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Dieses Buch zeigt eine außergewöhnliche Sammlung von Fotografien aus dem 19. Jahrhundert, als die "schwarze Kunst" gerade ihre ersten Gehversuche unternahm. Sie stammen von keinem geringeren als Lewis Carroll, dem Autor von Alice im Wunderland. Die einfühlsamen Porträts und die zarten, vielfach poetischen Kinderbilder, die ihm trotz des technisch komplizierten Verfahrens beim Fotografieren Mitte des 19. Jahrhunderts mit extrem langen Belichtungszeiten gelangen, zeugen von seiner Meisterschaft. In diesem Buch findet sich die bisher umfangreichste Auswahl der zwischen 1856 und 1880 entstandenen…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch zeigt eine außergewöhnliche Sammlung von Fotografien aus dem 19. Jahrhundert, als die "schwarze Kunst" gerade ihre ersten Gehversuche unternahm. Sie stammen von keinem geringeren als Lewis Carroll, dem Autor von Alice im Wunderland. Die einfühlsamen Porträts und die zarten, vielfach poetischen Kinderbilder, die ihm trotz des technisch komplizierten Verfahrens beim Fotografieren Mitte des 19. Jahrhunderts mit extrem langen Belichtungszeiten gelangen, zeugen von seiner Meisterschaft. In diesem Buch findet sich die bisher umfangreichste Auswahl der zwischen 1856 und 1880 entstandenen Bilder des "besten Kinderfotografen des 19. Jahrhunderts" (Brassai) in bis heute nicht gesehener Qualität.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999

Hinter dem schwarzen Tuch der Plattenkamera
Ansichten aus dem viktorianischen Reich des Zweideutigen: Lewis Carrolls großartige Fotokunst / Von Wilfried Wiegand

Heute, mehr als hundert Jahre nach seinem Tod, ist Lewis Carroll dreifach berühmt: als Dichter, Logiker und Fotograf. Zu seinen Lebzeiten freilich wussten nur seine Freunde und Bekannten, dass der mäßig erfolgreiche Oxford-Dozent für Logik und Mathematik identisch war mit dem Autor der erfolgreichen Kinderbücher "Alice in Wonderland" und "Through the Looking Glass". Briefe, die an einen gewissen Lewis Carroll gerichtet waren, pflegte er nicht zu beantworten, das Pseudonym war also alles andere als eine Spielerei, es war ein Versteck. Dass Dodgson-Carroll schließlich auch noch fotografierte, war ebenfalls nur wenigen bekannt. Ein einziges Mal hatte er sich an einer Ausstellung beteiligt, und nach seinem Tod wurden die Alben mit seinen Aufnahmen auf der Nachlassauktion für lächerlich geringe Beträge verramscht.

Dass Carroll fotografiert hatte, geriet zwar nicht völlig in Vergessenheit, wohl aber die Bedeutung seiner Aufnahmen. In den zahlreichen Biographien wurde das vermeintlich belanglose Hobby regelmäßig kurz erwähnt, aber offenbar kannte niemand mehr die Bilder. Nur Alvin Langdon Coburn, einer der bedeutendsten Fotokünstler des Kreises um Alfred Stieglitz, in der Londoner Avantgarde ebenso zu Hause wie in New York, macht eine ruhmreiche Ausnahme. Er veranstaltete 1915 eine Ausstellung "Die Alten Meister der Fotografie" und zeigte darin auch zehn Motive von Lewis Carroll. Coburn zeigte sie freilich nicht mit all ihrer spiegelblanken technischen Perfektion, sondern übersetzte sie in den "sezessionistischen" Zeitgeschmack: gemäldehaft vergrößerte, stimmungsvoll verschwommene Neuabzüge. Schon wenige Jahre später, in der Epoche der Neuen Sachlichkeit, wollte freilich niemand mehr von der preziösen Schummrigkeit der Foto-Sezessionisten etwas wissen, und mit dieser versank auch der gerade wieder entdeckte Fotograf Lewis Carroll im Dunkel.

Jahrzehnte vergingen, bis Ernst Helmut Gernsheim, der Sherlock Holmes unter den Fotohistorikern, den zweimal Vergessenen wieder ans Tageslicht beförderte. Bei seinen Arbeiten über die niemals ganz vergessene Julia Margaret Cameron war er auf ein Album mit mehr als hundert Carroll-Fotos gestoßen und begann mit seinen Nachforschungen. Als er seine Ergebnisse 1949 in dem Buch "Lewis Carroll Photographer" veröffentlichte, war dies, wie er sich später erinnerte, "in künstlerischen und literarischen Kreisen eine Sensation". Gernsheim hatte nicht einzelne Bilder, sondern ein ganzes OEuvre ausgegraben. Neben dem biographischen Doppelleben von Dodgson und Carroll, so lernten seine Verehrer, gab es noch die artistische Doppelexistenz von Literat und Fotograf.

Das neue Buch über Carroll gibt eine gute Vorstellung des fotografischen Lebenswerks. Das liegt vor allem an der Qualität der Abbildungen, die auf hervorragende Weise den Variantenreichtum an Tönen ahnen lassen, der Abzüge des neunzehnten Jahrhunderts zu grafischen Kunstwerken macht. Man begreift, dass der dunkelbraune Ton der meisten alten Fotos nicht etwa durch "Vergilben" zustande gekommen ist, sondern als eine Art rembrandtsches Helldunkel mit chemischer Hilfe hervorgerufen wurde. Erfreulicherweise sind die reproduzierten Abzüge auch nicht von heutigen Layoutern verstümmelt, sondern mit allem Drum und Dran wiedergegeben, in manchen Fällen also einschließlich der Flecken und Nummerierungen am Bildrand. Viele Bilder freilich hatten Carroll oder seine Freunde zum Einkleben in das Fotoalbum dekorativ zurechtgeschnitten. Da gibt es kreisförmige, ovale, oben eckige, abgerundete oder "gotisch" angespitzte Blätter. Dieser Reichtum an Formaten vermittelt viel vom Reiz eines privaten Albums der viktorianischen Epoche. Ebenfalls makellos reproduziert sind die wenigen Aufnahmen, die Carroll so gefallen haben, dass er sie - Farbfotografie gab es noch nicht - von geübten Amateurmalern kolorieren ließ. Das süßliche Ergebnis ist zwar ästhetisch enttäuschend, aber aufschlussreich für den damaligen Zeitgeschmack, der sich als intimste Form des privat verschenkten Bildnisses immer noch an den gemalten Miniaturen der vorfotografischen Ära orientierte. Was man vermisst, sind nur die Maße der Abzüge, deren Kenntnis - nicht anders als bei Gemälden oder Skulpturen - unerlässlich ist, um unsere Vorstellung zu korrigieren.

Carroll, Jahrgang 1832, begann 1856 zu fotografieren, und das neue Hobby wurde vierundzwanzig Jahren lang seine große Leidenschaft. Warum er 1880 plötzlich damit aufhörte, ist unbekannt, jedenfalls hat er in den achtzehn Jahren bis zu seinem Tode wohl nie mehr fotografiert. Carroll eignet sich das fotografische Handwerk mit der Gründlichkeit des Wissenschaftlers an, technische Perfektion ist für ihn selbstverständlich. Er geht so weit, die absichtlich unscharfen - manchmal auch schludrig abgezogenen - Porträts der genialen Julia Margaret Cameron "nur hässlich" zu finden. Andererseits weiß er, dass ihn viel mit der Konkurrentin verbindet. Beide inszenieren vor der Kamera "lebende Bilder", in denen sie Modelle aus dem Freundeskreis in literarischen oder mythologischen Rollen oder in kleinen Alltagsanekdoten posieren lassen. Derlei war als Gesellschaftsspiel in den viktorianischen Salons nichts Ungewöhnliches, aber die Kamera bot einen willkommenen Vorwand, solche Rollenspiele nun auch im kleinsten Kreise von nur zwei oder drei Personen zu spielen - den Fotografen schon mitgezählt. Carroll machte die meisten seiner Aufnahmen nur für sich und seine Modelle, und dem Herzstück seines OEuvres, den Aufnahmen mit kleinen Mädchen, sieht man die Privatheit deutlich an.

Carroll, der die kleinen Töchter seiner Freunde und Kollegen mit dem Einverständnis der Eltern fotografierte, erzählte den Kindern auch seine selbst erfundenen Märchen - die Urfassungen seiner berühmten Bücher - und war mit den Kindern regelrecht befreundet. Mehrere von ihnen haben später bestätigt, wie faszinierend Dodgson gewesen sei und welche Freude ihnen das Rollenspiel mit all den schönen Kostümen, den rätselhaften Requisiten und den wichtigtuerischen Posen bereitet habe. Viele Posen sind exotisch und irreal, etwa wenn eines der Mädchen im Chinesen-Kostüm auf Teekisten sitzt oder wenn ein anderes, das Reisetäschchen in der Hand, sich anschickt, mit Hilfe einer Strickleiter aus dem Dachstübchen zu fliehen.

Das ist eine Art naiver Surrealismus, der das kindliche Gefühl des Fremdseins in der Erwachsenenwelt zum Ausdruck bringt, anmutig und beklemmend zugleich. Die ernste, angestrengte Miene der Mädchen während der langen Belichtungszeit verstärkt noch den Ausdruck von Verlorenheit. Viele Aufnahmen zeigen die Mädchen in Kinderkleidung und typischen Situationen der Kinderwelt, andere kokettieren mit den Schönheitsvorstellungen der Erwachsenen. Carroll nimmt die Mädchen, als wären sie längst über die Pubertät hinaus, wie erwachsene Modeschönheiten auf, die ihr elegantes Kostüm vorführen wollen. Er zeigt sie als Bettlermädchen in malerisch zerfetztem Kleid, als Schlaflose im Nachthemd, als spärlich bekleidete Schlummernde auf der Couch und schließlich sogar völlig nackt in der Natur. Offenbar hat Carroll eine ganze Menge Aktaufnahmen gemacht, die er in späteren Jahren allesamt zerstörte. Nur vier, die er verschenkt hatte, sind dem puritanischen Großreinemachen entgangen und jetzt auch in diesem Band zu bestaunen, alle vier übrigens in schrecklichen Bonbonfarben bemalt. Das ist wichtig, denn dadurch waren die Aufnahmen gewissermaßen als Kunst getarnt. Die Posen der nackten Mädchen erinnern an die Massenware der Liebesgöttinnen und Eroten, die damals die akademische Malerei bevölkerten.

Am interessantesten ist die Aufnahme, auf der das Mädchen unverhüllt in einer gemalten Wiese liegt, durch Blick und Haltung aber genau so aussieht, wie man damals die aus dem Meer ans Ufer gespülte Venus darzustellen liebte. Wäre auf dem Foto eine erwachsene Frau und nicht ein Kind zu sehen, wir würden keine Sekunde zögern, ihre Pose - die Arme hinter dem Kopf verschränkt, das eine Bein angewinkelt - erotisch und ausgesprochen kokett zu nennen. Damit sind wir bei der Gretchenfrage aller Carroll-Verehrer angelangt: Ist seine viel gerühmte Fotokunst in Wahrheit nur die Ersatzbefriedigung eines verklemmten Sexualneurotikers?

Lewis Carroll wuchs mit sieben Schwestern auf, was etwas bedrohlich gewesen sein mag und seinen Drang erklären könnte, Frauen in der Phantasie zu verkleinern, sie auf ein beherrschbares Kinderformat zu reduzieren. Carroll blieb unverheiratet. Er war Stotterer, stotterte aber nicht in Gegenwart von kleinen Mädchen. Carroll schwärmte allenthalben von der Reinheit und Schönheit des Kindes, ließ aber keinen Zweifel daran, dass er damit nur Mädchen meinte. Freimütig äußerte er, dass er Knaben eher hässlich finde. Was seine Freundschaft mit kleinen Mädchen betrifft, so verlor er jedes Interesse an ihnen, sobald die Pubertät begonnen hatte. Auf einer langen Liste verzeichnete er die Namen seiner Modelle, bis 1863 waren es schon mehr als hundert - ein Don Giovanni unter dem schwarzen Tuch der Plattenkamera.

Gelegentlich scheint Carroll es nicht geschafft zu haben, sich an die eigenen Spielregeln zu halten. Einmal jedenfalls entschuldigte er sich für einen wohl etwas unstatthaften Kuss, eine Mutter brach den Kontakt zu ihm ab. Eindeutige Beweise für sexuelle Interessen, geschweige denn Übergriffe, gibt es aber keine. Die Frage ist, ob das Übrige für einen Indizienbeweis ausreicht. Die Mode der denunziatorischen Enthüllungsbiographie und der psychoanalytischen Kunstinterpretation sorgten, wie sich denken lässt, für eine positive Antwort. Carroll wurde zum impotenten Monster, und seine Fotografien galt es nun wie Bilderrätsel zu entschlüsseln und in den Klartext des eigentlich gemeinten sexuellen Begehrens zurückzuübersetzen.

Liest man das neue Carroll-Buch daraufhin durch, so befindet man sich in einer anderen Welt. Carroll war, so erfahren wir ein über das andere Mal, ein großer Kinderfotograf, er wurde dem Wesen des Kindes gerecht, denn er liebte Kinder und hielt sie für engelhafte Wesen - das ist die Quintessenz der Bildinterpretationen. So rein wie hier war Carroll noch nie. Zwar ist es wohltuend, all die mit Begriffen bis an die Zähne bewaffneten Verdächtigungs-Interpretationen nicht abermals lesen zu müssen, aber muss das Deutungspendel deshalb so weit in die entgegengesetzte Richtung ausschlagen? Die meisten Texte, die über Carroll in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht wurden, mögen Überinterpretationen sein, was uns hier vorgesetzt wird, ist aber genauso schrecklich, es sind Unterinterpretationen. Das heißt, dass kluge Fachleute, die schon ein bisschen mehr zu sagen wüssten, sich in den sonst so informativen Aufsätzen dieses Bandes demonstrativ zurückhalten, sobald die Gretchenfrage des sexuellen Interesses am Horizont auftaucht.

Carrolls Bilder, so lesen wir dann aufs Neue, haben mit unterdrückter Sexualität überhaupt nichts zu tun. Wer es wagen sollte, einen anderen interpretatorischen Kurs zu steuern, bekommt gleich im ersten der drei Essays einen Schuss vor den Bug. Angesichts solcher Interpreten, heißt es dort, stelle sich doch wohl "die Frage, ob sie nicht mit ihren eigenen Neurosen an diese Werke herangehen und so ihre Schönheit entstellen und herabwürdigen". Der zweite Teil des Satzes ist am aufschlussreichsten: entweder sexuell oder Kunst. Etwas Drittes soll es nicht geben. Aber die Welt ist komplizierter, und das unbekannte Dritte gibt es sehr wohl. Es kann den Namen Erotik tragen. Sexualität ist eindeutig, Erotik nicht, ebenso wenig wie Mode, Sprache oder Kunst. Sie gehören in das große Reich zwischen den Eindeutigkeiten, das jede Kulturepoche kennt.

Es ist das Reich der Sublimierung und des Symbols, der Anspielung und der unterschwelligen Bedeutung. Im neunzehnten Jahrhundert war dieses Imperium der Zweideutigkeiten noch intakt, während in unserem Jahrhundert davon nur noch eine Ruine übrig ist. Wir finden die schützenden Formen der Höflichkeit "verlogen" und halten es für "ehrlich", jedermann die Meinung offen ins Gesicht zu sagen. Wir schätzen das Direkte, Wahre, Ehrliche und glauben der Wahrheit zu dienen, wenn wir möglichst alle Lebensäußerungen auf die Gier nach Macht, nach Geld oder nach sexuellem Genuss zurückführen können. Dabei droht freilich mehr und mehr das Verständnis für alles verloren zu gehen, was sich nicht in dieses Schema fügt. Carrolls fragiler ästhetischer Balanceakt lässt sich nicht begreifen, wenn man sich mit einer platten Ja-oder-nein-Frage nähert. Sexuell oder keusch? Das ist hier eben nicht die Frage. Carrolls Kunst ist nicht unschuldig, aber auch nicht sexuell. Sie ist zweideutig. Das ist ihr Wesen, und wer sie, so oder so, eindeutig interpretiert, zerstört es. Deshalb ist die sexualanalytische Deutung ebenso weit von einem angemessenen Verständnis entfernt wie das übertriebene Keuschheitsgetue in den Essays dieses Buches.

Auf einer der letzten Seiten stößt man übrigens auf ein paar erklärende Zeilen, in denen auf die "einschüchternde" Wirkung des amerikanischen "Child Protection Act" hingewiesen wird. Ganz versteht man diesen Hinweis freilich nur, wenn man die amerikanische Originalausgabe vor sich hat. Denn eigentlich begleitet das Buch als Katalog eine amerikanische Wanderausstellung - was in der deutschen Ausgabe verschwiegen wird -, und verständlicherweise fürchten die Veranstalter, amerikanische Moralisten könnten gegen ihre Carroll-Ausstellung den Vorwurf der Kinderpornografie erheben. Deshalb liest sich das Buch auf manchen Seiten, als sollte es später im Plädoyer des Verteidigers zitiert werden.

Morton N. Cohen: "Lewis Carroll. Reflexionen im Spiegel. Ein Pionier der Fotografie". Mit Beiträgen von Mark Haworth-Booth und Roy Flukinger. Aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Mader. Knesebeck Verlag, München 1999. 144 S., geb., Abb., 88,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wilfried Wiegand bemerkt in seiner sehr informativen Kritk zunächst, dass das fotografische Werk Lewis Carrolls von der Öffentlichkeit erst sehr spät - im Grunde erst nach dem Zweiten Weltkrieg - entdeckt wurde. Für Wiegand strahlt es allerhöchsten ästhetischen Reiz aus. Ausführlich beschreibt er die Szenen, die Carroll von seinen Modellen nachstellen ließ - so wie man es im 19. Jahrhundert gerne tat. Carrolls Geschmack nennt er durchaus zeitgebunden und begrüßt, dass auch die kitschig kolorierten Fotos aus der Sammlung in den Band aufgenommen wurden. Überhaupt lobt er die Qualität der Reproduktionen, die auch den Sepia-Ton und die teils eigenwilligen Formate der Originale respektierten - nur dass die Größenangaben zu den Bildern fehlen, kritisiert er. Von den Begleittexten ist Wiegand allerdings weniger begeistert. Der Dichter von "Alice im Wunderland" fotografierte nun mal mit Vorliebe kleine Mädchen, an denen er "jedes Interesse verlor, sobald die Pubertät begonnen hatte". Und diese Mädchen werden teilweise in durchaus erotischen Posen, manchmal sogar ganz nackt gezeigt. Die Begleittexte aber, so Wiegand, versuchen diesen erotischen Aspekt ganz und gar zu leugnen - und das findet der Rezensent genauso falsch wie die "mit Begriffen bis an die Zähne bewaffneten Verdächtigungs-Interpretationen", die Carroll in den letzten Jahren immer nur als Päderasten darstellen wollten. In beiden Extremen, so Wiegand, sei ein Gespür für eine Betrachtung verloren gegangen, die noch den Unterschied zwischen Erotik und Sexualität macht: "Carrolls Kunst ist nicht unschuldig, aber auch nicht sexuell. Sie ist zweideutig." Das Keuschheitsgetue der Texte im vorliegenden Band erklärt Wiegand mit vorauseilender Selbstzensur im Hinblick auf den amerikanischen "Child Protection Act". Ursprünglich handelte es sich nämlich um den Katalog einer amerikanischen Wanderausstellung. Also hatte man wohl Angst vor Ärger: "Deshalb liest sich das Buch auf manchen Seiten, als sollte es später im Plädoyer des Verteidigers zitiert werden."

© Perlentaucher Medien GmbH
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"Carroll erweist sich als einer der besten Kinderfotografen des 19. Jahrhunderts" (Nordwest Zeitung) "Bildermachen als ein Spiel, gemeinsam mit den Kindern, und eine seltene Keuschheit geht von den Bildern aus." (Süddeutsche Zeitung) " ... wie eine Flaschenpost aus dem Viktorianischen Zeitalter" (annabelle)