Kein Seelenschmalz, sondern eben Spuren
Wer vermutet, dieses Buch sei eines der zahlreichen nach der Masche, "Sei glücklich - Amore!" oder "Ich war da nach... gelatscht und hab... - Ja was eigentlich? - gefunden, folge den Spuren!", liegt völlig falsch.
Die Autorin versucht, berühmten Amouren
in Venedig auf den Grund zu gehen, insofern das überhaupt möglich ist. Sie ist dabei sachlich,…mehrKein Seelenschmalz, sondern eben Spuren
Wer vermutet, dieses Buch sei eines der zahlreichen nach der Masche, "Sei glücklich - Amore!" oder "Ich war da nach... gelatscht und hab... - Ja was eigentlich? - gefunden, folge den Spuren!", liegt völlig falsch.
Die Autorin versucht, berühmten Amouren in Venedig auf den Grund zu gehen, insofern das überhaupt möglich ist. Sie ist dabei sachlich, verständnisvoll - soweit man gewisse Dinge überhaupt mit Vernunft nachvollziehen kann oder dafür Verständnis aufzubringen in der Lage ist. Gleichklänge und Dissonanzen, Ein- und Mißverständnisse. Romanzen und Dramen. Mitunter klingt ein Hauch von Ironie an und Eva Gesine Baur überläßt es dem Leser, weiterzudenken, was man nicht weiß, nicht wissen kann und vielleicht auch gar nicht so genau wissen will. Niemals nimmt sie die indiskrete Schlüssellochperspektive ein, gerät nicht an die Grenze des Peinlichen. Sie ist in ihrem Urteil zurückhaltend und gerecht, gerade weil die Herrn der Schöpfung meist nicht sehr gut wegkommen: "Effi (Ruskin) genoss, John (Ruskin) jammerte" (S. 11); Giacomo Casanova: "Einigen tut er leid" (S. 19); "Der Eros changiert und Thomas Mann ändert seine Pläne" (S: 57); Richard Wagner "arbeitet sich dem Liebestod nur musikalisch entgegen" (S. 75); Antonio Vivaldi: "Der Bannfluch läßt sich wegbeten" (S. 101); Gabriele d'Annunzio: "Niemand in Italien kann ihn übersehen, diesen Wicht mit großer Geste" (S. 128); Ernest Hemingway: "Jäger, auch Frauenjäger, verstehen es zu verhindern, dass ihre Witterung aufgenommen wird" (S. 147); "Während George (Sand) nichts als Fleischbrühe, Wasser und Hafergrütze zu sich nimmt, verkostet er (Alfred de Musset) die Tänzerinnen des Teatro La Fenice, den Zenever, den Visner, den Verdiso oder Marzemino der Spelunken im Sestiere San Polo und alles, was an Rauschgiften zu haben ist." (S. 176); Pietro Pagello: "ein Arzt, der sich mit einer solchen Frau (George Sand) einlässt, schadet in Venedig seinem Ansehen mehr, als einer, der seine Kunstfehler auf dem Friedhof San Michele vergraben lässt" (S. 181); Alfred de Musset: "Die Tinte, unverwässert und makellos, überführt ihn" (S. 184); Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque: "Beide sind verwöhnt und reich, unterwegs dort, wo die Teppiche dick sind und niemand nach den Preisen fragt" (S. 202); Rainer Maria "Rilke weiß, dass eine Frau nichts stärker verführt, als von einem Künstler dem Alltag enthoben zu werden." (S. 219); George Gordon Noel Lord Byron "liefert den gelangweilten Menschen, den Altreichen und den Neureichen, die mit Kohle, Eisen, Steingut oder einer eigenen Bank zu ihrem Vermögen gekommen sind, das, was sie vermissen: den Skandal" (S. 244f). Und generell: "Sie warfen die Waffen von sich und suchten Trost bei ihrem Müttern, jenem bei Italiens Helden besonders beliebten Aufenthaltsort." (S. 170)
Die Personen und Handlungsorte stellt Eva Gesine Baur jeweils ergänzend zur Story mit kurzen Charakterisierungen und guten Abbildungen vor. Auswahlbibliographie (Amor in Venedig S. 271-278) und Register sind vorhanden (S. 281-296).
Ein Kapitel zu Niccolò Paganini - Antonia Bianchi - Archille Bianchi-Paganini, zu Klaus Kinski - Debora Caprioglio-Kinski - Nikolai Kinski fehlt. Das ist nicht zu bedauern, sondern notwendigerweise so: Diese beiden großartig-wahnsinnigen Geschichten sind nicht in ein Kapitel zu pressen. Ich wünsche mir dazu von Eva Gesine Baur möglichst bald eine Monographie (Lieber Nikolai Kinski, stemmen Sie sich bitte nicht dagegen!).
Über die von genialischen Männern oftmals schamlos ausgenutzten Frauen schreibt Eva Gesine Baur feinsinnig, gefühlvoll, fast mit Mit-Leid, aber nicht mitleidig. Wo sie mit den Damen, die für die Männer und an ihnen oft willig litten, unter sich ist, will ich besser schweigen - und das Buch empfehlen. Nur noch ein großes Lob an den Verlag muß ich loswerden: Er beweist, daß man selbst Gemälde auf normalem Papier ausgezeichnet auch in schwarz/weiß wiedergeben kann.