Margarethe Mitscherlich, Die Radikalität des Alters, S. Fischer 2010, 268 Seiten, ISBN 978-3-10-049116-9
Man könnte vom Titel und der Aufmachung des vorliegenden Buches her vermuten, hier liegt eine Autobiographie dieser berühmten Psychoanalytikerin und Frauenrechtlerin vor, die sich
insbesondere mit dem Alter und dem Älterwerden befasst.
Doch das ist nicht der Fall. Viele der hier…mehrMargarethe Mitscherlich, Die Radikalität des Alters, S. Fischer 2010, 268 Seiten, ISBN 978-3-10-049116-9
Man könnte vom Titel und der Aufmachung des vorliegenden Buches her vermuten, hier liegt eine Autobiographie dieser berühmten Psychoanalytikerin und Frauenrechtlerin vor, die sich insbesondere mit dem Alter und dem Älterwerden befasst.
Doch das ist nicht der Fall. Viele der hier abgedruckten Texte sind schon an anderen Stellen im Zeitraum zwischen 1994 und 2010 erschienen. Margarethe Mitscherlich hat diese älteren Texte mit neuen verbunden und sie in einen großen Zusammenhang gestellt. Es ist ein biographischer Zusammenhang und ein kulturhistorischer. Immer schreibt sie als Analytikerin. An anderer Stelle hat sie einmal gesagt, dass die Psychoanalyse das wichtigste Geschenk in ihrem Leben war, das ihr Leben prägte und ihr die Welt erklärte und aufschloss.
Deshalb muss man, wenn man dieses Buch mit Genuss lesen möchte, schon ein gewisses Maß an Kenntnissen des psychoanalytischen Theorie und Kulturtheorie mitbringen und wissen, nach welchen Schritten und Mustern eine Analyse funktioniert.
Margarethe Mitscherlich war und ist eine unermüdliche Aufklärerin und die Psychoanalyse ist ihr Werkzeug. So versucht sie ihr Lebenswerk zu bilanzieren:
„Was ist Lebenswerk? Ich bin 93 Jahre alt. Was hat diese Jahre beeindruckt, beeinflusst, was scheint mir, von heute aus gesehen, wesentlich für den Gang oder Lauf meines bisherigen Lebens gewesen zu sein? Ich möchte versuchen, Erkenntnisse über mich, mein Denken und Handeln, meine Welt, meine Geschichte zu gewinnen und wiederzugeben, was ich als Wahrheit in und um mich zu erkennen glaubte.“
Es ist ihr auf bemerkenswerte Weise gelungen. Nachvollziehbar für ihre Leser, denen die Offenheit, mit der sie ihr Leben und Werk schildert, ein wunderbares und bewegendes Zeugnis lebendiger Zeitgeschichte geschenkt hat. So ganz nebenbei ist es auch eine rudimentäre Geschichte der Psychoanalyse im 20. Jahrhundert.