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"Wenn ich einmal reich wär'", singt der Milchmann Tewje im Musical "Anatevka", das auf Scholem Alejchems jiddischem Schicksalsroman basiert. Arm an Geld, reich an Kindern, träumt Tewje von einem erfüllten Leben ohne Entbehrungen und Demütigungen. Doch das Schicksal will es anders und stellt seinen Glauben auf eine schwere Probe.
Tewje ist ein moderner Hiob - eine Dulderseele, die wahrlich allen Grund hätte, mit Gott zu hadern: Nach einem unverhofften Geldsegen wendet sich plötzlich das Blatt. Er muß mitansehen, wie seine Familie auseinanderbricht, wie sich das ganze Dorf gegen ihn stellt.
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Produktbeschreibung
"Wenn ich einmal reich wär'", singt der Milchmann Tewje im Musical "Anatevka", das auf Scholem Alejchems jiddischem Schicksalsroman basiert. Arm an Geld, reich an Kindern, träumt Tewje von einem erfüllten Leben ohne Entbehrungen und Demütigungen. Doch das Schicksal will es anders und stellt seinen Glauben auf eine schwere Probe.

Tewje ist ein moderner Hiob - eine Dulderseele, die wahrlich allen Grund hätte, mit Gott zu hadern: Nach einem unverhofften Geldsegen wendet sich plötzlich das Blatt. Er muß mitansehen, wie seine Familie auseinanderbricht, wie sich das ganze Dorf gegen ihn stellt. So bleibt er am Ende allein in der Welt zurück, mit nichts als seinem Gottvertrauen und einem unerschütterlichen Humor.

Scholem Alejchem hat durch sein berührendes Hauptwerk das Jiddische erstmals in den Rang einer Literatursprache erhoben und der ostjüdischen Welt mit ihren Archetypen ein Denkmal gesetzt. Hinter dem privaten Schicksal Tewjes und der schtetl-Idylle von 1900 zeichnet sich schonder Wahnsinn des bevorstehenden Weltenbrandes ab, von ferne kündigen sich Revolutionen, Pogrome, Vertreibungen an. Doch im "Tewje" ist all diesen Bedrohungen ein humanes, verschmitztes Trotzdem entgegengestellt, das Trotzdem des wahren Humoristen, der selbst unter Tränen noch lacht. Mit der Neuübersetzung nach mehr als achtzig Jahren liegt der Roman nun zum ersten Mal in einer vollständigen deutschen Fassung vor.
Autorenporträt
Scholem Alejchem (1859 - 1916), eigentlich Schalom Rabinowitsch, aus der Ukraine stammend, wanderte 1905 in die Schweiz und dann nach Amerika aus. Bereits mit einundzwanzig Jahren Rabbiner, begründete er mit lebensnahen Milieu-Romanen seinen Ruf als größter Humorist der jiddischen Literatur. Die von ihm geschaffenen Charaktere aus allen Schichten des jüdischen Volkes Osteuropas haben geradezu metaphorische Bedeutung erlangt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2003

Von Weibern umgeben
Kein Segen: Scholem Alejchem lauscht Tewje, dem Milchmann

Seit einigen Jahren bringt der Übersetzer Armin Eidherr dem deutschen Leser die Werke der jiddischen Literatur nahe. Im Otto Müller Verlag gibt er die "Jiddische Bibliothek" heraus (F.A.Z. vom 5. Februar 2001). Bei Manesse ist nun - ebenfalls von Eidherr übersetzt - ein klassischer Roman dieser Literatur erschienen. Scholem Alejchems "Tewje, der Milchmann" ist seit den sechziger Jahren durch das Musical "Anatevka" international bekannt geworden, aber was dort als nostalgische Stetl-Romantik vermarktet wurde, erweist sich in Eidherrs vorzüglicher Übersetzung als der tragische und zugleich komische Lebensbericht eines Mannes, der mit dem Niedergang seiner Familie auch das Ende einer ganzen Kultur beschreibt.

Tewje hat sieben Töchter, und schon in dieser scheinbaren Vitalität ist der Keim des Unterganges angelegt. Die jüdische Gesellschaft Osteuropas ist patriarchalisch, ihre öffentliche Kultur wird von Männern getragen, ihre geistige Tradition wird in der männlichen Erblinie weitergegeben. "Aber Tewje ist kein Weib", sagt der Milchmann immer wieder von sich selbst, und der Satz hält eine bittere Ironie fest: Tewje ist von Weibern umgeben, und gerade die Männer, die sie ihm ins Haus bringen, richten ihn allmählich zugrunde.

Die unglücklichen Geschichten seiner Töchter wurden im Laufe von zwanzig Jahren geschrieben, von 1895 bis 1914. Sie reihen sich in Monologen aneinander, in denen Tewje dem Schriftsteller Scholem Alejchem erzählt, was sich von Mal zu Mal in seinem Hause zugetragen hat. Die erste Tochter heiratet einen Schneider, einen Mann aus der untersten Gesellschaftsschicht, und gibt ihrem Vater damit einen Vorgeschmack des Unglücks. Die zweite heiratet einen sozialistischen Revolutionär, der bald verbannt wird und dem sie in die Verbannung folgt. Die dritte heiratet einen Christen, und für Tewje ist sie damit gestorben. Die vierte fällt einem reichen Verführer zum Opfer, der sie sitzen läßt und in den Selbstmord treibt. Die fünfte heiratet einen Mann, der reich zu sein scheint, der sich dann aber als skrupelloser Spekulant entpuppt und bankrott macht.

Im Nachwort macht Eidherr darauf aufmerksam, daß das Werk unvollendet geblieben ist. Das Schicksal der letzten beiden Töchter wird nicht mehr ausgeführt, und die Forschung vermutet, daß Scholem Alejchem für sie zwei Alternativen vorgesehen hat, die dem bedrängten Judentum in Osteuropa noch offen waren: Auswanderungen nach Amerika und nach Palästina. Immerhin flieht schon die fünfte Tochter mit ihrem Bankrotteur nach Amerika - wie der inzwischen verwitwete Tewje selbst, den ein drohender Pogrom ebenfalls über den Ozean treibt.

Auch Scholem Alejchem (1859 bis 1916) hat seine letzten Lebensjahre in den Vereinigten Staaten verbracht und ist in New York gestorben. Diese Parallele zwischen dem Autor und seiner Kunstfigur ist auffallend. Ursprünglich heißt er Scholem Rabinowitsch, mit "Scholem Alejchem" aber macht er die jiddische Grußformel, die "Friede sei mit Euch" bedeutet, zu seinem Pseudonym. Durch seinen Namen spricht er das Volk an, für das er schreibt, und indem er vorgibt, nur die Worte aufgeschrieben zu haben, die er von Tewje gehört hat, läßt er in seiner Erzählerfigur nun auch das Volk selbst zu Wort kommen: In "Tewje, der Milchmann" treten zwei kollektive Stimmen miteinander in Verbindung.

Der kollektive Charakter der hier beschriebenen Schicksale wird deutlich, wenn man sie als Abbildungen historischer Vorgänge liest. Als Tewje sich zu Anfang beleidigt fühlt, weil seine Tochter nur einen Schneider heiratet, ist eine gesellschaftliche Struktur noch intakt, die solche Unterscheidungen zuläßt. Dann aber bricht in rascher Folge die Unordnung herein: der sozialistische Revolutionär untergräbt das System, der Christ vernichtet die Jüdin, der gewissenlose Verführer kennt keine Moral mehr, der Bankrotteur läßt alle Gewißheiten wie eine Seifenblase zerplatzen. In den Schicksalen der Töchter zeichnen sich die Figurationen einer Verunsicherung ab, die weit über das Persönliche hinausgeht.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, als "Tewje, der Milchmann" entsteht, brechen die familiären Sicherheiten zusammen: in den Werken Thomas Manns und Robert Musils, in der Psychoanalyse Sigmund Freuds, im Konflikt der Generationen, die der Erste Weltkrieg dann verschärfen wird; noch in den dreißiger Jahren wird Joseph Roth die Handlung seines "Radetzkymarsch", in dem ein österreichisches Geschlecht zugrunde geht, an den Anfang des Jahrhunderts vorverlegen.

In diesem Kontext gibt Alejchem den Geschichten seines Tewje eine jüdische Färbung, die Armin Eidherrs Übersetzung gut herausbringt. "Dem sehr geschätzten, meinem geliebten teueren Freund Reb Scholem Alejchem", heißt es zu Beginn, "Gott gebe Euch Gesundheit und Auskommen, Euch mit Eurer Frau und Euren Kindern . . . Ich bin zu gering! - Das muß ich Euch mit den Worten sagen, die unser Vater Jakob im Wochenabschnitt ,Jakob aber schickte' verwendet hat, als er sich rüstete, dem Esau entgegenzugehen, mit dem Ihr aber nicht verglichen werden sollt."

Wie er es überall in seinen Geschichten tut, beginnt Tewje schon seine erste Anrede Scholem Alejchems mit einem Bibelzitat, er macht dabei aber gleich einen peinlichen Fehler: In der jüdischen Tradition steht Esau für die feindlichen Völker, und Scholem Alejchem könnte sich nun beleidigt fühlen, weil Tewje ihn in dieser Anrede versehentlich mit Esau gleichsetzt. Es unterläuft ihm jedoch noch ein weiterer Irrtum, der ihm nicht bewußt ist. "Ich bin zu gering" - so will er mit seiner Anrede sagen - "um Ihnen, dem großen Schriftsteller Scholem Alejchem, Geschichten zu erzählen." In der Bibel aber spricht Jakob nicht einen Menschen an, sondern Gott. "Herr", heißt es in Gen. 32,11, "ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die du an deinem Knechte getan hast." Was Tewje in der Fortsetzung mitzuteilen hat, ist das genaue Gegenteil: Nicht vom Segen erzählt er, sondern vom Fluch; nicht von Jakobs Söhnen, aus denen das jüdische Volk erwachsen ist, sondern von Tewjes unglücklichen Töchtern.

Immer wird Tewje die Bibel zitieren, auch gegen Ende des Romans. "Geh aus deinem Vaterland", sagt er und schildert Scholem Alejchem seine Auswanderung nach Amerika. Doch die Welt hat sich verändert. Als Gott diese Worte an Abraham richtete, verhieß er ihm zugleich ein anderes Land. Tewje aber kennt keine Verheißung mehr.

JAKOB HESSING

Scholem Alejchem: "Tewje, der Milchmann". Roman. Aus dem Jiddischen übersetzt von Armin Eidherr. Manesse Verlag, Zürich 2002. 348 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jakob Hessing ist angetan von dieser Erzählung, deren Geschichte auch schon im Musical "Anatevka" wiedergegeben wurde. Die literarische Vorlage besitzt jedoch im Vergleich viel größere Qualitäten, findet Hessing. Während im Musical "nostalgische Schtetl-Romantik vermarktet wurde", stecke hinter Scholem Alejchems Geschichte "der tragische und zugleich komische Lebensbericht eines Mannes, der mit dem Niedergang seiner Familie auch das Ende einer ganzen Kultur beschreibt". Die hier zusammengefassten Geschichten hat der Autor über einen Zeitraum von zwanzig Jahren geschrieben, von 1895 bis 1916, und in jeder geht es um den Werdegang einer Tochter: die eine heiratet einen Revolutionär, eine andere flieht mit einem Bankrotteur nach Amerika. Nach Meinung des Rezensenten sind Alejchem dabei auch "Abbildungen historischer Vorgänge" gelungen: "der kollektive Charakter der hier beschriebenen Schicksale wird deutlich", dem Autor gelinge es, die persönliche Ebene seiner Protagonisten zu verlassen. Zudem haben die Geschichten eine eigene "jüdische Färbung", findet der Rezensent, und die habe der Übersetzer Armin Eidherr gut herausgearbeitet.

© Perlentaucher Medien GmbH
«Die einfühlsame Übersetzung des österreichischen Jiddisten Armin Eidherr bietet eine Gelegenheit, einen jiddischen Volksschriftsteller, der zugleich ein grosser Erzähler ist, kennenzulernen.» Neue Zürcher Zeitung, Stefana Sabin