über die Grenzen des UN-Teilungsplans vom November 1947 auszudehnen, und desto mehr wurden die dort lebenden Araber als Störfaktor und Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Außerdem wollte man Platz für neue Einwanderer schaffen, insbesondere für die rund 850.000 Juden, die im Zuge des Kriegs aus arabischen Ländern fließen mussten.

Es kam zu Massakern. Mehrere Hundert Dörfer wurden von der israelischen Armee niedergewalzt, Palästinenser wurden beim Rückkehrversuch erschossen. Die Gewalt kam allerdings von beiden Seiten. Auch die ägyptische Armee zerstörte bei ihrem Vormarsch auf israelisches Territorium nach Morris' Darstellung jüdische Siedlungen, und arabische Führer hätten zu Kriegsbeginn klar das Ziel zu erkennen gegeben, den jüdischen Staat im Keim zu vernichten. Die dort lebenden Juden mussten im Fall einer Niederlage mit dem Schlimmsten rechnen.

Die Thesen von Morris provozierten bei Erscheinen seines ersten Buchs "The Birth of the Palestinian Refugee Problem, 1947-1949" (1987) erbitterten Widerspruch unter israelischen Historikern. Morris wurde als linker Israelhasser beschimpft, zeitweise hatte er es schwer, in Israel eine akademische Anstellung zu finden. In den folgenden Jahren wurde sein Blick auf die palästinensischen Araber und deren Friedensbereitschaft jedoch skeptischer. Nach dem Blutrausch der zweiten Intifada vollzog er eine spektakuläre Wende. Er warnte nun vor einem neuen Holocaust und verteidigte die Vertreibungen von 1948 als Akt der Notwendigkeit. Seine politischen Äußerungen schossen teils über das Ziel hinaus, was aber nicht auf seine historischen Arbeiten abfärbte.

Das Buch über den Palästinakrieg fällt in die zweite Phase von Morris' Werk, als die Neuen Historiker längst unterschiedliche Wege eingeschlagen hatten. Von Avi Shlaim oder dem BDS-Aktivisten Ilan Pappé trennt Morris beispielsweise die Sicht, die arabischen Staaten hätten nach dem Waffenstillstand kein Interesse an einem Friedensschluss mit Israel gehabt, sondern rhetorisch und gedanklich schon den nächsten Krieg vorbereitet. Shlaim und Pappé behaupten dagegen, Syrien, Ägypten und Jordanien hätten klar dokumentierte Friedensabsichten geäußert, die Israels Staatspräsident Ben-Gurion jedoch ausgeschlagen habe, weil sie Verzicht auf Land und die Rückkehr der arabischen Flüchtlinge bedeutet hätten. Unkommentiert lässt Morris die Behauptung seiner vom ihm wenig geschätzten Kollegen, Jordanien und Israel hätten sich vor dem Krieg in einem heimlichen Abkommen darüber verständigt, das Westjordanland dem jordanischen Königreich zu überlassen, wenn es den syrischen und irakischen Vormarsch blockiere - also nicht, wie es der UN-Teilungsplan vorsah, den dort lebenden Arabern.

Auf arabischer Seite stieß der UN-Teilungsplan, der beiden Parteien das Recht zur Staatsgründung gab, auf wütende Ablehnung. Palästinensische Milizen griffen den Jischuv, die jüdische Gemeinschaft in Palästina, schon am Tag nach der Verkündung am 30. November 1947 an. Angespornt von der Gewissheit, dass ihm im Fall einer Niederlage die Vernichtung drohte, setzte sich der schwach gerüstete Jischuv entschlossen zur Wehr und schlug zunächst die palästinensischen Milizen und später die Armeen von fünf arabischen Staaten zurück. Viele hatten nicht vergessen, dass der palästinensische Großmufti während des Weltkriegs im Einvernehmen mit Adolf Hitler den Judenhass im Nahen Osten verbreitet hatte. "War es vernünftig, von Israel zu erwarten, dass es seinen selbst erklärten Todfeinden große Zugeständnisse macht?", fragt Morris trocken.

Wie war es möglich, dass sich rund 650.000 in Palästina lebende Juden gegenüber 1,2 Millionen palästinensischen Arabern und den Armeen von fünf arabischen Staaten, die am 15. Mai 1948, direkt nach der israelischen Staatsgründung, in den Krieg eintraten, als überlegen erwiesen? Häufig wurde der Krieg als Kampf des jüdischen David gegen den arabischen Goliath gedeutet. Das war nur deshalb übertrieben, weil die faktische Unterstützung der Palästinenser durch die arabischen Staaten weit hinter der martialischen Rhetorik zurückblieb. Die Arabische Liga hatte sich früh darauf geeinigt, die Errichtung eines jüdischen Staates als Angriff auf die gesamte arabische Welt zu bewerten. Parallel schworen die Muslimbrüder die islamische Welt darauf ein, die Juden als Erbfeind der islamischen Welt zu betrachten. Die höchste Autorität der sunnitischen Welt, die Kairoer Azhar-Universität, rief zum Dschihad gegen Israel auf. Die reale Opferbereitschaft blieb jedoch weit hinter den Verlautbarungen zurück. In Wirklichkeit wollten nur wenige Araber ihr Leben für Palästina aufs Spiel setzen, und die arabischen Staatsführer wurden eher aus Furcht vor der Wut der "arabischen Straße" in den Krieg gezogen.

Nominell waren die Armeen von Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und dem Irak den Juden zwar haushoch überlegen. Man konnte sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen und mobilisierte jeweils nur einen geringen Teil der Truppen, die sich zudem in beklagenswertem Zustand befanden. So zog jeder für sich der Niederlage entgegen. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr gewann das anfangs schlecht gerüstete Israel personell und waffentechnisch die Oberhand. Nur der von den Vereinten Nationen verhängte Waffenstillstand rettete die arabischen Armeen vor einer noch größeren Niederlage.

Die Nakba, die viel beschworene Katastrophe, war zu einem guten Teil selbst verschuldet durch Selbstüberschätzung, Inkompetenz und Feigheit. Von den palästinensischen Eliten hatten sich nur wenige dem Kampf gestellt, die arabischen Milizen waren unkoordinierte Haufen. Die Palästinenser hatten zwar das Recht auf einen Staat gefordert, aber versäumt, sich darauf vorzubereiten, während die Juden entschlossen ihre Chance ergriffen. Am Ende konnten sie ihr Staatsgebiet um mehr als zwanzig Prozent erweitern. Die viel diskutierte Frage, ob das ein Resultat der Kämpfe oder eines ursprünglichen zionistischen Dominanzstrebens war, lässt Morris in dem Buch beiseite.

Zum Dauerproblem wurde die Flucht der Palästinenser erst dadurch, dass ihnen Israel das Recht zur Rückkehr verweigerte und auch die arabischen Staaten (mit Ausnahme Jordaniens) keine Anstalten machten, sie in größerem Umfang aufzunehmen. Noch heute leben viele von ihnen in Slums an Stadträndern arabischer Städte, ohne Papiere und Zugang zu medizinischer Versorgung, und werden als Waffe gegen Israel gewendet. Yassir Arafat machte davon Gebrauch, als er das Rückkehrrecht aller Flüchtlinge einschließlich ihrer Nachkommen zur Bedingung einer Zweistaatenlösung machte. Wohl wissend, dass er damit von den israelischen Juden die Einwilligung in ihren wahrscheinlichen Untergang forderte. Auch im Katalog der BDS-Bewegung findet sich diese Forderung.

Seltener ist von den rund 850.000 Juden die Rede, die während des Kriegs vor Unterdrückung und Gewalt aus arabischen Ländern fliehen mussten, ohne sich irgendeines Vergehens schuldig gemacht zu haben. Den jüdischen Sieg mussten die Juden in den arabischen Ländern teuer bezahlen. Tausendfach wurden sie in Konzentrationslager verbracht, viele kamen bei Pogromen ums Leben. Eine große Fluchtbewegung, besonders in Richtung Israel, setzte ein. Heute leben in arabischen Ländern fast keine Juden mehr. Die geflüchteten Juden wurden von Israel integriert, ebenso die im Land gebliebenen Araber, die heute rund zwanzig Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen. Letztere haben nicht die vollen Staatsbürgerrechte, im Durchschnitt leben sie aber wohl unter besseren Bedingungen als die palästinensischen Flüchtlinge in arabischen Ländern. Morris zufolge konnten viele der damals vertriebenen Juden das in arabischen Ländern erlittene Unrecht nicht vergessen und wurden zur Klientel rechter Parteien. Das Rückkehrrecht von Juden in arabische Länder wurde indessen nie zu einem Thema, das die Gemüter in ähnlichem Maß bewegt wie das Schicksal der Palästinenser, wohl deshalb, weil die vertriebenen Juden wenig Neigung zur Rückkehr dorthin verspürten.

Zweifellos wurde das Flüchtlingsproblem durch einen Krieg geschaffen, den die Araber begonnen hatten. Aber hatten sie nicht das Recht, den UN-Teilungsplan abzulehnen? Schon in den Vorverhandlungen hatte sich gezeigt, dass sie sich mit einem Teil des Landes nicht zufriedengeben würden. Während sich die Juden um die UN-Delegation bemühten und ihr ein aufblühendes Land präsentierten, beschränkte sich die arabische Seite auf Kriegsdrohungen für den Fall einer jüdischen Staatsgründung. Man unterschätzte die Wirkung des Holocausts, der die internationale Akzeptanz eines jüdischen Staats beträchtlich erhöht hatte. Die jüdische Seite berief sich auf den UN-Teilungsplan und darauf, dass es nie einen Staat Palästina gegeben habe.

Der Palästinakrieg hatte nach der Deutung von Morris von Beginn an eine globale Dimension. Die arabischen Staaten betrachteten ihn als Abwehrschlacht gegen den von Israel verkörperten Westen und gegen den Angriff auf die heiligen Stätten des Islam. Der tiefe Hass, der den Konflikt bis heute antreibt, ist für Morris nur vor dem religiösen Hintergrund und der jahrhundertealten Tradition des Antisemitismus in islamischen Ländern zu verstehen. Das Massaker der Hamas ist die Konsequenz der fortschreitenden Islamisierung des Konflikts in den vergangenen Jahrzehnten. Im Hass auf die Juden und den Westen finden große Teile der arabischen Welt auch dann immer wieder zur Einheit, wenn sie das palästinensische Schicksal, wie schon 1948, nur mäßig interessiert.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.03.2024

Nakba und Frohlocken
Benny Morris entlarvt mit seiner schonungslosen Schilderung des Krieges von 1948 einige Mythen der zionistischen Geschichtsschreibung.
Am späten Abend des 14. Mai 1948 notierte David Ben Gurion in sein Tagebuch: „Jubel und Freude im Lande. Wieder, wie am 29. November 1947, ich bin ein Trauernder unter Frohlockenden.“ Die Trauer, von der er hier sprach, bezog sich auf die bereits Gefallenen des Krieges; die Freude mag auch seinem Bonmot geschuldet sein, das er einmal von sich gegeben hatte und lautet: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ Dieses prophetische „Wunder“ war an diesem 14. Mai 1948 für die jüdische Welt Wirklichkeit geworden – Ben Gurion hatte am Nachmittag den Medinat Jisrael, den Judenstaat Israel, proklamiert.
Am 29. November 1947 hatte die UN-Vollversammlung mit einer Majorität von mehr als zwei Dritteln der Mitgliedsstaaten beschlossen, Palästina in einen arabisch-palästinensischen und einen jüdischen Staat zu teilen. Arabische Sprecher betonten, „nicht für den Holocaust bezahlen“ zu wollen, und kündigten an: „Es ist der feste und eindeutige Wille der Araber, keine Lösung in Betracht zu ziehen, die den Verlust ihrer Souveränität auch nur über irgendeinen Teil ihres Landes bedeuten würde.“ Für die Juden indes bedeutete der UN-Beschluss 181, dass ihnen ebendieses Recht auf die Erneuerung ihrer Souveränität endlich zuerkannt worden war. Schon am Tag nach dem Teilungsbeschluss begannen die antijüdische Unruhen in der gesamten arabischen Welt, die alles bis dahin Gewesene in den Schatten stellten. Dem Mob war die Straße überlassen, die Pogrome in Kairo, Aden und Aleppo sind nur die bekanntesten.
Die arabische Antwort auf die israelische Unabhängigkeitserklärung ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten. Radio London meldete in seiner Spätsendung am 14. Mai 1948, die arabischen Staaten seien im Begriff, von allen Seiten in Palästina einzudringen. Ein großer Teil der Arabischen Legion, ausgestattet mit Waffen, die die Engländer geliefert hatten, stehe bereits auf palästinensischem Boden. Im Norden begannen syrisch-libanesische Truppen gleichfalls ihren Vormarsch über die Grenze. Fünf arabische Staaten führten unter Missachtung der UN-Resolution einen Angriffskrieg gegen das jüdische Gemeinwesen in Palästina.
An Schabbatmorgen, 15. Mai 1948, fielen Bomben auf Tel Aviv. Mehrere Spitfires kreisten über der Stadt. Überall im Lande kam es zu Bombenanschlägen und Überfällen auf jüdische Siedlungen. Abdel Rahman Azzam, Generalsekretär der Arabischen Liga, verkündete: „Dies wird ein Krieg der Vernichtung sein und ein enormes Massaker, von dem man noch ähnlich sprechen wird wie von den Massakern der Mongolen.“ Rufe wie „Idbah al Yahud“ („Schlachtet die Juden“!) waren allenthalben auf Straßendemonstrationen in Jaffa, Kairo, Damaskus und Bagdad und selbst in Pakistan zu hören.
Der erste arabisch-israelische Krieg, so der Untertitel von Benny Morris’ 2008 im Original und nun in deutscher Erstausgabe erschienenem Buch, ist für das Verständnis des aktuellen Kriegs der Israelis gegen die Hamas im Gazastreifen von fundamentaler Bedeutung.
Morris, Emeritus der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva, ist einer der „Neuen Historiker“, die seit den 1980er-Jahren die Historiografie Israels mitbestimmen. Ihr gemeinsames Ziel ist es, die gängige Geschichte Israels und des Zionismus einer Revision zu unterziehen. „Neu“ bedeutet auch, bislang nicht frei zugängliche Archivalien heranzuziehen – auch britische und amerikanische. Morris’ prall mit 644 Seiten Geschichte gefüllte Studie ist eine schonungslose Analyse, die für beide Seiten schmerzhaft ist. Er widerspricht dem traditionellen zionistischen Narrativ, beschönigt nichts, hinterfragt wohlbekannte Mythen, die hierzulande auch einer antisemitisch motivierte Täter-Opfer-Umkehr dienen, in der Absicht, aus Israelis in ihrem Umgang mit den Palästinensern die Nazis von heute zu machen. Nach 1947/48 neigten die Israelis dazu, die „Unschuld der Waffen“ ihrer Soldaten und Milizionäre zu loben und sie der arabischen Barbarei gegenüberzustellen, die sich gelegentlich in der Verstümmelung der Leichen jüdischer Gefangener Bahn gebrochen hatte.
Im Laufe ihres Unabhängigkeitskrieges sahen sich die Israelis militärisch gezwungen, schreibt Benny Morris, Araber aus Dörfern zu vertreiben, für die Araber ein nationales Unglück, was die Palästinenser in ihrem Sprachgebrauch „Nakba“ nennen. Den Archivalien entnahm er, dass der Prozess von Flucht und Vertreibung nicht ideologisch motiviert, nicht dogmatisch festgelegt war, sondern sich „evolutionär entlang des Kriegsgeschehens“ entwickelt habe. Die staatspolitisch unterstützte israelische Geschichtsschreibung sagt, dass alle 700 000 Palästinenser im Krieg 1948 ihre Häuser freiwillig verlassen hätten. Die sich „neue“ Historiker nennenden israelischen Geschichtswissenschaftler sagen, dass ein Teil als Flüchtlinge gewaltsam von israelischen Milizen vertrieben wurde. Und als arabische Führer begannen, die Flüchtlinge zur Rückkehr in ihre Häuser zu drängen, und gleichzeitig drohten, die jüdische Gemeinschaft zu zerstören, so Morris, ließ es den Israelis wenig Spielraum für Fehler oder humanitäre Bedenken. In Morris’ Worten: Der arabische „Vertreibungswahn“ schürte das zionistische „Vertreibungsdenken“. Eine „beträchtliche muslimisch-arabische“ Minderheit sei an ihrem Platz geblieben, eine Minderheit, die in der Gegenwart 20 Prozent der israelischen Bevölkerung ausmache.
Die arabischen Staaten weigerten sich indes, die Flüchtlinge aufzunehmen. Dabei war ihnen klar, dass sie durch die Aufrechterhaltung des Flüchtlingsstatus eine verbitterte, verarmte palästinensische Gemeinschaft verstetigten. Die Existenz von Flüchtlingslagern war und ist ein probates Propagandawerkzeug, das am humanen Image Israels kratzt. Andererseits schuf der 1948er-Krieg ein zweites großes Flüchtlingsproblem: Etwa 600 000 in der arabischen Welt lebende Juden mussten unter Zurücklassung ihres Eigentums vor entfesselten Gewaltausbrüchen ihre Heimat verlassen, wurden vertrieben, der Großteil gelangte nach Israel.
Der Krieg 1948 endete mit Waffenstillstandsabkommen, von denen kein einziges das Ziel „Frieden“ zum Thema hatte. Die Araber zeigten sich angesichts der Demütigungen der Niederlage unwillig, mit dem in ihrer Mitte entstandenen Staat Israel Frieden zu schließen. Die einzigen arabischen Führer, die ernsthaft Friedensverhandlungen geführt haben – König Abdallah von Jordanien und Ägyptens Anwar al-Sadat – wurden ermordet. Zwar unterzeichneten Ägypten und Jordanien Friedensverträge mit Israel, doch die arabische Welt – der Mann auf der Straße, der Intellektuelle in seinem Turm, der Soldat in seinem Unterstand – weigerte sich, die Existenz Israels zu akzeptieren. Die Araber sind nie von der Maximalforderung, einen palästinensischen Staat vom Jordan bis zum Mittelmeer zu errichten, abgerückt.
Obwohl nur teilweise verwirklicht, gilt die UN-Resolution von 1947 bis heute als völkerrechtliche Legitimation sowohl des Staates Israel als auch des palästinensischen Rechtsanspruchs auf einen eigenen Staat. Die Ansprüche der beiden Völker besitzen Gültigkeit und sind doch völlig unvereinbar. Ohne Rücksicht auf die historischen Ursachen des Konflikts, das Recht und das Unrecht, die Versprechen und Gegenversprechen ist es Realität, dass Juden und Araber in einem Land leben und sich nicht mit der nahöstlichen Ordnung abzufinden vermögen.
LUDGER HEID
Ludger Heid ist Neuzeithistoriker. Er lebt in Duisburg.
Die Arabische Liga warnte:
„Dies wird ein Krieg
der Vernichtung sein.“
Die Analyse
ist für beide Seiten
schmerzhaft
Auf der Flucht: Im Krieg des Jahres 1948 wurden Hunderttausende Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben.
Foto: Eidan David / dpa
Benny Morris:
1948. Der erste arabisch-israelische Krieg. Übersetzt von Johannes Bruns und Peter Kathmann. Verlag Hentrich & Hentrich, Leipzig 2024. 646 Seiten, 32 Euro.
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