Neuorientierung, Gelassenheit und aufregende Träume
Ingrid Riedel sieht Veränderungen im Alter als langfristigen Prozess. Die Schwelle zum Altern beginne bereits mit 40 Jahren, die eigentliche "Wandlung" finde im 5. Lebensjahrzehnt statt und sei mit 60 Jahren abgeschlossen. Die Psychoanalytikerin
nutzt C. G. Jungs Begriff der Lebenswende. Jung definiert damit einen Prozess, der nicht plötzlich…mehrNeuorientierung, Gelassenheit und aufregende Träume
Ingrid Riedel sieht Veränderungen im Alter als langfristigen Prozess. Die Schwelle zum Altern beginne bereits mit 40 Jahren, die eigentliche "Wandlung" finde im 5. Lebensjahrzehnt statt und sei mit 60 Jahren abgeschlossen. Die Psychoanalytikerin nutzt C. G. Jungs Begriff der Lebenswende. Jung definiert damit einen Prozess, der nicht plötzlich eintritt, wie durch den populären Begriff der Midlife-Krise suggeriert wird, sondern der bei jeder Person zu einem individuellen Zeitpunkt stattfindet und unterschiedliche lange dauern kann. Wandlungsprozesse als Bestandsaufnahmen mit darauf folgenden beruflichen oder privaten Neuorientierungen gibt es in jedem Lebensalter. Beispiele seien Kinderwunsch 30-jähriger, Beginn einer Aus- oder Weiterbildung, nachdem die Kinder tagsüber im Kindergarten sind, Auswanderungspläne, Auseinandersetzung mit dem Altern der eigenen Eltern. Zur Neuorientierung gehöre das Erkennen der eigenen Endlichkeit und die Verabschiedung von unerreichten oder unerreichbaren Zielen. Im Alter von 40 bis 50 Jahren setzten sich gerade Frauen mit Abgrenzungen und Trennungen auseinander. Ihre Ideale würden an der Realität oder Erreichbarkeit gemessen; die eigene Neuorientierung wird nun stärker gegen Rücksichten auf Familienmitglieder abgewogen. Die Autorin befasst sich zwar auch mit der Aussagekraft körperlicher Symptome während der Wechseljahre. Ihr Schwerpunkt ist jedoch die spirituelle und mentale Neuorientierung. Mit dem populären Geburtstagsgedicht "Was hat sie schon? Was braucht sie nicht? Was kriegt sie nicht?" charakterisiert Riedel eine Frau in der Lebensmitte mit Durchhaltevermögen, die die eigenen Grenzen kennt, keine Bevormundung mehr braucht und sich realistische Ziele setzt. Nach dem 55. Lebensjahr nehme die geistige Leistungsfähigkeit oft wieder zu, langjährige Freundschaften würden gepflegt und geschätzt; der Blick richte sich wieder stärker auf die eigene Herkunftsfamilie. Zwar würden gerade beim Sport die körperlichen Grenzen im Alter deutlich; doch größere Gelassenheit lasse engagierte Seniorinnen sich nun nicht mehr für jedes Problem persönlich zuständig fühlen.
Geprägt von der eigenen Tätigkeit als Analytikerin und Psychotherapeutin sieht Riedel für Frauen in der Lebensmitte eine Vielzahl von beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten als Beraterin, Lehrerin oder Ausbilderin. Ingrid Riedel gibt einige Beispiele für Übergangsrituale, die sich zu runden Geburtstagen gestalten lassen, und analysiert ausführlich die Symbolik einer Reihe intensiver Träume, die ihr eine Frau in den 50ern beschrieb.
Riedels teils pathetischer Stil ist zunächst gewöhnungsbedürftig. "Die gewandelte Frau" ist ein kluges Buch über das Altern und wird alle Leserinnen ansprechen, die sich für die Bedeutung von Träumen interessieren. Das Idealbild der Autorin der bis ins hohe Alter geistig regen und beruflich aktiven Psychoanalytikerin beschränkt sich in der Realität auf eine sehr kleine Bevölkerungsgruppe und lässt sich im Berufsalltag anderer Berufsgruppen selten realisieren.