Der wohl aufsehenerregendste Fall eines verschwundenen Kindes in den letzten Jahren war jener der Familie McCann, deren damals 4jährige Tochter Madeleine im Sommer 2007 aus einer Ferienanlage in Portugal verschwand. In Deutschland werden derzeit rund fünftausend Menschen vermisst, darunter etwa
eintausendeinhundert Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren. Auch Kim ist siebzehn, als sie im Buch…mehrDer wohl aufsehenerregendste Fall eines verschwundenen Kindes in den letzten Jahren war jener der Familie McCann, deren damals 4jährige Tochter Madeleine im Sommer 2007 aus einer Ferienanlage in Portugal verschwand. In Deutschland werden derzeit rund fünftausend Menschen vermisst, darunter etwa eintausendeinhundert Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren. Auch Kim ist siebzehn, als sie im Buch “alle, alle lieben dich” von Stewart O’Nan verschwindet.
Kim und ihre Freunde verbringen ihren letzten Sommer zu Hause. Ab Herbst werden alle zum Studium aufs College gehen. Die heißen Tage des Juli verbringen Sie gemeinsam zwischen Ferienjob und Freizeit. Eines Nachmittages bricht Kim vom Strand auf, um zu ihrer Arbeit an der Tankstelle zu fahren. Dort kommt sie nicht an. Erst am nächsten Tag bemerken die Eltern ihr Verschwinden und melden sie als Vermisst. Weil zunächst nichts auf eine Straftat hinweist, machen sich die Eltern mit Freiwilligen, Freunden und Nachbarn allein auf die Suche in der Umgebung. Ohne Ergebnis. Erst als Kims Freunde ein Geheimnis lüften und Kims Auto weitab von ihrem Wohnort gefunden wird, beginnt auch die Polizei an ein Verbrechen zu glauben.
Wer aufgrund dieser Zusammenfassung “alle, alle lieben dich” für einen Krimi mit Thrillereffekt hält, wird enttäuscht werden. Stewart O’Nan beschreibt die Situation einer Familie aus der ein Kind vermisst wird. Sachlich und nüchtern, detailliert was die Suche nach der Tochter betrifft, oberflächlicher in Bezug auf die Psyche der Charaktere.
Die Erzählperspektive wird zwischen den Eltern Fran und Ed, der Schwester Lindsay und den Freunden Nina, J.P. und Elise gewechselt. Analytisch und distanziert beschreibt O’Nan die Vorgehensweise der Beteiligten. Die Mutter versucht den Fall einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und hofft so auf Mithilfe aus der Bevölkerung. Der Vater stellt Suchtrupps zusammen und durchkämmt die Gegend. Die Schwester zieht sich mehr und mehr zurück in dem Schuldgefühl noch “da“ zu sein. Die Freunde haben ein schlechtes Gewissen und drücken sich um die Wahrheit. Distanziert und emotionslos beobachtet O’Nan das Geschehen. Man hat das Gefühl eher eine Dokumentation, als einen Roman zu lesen.
Allerdings hat der Autor ein Gespür für die Banalität des Alltages. Für die Erkenntnis, dass das Leben für alle anderen längst wieder zur Normalität zurückgekehrt ist, während für die Familie und die Freunde nichts geblieben ist, wie es war. Diese simple Wahrheit, ohne Pathos oder Tragik niedergeschrieben, ist das Besondere dieses Romans. Besonders der Satz “Das richtige Leben spielte sich im innern ab” scheint mir dafür stellvertretend. Von außen ist nicht sichtbar, was der Verlust eines Kindes für die Angehörigen bedeutet. Auch für O’Nan nicht. Aus dem was er erfunden hat, lässt sich jedoch ein gewisser Teil erahnen.