Gefühle - ihre Substanz und Wirkung - die Erkenntnisse eines philosophischen Neurobiologen
Antonio Damasio beschreibt aus neurobiologischer Sicht, was Gefühle sind und was sie bewirken. Das Verständnis der Gefühle ist für ihn die Voraussetzung für den Entwurf eines Menschenbildes.
Damasio
versteht sich zuerst als Naturwissenschaftler, dann als Biologe, dann erst als Neurobiologe. Und er …mehrGefühle - ihre Substanz und Wirkung - die Erkenntnisse eines philosophischen Neurobiologen
Antonio Damasio beschreibt aus neurobiologischer Sicht, was Gefühle sind und was sie bewirken. Das Verständnis der Gefühle ist für ihn die Voraussetzung für den Entwurf eines Menschenbildes.
Damasio versteht sich zuerst als Naturwissenschaftler, dann als Biologe, dann erst als Neurobiologe. Und er sieht sich ganz bewusst an der „Schnittstelle zwischen Neurobiologie und ethischem Verhalten.“ Im Ergebnis bewegt er sich zwischen Neurobiologie, Psychologie und Philosophie.
Zunächst untersucht Damasio die Begriffe von Emotion und Gefühl bis in neurobiologisch-medizinische Details hinein und befasst sich anschließend intensiv sowohl mit der Philosophie und der persönlichen Historie Spinozas als auch mit der sephardisch-jüdischen Geschichte, vor deren Hintergrund Spinoza zu interpretieren ist.
Mit starkem Understatement behauptet Damasio, er sei kein Philosoph, sondern schlichter Biologe. Aber dann beweist er seine große Kenntnis nicht nur Spinozas, sondern grenzt ihn vor allem gegen Descartes ab und zeigt Bezüge zu Aristoteles, Kant, Hegel, Freud und Einstein auf.
Für Damasio ist Spinoza ein Vorreiter naturwissenschaftlichen Denkens, eine Art Vorzeigephilosoph, fast eine Art Schutzpatron des Naturwissenschaftlers.
Im Gegensatz zu Descartes gehe Spinoza davon aus, dass Geist und Körper parallele Merkmale ein- und derselben Substanz seien. Schon Spinoza habe das Wesen von Emotionen und Gefühlen und die Beziehung zwischen Geist und Körper untersucht. Spinoza sei ein Vorläufer des modernen biologischen Denkens.
Basierend auf der Differenzierung zwischen Emotionen (Zuordnung zum Körper) und Gefühlen (Zuordnung zum Geist) lautet die Kernthese Damasios, dass Emotionen den Gefühlen vorauslaufen. In Abweichung von Descartes‘ Aussage: Je pense, donc je sois, setzt Damasios Gedankenkette früher an, nämlich bei den Gefühlen, die vor den Gedanken stehen: Je sens, donc je pense, donc je sois.
Hochentwickelte Gesellschaften, sagt Damasio, würden einen schamlosen Kult mit Gefühlen betreiben und sie mit viel Aufwand manipulieren. Politik orientiere sich an einem unzulänglichen Menschenbild, das neue wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriere – mit der Folge von Korruption und selbstsüchtigem Verhalten.
Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Gut und Böse führt Damasio aus, dass dasjenige Gut sei, was dauerhaft und zuverlässig Freude hervorrufe. Eine gute Handlung sei eine solche, die in diesem Sinne Gutes hervorrufe und anderen Individuen keinen Schaden zufüge. (Damit genügt nicht nur die real existierende Ökonomie jedenfalls der zweiten Forderung an gute Handlungen, nämlich anderen Individuen keinen Schaden zuzufügen, häufig, vielleicht sogar in ihrer Mehrzahl nicht: Der dem Glauben an unendliches Wachstum verhafteten Gesellschaft der Konsumenten wird durch Werbung und Propaganda häufig ein Nutzen nur vorgegaukelt. Wenn dies so ist, haben wir es nach Damasio mit einer von schlechten Handlungen geprägten, kurzum, mit einer „schlechten“, eigentlich „bösen“ Gesellschaft- und Wirtschaftsordnung zu tun.)
Die Freiheit liege, so meint Damasio folgerichtig, in der Verringerung objektbezogener emotionaler Bedürfnisse, die uns versklavten.
Wenn der Autor Spinoza und einer naturwissenschaftliIndem Damasio zum Schluss eines Werkes üchen Weltsicht folgt, so kann nicht übersehen werden, dass Damasio damit eben auch seiner eigenen (Ersatz-) Religion folgt, die ebenso beschränkt und angreifbar ist wie alle anderen. Denn auch die Naturwissenschaft wird niemals zu einer endgültigen Welterklärung gelangen: Hinter jeder von ihr beantworteten Frage tauchen gleich mehrere weitere auf, hinter jedem von ihr vermeintlich gelösten Rätsel erscheinen sogleich mehrere neue. Auch die naturwissenschaftlich geprägte Philosophie des Antonio Damasio produziert keine abschließenden und unantastbaren Sicherheiten und Wahrheiten.