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Auschwitz, Majdanek und die anderen Konzentrationslager sind das Symbol des unmenschlichen NS-Regimes.
Hier verknüpfte sich die terroristische Unterdrückung innenpolitischer Gegner mit der Vernichtungspolitik gegenüber den europäischen Juden und anderen ethnischen und sozialen Gruppen. Zahlreiche Publikationen, von Überlebenden und Historikern, haben das Grauen dokumentiert. Aber der Kenntnisstand über die Entwicklungsgeschichte und die Struktur der KZ blieb gering. Das änderte sich erst ab den sechziger Jahren, als nach den großen Strafprozessen in Israel und Deutschland die ersten…mehr

Produktbeschreibung
Auschwitz, Majdanek und die anderen Konzentrationslager sind das Symbol des unmenschlichen NS-Regimes.

Hier verknüpfte sich die terroristische Unterdrückung innenpolitischer Gegner mit der Vernichtungspolitik gegenüber den europäischen Juden und anderen ethnischen und sozialen Gruppen. Zahlreiche Publikationen, von Überlebenden und Historikern, haben das Grauen dokumentiert. Aber der Kenntnisstand über die Entwicklungsgeschichte und die Struktur der KZ blieb gering. Das änderte sich erst ab den sechziger Jahren, als nach den großen Strafprozessen in Israel und Deutschland die ersten Gesamtdarstellungen des Lagersystems erschienen. Diese Untersuchungen halten der historischen Forschung von heute allerdings nicht mehr in vollem Umfang stand.

Haben die nationalsozialistischen Konzentrationslager ein System gebildet? Und wenn ja: Was waren seine Charakteristika, verfügte es über identische Strukturen? Karin Orth zeigt, dass die Entwicklung der KZ keineswegs linear verlaufen ist. Detailliert und übersichtlich schildert sie die unterschiedlichen Perioden, die zu differierenden Ausrichtungen in der Unterdrückungspolitik führten.
Autorenporträt
Karin Orth, Dr. phil. habil, Privatdozentin für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.09.2000

Metastasen mit System
Die Konzentrationslager der Nazis – Organisation und Struktur einer Mordmaschine
KARIN ORTH: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Eine politische Organisationsgeschichte. Hamburger Edition, Hamburg 1999. 369 Seiten, 58 DM.
Im Eingangsraum der Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Dachau sieht sich der Besucher einer großen Übersichtskarte gegenüber, welche die Standorte der wichtigsten Konzentrationslager mit ihren Außenlagern zeigt. Von Sobibor und Belzec im Osten bis Vught-Herzogenbusch und Breendonk im Westen erstreckt sich das Netz von 27 Haupt- und ungefähr 300 Außenlagern, das sich mit provisorischeren Einrichtungen über das ganze deutsch besetzte Europa ausdehnte. Die in den Vernichtungslagern systematisch ermordeten Juden nicht eingerechnet, kamen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern zwischen 800 000 und 950 000 Menschen ums Leben. Karin Orth, eine jener jüngeren Historikerinnen und Historiker, die in den letzten Jahren der Erforschung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik insbesondere mit Studien über die Täterseite vorangetrieben haben, untersucht hier die Entstehung und Entfaltung sowie den Kollaps des KZ-Systems.
Das Buch ist gewissermaßen ein Nebenprodukt ihrer Untersuchung über die Führungsgruppe der Lager-SS, deren Position sich ohne den Hintergrund der Entwicklung des Lagersystems kaum verstehen lässt. Im Zentrum der Studie, die organisations- und strukturgeschichtlich angelegt ist, steht die Politik der SS-Führung. Die Konzentrationslager entstanden 1933 im Zuge des Unterdrückungs- und Rachefeldzuges, den die Nationalsozialisten gegen ihre vorwiegend linken politischen Gegner führten. Karin Orth spricht in diesem Zusammenhang von den „frühen Lagern”.
Die Bezeichnung „nationalsozialistische Konzentrationslager” will sie erst auf die Mitte der 30er Jahre systematisierte Form der Lager anwenden. Hiergegen ist einzuwenden, dass die KZs äußerst flexible Instrumente zur gewaltsamen Durchsetzung der politischen Ziele des sich ständig radikalisierenden NS-Regimes und somit von Anfang an „nationalsozialistisch” waren. Ein gefestigter Typus des Lagers entstand hingegen in der Tat erst mit der Zentralisierung und Systematisierung des Lagersystems zwischen 1934 und 1939.
„Pionierarbeit” leistete hierbei der zweite SS-Kommandant des KZ Dachau, Theodor Eicke, der Dachau zum Modell entwickelte und dieses Modell als Inspekteur der Konzentrationslager auch auf die anderen KZs übertrug. Nachdem die Organisationen der politische Linken ohne größeren Widerstand zerschlagen worden waren, schien es zunächst, als seien die Konzentrationslager funktionslos geworden. Die Häftlingszahl sank von rund 27 000 im Juli 1933 auf etwa ein Drittel im Mai 1934. Heinrich Himmler erreichte im Laufe des Jahres 1935 Hitlers Zustimmung zur Beibehaltung der KZs und ihrer Finanzierung aus dem Reichshaushalt.
Arbeit bis zum Tode
Den ideologischen Hintergrund bildete das Konzept einer „rassischen Generalprävention”. Die Konzentrationslager dienten nun nicht mehr allein der Bekämpfung politischer Gegner, sondern vielmehr all jener, die nicht in die rassistische Utopie der „Volksgemeinschaft” passten. Zunehmend wurden so genannte „Asoziale”, mehrfach vorbestrafte Kriminelle oder Homosexuelle in die Lager eingesperrt. Im Zuge des „Kristallnacht”-Pogroms von 1938 wurden über 30 000 jüdische Männer in die Lager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald eingeliefert, von wo sie überwiegend nach einigen Wochen entlassen wurden, wenn ihre Familien Auswanderungsunterlagen vorweisen konnten. Die KZs wurden so zu Instrumtenten einer rassistischen „Sozialhygiene” und des nationalsozialistischen Antisemitismus.
Bei Kriegsbeginn war das System der Lager zentralisiert und gefestigt. Die kleineren Lager waren 1936/37 aufgelöst worden, und kurzzeitig blieb allein das KZ Dachau bestehen. Allerdings wurde auch in Dachau ein neues Schutzhaftlager errichtet – mit der Arbeitskraft der Häftlinge. Neu gegründet wurden in kurzen zeitlichen Abständen die Lager Sachsenhausen, Buchenwald, Flossenbürg, nach dem Anschluss Österreichs das KZ Mauthausen und im Mai 1939 das Frauen-KZ Ravensbrück. Die KZs hatten eine einheitliche Verwaltungsstruktur. Die Oberaufsicht führte die Inspektion der Konzentrationslager in Oranienburg, die Teil des SS-Apparates war.
Als die deutschen Truppen im September 1939 in Polen einfielen, setzte auch die Expansion des KZ-Systems nach außen und nach innen ein. Sowohl im Reich als auch in den besetzten und annektierten Gebieten wurden neue Lager gegründet. Dabei spielten wie schon 1938 die phantastischen Baupläne Hitlers und seines Leibarchitekten Albert Speer für die deutschen Großstädte eine wichtige Rolle. Die Häftlinge der Lager sollten die Baumaterialien herbeischaffen: Flossenbürg und Mauthausen waren ebenso wie Natzweiler im Elsass und Groß-Rosen in Niederschlesien in unmittelbarer Nachbarschaft von Steinbrüchen gelegen, in Neuengamme bei Hamburg wurde ein Klinkerwerk betrieben.
Mit dem Krieg änderte sich die Zusammensetzung der Lagerbevölkerung fundamental. Sie wurde international, und die deutschen Gefangenen bildeten bald eine Minderheit. Kurz nach Kriegsbeginn setzten auch die systematischen Tötungsaktionen ein. Den Anfang machte die Ermordung nicht arbeitsfähiger Häftlinge, die eine unmittelbare Fortsetzung der bereits 1939 begonnenen Morde an Insassen von Heil- und Pflegeanstalten bildete. Die „Aktion 14f13” begann im Frühjahr 1941. Besonders heimtückisch war, dass die Todeskandidaten in dem Glauben gewiegt wurden, die Ärzte würden sie infolge ihrer Gebrechen in Sanatorien schicken. Tatsächlich endete ihr Weg in den Vergasungsanstalten des „Euthanasie”-Programms.
Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurden die KZs auch zu Exekutionsstätten für sowjetischen Kriegsgefangene, vor allem für Juden und Kommunisten. Orth zeigt, wie die Experimente mit verschiedenen Tötungsmethoden in den Lagern in Auschwitz zur Erfindung der Gaskammer führten, die dann zum wichtigsten Mordinstrument der Shoah wurde. Parallel zu diesen Vorgängen rückte die Ausnutzung der Arbeitskraft der Häftlinge immer stärker in den Vordergrund. Die Mobilisierung für den Krieg entzog der deutschen Wirtschaft auf Dauer enorm viele Arbeitskräfte.
Neben der Werbung, Zwangsverpflichtung und schließlich massenhaften Verschleppung ausländischer Arbeitskräfte für die deutsche Kriegsindustrie gehörte auch der Einsatz der KZ-Häftlinge zum Komplex der Zwangsarbeit. Orth zufolge war dies jedoch weniger auf ein rüstungswirtschaftliches Konzept zurückzuführen, als auf die machtpolitische Rivalität Heinrich Himmlers zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel. Dass die Inspektion der Konzentrationslager nahezu gleichzeitig in das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt (WVHA) eingegliedert wurde und die Ausnutzung der Arbeitskraft der Häftlinge erste Priorität erhielt, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Die ökonomische Kompetenz der SS war indes gering. Dies belegte nicht zuletzt die wenig eindrucksvolle Produktivität ihrer eigenen Unternehmen. Rüstungsminister Speer konnte sich im September 1942 mit seiner Idee durchsetzen, stattdessen KZ-Häftlinge an private Rüstungsproduzenten zu vermieten. Damit war die Basis für die Entstehung Hunderter von Außenlagern gelegt. Mit Auschwitz und Majdanek nahmen WVHA-Lager aber auch zentrale Funktionen im Völkermord ein.
Vernichtung und Arbeit liefen nebeneinander. Im letzten Kriegsjahr indes verschmolzen sie immer mehr zu einer Einheit. Das gilt insbesondere für die Errichtung unterirdischer Rüstungsproduktionen, etwa in Mittelbau-Dora oder Mühldorf. Vor allem die beim Bau der „Verlagerungsprojekte” eingesetzten Häftlinge – nahezu ausschließlich Juden – hatten kaum Überlebenschancen.
Freiheit für wenige
Mit den Vorstößen der Roten Armee seit 1944 begann der Kollaps des Lagersystems. Die Lager im Osten wurden aufgelöst, die Häftlinge evakuiert. Die Ära der Todesmärsche setzte ein, die buchstäblich bis zum letzten Tag des Bestehens des NS-Regimes dauerte. Je näher das Ende rückte, um so ambivalenter wurde die Politik der SS. Einerseits gab Himmler im Zuge von Verhandlungen mit zahlreichen Emissären immer wieder kleine Gruppen von Häftlingen frei, andererseits wurden Pläne zur Massenvernichtung der Gefangenen vor ihrer möglichen Befreiung erörtert. In einigen Lagern wurden marschunfähige Häftlinge ermordet, zum Teil auch solche, die aus Sicht der SS bei Annäherung der alliierten Truppen zu einer Gefahr hätten werden können.
Anders als die Autorin behauptet, gab es im KZ Dachau solche Aktionen allerdings nicht. Das Bild ist insgesamt weniger einheitlich, als sie es zeichnet. Die meisten Häftlinge jedenfalls starben in dieser Phase auf den gnadenlosen Evakuierungstransporten, die schließlich gar kein reales Ziel mehr hatten.
Angesichts der durch viele Studien zu einzelnen KZs und die Neugestaltungen von Gedenkstätten intensivierten Auseinandersetzung war eine Darstellung des Systems der Konzentrationslager überfällig. Die Grenzen der Studie liegen in ihrem rein organisationsgeschichtlichen Ansatz, aber auch in der sehr nüchternen und oft abrisshaft gehaltenen Darstellung. Vor allem gegen Ende gelingt die Zusammenschau der oft widersprüchlichen Entwicklungen nicht durchgängig. Nichtsdestoweniger hat Karin Orth einen wichtigen Forschungsbeitrag geleistet, dessen Verdienst es ist, die Zusammenhänge und Strategien nachvollziehbar zu machen, die hinter der oft isoliert betrachteten Geschichte der einzelnen Konzentrationslager steht. Gewinn werden aus diesem Buch vor allem Leser ziehen, die sich mit der Geschichte und den Erfahrungen der Opfer des KZ-Systems bereits vertraut gemacht haben, denn allein aus der Perspektive der Organisations- und Tätergeschichte lässt sich dieses nicht wirklich verstehen.
JÜRGEN ZARUSKY
Der Rezensent ist Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2001

Säulen des nationalsozialistischen Terrorapparats
Lagerwelten: Das Führungspersonal der Konzentrationslager und das Instrument der Arbeitserziehungslager

Karin Orth: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Eine politische Organisationsgeschichte. Hamburger Edition, Hamburg 1999. 396 Seiten, 58,- Mark.

Karin Orth: Die Konzentrationslager-SS. Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien. Wallstein Verlag, Göttingen 2000. 336 Seiten, 68,- Mark.

Gabriele Lotfi: KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich. Mit einem Vorwort von Hans Mommsen. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und München 2000. 452 Seiten, 56,- Mark.

Ortsnamen wie Dachau, Mauthausen oder Auschwitz sind zu Metaphern für eines der größten Verbrechen im 20. Jahrhundert geworden, die dort eingerichteten Konzentrationslager gelten "als Symbol der Unmenschlichkeit des NS-Regimes" - so Karin Orth in der Einleitung zu ihrer politischen Organisationsgeschichte.

Ihre beiden Bücher sind ein erster Versuch, die verstreuten Einzelergebnisse der jüngeren deutschen Forschung über das KZ-System zusammenzufassen. Mit der Gruppenbiographie über das Führungspersonal der Konzentrationslager konzentriert sie sich auf die Schüsselfiguren unter den Tätern. Es gab nur wenige in der SS-Hierarchie, die über mehr Macht in den Lagern verfügten, aber keiner war so nahe dran am Geschehen wie die Lagerkommandanten und die - ihnen unterstellten - Abteilungsleiter. Mit Hilfe von Personalakten, Vernehmungen, Selbstzeugnissen sowie Ermittlungs- und Strafverfahren hat die Autorin den Lebensweg von 207 SS-Führern, darunter 46 Lagerkommandanten, in groben Zügen rekonstruiert und miteinander verglichen. Themen sind dabei deren Herkunft und Ausbildung, ihr Handeln und ihr Schicksal nach 1945. Exemplarische Fallstudien kompensieren die oft sehr rudimentäre Quellenlage. Am Beispiel von Rudolf Höß, dem Kommandanten von Auschwitz, verfolgt Orth etwa einen der "Wege zur Lager-SS": Kriegsdienst, Freikorps, NSDAP, Fememord, Artamanen-Bewegung, SS als die wichtigsten Stationen. Auch viele andere SS-Funktionäre, die meist "aus der Mitte der Weimarer Gesellschaft" stammten, hatten schon früh zur rechtsradikalen Szene gefunden.

Als entscheidend für die Formierung der Lager-SS sollte sich aber erst die "Dachauer Schule" erweisen, die sich der dortige Kommandant Theodor Eicke ausgedacht hatte. Mit Hilfe eines pervertierten militärischen Drills brach er den Willen "seiner" Männer, hetzte sie systematisch gegen die Häftlinge auf und gewöhnte den Nachwuchs daran, "mit eigenen Händen zu foltern und zu töten". So entstand eine skrupellose, organisatorisch aber geschulte Funktionselite, die zu jeder Aufgabe herangezogen werden konnte. Die Gefährlichkeit dieser verhältnismäßig kleinen Gruppe steigerte sich noch, als Eickes Personalpolitik abgelöst wurde durch die des Obergruppenführers Oswald Pohl, der eher den "rational" arbeitenden Organisator förderte, so daß sich die Konzentrationslager-SS nun "zu einer im Wortsinn verschworenen Gruppe von Experten des Massenmords" entwickelte. Wie sehr deren Prägung nachwirkte, zeigte sich noch, als ihre Welt längst untergegangen war. Mit einer höchst bemerkenswerten Uneinsichtigkeit verweigerten sich die meisten jeder Schuldeinsicht und beharrten darauf, "korrekt" und "anständig" gehandelt zu haben.

Mit ihrem Werk hat Orth die erste wissenschaftliche Biographie einer Gruppe vorgelegt, die das Bild vom "Dritten Reich" wohl mit am nachhaltigsten geprägt hat. Ärgerlich ist freilich, daß die Autorin den militärgeschichtlichen Aspekten ihres Themas nicht gewachsen ist. Ihre Schwächen werden bereits im Terminologischen sichtbar ("Wehrmacht und Luftwaffe", "Hauptmänner" etc.), von einigen inhaltlichen Schnitzern einmal ganz abgesehen.

Die thematisch größer angelegte Studie Orths über "Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager" ist aus der Arbeit an ihrer Gruppenbiographie erwachsen. Hier wird deutlich - und dies erscheint als eines der wichtigsten Ergebnisse dieser profunden Studie -, daß selbst die Geschichte des KZ-Staats zunächst offen gewesen ist. Zwar ließ das neu etablierte NS-Regime im ersten Jahr seiner Herrschaft keinen Zweifel an seinen terroristischen Energien: In zahllosen rasch eingerichteten Haftstätten und Folterkellern wurden über 45 000 Menschen, meist politische Gegner, inhaftiert und gefoltert, mehrere hundert ermordet. Doch begannen sich diese frühen Lager, die Orth noch nicht zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern rechnen will, schnell zu leeren, vollends nach der Entmachtung der SA im Sommer 1934.

Ein halbes Jahr später existierten nur noch fünf Lager mit nicht mehr als 3000 Häftlingen! Man sollte die Bedeutung dieser Entwicklung für die Wahrnehmung und das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft nicht unterschätzen. Die vage Vorstellung vieler Deutscher, daß nun das Schlimmste überstanden war, hatte zumindest Mitte der dreißiger Jahre einen realen Kern.

Auch in diesem Fall war es Hitler persönlich, der Himmler die Chance gab, diese Form der Herrschaft weiter auszubauen. Nachdem die politischen Gegner ausgeschaltet waren, sollten nun andere Gruppen eliminiert werden, im Jargon der Nazis: die Asozialen und Berufsverbrecher, zunehmend aber auch die Juden, von denen 30 000 infolge des Novemberpogroms 1938 kurzfristig verhaftet wurden. Diese Ausweitung des Terrors, die mit einer zügigen Vergrößerung der SS-Totenkopfstandarten einherging, war immer auch Teil der deutschen Kriegsvorbereitungen.

Mit der Entfesselung des Krieges begann das KZ-System dann rasch zu expandieren, im Innern wie im Äußern. Die deutsche Okkupationspolitik sorgte dafür, daß immer mehr Ausländer in die Lager strömten. So sank der Anteil der deutschen Häftlinge im KZ Buchenwald von 75 (1941) auf 34 (1942), 13 (1943) und schließlich acht Prozent (1944). Gleichzeitig wuchs der Umfang des KZ-Imperiums. 1941 hatte sich die Zahl der sechs Vorkriegslager bereits verdoppelt, die nun den deutschen Machtbereich mit einem Netz von Außenkommandos überzogen.

Aber auch die Strukturen innerhalb der Lager veränderten sich grundlegend: seit Frühjahr 1942 waren es Völkermord und Zwangsarbeit, die das KZ-System prägten. Beide Konzeptionen, die zumindest bis 1944 nebeneinander herliefen, waren für die Häftlinge grauenhaft. Auch der Arbeitseinsatz, dessen ökonomischer Nutzen sich als gering erwies, lief - wie Orth betont - in den meisten aller Fälle auf eine Vernichtung der Häftlinge hinaus. Insgesamt waren es um die 2 Millionen Menschen, möglicherweise auch mehr, die einem System zum Opfer fielen, das gleichermaßen von erbarmungsloser Brutalität, zynischer Verschlagenheit und technischer Perfektion geprägt war. Orths nüchtern gehaltene Überblicksdarstellung faßt zwangsläufig viel Bekanntes zusammen. Doch gibt es bislang kaum eine moderne Untersuchung, in der die Entwicklung des KZ-Staats, seine Formierung, seine Metamorphosen und sein Ende in so konzentrierter Form präsentiert werden wie hier.

Daß das "Dritte Reich" daneben noch ganz andere Lagerwelten unterhielt, die dem KZ-System an Menschenverachtung und Grausamkeit kaum nachstanden, hat Gabriele Lotfi minutiös herausgearbeitet. Dabei unterschieden sich die sogenannten Arbeitserziehungslager (AEL) zunächst in puncto Genese, Träger, Organisation und Anspruch von den Konzentrationslagern. Mit Hilfe der verhältnismäßig kleinen, dezentralen AELs versuchte das Regime seit Kriegsbeginn, dem Verfall der Arbeitsdisziplin entgegenzusteuern - eine Folge des seit Ende der dreißiger Jahre massiv zunehmenden Produktionsdrucks sowie der fehlenden gewerkschaftlichen Interessenvertretung. Während des Krieges verschlimmerte sich das Problem noch durch die Millionen zwangsrekrutierter Fremdarbeiter, die wenig Anlaß hatten, sich mit den deutschen Interessen zu identifizieren.

Der AEL-Lagertypus ist nicht allein ein Beleg dafür, wie sehr Theorie und Praxis der NS-Sozialpolitik auseinanderklaffen konnten. Bemerkenswert ist auch, daß dieser Lagerkosmos den örtlichen Gestapo-Behörden unterstand. Sie waren es, die in Kooperation mit den ansässigen Betrieben und Arbeitsämtern über eine Einweisung in ein Arbeitserziehungslager entschieden, die häufig wiederum von Schutzpolizisten bewacht wurden. Hatte das erste Lager dieser Art (das SS-Sonderlager Hinzert, entstanden während der Arbeiten am Westwall) noch zur SS gehört, so mußte Himmler diese Mittelinstanz des NS-Terrorapparats, angesiedelt zwischen Justiz und KZ, notgedrungen akzeptieren, zumindest für die Dauer des Krieges.

Es charakterisiert das NS-System, wenn auch diese Einrichtungen schon bald zum bloßen Instrument des polizeilichen Terrors verkamen, das sich zwar in der Haftzeit (von meist wenigen Wochen) und in seinem Erziehungsanspruch, nicht aber in seinen Methoden von den KZs unterschied und die Häftlinge "für ihr ganzes Leben traumatisierte". Auch sonst gab es Parallelen zum KZ-System, etwa in der zunehmenden Bedeutung der ausländischen Häftlinge (jeder zwanzigste durchlief ein solches Lager) oder der raschen Expansion dieses Lagertypus, von denen es schließlich über 200 gab. Insgesamt waren hier vermutlich mehrere hunderttausend Menschen inhaftiert, Tausende kamen um, insbesondere in der Endphase des Krieges, als sich der Terror der Polizei mehr und mehr radikalisierte.

Lotfi hat eine detaillierte und quellengesättigte Rekonstruktion dieser dritten Säule des nationalsozialistischen Terrorapparats vorgelegt, die gleichzeitig viele grundsätzliche Fragen aufwirft: die nach dem Verhältnis von Industrie und Nationalsozialismus oder die nach der Rolle der Polizei, die Frage nach der Genese des Terrors und die nach seiner Monopolisierung oder die Frage nach der Wirklichkeit des nationalsozialistischen Alltags und seiner Arbeitswelt.

CHRISTIAN HARTMANN

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zwar äußert Jürgen Zarusky einige Einwände in der Besprechung dieses Bandes. Aber dennoch weiß er das Buch summa summarum als "wichtigen Forschungsbeitrag" zu würdigen, insbesondere deshalb, weil hier die Konzentrationslager nicht - wie sonst häufig - isoliert betrachtet würden, sondern ein Blick auf die Zusammenhänge im Hintergrund geworfen werde. Orth geht, wie der Leser erfährt, auf die verschiedenen Funktionen der Lager und deren Veränderungen bzw. die Systematisierung während der nationalsozialistischen Herrschaft bzw. des Krieges ein. In einzelnen Punkten widerspricht Zarusky der Autorin, etwa dort, wo sie behauptet, auch im KZ Dachau seien "marschunfähige Häftlinge" gegen Kriegsende ermordet worden. Insgesamt scheint er jedoch mit Orths Studie zufrieden zu sein. Lediglich die Beschränkung auf den "rein organisationsgeschichtlichen Ansatz" und ihre "sehr nüchterne und oft abrisshaft gehaltene Darstellung" findet er nicht ganz so gelungen.

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