Die meisten von uns müssen auf irgendeine Art Geld verdienen. Manche, wie Andrea Volk, absolvieren dafür Vorstellungsgespräche, bei denen sich herausstellt, dass sie als Live-Experten geeignet sind. Solche Experten können schon mal an Tagesumsätzen von drei Millionen beteiligt sein. Doch das gelingt
den wenigsten. Und manche, so die Autorin, werden nicht mehr gebucht, obwohl sie fast eine halbe…mehrDie meisten von uns müssen auf irgendeine Art Geld verdienen. Manche, wie Andrea Volk, absolvieren dafür Vorstellungsgespräche, bei denen sich herausstellt, dass sie als Live-Experten geeignet sind. Solche Experten können schon mal an Tagesumsätzen von drei Millionen beteiligt sein. Doch das gelingt den wenigsten. Und manche, so die Autorin, werden nicht mehr gebucht, obwohl sie fast eine halbe Million schaffen. Bereits das allein macht den Druck deutlich, der auf diesen Experten lastet. Sie arbeiten an der Seite von fest angestellten Moderatoren. Sie präsentieren Produkte, hinter denen sie nicht immer stehen. Sie werden am ehesten für einen Verkaufsflop verantwortlich gemacht. Und das alles vor dem Hintergrund, dass besagte Experten quasi selbstständig tätig sind und deshalb von heute auf morgen ausgetauscht werden können. Dass überaus flexibel gestaltete Arbeitszeiten dazu führen können, dass manche von ihnen geradezu im Sender leben. Dass in der ach so heilen, kunterbunten Fernseh-Verkaufswelt die Devise friss oder stirb scheinbar perfektioniert wird.
Das Buch lässt sich leicht lesen. Allerdings sorgen diverse Wiederholungen für Längen, über die der flüssig-lockere Schreibstil der Autorin nur bedingt hinweg hilft. Hinzu kommt: Der methodisch wirkende, alltägliche Wahnsinn von Wahrheiten, die vor der Kamera über Gebühr gedehnt werden ohne zur Lüge zu mutieren, von Weihnachtspräsentationen im Juli, von Moderatoren die sich mit Experten unnötige und dem Prinzip Verkauf-ist-alles absolut widersprechende Zwistigkeiten liefern oder von Experten, die um des Verkaufs willen schon mal WC-Reiniger mit Aktivsauerstoff zu sich nehmen und mit Kollegen auch nicht immer allzu gut oder fair umspringen, verliert vor dem (vorsichtig ausgedrückt) menschenverachtenden Prozedere trotz seiner Skurrilität eindeutig an Humor.
Das eine oder andere Kapitel wirkt überzogen und tatsächlich gibt Volk zu, manches überspitzt ausgeschmückt zu haben. Manches Mal wirkt die Ironie weniger fein als verbittert und etwas zu bemüht. Doch allzu weit hergeholt scheinen Volks Ausführungen insgesamt keineswegs zu sein. Sie haben mich an einen Artikel im Okt. 2012 erinnert, demzufolge eine QVC-Expertin vor laufender Kamera zusammenbrach und - Verkauf ist schließlich alles - ihr Moderator mit ruhiger Stimme und einem Standbild das entsprechende Produkt weiter anpries. Zwar soll es besagter Expertin hinterher wieder gut gegangen sein, ihr Zusammenbruch war jedoch offenbar keinen Abbruch der Verkaufsshow wert.
Sechs Jahre als Expertin für Plüschanzüge, Synthetikkleidung und Reinigungsmittel. Jahre voller Intrigen, Eitelkeit und Dummheit, Willkür und Illusionen, Pleiten, Pech und Pannen. Trotzdem merkt die Autorin an, dass sie die Zeit rückblickend als „aufregend, wunderbar, lustig, furchtbar, unerträglich, fantastisch und psychologisch wertvoll“ betrachtet. Außerdem: „Ich habe viel gelernt, viel gelacht, tolle und blöde Menschen kennengelernt und den Kapitalismus von innen.“ Womit mal wieder bewiesen sein dürfte, dass man sich auf Zeit und unter bestimmten Umständen mit so ziemlich allem arrangieren kann.
Vielleicht liegt es daran, dass ich das Buch mit den falschen Vorstellungen begonnen habe. Irgendwo war zu lesen, dass es ein witziges Buch mit ernsten Anklängen ist. Krachend komisch (wie in einem Interview von der Autorin angegeben) fand ich es aber nicht. Trotz diverser tatsächlicher Lacher sieht Humor anders für mich aus. Die bereits erwähnten Wiederholungen sorgen ebenfalls für einen Punktabzug. Unterhaltsam informativ fand ich es dennoch. Betrachte ich es jedoch als ernstes Buch mit einigen witzigen Anklängen, kann ich drei von fünf Punkten dafür vergeben. Und es jedem empfehlen, der einen (einseitigen) Blick hinter die Kulissen einer scheinbar gnadenlosen, niemals ruhenden Maschinerie werfen möchte, die verblüffende Umsätze verzeichnen kann und kontinuierlich wächst.
2012 by Antje Jürgens (AJ)