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In einem großen Haus voller Kinder wächst ein Mädchen auf wie alle anderen; statt für Puppen interessiert sie sich für Wasserkäfer, und dass im Fernsehen immer nur Männer kochen, irritiert sie. Sie wird allmählich erwachsen Diätwahn, sexuelle Eskapaden, Zorn, Sehnsucht, Orientierungslosigkeit und Selbstzweifel inbegriffen. Sie lässt sich treiben, von Schule zu Uni zu Arbeitsplatz, von Beziehung zu Beziehung immer auf der Suche nach ihrer Bestimmung "als Frau", hinter der sie dumpf die Mutterschaft vermutet (und befürchtet): Alle Welt scheint nichts anderes im Kopf zu haben als sich…mehr

Produktbeschreibung
In einem großen Haus voller Kinder wächst ein Mädchen auf wie alle anderen; statt für Puppen interessiert sie sich für Wasserkäfer, und dass im Fernsehen immer nur Männer kochen, irritiert sie. Sie wird allmählich erwachsen Diätwahn, sexuelle Eskapaden, Zorn, Sehnsucht, Orientierungslosigkeit und Selbstzweifel inbegriffen. Sie lässt sich treiben, von Schule zu Uni zu Arbeitsplatz, von Beziehung zu Beziehung immer auf der Suche nach ihrer Bestimmung "als Frau", hinter der sie dumpf die Mutterschaft vermutet (und befürchtet): Alle Welt scheint nichts anderes im Kopf zu haben als sich fortzupflanzen. Aber so viel Unentschlossenheit geht nicht allzu lange gut.
Gertraud Klemms Debüt bei Droschl ist ein vor Lebendigkeit sprudelnder Roman mit wachem, klarem Blick auf alte und neue Geschlechterrollen. Sein Witz und sein Humor übertönen aber nie den Ernst der Lage nämlich die Trägheit der Verhältnisse, den Druck der inneren Zwänge und Neurosen und die Aussichtslosigkeit, wenn alles anders läuft als geplant
Mit Herzmilch ist Gertraud Klemm ein Romanerstling gelungen, der ein altes und immer gleich heißes Eisen originell, schonungslos und temperamentvoll anpackt und neu formuliert.
Autorenporträt
Gertraud Klemm, geboren 1971 in Wien, aufgewachsen in Baden, Biologiestudium. Sie erhielt mehrere Stipendien und Förderpreise, zuletzt den Harder Literaturpreis 2012. Bisher erschienen: Höhlenfrauen. Erzählungen, 2006, Mutter auf Papier, 2010.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Oliver Pfohlmann tröstet sich mit den vielen zitierwürdigen Sentenzen in dieser an Streeruwitz und Co. geschulten "Wutrede" gegen die gesellschaftlich verordneten Weiblichkeits- und Mutterrituale von Gertraud Klemm. Die feministische Anklage der Ich-Erzählerin in diesem Debütroman scheint Pfohlmann nur bedingt zu erfreuen. Genau genommen findet er es wenig aufklärerisch, der Biologie und der Gesellschaft die Schuld zu geben an der Situation der Frau. Und auch erzähltechnisch überzeugt ihn der Text nicht. Einer solcherart geäußerten utopischen Vision von der Zukunft der Frau scheint der Rezensent nicht vertrauen zu wollen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2014

Die Tragödie der Frau als Mutter

Suada ist ihr Genre: Gerade in Klagenfurt mit dem Publikumspreis ausgezeichnet, erzählt Gertraud Klemm in ihrem Roman "Herzmilch" von den Hindernissen der Entscheidung fürs Kind.

Unwiderstehlich fühlt sich das Mädchen vom Fluss angezogen, der sich zu Füßen ihres Elternhauses schlängelt. Eine besondere Faszination übt die miniaturartige Unterwasserwelt aus, die sich unter Steinen und an seichten Stellen verbirgt. Fliegenlarven, Kieselalgen, Strudelwürmer, Napfschnecken wecken die Wissbegier des Kindes: "Alles, was mit Wasser zu tun hat, merke ich mir, sogar die lateinischen Namen." Ihrem Vater teilt das Mädchen kurzerhand mit: "Wenn ich einmal eine Tochter habe, nenne ich sie Achnanthes, einen Sohn nenne ich Cyclops."

Mit dieser Prophezeiung sind die Würfel des Schicksals gefallen, wenn auch nicht am Rubikon, so doch an der Schwechta, die durch die niederösterreichische Kurstadt Baden fließt. Denn was soll aus einem Mädchen, das sich Grünalgen und Flusskrebsen zugehörig fühlt, anderes werden als eine Biologin? Vielleicht wäre Wassernixe eine Alternative, aber mit Märchenwelten will Gertraud Klemms Debütroman "Herzmilch" absolut nichts zu tun haben. Vielmehr interessiert sich der Roman für den zweiten biologischen Aspekt, der in der Voraussage des Mädchens mitschwingt. Es führt zur argumentativen Essenz des Romans, wenn das Kind hier selbstverständlich die Flusswelt mit der eigenen, zukünftigen Mutterschaft verrechnet.

Klemms schonungsloser Prosa unterliegt die (vermeintliche) Gewissheit, das biologische Geschlecht habe dessen Lebenslauf vorbestimmt. Inwiefern? Weil jede Frau das "Muttertier" in sich trage. Der Muttercode aber lasse höchstens Abweichungen im Detail zu. Nach all den Jahren Geschlechterkampf bleibe nur der Schluss, dass die Biologismen so wirkmächtig geblieben seien wie eh und je.

Aus diesem biologistischen Befund hatte Gertraud Klemm bereits ihren Prosaband "Mutter auf Papier" entfaltet. Dort warf sie anhand der Adoption die Frage auf, wie unsere Gesellschaft mit Abweichungen von natürlicher Mutterschaft umgeht. Im Fall von "Herzmilch" nimmt Klemm den Ernstfall "Mutterschaft" abermals auf. Sie greift jetzt aber auf das autobiographische Erzählen zurück.

Eine Ich-Erzählerin zeichnet die einzelnen Etappen ihres Lebens auf, in denen sich die Frage nach dem biologischen Fundament des Daseins in jeweils anderer Form stellt. Die Chronik umfasst die Schulzeit in Baden, Biologiestudium und Arbeitsleben in Wien und schließlich jenen Moment, in dem die junge Frau feststellt, dass sie schwanger ist und beschließt, ihr Kind allein großzuziehen.

Die Sorge, nicht aus dem Gefängnis des eigenen Körpers ausbrechen zu können, beschäftigt schon das junge Mädchen: "Wenn ich eine normale Frau werde, verspiele ich meine Chance darauf, jemals etwas Bedeutendes sagen oder tun zu dürfen. Das beginnt schon jetzt, irgendwie scheinen wir Mädchen aus einem anderen Material, etwas Massives, Statisches." Solch ein Gedankengang zeigt, wie weitgreifend die biologische Zuschreibung auf den Körper bereits die Selbstwahrnehmung des Kindes bestimmt. Das bis auf Aristoteles zurückreichende Phantasma der "passiv empfangenden Frau", deren "Material" erst gebildet werden müsse, bildet das Fundament für den Muttertier-Konflikt. Der gezielt sperrige Titel "Herzmilch" stellt die Frage: Muss die Frau notwendig ihr Herzblut in Säuglings-, Still- und Milchangelegenheiten investieren? Was passiert, wenn sie sich der Biologie des Körpers entzieht?

Keine andere Figur könnte den Zwiespalt heute treffender verkörpern als eine Biologin. Als Wissenschaftlerin, das weiß jedes Kind, muss sie die Mutterschaft vermeiden. Sonst wird es nichts mit dem Beruf (Karriere muss ja gar nicht sein). Zugleich fordert ihre Profession, das Biologische als Lebensgrundlage anzuerkennen. Folgerichtig müsste sie die Wissenschaft an den Nagel hängen und schnell Mutter werden. Zwischen dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung und der Notwendigkeit, die biologische Vorbestimmung anzuerkennen, fühlt sich die Protagonistin hin- und hergerissen. Jede Entscheidung bedeutet, eine Position auszustreichen und es damit immer falsch zu machen. Darin besteht die Tragödie der Frau als Mutter.

Klemm erzählt eindringlich von den nachhaltigen Irritationen gegenüber dem eigenen Körper, den eigenen Vorstellungen und den Zuschreibungen von außen. In einer Melange aus Elfriede Jelineks Metaphernfuror, Marlene Streeruwitz' gesellschaftspolitischem Scharfsinn und Brigitte Schwaigers erzählter Verzweiflung bringt "Herzmilch" Gefühlswelt und Bewusstsein eindrücklich zur Sprache. In den einzelnen Episoden beeindruckt Klemms Romandebüt durch die Präzision, mit der es ungeschminkt benennt, was gemeinhin wortreich bemäntelt wird.

Auf Dauer allerdings führt der Duktus der Suada notwendig zur Einseitigkeit. Protagonistin und Roman wirken so übertrieben geschlechts- und gebärmutterfixiert, wie sie es der Gesellschaft vorwerfen. Stark ist der Roman immer dann, wenn Verzweiflung und Wut ein Gegenwicht erhalten und so in Ambivalenz überführt werden. Im Zuge der Schwangerschaft gelingt das in besonderer Weise, wenn sich die Liebe zum ungeborenen Kind mit der gleichzeitigen Verachtung der eigenen Situation und des eigenen Körpers vereinigt.

Doch solchen Passagen räumt Klemm nur knappen Raum ein. Sein enormes Potential schmälert der Roman zudem durch handwerkliche Unzulänglichkeiten. Weil Klemm den Eindruck einer allwissenden, rückblickenden Erzählinstanz vermeiden will, bleiben die Szenen mit Hilfe des epischen Präsens streng an die jeweilige Perspektive der Protagonistin gebunden. Die Schulzeit erfahren die Leser durch die Augen des Schulmädchens. Was das Kind erlebt, kann es daher nur im Rahmen des eigenen kindlichen Horizonts verstehen: "Aus dem Fernseher kommen Nachrichten. Eine Frau spricht, sie sitzt im Ledersessel und erweckt meine Aufmerksamkeit, indem sie hässlich ist. Das ist ein Kuriosum. Frauen im Fernsehen sind immer schön." Der Eindruck, hier tue ein Kindermund Wahrheit kund, entsteht, weil der Nebensatz "indem sie hässlich ist" grammatisch heikel ist. Aber die Bewertung "Das ist ein Kuriosum" zerreißt die sorgsam erzeugte Fiktion, da so ein Satz sicherlich nicht zum Sprachschatz eines Kindes gehört.

Beinahe ärgerlich lässt einen zurück, dass ein Roman, der ein so wichtiges erzählerisches Anliegen hat, selbst kein Klischee auslässt. Warum der neue Nachbar in Wien ausgerechnet Gynäkologe sein, warum er über Seiten hinweg die Erzählerin und die Leser mit seinen Vagina-Monologen langweilen muss, bleibt ein Rätsel. Das scheint weder für das gesellschaftskritische Anliegen noch für die Drastik des Romans notwendig zu sein. Jedoch muss vielleicht, wer mit Wut und Empörung erzählt, notwendigerweise über das Maß hinausschießen. Davon unberührt ist "Herzmilch" ein von Sprachkraft und kritischer Ernsthaftigkeit geprägtes Debüt.

CHRISTIAN METZ

Gertraud Klemm: "Herzmilch". Roman. Literaturverlag Droschl, Graz 2014. 239 S., geb., 20,- [Euro].

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