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"Glänzende Darstellung." Valentin Groebner, Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 25.11.2017"In seinem glänzenden Essay führt er uns - und zwar mit den beigefügten Fotos wahrhaftig - vor Augen, wie informiertes Sehen die Grenzen zwischen Kunst und Leben aufhebt, wie die Welt der Bilder in die reale Welt übergeht." Urs Buhlmann, Die Tagespost, 25.11.2017"Das schönste kleine Buch des Jahres enthält so viel Kunst, Politik, Gegenwart und Sprache, dass es überhaupt nicht stört, dass dieser Essay kein Roman ist." Cord Riechelmann, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 26.11.2017"Dieses grandios…mehr

Produktbeschreibung
"Glänzende Darstellung." Valentin Groebner, Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 25.11.2017"In seinem glänzenden Essay führt er uns - und zwar mit den beigefügten Fotos wahrhaftig - vor Augen, wie informiertes Sehen die Grenzen zwischen Kunst und Leben aufhebt, wie die Welt der Bilder in die reale Welt übergeht." Urs Buhlmann, Die Tagespost, 25.11.2017"Das schönste kleine Buch des Jahres enthält so viel Kunst, Politik, Gegenwart und Sprache, dass es überhaupt nicht stört, dass dieser Essay kein Roman ist." Cord Riechelmann, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 26.11.2017"Dieses grandios geschriebene Buch lädt ein, von der Geschichte und der Kunst zu träumen - und es erzeugt Sehnsucht nach der Toskana." Livres Hebdo"[Lorenzetti] wollte, dass die Welt seiner Bilder in die reale Welt übergeht, in eine politische und soziale Realität, die zum Teil auch noch die unsere ist." Le Monde"Ein hochaktuelles Thema." Le FigaroWoher kommt die Gefahr? Vom grässlichen Monster der Tyrannei, das Stadt und Land in Verwüstung und Tod stürzt, oder von der Verführungskraft einer Alleinherrschaft, die Frieden verspricht, dabei aber schleichend die Gesellschaft untergräbt?Vor diesen Fragen steht Ambrogio Lorenzetti, als er 1338 im Auftrag der Regierung Sienas im Palazzo Pubblico das berühmte "Fresko der Guten Regierung" malt. Doch zeigt es nicht nur die Allegorien einer idealen republikanischen Politik, die sich in einem friedlichen und gerechten Staat verkörpern, sondern auch die Zerstörungen des Krieges als Folge der schlechten Regierung. Denn Lorenzetti malt das Fresko in einer Zeit der Angst. Als eine der letzten Stadtrepubliken Italiens sieht sich Siena der Gefahr der Tyrannenherrschaft ausgesetzt. Weil sich diese aber mit einer verführerischen Maske tarnt, muss der Maler zu drastischen Mitteln greifen, um sie als gesellschaftliches Übel zu entlarven.In seinem meisterhaften und fesselnden Essay erzählt Patrick Boucheron von einem Gemälde, dessen Auftraggeber den Kampf um die Freiheit nicht nur mit Waffen, sondern auch mit eindrücklichen Bildern austragen. Dabei beschwört er eine Beunruhigung herauf, die auch heute wieder zu spüren ist.In Frankreich erschien das Buch bei Éditions du Seuil zunächst in einer aufwendig bebilderten Broschur-Ausgabe, später in einer Taschenbuchausgabe und fand in Presse, Radio und Fernsehen starke Beachtung. Durch die anhaltende Präsenz Patrick Boucherons als einer der wichtigsten geisteswissenschaftlichen Publizisten Frankreichs ist das Buch dauerhafter Gegenstand öffentlicher Diskussionen. 2017 regte es sogar zu einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema an.
Autorenporträt
Patrick Boucheron, geboren 1965, lehrt seit 2015 Geschichte des Mittelalters und der Renaissance am Collège de France in Paris. Mit seinen historischen Analysen ist er einer der wichtigsten Intellektuellen Frankreichs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2017

Woher kommt unsere Blindheit?

Siena 1338: Patrick Boucheron zeigt, wie Ambrogio Lorenzetti Laster und Tugenden in Szene setzte. Die wirkliche Katastrophe sah er nicht kommen.

Von Valentin Groebner

Die Dinge", schreibt Patrick Boucheron am Ende seines Essays über Ambrogio Lorenzettis Fresken im Regierungspalast von Siena, "zeigen sich nebenbei." Sie nehmen gerne Umwege. Deshalb verstehen wir Betrachter aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert nicht, was wir sehen, wenn wir Lorenzettis Allegorie des Friedens aus dem vierzehnten Jahrhundert bewundern, eine elegante Dame auf einer Art Sofa. Die öffentliche Sicherheit hat Lorenzetti ebenfalls dargestellt: eine gutaussehende Blondine, die dem Betrachter ihre nackten Brüste zeigt und einen Erhängten am Galgen als Beispiel für effiziente Durchsetzung der Gesetze. Jeder könne ohne Angst unterwegs sein, verkündet das Schild in ihrer Hand, weil die Stadt alle Verbrecher strafe.

Sie ist die erste positiv konnotierte weibliche Aktdarstellung der westlichen Kunst: Homeland Security oben ohne. Auch wer sich nicht besonders für die italienische Kunst des Mittelalters interessiert, hat sie schon irgendwo gesehen, die Bilder von der "guten" und der "bösen" Regierung, die im Jahr 1338 im Palazzo pubblico von Siena gemalt wurden. Sie verknüpfen dekorative Szenen aus dem Alltag der Stadt und ihres Umlands - würdige Ratsherren und fleißige Bauern, vergnügte Tänzer und strenge Soldaten - mit allegorischen Darstellungen politischer Tugenden und Laster. Als vermeintliche Momentaufnahmen einer pittoresken Vergangenheit schmücken Ausschnitte aus ihnen zahllose Buchumschläge, Ansichtskarten und Kalender, von ihrer touristischen Verwertung ganz zu schweigen.

Kunsthistorische Studien ignorieren für gewöhnlich dieses banalisierte moderne Nachleben. Boucheron dagegen macht es zum Ausgangspunkt seines Essays. Bilder, schreibt er, verweisen immer auf ein unsichtbar bleibendes Außerhalb, das sie selbst nicht darstellen. Was hat die politische Kraft von Lorenzettis Werk vor 679 Jahren ausgemacht?

Er ist nicht der erste, der danach fragt. Nicolai Rubinstein war 1952 davon überzeugt, auf den Fresken die aristotelische Tugendlehre des Thomas von Aquin dargestellt zu sehen. Quentin Skinner meinte 1986 dagegen, die republikanischen Ideale von Cicero vor sich zu haben. Beide gingen davon aus, dass eine Allegorie offenbar nur auf eine einzige Idee (und nichts sonst) verweisen könne, bemerkt Boucheron mit sanfter Ironie - und macht darauf aufmerksam, dass auf dem Fresko unter anderem die erste überlieferte Darstellung einer Sanduhr überhaupt zu finden ist, damals, zusammen mit den neu errichteten Turmuhren, allerneueste Technologie.

Interessant auch, dass Lorenzettis Darstellungen der bösen Regierung und ihrer Laster viel weniger Aufmerksamkeit gefunden haben. Dabei entfaltet der Maler hier ein Horrorszenario von Willkür, Betrug und Verrat. Er zeigt die Vergewaltigung einer schutzlosen Ehefrau ebenso wie den älteren Mann, der mit seinem Finger auf die Geschlechtsteile eines Jüngeren weist - Hinweis auf das bedrohliche Laster der "sodomia", des Geschlechtsverkehrs zwischen Männern. Manche modernen Betrachter sind davon offensichtlich überfordert: Googles "Art Project" hat diese Teile des Freskos einfach weggelassen.

Die realen politischen Zustände in der Toskana der 1330er Jahre hatten sehr viel mehr mit Lorenzettis Szenen der schlechten Regierung gemein als mit seinen idyllischen Darstellungen von Friede und Eintracht. Als er die Arbeit aufnahm, hatte Siena, selbst von Florenz bedrängt, einen grausamen Eroberungsfeldzug gegen seinen südlichen Nachbarn Grosseto begonnen. In vielen früheren Republiken - Pisa, Lucca, Verona, Mailand, Ferrara - hatten mächtiger Alleinherrscher die Macht übernommen und sie im Namen des Gemeinwohls in signorie umgewandelt, Diktaturen eines Mannes, einer Partei oder einer Familie. Explizit davor warnten Lorenzettis Bilder. 1338 war außerdem das Jahr einer Kreditkrise: Sienas Regierung unterstützte die Banken durch den Verkauf von öffentlichen Anleihen und verschuldete sich massiv auf Kosten jener städtischen Unterschichten, die von den Ämtern systematisch ausgeschlossen waren - bis ein gewaltsamer politischer Umsturz jene Herrschaft der "mezza gente", die Lorenzetti in seinen Bildern als die gerechte Regierung schlechthin verherrlicht hatte, gewaltsam beendete. 1355 wurde der Kommunalpalast gestürmt, die Akten der verhassten Steuerverwaltung aus dem Fenster geworfen und verbrannt. Es ist wahrscheinlich, dass dabei auch die Fresken beschädigt wurden - ironischerweise vor allem diejenigen, auf denen die Laster der bösen Regierung dargestellt waren, Indiz für die Wirkung der Bilder noch in Gewalt und Chaos.

"Was zieht uns an an den Bildern", fragt Boucheron, "und woher kommt unsere Blindheit?" Auf jeder Selbstdarstellung von politischen Gemeinwesen, so könnte man seine glänzende Darstellung weiterschreiben, gibt es blinde Flecken. Sie sind das undarstellbare Obszöne im Wortsinn, von griechisch ob scena, außerhalb der Bühne. Im Siena des vierzehnten Jahrhunderts lebten nicht nur die Handwerker und Bauern, deren schwierigen Alltag Boucheron beschreibt. In der sozialen Hierarchie noch weit unter ihnen befanden sich die Sklavinnen und Sklaven, die vom Schwarzen Meer, von der Krim und vom Kaukasus nach Italien verkauft wurden und zu Tausenden in der christlichen Stadt der Jungfrau und ihrem Landgebiet arbeiteten - ungetauft, rechtlos, unsichtbar.

Die Katastrophe, die acht Jahre nach der Fertigstellung von Lorenzettis Fresken Sienas Expansion für immer beendete, die Stadt verwüstete und ein Drittel der Bevölkerung und auch den Maler tötete, hatte nichts mit politischer Tyrannei, dem Missbrauch der Justiz oder dem gefährlichen Sex zwischen Männern zu tun. Mit Sklaverei dagegen sehr wohl: Denn die Schiffe vom Schwarzen Meer brachten nicht nur neuen Nachschub an billigen heidnischen Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern (und teure Pelze) nach Italien. Sondern auch Ratten, die mit einem unsichtbaren Bazillus infiziert waren - dem Erreger der Schwarzen Pest.

Das wäre auch eine Lektion aus Siena 1338. Politische Ängste handeln immer davon, was bereits passiert ist. Die Bilder, die sie an die Wand malen, können noch so suggestiv und eindrucksvoll sein: mit dem, was in der Zukunft geschehen wird, haben sie nichts zu tun.

Patrick Boucheron: "Gebannte Angst". Siena 1338.

Aus dem Französischen von Sarah Heurtier und Sebastian Wilde. Wolff Verlag, Berlin 2017. 270 S., Abb., br., 14,90 [Euro].

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