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Benjamin Carter Hett rollt in diesem Buch einen der größten und rätselhaftesten Kriminalfälle des 20. Jahrhunderts neu auf: den Reichstagsbrand von 1933.
Adolf Hitler war noch keine vier Wochen an der Macht, als am Abend des 27. Februar das Reichstagsgebäude in Berlin in Flammen aufging. Kaum war das Feuer gelöscht, erließ die Reichsregierung eine Notverordnung, die einen permanenten Ausnahmezustand schuf und die bis zum Ende des Nazi-Regimes die Grundlage zur Verfolgung politischer Gegner bleiben sollte. Somit markierte der Reichstagsbrand den eigentlichen Beginn des "Dritten Reiches".…mehr

Produktbeschreibung
Benjamin Carter Hett rollt in diesem Buch einen der größten und rätselhaftesten Kriminalfälle des 20. Jahrhunderts neu auf: den Reichstagsbrand von 1933.

Adolf Hitler war noch keine vier Wochen an der Macht, als am Abend des 27. Februar das Reichstagsgebäude in Berlin in Flammen aufging. Kaum war das Feuer gelöscht, erließ die Reichsregierung eine Notverordnung, die einen permanenten Ausnahmezustand schuf und die bis zum Ende des Nazi-Regimes die Grundlage zur Verfolgung politischer Gegner bleiben sollte. Somit markierte der Reichstagsbrand den eigentlichen Beginn des "Dritten Reiches". Noch am Tatort wurde der mutmaßliche Brandstifter verhaftet, der niederländische Kommunist Marinus van der Lubbe. Die nationalsozialistische Regierung behauptete umgehend, der junge Mann gehöre einer kommunistischen Verschwörung an. Doch handelte van der Lubbe wirklich auf eigene Faust, wie sich die meisten Historiker seit langem einig sind? Oder steckten die Nazis selbst hinter dem Anschlag, um ihn für ihre Zwecke zu instrumentalisieren?

Benjamin Carter Hetts Auswertung der Originalquellen wirft neues Licht auf diesen Fall und entlarvt nicht nur die Schwächen der Einzeltäterthese, sondern auch, welche große Deutungsmacht NS-Seilschaften in der Geschichtswissenschaft noch lange nach 1945 hatten.
Autorenporträt
Hett, Benjamin CarterBenjamin Carter Hett, geboren 1965, ist Professor für Geschichte am Hunter College und am Graduate Center der City University of New York. Nach einem Jurastudium arbeitete er zunächst als Rechtsanwalt, bevor er an der Harvard University in Geschichte promovierte. Für seine Forschungen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. ein Guggenheim-Stipendium und den Ernst Fraenkel Prize in Contemporary History. 2018 veröffentlichte er «The Death of Democracy. Hitler's Rise to Power».
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Michael Wildt begrüßt die "Wiederaufnahme des Verfahrens" um den Reichstagsbrand durch den amerikanischen Historiker Benjamin Carter Hett. Als Schlüssel zum Verständnis des NS-Regimes scheint ihm der Brand und die Auseinandersetzung damit immens wichtig, der Band daher höchst lesenswert. Lesenswert auch, weil der Autor die Deutungskämpfe um die Täterfrage für Wildt so anschaulich, mitreißend und kenntnisreich schildert wie keiner zuvor. Auch die Frage, wie die historische Gewissheit der Alleintäterschaft entstehen konnte, vermag Hett dem Rezensenten zu beantworten. Für Widt ein spannendes Buch mit einem frischen, unbefangenen Blick auf die Ereignisse und die Ungereimtheiten und Verfälschungen dahinter, gestützt auf die jahrelangen Archivrecherchen des Autors.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2016

Handelte die SA auf eigene Faust?
Benjamin Carter Hett zweifelt an der Alleintäterschaft von Marinus van der Lubbe am Reichstagsbrand von 1933

Rätselhafte Ereignisse der Vergangenheit üben auf Historiker einen besonderen Reiz aus - umso mehr, wenn es sich dabei um eine Begebenheit handelt, deren Folgen sich unauslöschlich in die Geschichte eingeschrieben haben. Innerhalb der an bedeutungsreichen Wegscheiden wahrlich nicht armen jüngeren Historie Deutschlands zählt die Brandstiftung im Reichstag am späten Abend des 27. Februars 1933 zweifellos zur Kategorie geheimnisumwitterter Einschnitte. Denn der brennende Reichstag erlangte eine kaum zu überschätzende Rolle bei der Etablierung der NS-Diktatur: Er spielte dem erst seit vier Wochen amtierenden Reichskanzler Hitler eine im wahrsten Sinne des Wortes zündende Wahlparole für die sechs Tage später stattfindende Reichstagswahl in die Hände, indem er die Linke für diesen politischen Anschlag auf einen symbolträchtigen Ort verantwortlich machte.

Die am 28. Februar von Reichspräsident Hindenburg erlassene Notverordnung setzte zudem wesentliche Grundrechte außer Kraft, beförderte politischen Terror gegen Andersdenkende und beeinträchtigte den Wahlkampf der Hitler-Gegner so massiv, dass der Wahlerfolg der NSDAP (knapp 45 Prozent der Mandate) ohne diese Wahlhilfe nicht in diesem Maße ausgefallen wäre. Erst durch dieses Wahlergebnis konnte bei der Errichtung der Hitler-Diktatur ein Tempo eingeschlagen werden, das die noch vorhandenen Gegenkräfte geradezu überrumpelte.

Es liegt daher auf der Hand, dass die Frage, wer den Reichstag angezündet und damit jene verhängnisvolle Entwicklung in Gang gesetzt habe, gewissermaßen zu den Eine-Million-Dollar-Fragen der Geschichtswissenschaft zählt. Denn dass der sich selbst der Tat bezichtigende niederländische Anarchist Marinus van der Lubbe, der am Tatort angetroffen wurde, wirklich der einzige Verantwortliche gewesen sein soll, ist eine Position, die Widerspruch geradezu provozierte. Dabei hat sie nicht nur mit der Grundtugend des Historikers - der Skepsis gegenüber herrschenden Meinungen - ausgestattete Wissenschaftler zu vertieften Reflexionen angeregt, sondern auch phantasiebegabte politische Eiferer, die nicht selten wissenschaftliche Standards der Quellenkritik in grob fahrlässiger Weise verletzen.

Bei einer gelegentlich übereifrig wirkenden Suche nach vermeintlichen Hintermännern und Komplizen dieser Tat sind die politischen Profiteure des Reichstagsbrands ins Fadenkreuz geraten. Und daher hat es nicht an Anstrengungen gefehlt, Nationalsozialisten als die wahren Brandstifter hinzustellen, die den Tatort rechtzeitig verlassen, den politisch verwirrt wirkenden van der Lubbe zurückgelassen und damit den Stoff für den propagandistisch verbreiteten Mythos einer kommunistischen Verschwörung geliefert hätten. Allein: Bislang gibt es keine hieb- und stichfesten, dem Säurebad der Quellenkritik standhaltenden Dokumente, welche eine NS -Täterschaft belegten.

Wer jetzt erwartet, dass der amerikanische Geschichtsprofessor Benjamin Carter Hett das Geheimnis um den Urheber des Reichstagsbrands lüften würde, wird enttäuscht. Der Verfasser erhebt auch gar nicht diesen Anspruch, sondern will mit seiner ins Deutsche übertragenen und dafür teilweise erweiterten Studie von 2014 zwei wesentliche Beiträge leisten: Zum einen sei die in letzter Zeit vorherrschende These, van der Lubbe habe tatsächlich als Einzeltäter gehandelt, nicht länger haltbar, da diese Einzelperson brandtechnisch gar nicht in der Lage gewesen sei, innerhalb der ihr zur Verfügung stehenden zehn Minuten den Plenarsaal des Reichstags in Brand zu setzen. Van der Lubbe habe daher nur kleinere Feuer legen, aber nicht ein Flammeninferno entfachen können. Auf die sich daraus ergebende Anschlussfrage nach den Urhebern der Feuersbrunst vermag auch Carter Hett keine eindeutig belegbare Antwort zu präsentieren. Es gehört zu den größten Verdiensten seiner Studie, dass er verstreute Indizien zusammenfügt, welche die Vermutung nähren, ein Spezialkommando der Berliner SA habe in politischem Einvernehmen mit dem Berliner Gauleiter Joseph Goebbels eine eigenmächtige Aktion ohne Wissen und Billigung Adolf Hitlers durchgeführt.

Was die erste These anbelangt, so wird man mit allem Vorbehalt (Historiker sind auf dem Gebiet der Brandtechnik wenig bewandert und müssen sich hier auf externe Expertise verlassen) sich dennoch des Eindrucks nicht erwehren, dass die akribische Rekonstruktion des Tathergangs die Alleintäterthese massiv erschüttert. Und hinsichtlich der zweiten These liefert die Studie genügend Stoff, um die Rolle der SA und speziell von Goebbels bei der nationalsozialistischen Machteroberung neu zu akzentuieren. Denn Carter Hett sieht im Reichtagsbrand ein politisches Grundmuster am Werke, welches seit 1931 einige Male erprobt worden war: SA-Leute störten die öffentliche Ordnung, entzündeten Krawalle auf der Straße und traten als "Agents provocateurs" auf. Carter Hett bringt dabei Ereignisse in Zusammenhang, die bislang eher isoliert betrachtet wurden: die von SA-Leuten in Zivilkleidung angezettelten Prügelattacken auf dem Berliner Kurfürstendamm am jüdischen Neujahrsfest (12. September 1931); im November 1931 aufgedeckte Pläne hessischer Nationalsozialisten, im Falle kommunistischer Aufstände die Exekutivgewalt zu okkupieren ("Boxheimer Dokumente"); gewalttätige Übergriffe und Brandanschläge von SA-Trupps vor allem in Königsberg Ende Juli/Anfang August 1932.

Der Verfasser legt nahe, das die dahinterstehende Taktik der SA, auf eigene Faust Gewalt gegen Personen und Sachen auszuüben, um eine prärevolutionäre Situation zu schaffen, die den innerparteilichen Status als Bürgerkriegsarmee aufwertete, beim Brandanschlag auf den Reichstag zum letzten Mal zum Tragen gekommen sei. Dies ist durchaus bedenkenswert und ermuntert die Forschung, viele weiße Flecken bei der Erforschung der SA (es fehlt sowohl eine Gesamtdarstellung der Person von Ernst Röhm als auch eine quellenmäßig fundierte Gesamtschau des sogenannten "Röhm-Putsches" vom Juni 1934) genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn gerade weil sich Hitler mit der Übernahme der Reichskanzlerschaft aus den Händen Hindenburgs auf eine Kooperation mit der Präsidialgewalt eingelassen hatte, gab es nicht wenige Kräfte in der SA-Führung, die bei diesem Deal ins politische Hintertreffen geraten zu sein schienen und in Goebbels einen politischen Seelenverwandten gefunden hatten, der sich in seinem Tagebuch darüber ausließ, dass er bei der Bildung der neuen Regierung nicht berücksichtigt worden sei und nun ungeliebte Parteigenossen an sich vorüberziehen lassen müsse.

Solche Befunde muss man aus der Untersuchung von Carter Hett jedoch häufig mühsam herauslesen. Seine Studie leidet unter einer Detailverliebtheit, die dazu führt, dass er sich auf Personen aus der zweiten und dritten Reihe fokussiert und das politische Kalkül der eigentlichen Entscheidungsträger vernachlässigt. War es überhaupt denkbar, dass eine Aktion des Reichstagsbrand-Kalibers an Hitler vorbeilaufen konnte? Welche neuen Einsichten ergäben sich daraus zur Stellung Hitlers im NS-Herrschaftssystem? Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der prominenteste akademische Verfechter eines Standpunkts, der die unangefochtene Position Hitlers im Herrschaftsgefüge bezweifelt (Hans Mommsen), entscheidend dazu beitrug, die These von der Alleintäterschaft van der Lubbes wissenschaftlich hoffähig zu machen.

Insgesamt bleibt die Debatte um den Reichstagsbrand für viele Historiker immer noch ein vermintes Gelände, so dass sie gelegentlich nicht der Versuchung widerstehen, ihrer These widerstreitende Quellen glattzubügeln. Carter Hett muss mit dem Dilemma klarkommen, dass ausgerechnet sein Schlüsselakteur Goebbels in seiner Tagebucheintragung vom 9. April 1941 sein Unwissen hinsichtlich der Hintergründe des Reichstagsbrands kundtut. Dass man diesen Befund dadurch zu entkräften sucht, indem man dem Tagebuch von Goebbels pauschal eine propagandistisch-lügenhafte Intention attestiert, zeugt von einer verblüffenden Unkenntnis der neueren Forschung.

WOLFRAM PYTA

Benjamin Carter Hett: Der Reichstagsbrand. Wiederaufnahme eines Verfahrens. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 633 S., 29,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.09.2016

LITERATUR
Im Nebel der Deutungskämpfe
Der Reichstagsbrand vom Februar 1933 war der eigentliche Auftakt des Dritten Reiches. Als Brandstifter verurteilt wurde Marinus van der Lubbe.
Auch nach dem Krieg triumphierte die These vom Einzeltäter. Nun nimmt der amerikanische Historiker Benjamin Carter Hett das Verfahren wieder auf
VON MICHAEL WILDT
Als am Abend des 27. Februar 1933 der Reichstag in Flammen aufging, waren sich Hitler, Göring, Goebbels, die kurze Zeit später am Tatort erschienen, einig: Das sei das Werk der Kommunisten, die mit dem brennenden Reichstag das Signal zum Aufstand geben wollten. Noch in der Nacht wurde eine Verordnung „zum Schutz von Volk und Staat“ ausgearbeitet, die am nächsten Tag vom Kabinett verabschiedet und von Reichspräsident Hindenburg unterzeichnet wurde. Mit der Reichstagsbrandverordnung wurden wesentliche Grundrechte der Verfassung außer Kraft gesetzt; schon in den Morgenstunden begannen die Verhaftungen nach vorbereiteten Listen.
  Im brennenden Gebäude fand die Polizei einen jungen Holländer, Marinus van der Lubbe, der gestand, den Reichstag angezündet zu haben, um die Bevölkerung aufzurütteln. Später wurden noch Ernst Torgler, der Vorsitzende der kommunistischen Reichstagsfraktion, und drei Bulgaren, darunter der Kommunist Georgi Dimitroff, die sich gerade in Berlin aufhielten und sich angeblich verdächtig gemacht hatten, verhaftet und allen fünf Angeklagten im Herbst 1933 der Prozess gemacht. Die polizeilichen Ermittlungen standen unter hohem politischen Druck, denn es sollte ja die Urheberschaft der Kommunisten bewiesen werden.
  Die Polizeibeamten Helmut Heisig und Walter Zirpins bemühten sich redlich, kommunistische Verbindungen zu finden. Letztlich liefen ihre Ermittlungen auf den Schluss hinaus, Marinus van der Lubbe sei ein Einzeltäter gewesen, obwohl kaum glaublich war, dass er in der Lage gewesen sein soll, eine solche Brandstiftung allein zu bewerkstelligen. Insbesondere die Brandexperten waren von dieser These nicht zu überzeugen. Dimitroff gelang es im Prozess, Hermann Göring mit Fragen, die nahelegten, dass die Nationalsozialisten selbst den Reichstag angezündet hätten, zur Weißglut zu bringen und die NS-Führung in der Weltpresse zu desavouieren. Die Bulgaren und Torgler wurden freigesprochen; nur Marinus van der Lubbe wurde wegen Hochverrats und Brandstiftung zum Tode verurteilt und im Januar 1934 hingerichtet.
  Noch vor dem Ende des Prozesses kam im Ausland ein „Braunbuch“ heraus, veröffentlicht vom kommunistischen Pressemagnaten Willi Münzenberg, in dem die These von der nationalsozialistischen Brandstiftung medienwirksam verbreitet wurde. Allerdings stützte sich diese Behauptung mehr auf Vermutungen, Gerüchte und Widersprüche als auf Fakten.
  Nun unternimmt der amerikanische Historiker Benjamin Carter Hett in einem spannenden Buch eine, wie der Untertitel heißt, „Wiederaufnahme eines Verfahrens“. Mit einem frischen, unbefangenen Blick von außen und auf der Grundlage jahrelanger Archivrecherchen rollt er den ganzen Fall noch einmal auf. Und siehe da, es finden sich zahlreiche Ungereimtheiten, Vertuschungen und Verfälschungen. Vernehmungsprotokolle wurden manipuliert, Widersprüche geglättet, Zeugenaussagen nicht berücksichtigt. Auch nach dem Krieg, als Hans Bernd Gisevius, damals Beamter der Preußischen Politischen Polizei in Berlin, im Nürnberger Prozess 1946 aussagte, dass es veritable Hinweise auf SA-Leute als Brandstifter gab, die sogar Gisevius’ Erzfeind Rudolf Diels, der erste Gestapochef 1933/34, bestätigte, wurde an der Frage der Täterschaft nicht mehr gerührt. Alle Versuche von ehemals Verfolgten, van der Lubbe zu rehabilitieren, scheiterten. Vielmehr vernebelten Beteiligte wie Walter Zirpins, der an den NS-Verbrechen teilhatte und dennoch im bundesdeutschen Polizeidienst eine beachtliche Karriere machte, die Aufklärung des Geschehens.
  Es war vor allem Fritz Tobias, ehemals von der SA terrorisiert, in der Bundesrepublik leitender Beamter im niedersächsischen Verfassungsschutz, der, offenkundig mit Billigung des Amtes und mit Unterstützung einstiger Gestapobeamter, engagiert den Nachweis von der Alleintäterschaft van der Lubbes zu erbringen suchte und jegliche andere Interpretation hart attackierte. Heisig und Zirpins seien integere Polizeibeamte gewesen und hätten objektiv ermittelt; man müsse damit leben, dass ein Zufall Hitler die Diktatur beschert habe. 1959 machte eine Spiegel-Serie Tobias und seine Geschichte vom Reichstagsbrand weithin publik.
  Benjamin Carter Hett spürt sehr genau dem damaligen Zeitgeist nach, der solche Thesen goutierte. Wenn ein Ausländer der Brandstifter gewesen sei, seien ja nicht die Deutschen für Hitlers Terror verantwortlich. Dass ein brillanter Historiker wie Hans Mommsen sich auf die Seite von Fritz Tobias schlug und bis zu seinem Tod an der Alleintäterschaft van der Lubbes festhielt, verfehlte in der Historikerzunft seine Wirkung nicht. Auch das Institut für Zeitgeschichte trug das Seine dazu bei, dass Kritik an Tobias ungehört blieb. Klug argumentiert Hett, dass Wissenschaft auf Vertrauen beruht und sich eine These halten kann, weil nicht jeder alle Primärquellen liest und sich daher auf das Urteil der geachteten Kollegen verlässt. Diejenigen, die sich dem herrschenden Konsens widersetzten, sahen sich hingegen marginalisiert, selbst als nach 1989 Quellen aus sowjetischen und DDR-Archiven zugänglich wurden, die etliche bisherige Annahmen infrage stellten.
  Benjamin Carter Hett ist nicht der erste Historiker, der Zweifel an der Alleintäterschaft van der Lubbes formuliert. Das haben vor ihm auch Edouard Calic, Walther Hofer, Alexander Bahar, Wilfried Kugel und Hersch Fischler getan. Marcus Giebeler hat jüngst noch einmal die Historikerdebatte um den Reichstagsbrand dargestellt. Aber niemand zuvor hat diesen Kriminalfall und die Kämpfe um seine Deutung so anschaulich, mitunter mitreißend und kenntnisreich geschildert und zugleich erklärt, wie und warum historische Gewissheiten entstehen, wie Benjamin Carter Hett in diesem lesenswerten Buch. Der Reichstagsbrand ist ein Schlüssel zum Verständnis des NS-Regimes, darum ist die Auseinandersetzung um die Interpretation des Geschehens so wichtig. Die zahlreichen Widersprüche in der These von der Alleintäterschaft sind noch kein Beweis für die Urheberschaft der SA, unterstreicht Hett. Aber seine Wiederaufnahme des Verfahrens war überfällig.
Michael Wildt lehrt Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert an der Berliner Humboldt-Universität. Bekannt wurde er mit „Generation des Unbedingten“ (2002). Gemeinsam mit Christoph Kreutzmüller gab er 2013 „Berlin 1933 – 1945“ heraus.
Anschaulich, ja mitreißend
erklärt Hett auch, wie historische
Gewissheiten entstehen
  
    
Benjamin Carter Hett: Der Reichstagsbrand. Wiederaufnahme eines Verfahrens. Aus dem Englischen von Karin Hielscher. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 640 Seiten, 29,95 Euro. E-Book 24,99 Euro.
In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 brannte der Reichstag in Berlin: Blick in den zerstörten Plenarsaal unter der Kuppel.
Foto: Süddeutsche Zeitung/Scherl
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...niemand zuvor hat diesen Kriminalfall und die Kämpfe um seine Deutung so anschaulich, mitunter mitreißend und kenntnisreich geschildert. Michael Wildt Süddeutsche Zeitung