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Worüber man schwieg und schrieb. Im Oktober 1945 wurde die 'Süddeutsche Zeitung' gegründet. Die Ausgaben der frühen Jahre sind der Öffentlichkeit kaum mehr zugänglich. Sie erweisen sich als Fundgrube, denn sie spiegeln die Nachkriegszeit mit all ihren Facetten wider: von den Kriegsverbrecherprozessen über die Entnazifizierung und die Entstehung der zwei neuen deutschen Staaten bis hin zu den Nöten des Alltags, die sich sehr eindringlich aus den Inhalten der Inserate ablesen lassen. Aufschlussreich ist auch, was ausgeblendet und worüber wie berichtet wurde.
Die damaligen Protagonisten -
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Produktbeschreibung
Worüber man schwieg und schrieb.
Im Oktober 1945 wurde die 'Süddeutsche Zeitung' gegründet. Die Ausgaben der frühen Jahre sind der Öffentlichkeit kaum mehr zugänglich. Sie erweisen sich als Fundgrube, denn sie spiegeln die Nachkriegszeit mit all ihren Facetten wider: von den Kriegsverbrecherprozessen über die Entnazifizierung und die Entstehung der zwei neuen deutschen Staaten bis hin zu den Nöten des Alltags, die sich sehr eindringlich aus den Inhalten der Inserate ablesen lassen. Aufschlussreich ist auch, was ausgeblendet und worüber wie berichtet wurde.

Die damaligen Protagonisten - Redakteure, Politiker, Künstler, Literaten - erhalten durch eine Ausleuchtung ihrer Biografien ein Gesicht. Die Artikel der 'Süddeutschen Zeitung' sind eine einzigartige Quelle zur Zeitgeschichte und eröffnen zugleich einen Zugang zum Verständnis der jungen Bundesrepublik.

Im Oktober 2015 auf der von SZ und NDR ermittelten Liste der "besten Sachbücher des Monats"
Autorenporträt
Harbou, Knud
Knud von Harbou, Historiker und Germanist, Verlagslektor, Sachbuchredakteur und im Feuilleton der 'Süddeutschen Zeitung' tätig, hat 2013 Aufsehen erregt mit einer Biografie über den Mitbegründer der SZ, den katholischen Publizisten Franz Josef Schöningh.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2015

Stolpersteine in der Sendlingerstraße

An der Entnazifizierung hatte man kein großes Interesse: Knud von Harbou geht den Anfangsjahren der "Süddeutschen Zeitung" auf den Grund.

Die Legende hält sich bis heute. Sie klingt aber auch einfach zu gut. Aus dem eingeschmolzenen Bleisatz von Hitlers "Mein Kampf" soll in der Nacht zum 6. Oktober 1945 die erste Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) in München produziert worden sein. Welch symbolisches Bild - aus dem schrecklichen Buch, mit dem Hitler seinen politischen Aufstieg begründet hatte, wurde die erste von den Amerikanern lizenzierte Zeitung in Deutschland, die den Weg der Deutschen in die Freiheit begleiten sollte.

Die amerikanischen Presseoffiziere haben 1945 lange nach geeigneten Personen gesucht, die das garantieren sollten. Edmund Goldschagg war bis 1933 der verantwortliche Redakteur der SPD-Zeitung "Münchner Post", Franz Josef Schöningh bis in die vierziger Jahre der Herausgeber der katholischen Zeitschrift "Hochland" und August Schwingenstein ein ehemaliger Landtagsberichterstatter, der während des "Dritten Reichs" Verleger von Unterhaltungsliteratur wurde, um nicht unter politischen Druck zu geraten.

In den Kellerräumen des ehemaligen Knorr und Hirth Verlags an der Sendlingerstraße begannen sie 1945 ihre Arbeit, wobei die größte Sorge war, genug Papier für den Druck zu bekommen. Die Lizenz für die Zeitung wurde schon bald von Kritikern als Lizenz zum Gelddrucken bezeichnet. Tatsächlich entwickelte sich der Zeitungsverlag zu einem sehr erfolgreichen Unternehmen. Und weil es die erste deutsche Zeitung im amerikanischen Sektor war, haben sich viele mit der Geschichte der Zeitung und ihrem Beitrag zur Etablierung der Demokratie beschäftigt.

Es dauerte nicht lange, bis der Erfolg die Kraft der Gründungsmitglieder überforderte. Noch bevor die SZ von den Amerikanern ganz in deutsche Hände übergeben wurde, ernannten sie noch zwei weitere Lizenznehmer. Der eine war der erfahrene Verlagsmanager Hans Dürrmeier, der zweite der Journalist Werner Friedmann. Letzterer war als Leiter der Lokalredaktion eingestiegen und mit der Lizenzübernahme zum Chefredakteur aufgerückt. Vor allem nach außen wurde er die prägende journalistische Kraft des Hauses. Vielleicht beauftragten deshalb die Familien Goldschagg (1982) und Schwingenstein (2001) jeweils einen Historiker, die Geschichte der Zeitung - und ihrer jeweiligen Verdienste daran - zu beschreiben. 2013 erschien zudem ein Buch über die Familie Schöningh. Auch dieses Buch wurde von den Nachkommen unterstützt, aber hier ging es nicht mehr um Heldentum für die Demokratie.

Der Journalist und Historiker Knud von Harbou, selbst lange Redakteur im Feuilleton der SZ, untersuchte in dem Buch vor allem, welche Rolle Franz Josef Schöningh in Tarnopol im Generalgouvernement Ostpolen gespielt hat. Von Harbou war auf Grund einer persönlichen Verbindung darauf gekommen. Sein Vater war nicht nur ein Freund von Schöningh gewesen, sondern hatte ihn als Kreishauptmann zum Stellvertreter gemacht, nicht zuletzt, um ihm den Kriegsdienst zu ersparen. Schöningh stellte später seine Rolle als eine Art Förster in der inneren Emigration dar. Harbou legte in seinem Buch "Weg und Abwege" offen, dass Schöningh, wie so viele andere nationalsozialistische Funktionäre, nach 1945 seine Vergangenheit verharmlost hatte, um weiter Karriere zu machen. Und keiner war interessiert daran, dass die Wahrheit noch ans Licht kommt.

Knud von Harbou hat bei dieser Arbeit wohl eine Ahnung bekommen, dass es noch mehr Stolpersteine bei der Gründung der "Süddeutschen Zeitung" gegeben haben muss. Und er ist in einem unvorhergesehen Maße fündig geworden, so dass er nun eine Art Doppelbuch geschrieben hat. Zum einen erzählt er die Gründungsgeschichte der SZ genauer und distanzierter als die meisten anderen Autoren, die sich damit beschäftigt haben. Zum anderen hat er die ersten zehn Jahrgänge der Zeitung noch einmal nachgelesen. Er hat also Theorie und Praxis untersucht, um sie zu vergleichen.

Das erschreckende Ergebnis: Zum einer gab es eine ganze Reihe von Mitarbeitern, die - vielleicht geläutert - nur ungern konkret über ihre Arbeit und ihr Engagement im Dritten Reich etwas zu erkennen gegeben hatten. Noch wichtiger ist dieses Ergebnis: Harbou hat bei seinem Lektürepensum feststellen können, dass die SZ keineswegs von Beginn an der Hort einer liberal eingestellten Redaktion war. Diesen Ruf hat sich die Zeitung erst viele Jahre später verdient.

Verständlich ist noch, dass die Zeitung, deren Besitzer alles den Amerikanern verdankten, sich nur äußerst zurückhaltend gegen die Wiederaufrüstung ausgesprochen hat, die Bundeskanzler Adenauer auf Wunsch der Amerikaner durchsetzte. Gravierender ist das Desinteresse der Zeitung an einer konsequenten Entnazifizierung des Landes. Selbst Edmund Goldschagg, der bei der Neugründung der SPD wieder eine Rolle spielte, war offensichtlich bei solchen Themen in der wirkungslosen Minderheit. Das konservativ-christliche Bild herrschte bei den Gesellschaftern vor. Nur Werner Friedmann, der die Dreiergruppe mehr oder weniger gezwungen hatte, auch ihn in ihren Kreis aufzunehmen, hielt die liberale Fahne hoch.

Harbou hat in diesen ersten zehn Jahren ein paar Redaktionsmitglieder gefunden, die versuchten, unabhängig, kritisch und aufklärerisch zu wirken. An erster Stelle steht hier Ernst Müller-Meiningen jr., der bis in die achtziger Jahre Redaktionsmitglied, allerdings nie fest angestellt, war. Auch die von der Chefredaktion meist unterschätzte und unterbezahlte Ursula von Kardorff rettet mit dem einen oder anderen Beitrag den Ruf der Zeitung - etwa als sie zum ersten Mal die Familien der von der Zeitung so sträflich ungewürdigten Verschwörer des 20. Juli besuchte.

Kritisch hat Harbou auch manche Beiträge der Reporterlegende Hans Ulrich Kempski nachgelesen. Kempski, der sich später um viele Kollegen menschlich sehr verdient gemacht hat, war ein Journalist, dem vor allem der Zugang zu den Mächtigen der Welt wichtig war, um mehr als andere zu erfahren. So hatte er sich bereit erklärt, auf Anregung von Bundeskanzler Adenauer eine Seite-3-Geschichte über dessen Staatssekretär Hans Globke, den Kommentator der Nürnberger Rassegesetze gegen die Juden, zu schreiben. Nach dieser Veröffentlichung sei die Kritik an Globke weitgehend verstummt, war noch Jahrzehnte später Kempskis stolzes Resümee.

Diese Geschichte zeigt, dass der Autor recht hat mit der These, dass die Redaktion der SZ in den frühen Jahren mit der Vergangenheitsbewältigung zu vorsichtig umgegangen ist. Aber das Erstaunen heute darüber ist auch ein Beweis dafür, dass die Redaktion sich immer selbstbewusster gegen die Meinungen und Vorgaben der Gesellschafter durchsetzte. Das aber passierte erst nach der Zeit, die das verdienstvolle Buch von Knud von Harbou zum Thema hat.

KARL-OTTO SAUR

Knud von Harbou:

"Als Deutschland seine

Seele retten wollte".

Die Süddeutsche Zeitung in den Gründerjahren nach 1945.

Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2015. 448 S., geb., 26,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Klaus Hillenbrand liest lebendig gewordene Zeitgeschichte in Knud von Harbous Darstellung der Geschichte der Süddeutschen Zeitung in ihren Gründungsjahren. Hillenbrand lobt die Akribie der Recherche, die Personal und Texte zutage fördert und laut Rezensent die Frage nach Kontinuitäten zwischen dem Nationalsozialismus und der Bonner Republik aufwirft. Dass der Band diese Frage im Einzelnen nicht beantwortet, erscheint Hillebrand schließlich gar nicht so wichtig. Hinweise darauf entdeckt er im Buch genug. Wichtiger findet er, dass der Autor den aktuellen Stand der Politik- und Geschichtsforschung auf seine Recherchen anzuwenden weiß, "typische" Nachkriegskarrieren nachvollziehbar macht und die Süddeutsche in ihrer Anfangszeit als durchaus angepasstes (und nicht rechtes, wie Hillenbrand meint) Blatt ausweist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2015

Bleierne Zeit
Was den Umgang mit der NS-Zeit betraf, war die Nachkriegsgesellschaft sehr vergesslich. Von der eigenen Schuld wollte keiner reden.
Die „Süddeutsche Zeitung“ war da keine Ausnahme. Knud von Harbou hat die Verstrickungen zweier Redakteure akribisch erforscht
VON JOACHIM KÄPPNER
Juli 1954, die Münchner Kammerspiele. Jemand liest bei einer Gedenkveranstaltung aus dem letzten Brief einer Jüdin aus Tarnopol vor, Salomea Ochs, die 1943 von den deutschen Besatzern ermordet wurde. Sie schrieb: „Ich hätte Euch so viel zu erzählen, wie kann man aber all die Greuel und Qualen schildern? Es ist unmöglich.“ Ergreifende Worte. Zu den weiteren Rednern im Saal gehört Franz Josef Schöningh, Mitherausgeber der Süddeutschen Zeitung, der fragt, wie „das Böse so ungeheuerliche Ausmaße annehmen konnte, daß unser Vaterland zerfetzt und gespalten wurde“.
  Es gibt dafür natürlich einige Erklärungen, darunter die: Das Böse nahm solche Ausmaße an, weil Männer wie Schöningh es nach Kräften unterstützt hatten, im seinem Fall sogar als stellvertretender Kreishauptmann des deutschen Besatzungsregimes in Tarnopol. Dieser Posten gehörte zur Zivilverwaltung, die mit ihren Schreibtischtätern aktiv an der Organisation des Holocaust teilnahm. Schöningh hätte die Gräuel also durchaus schildern können, denn er gehörte zur Seite der Täter, die sie begingen. Aber er schwieg, 1954 in den Kammerspielen und ein Leben lang.
  Diese Episode ist typisch für die vergessliche Nachkriegsgesellschaft, für den persönlichen Umgang der Beteiligten mit Schuld – und auch für die Gründerjahre der SZ, wie Knud von Harbou in seinem neuen Buch „Als Deutschland seine Seele retten wollte“ sorgfältig herausarbeitet. Seine Studie ist mit aufklärerischer Wucht und verhaltener Wut geschrieben. Denn es geht um seine Zeitung, die Süddeutsche, bei der Harbou, Jahrgang 1946, früher stellvertretender Feuilletonchef war.
  Oftmals, wenn Institutionen ihre NS-Vergangenheit aufzuarbeiten versuchten, kam nachher etwas heraus mit dem Tenor: Sicher, das sei alles nicht erfreulich, aber anderswo noch viel schlimmer gewesen. Solche Schönfärbereien sind Knud von Harbou fremd. Er selber hat die schreckliche Vergangenheit Franz Josef Schöninghs in seiner 2013 erschienen Biografie des Verlegers enthüllt („Wege und Abwege“). Das neue Buch lässt weitere bekannte Namen der ersten SZ-Jahre in düsterem Lichte erscheinen, vor allem Hermann Proebst, Chefredakteur 1960 bis 1970. Dieser war faktisch, als Publizist in Zagreb, Verbindungsmann des Naziregimes zu dessen faschistischem Vasallenstaat Kroatien gewesen und schrieb rassistische Propagandatexte. Die SZ berichtete 2014 vorab darüber, was Harbou über Proebst und den früheren SZ-Innenpolitikchef Hans Schuster herausgefunden hat. Schuster verfasste 1939 eine antisemitische Dissertation über die „Judenfrage in Rumänien“ und rief darin wenig verhüllt zum Mord auf.
  In diesem Oktober wird die Süddeutsche Zeitung 70 Jahre alt. Der aufklärerische, freiheitliche Kurs, den sie heute für sich beansprucht, war ihr nicht in die Wiege gelegt. „Die Bewusstseinslage wurde – ausgesprochen oder unausgesprochen – vom Umgang mit dem Nationalsozialismus dominiert“, schreibt Harbou. Oder auch: vom Nicht-Umgang, von der berüchtigten „Unfähigkeit zu trauern“. Diese Unfähigkeit war auch in der frühen SZ sehr verbreitet, die Vergangenheit wurde von vielen zwar selten geleugnet, aber verdrängt und abgespalten.
  Die Liberalen und Antifaschisten, die es anfangs in Redaktion und Verlag natürlich auch gab und die sich später durchsetzten, hatten es deshalb in den Gründerjahren schwer. Erst 1951 erreichten die Autoren Heinz Holldack und Ernst Müller-Meiningen jr., dass die Verschwörer des 20. Juli 1944 nicht mehr als Verräter oder Verbrecher diffamiert wurden.
  Im selben Jahr, 1951, demonstrierten wütende Juden in München sogar vor der Redaktion in der Innenstadt, weil sie der SZ und ihren Leserbriefschreibern Antisemitismus vorwarfen. Die Zeitung hatte kommentarlos den Brief eines angeblichen „Adolf Bleibtreu“ abgedruckt, der bedauerte, „daß wir nicht alle vergast haben“. Der Leitartikel von W. E. Süskind, auf den sich der Brief bezog, hatte den Hass gegen die Juden zwar kritisiert; dennoch wirkte die „Bleibtreu-Affäre“ wie eine „historische Schrecksekunde“, wie Müller-Meiningen jr. es nannte. Es war ein Schreck mit Folgen. In die Chefredaktion rückte nun der Lizenzträger Werner Friedmann, der als „Halbjude“ den Nazis entgangen war und bis 1945 Berufsverbot gehabt hatte.
  Der Titel des verdienstvollen Buchs bezieht sich auf die Frage, welche der Schriftsteller Franz Werfel den Deutschen 1945 stellte: Würde ihr Land „seine Seele retten“? Dies sei zwar möglich, aber nur durch „objektive Erkenntnis des Geschehens und subjektive Erkenntnis der Schuld“. Harbou misst die junge SZ an diesen Maßstäben, und sein Urteil ist so hart wie gerecht: „Gerade dieser Schuldeinsicht verweigerten sich die Herausgeber und weitgehend die Gründungsgeneration der Süddeutschen Zeitung entschieden.“
  Der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann rügte die Deutschen für ihr angepasstes Verhalten während der Nazizeit – die SZ zeigte sich empört, nicht über die Deutschen, sondern über ihren größten Schriftsteller. Adenauers Staatssekretär Hans Globke, unter Hitler Referent für Judenfragen und Kommentator der „Nürnberger Rassengesetze“ von 1953, erhielt ein wohlwollendes Porträt des Bonner Korrespondenten Fritz Brühl (allerdings gibt es bis heute die törichte Behauptung, Globke sei eine Art Unschuldslamm gewesen). Und in der SZ wurde, vor allem von Schöningh, fleißig an der Legende gebastelt, alle Welt verhänge die „Kollektivschuld“ über alle Deutschen.
  Freilich, es gibt immer beide Seiten. SZ-Kommentare rügten zu milde Urteile gegen Ex-Nazis durch die Spruchkammern. Ernst Müller-Meiningen jr., der schon 1946 dazustieß, wurde mit seinem legendären Kürzel „M-M.jr.“ zum Gründervater einer Tradition entschiedenen Eintretens für den freiheitlichen Rechtsstaat. Nicht wenige Kommentare der ersten Jahre geißelten den Judenhass. Die Zeitung berichtete ausführlich über den Schrecken des Konzentrationslagers Dachau. Aber all das gab anfangs nicht den Ton an.
  „Kontinuierlich wich die SZ dem Gesamtkomplex der Judenvernichtung aus“, schreibt Knud von Harbou, „aus heutiger Sicht ist ihre Auseinandersetzung mit der Schuldfrage kaum nachvollziehbar.“ Erstaunlich ist auch, wie wenig man in der Süddeutschen noch lange Zeit über die Nazivergangenheit eigener Führungskräfte wusste. Oder wissen wollte?
  Dennoch schien, von den meisten unbemerkt, ein latenter Konflikt zu köcheln. Nach dem SZ-Artikel 2014 über die Forschungen Knud von Harbous sowie des Historikers Alexander Korb meldeten sich einige Kollegen aus dem Ruhestand und berichteten, die Vergangenheit habe den Chefredakteur Proebst und Innenpolitik-Chef Schuster gelegentlich doch noch eingeholt. Michael Frank, langjähriger Korrespondent in Wien, stieß 1969 zur Zeitung und erlebte gleich folgende Szene: „Ich erinnere mich noch einer verquasten Erklärung von Proebst in der Redaktionskonferenz, auch in Schusters Namen, die, er konnte derlei wunderbar formulieren, von der Verstrickung der Person in die Geschichte handelte. Wirklich zu entnehmen war dem nichts.“ Vorwürfe wegen der NS-Vergangenheit der beiden hätten, so Frank, leider keine „wirkliche Wirkung gezeigt, zumal man keinerlei Belege oder Dokumente in die Hand bekam. Leute, die ohnehin respektlos den beiden gegenüber waren, wie eben der großartige Immanuel Birnbaum, gaben sich danach noch unbotmäßiger, Schusters ohnehin mürbe Autorität hat sich nie mehr gefestigt.“
  Martin Urban, der ehemalige Wissenschafts-Chef der SZ, erinnert sich an einen Vorfall aus den Sechzigerjahren: „Auf einer Redaktionskonferenz verlangte das Redaktionsmitglied Wolf Schneider (später USA-Korrespondent der SZ und Verlagsleiter des Stern; Anm. d. Red.) von Hermann Proebst Auskunft über dessen Aktivitäten in Kroatien während der NS-Zeit. Eine Frage war, was Proebst damals getan oder nicht getan hatte. Proebst verteidigte sich sehr erregt gegen die Kritik von Schneider und meiner Erinnerung nach auch von Ernst Müller-Meiningen jr.“
  Olaf Ihlau, früher Redakteur der SZ und später Ressortleiter beim Nachrichtenmagazin Spiegel, hat 2014 in dem bewegenden Buch „Der Bollerwagen“ beschrieben, wie er als kleines Kind mit seiner Mutter aus dem brennenden Königsberg floh, in Westdeutschland aufwuchs und Journalist wurde. Er berichtet, der „außenpolitische Senior“ der Zeitung, offenbar der jüdische Kollege und frühere Widerstandskämpfer Immanuel Birnbaum, habe ihm gesagt, zwei SZ-Kollegen hätten den Krieg „bei den Ustascha-Faschisten in Zagreb verbracht, bei der deutschen Propagandaabteilung“.
  Solche kleinen, wenn auch folgenlosen Eruptionen waren schon Zeichen des Generationswechsels, der die Zeitung gründlich öffnete und verwandelte. Politisch war, so schreibt Harbou, „gemeinsamer Nenner dieses Umbruchs“ die wachsende Opposition gegen die Verkrustungen der Ära Adenauer. Sein Bericht zeigt die Süddeutsche Zeitung der Gründerjahre als Kind ihrer Zeit. Dieses Kind brauchte lange, um erwachsen zu werden. Es ist dies ein wichtiges, ein notwendiges und auch gut lesbar geschriebenes Buch, immer um Fairness bemüht – und gerade darum eine erschütternde Bericht über Menschen, die nicht sehen wollten, was offensichtlich ist.
Der freiheitliche, liberale Kurs
war der „Süddeutschen Zeitung“
nicht in die Wiege gelegt
Über gelegentliche Nachfragen
in den Redaktionskonferenzen
ging die Wissbegier nicht hinaus
Last der Vergangenheit: SZ-Druckplatten im Jahr 1964.
Foto: Rolf Herkner/SZ Photo
  
  
Knud von Harbou,
Als Deutschland seine
Seele retten wollte.
Die „Süddeutsche Zeitung“
in den Gründerjahren
nach 1945. dtv 2015,
448 Seiten, 26,90 Euro.
Als E-Book: 23,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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"Es ist dies ein wichtiges, ein notwendiges und auch gut lesbar geschriebenes Buch, immer um Fairness bemüht - und gerade darum ein erschütternder Bericht über Menschen, die nicht sehen wollten, was offensichtlich ist."
Joachim Käppner, Süddeutsche Zeitung 25.08.2015