Spaziergänge im Münchner Herzogpark, Ausflüge an den Starnberger See. Gedanken über Abendgesellschaften in Hausschuhen, Speisepläne und mangelnden Applaus bei Lesungen. Grübeln beim Blick in den Spiegel, Geständnisse über seine geheime Liebe zu Jünglingen. Thomas Mann schreibt in seinen Tagebüchern ehrlich und unverstellt über sich, seinen Alltag und sein Innerstes.
Ein Gipfeltreffen der amüsantesten Art: In diesem Live-Mitschnitt aus dem Jahr 2001 lesen Reinhard Baumgart, Vicco von Bülow und Peter Wapnewski im Wechsel ausgewählte Einträge und erzählen die dramatische Geschichte um die Tagebücher.
Ein Gipfeltreffen der amüsantesten Art: In diesem Live-Mitschnitt aus dem Jahr 2001 lesen Reinhard Baumgart, Vicco von Bülow und Peter Wapnewski im Wechsel ausgewählte Einträge und erzählen die dramatische Geschichte um die Tagebücher.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2008Er denkt nicht an uns
Ohne Ironie: Thomas Manns Tagebücher
Das Publikum ist belustigt. Aber die Szene erschöpft sich nicht in der Pointe, wenn der Germanist Peter Wapnewski vorträgt, was der Dichter Thomas Mann am 19. Januar 1954 im Tagebuch niederschrieb: „Las in der Dissertation von Baumgart. Erstaunlich gescheit und gründlich wie so manche ihresgleichen. Man hat den Eindruck, dass diese Herren später nie wieder etwas so Gutes schreiben werden.” Reizend ist die Situation nicht nur, weil besagter Dr. Baumgart im Münchener Literaturhaus nur wenige Meter entfernt sitzt und neben Wapnewski und Vicco von Bülow alias Loriot einer der Rezitatoren dieser Tagebuch-Lesung des Jahres 2001 ist. Auch nicht allein deshalb, weil Reinhard Baumgart verantwortlich für die Konzeption des Vortrags überhaupt zeichnet.
Mit der Erwähnung seiner wissenschaftlichen Arbeit ist vielmehr die Voraussetzung für das Gelingen dieses Abends berührt, und das obwohl die Niederschrift von „Das Ironische und die Ironie in den Werken Thomas Manns” zu diesem Zeitpunkt fast fünfzig Jahre zurück liegt. Entscheidend nun ist, dass die Tagebücher darin gerade keine Rolle spielen.
Einen Großteil seiner persönlichen Aufzeichnungen hat der Dichter vernichtet, schon 1896 und dann noch zweimal 1944 und 1945 während des Exils. Was dem Müllverbrennungsofen des Gartens in Pacific Palisades entging, ließ Thomas Mann später in drei Pakete schnüren, versiegeln und mit der Aufschrift versehen: „Daily notes from 1933-1951, without literary value, but not to be opened by anybody before 20 years after my death”. Erhalten sind daneben die Notizen der letzten Jahre, und die Öffnung der Pakete brachte auch Hefte von 1918 und 1919 zum Vorschein. Dass die Tagebücher „without literary value”, ohne literarischen Wert sein sollen, mag bestreiten, wer will. Die Lektüre lohnt gewiss, obwohl der Erzähler fehlt.
In den einleitenden Worten zur Münchener Lesung führt Reinhard Baumgart, der 2003 gestorben ist, diese Beobachtung aus. Ganz anders als in den Romanen, Essays und Erzählungen wende Thomas Mann uns in seinen persönlichen Eintragungen den Rücken zu, er sei ganz bei sich, „er denkt nicht an uns, die Leser, die Zuhörer”. Die Texte spielten weder etwas vor noch seien sie auf Wirkung aus. Als wichtigstes Instrument der literarischen Darstellungskunst Thomas Manns hatte Baumgart einst in seiner Doktorarbeit die Ironie identifiziert, darunter vor allem das zweideutige Sprechen des Erzählers von einem kaum zuschreibbaren Standpunkt aus. Er schaltet sich immer wieder aktiv ein, rückt süffisant das soeben Erzählte in Distanz oder hält es in der Schwebe.
Des Lobes bedürftig
Die Tagebücher nennt Baumgart Thomas Manns „Unwerk”. Die wahre Entdeckung, als nach zwanzig Jahren die versiegelten Pakete geöffnet wurden, war also weniger die dokumentierte Leidenschaft für junge Männer oder die hypochondrischen Allüren, sondern dass ein Thomas Mann ohne Ironie zu Tage trat. Wer mag, darf ihn authentisch nennen. Der literaturwissenschaftliche Aufwand zahlt sich aus. Ohne ihn ist der Grad an Feinsinnigkeit, mit dem nun die Texte im Literaturhaus entgegen ihrer Bestimmung inszeniert und einem Publikum vorgespielt werden, nur schwer zu erreichen. Eben weil Ironie in erster Linie als literarisches Gestaltungsmittel und nicht so sehr als persönlicher Wesenszug eines enthobenen Charakters erkannt wird, mogelt sich hier kein falscher ironischer Ton in den Vortrag der drei Herren. Politische und literarische Aufzeichnungen sparen sie aus und zeigen Thomas Mann zunächst auf sich allein gestellt, in seiner Unbeholfenheit gegenüber alltäglichen Verrichtungen (er behält beim Ausgehen seine Hausschuhe an, schüttet sich Haarwasser über den Pyjama) und in den Überlegungen zu seiner dichterischen Größe. Dann in Gesellschaft, wo er sich auf Lesungen und bei öffentlichen Auftritten sehr des Lobes bedürftig erweist. Er gibt seine Liebe zu Jünglingen zu erkennen und schließlich seine ästhetische Begeisterung für Hunde. Zu den jeweiligen Themen liefert Reinhard Baumgart die passenden Eintragungen aus den Jahren 1918 und 1919, Vicco von Bülow nimmt sich der frühen Exilzeit an (1933-1935) und Peter Wapnewski der letzten Jahre (1953-1955).
Ein leichtes wäre es auch gewesen, den zweideutig-spöttischen Ton gegen den Dichter selbst zu richten, Thomas Mann vorzuführen, anstatt ihn vorzutragen. Der weisen Selbstbeschränkung ist es zu verdanken, dass die Vortragenden niemals Gefahr laufen, den Dichter der völligen Lächerlichkeit preiszugeben oder die Ehrlichkeit seiner Worte in kokettierender Manier zu denunzieren. Wenn sich das komische Potential der Unzulänglichkeit der dichterischen Existenz gegenüber dem Leben wie von selbst entfaltet, dann gesellt sich dazu immer Mitgefühl. Baumgart, von Bülow und Wapnewski schwingen sich eben nicht zu ironisierenden Ersatz-Erzählern auf, sondern nehmen deren Schreiber immer ernst. Auch dort, wo er belustigt. CHRISTOPH SCHMAUS
THOMAS MANN: Ich habe mich nie für groß gehalten. Die Tagebücher von 1918 bis 1955. Gelesen von Reinhard Baumgart, Vicco von Bülow und Peter Wapnewski. Der Hörverlag, München 2008. 2 CD, 105 Min., 19,95 Euro.
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Ohne Ironie: Thomas Manns Tagebücher
Das Publikum ist belustigt. Aber die Szene erschöpft sich nicht in der Pointe, wenn der Germanist Peter Wapnewski vorträgt, was der Dichter Thomas Mann am 19. Januar 1954 im Tagebuch niederschrieb: „Las in der Dissertation von Baumgart. Erstaunlich gescheit und gründlich wie so manche ihresgleichen. Man hat den Eindruck, dass diese Herren später nie wieder etwas so Gutes schreiben werden.” Reizend ist die Situation nicht nur, weil besagter Dr. Baumgart im Münchener Literaturhaus nur wenige Meter entfernt sitzt und neben Wapnewski und Vicco von Bülow alias Loriot einer der Rezitatoren dieser Tagebuch-Lesung des Jahres 2001 ist. Auch nicht allein deshalb, weil Reinhard Baumgart verantwortlich für die Konzeption des Vortrags überhaupt zeichnet.
Mit der Erwähnung seiner wissenschaftlichen Arbeit ist vielmehr die Voraussetzung für das Gelingen dieses Abends berührt, und das obwohl die Niederschrift von „Das Ironische und die Ironie in den Werken Thomas Manns” zu diesem Zeitpunkt fast fünfzig Jahre zurück liegt. Entscheidend nun ist, dass die Tagebücher darin gerade keine Rolle spielen.
Einen Großteil seiner persönlichen Aufzeichnungen hat der Dichter vernichtet, schon 1896 und dann noch zweimal 1944 und 1945 während des Exils. Was dem Müllverbrennungsofen des Gartens in Pacific Palisades entging, ließ Thomas Mann später in drei Pakete schnüren, versiegeln und mit der Aufschrift versehen: „Daily notes from 1933-1951, without literary value, but not to be opened by anybody before 20 years after my death”. Erhalten sind daneben die Notizen der letzten Jahre, und die Öffnung der Pakete brachte auch Hefte von 1918 und 1919 zum Vorschein. Dass die Tagebücher „without literary value”, ohne literarischen Wert sein sollen, mag bestreiten, wer will. Die Lektüre lohnt gewiss, obwohl der Erzähler fehlt.
In den einleitenden Worten zur Münchener Lesung führt Reinhard Baumgart, der 2003 gestorben ist, diese Beobachtung aus. Ganz anders als in den Romanen, Essays und Erzählungen wende Thomas Mann uns in seinen persönlichen Eintragungen den Rücken zu, er sei ganz bei sich, „er denkt nicht an uns, die Leser, die Zuhörer”. Die Texte spielten weder etwas vor noch seien sie auf Wirkung aus. Als wichtigstes Instrument der literarischen Darstellungskunst Thomas Manns hatte Baumgart einst in seiner Doktorarbeit die Ironie identifiziert, darunter vor allem das zweideutige Sprechen des Erzählers von einem kaum zuschreibbaren Standpunkt aus. Er schaltet sich immer wieder aktiv ein, rückt süffisant das soeben Erzählte in Distanz oder hält es in der Schwebe.
Des Lobes bedürftig
Die Tagebücher nennt Baumgart Thomas Manns „Unwerk”. Die wahre Entdeckung, als nach zwanzig Jahren die versiegelten Pakete geöffnet wurden, war also weniger die dokumentierte Leidenschaft für junge Männer oder die hypochondrischen Allüren, sondern dass ein Thomas Mann ohne Ironie zu Tage trat. Wer mag, darf ihn authentisch nennen. Der literaturwissenschaftliche Aufwand zahlt sich aus. Ohne ihn ist der Grad an Feinsinnigkeit, mit dem nun die Texte im Literaturhaus entgegen ihrer Bestimmung inszeniert und einem Publikum vorgespielt werden, nur schwer zu erreichen. Eben weil Ironie in erster Linie als literarisches Gestaltungsmittel und nicht so sehr als persönlicher Wesenszug eines enthobenen Charakters erkannt wird, mogelt sich hier kein falscher ironischer Ton in den Vortrag der drei Herren. Politische und literarische Aufzeichnungen sparen sie aus und zeigen Thomas Mann zunächst auf sich allein gestellt, in seiner Unbeholfenheit gegenüber alltäglichen Verrichtungen (er behält beim Ausgehen seine Hausschuhe an, schüttet sich Haarwasser über den Pyjama) und in den Überlegungen zu seiner dichterischen Größe. Dann in Gesellschaft, wo er sich auf Lesungen und bei öffentlichen Auftritten sehr des Lobes bedürftig erweist. Er gibt seine Liebe zu Jünglingen zu erkennen und schließlich seine ästhetische Begeisterung für Hunde. Zu den jeweiligen Themen liefert Reinhard Baumgart die passenden Eintragungen aus den Jahren 1918 und 1919, Vicco von Bülow nimmt sich der frühen Exilzeit an (1933-1935) und Peter Wapnewski der letzten Jahre (1953-1955).
Ein leichtes wäre es auch gewesen, den zweideutig-spöttischen Ton gegen den Dichter selbst zu richten, Thomas Mann vorzuführen, anstatt ihn vorzutragen. Der weisen Selbstbeschränkung ist es zu verdanken, dass die Vortragenden niemals Gefahr laufen, den Dichter der völligen Lächerlichkeit preiszugeben oder die Ehrlichkeit seiner Worte in kokettierender Manier zu denunzieren. Wenn sich das komische Potential der Unzulänglichkeit der dichterischen Existenz gegenüber dem Leben wie von selbst entfaltet, dann gesellt sich dazu immer Mitgefühl. Baumgart, von Bülow und Wapnewski schwingen sich eben nicht zu ironisierenden Ersatz-Erzählern auf, sondern nehmen deren Schreiber immer ernst. Auch dort, wo er belustigt. CHRISTOPH SCHMAUS
THOMAS MANN: Ich habe mich nie für groß gehalten. Die Tagebücher von 1918 bis 1955. Gelesen von Reinhard Baumgart, Vicco von Bülow und Peter Wapnewski. Der Hörverlag, München 2008. 2 CD, 105 Min., 19,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Christoph Schmaus lobt diese Einlesung von Tagebuchtexten Thomas Manns von 1918 bis 1955 durch Reinhard Baumgart, Vicco von Bülow und Peter Wapnewski in höchsten Tönen. Weil sich der Dichter im Gegensatz zu seinem Werk, wo Ironie als literarisches Instrument eingesetzt ist, in seinen Tagebüchern so gänzlich ironiefrei zeigt und offen seine lebenspraktischen Unzulänglichkeiten, seine hypochondrische Ader und seine Überlegungen zur eigenen Größe festhält, wäre es für die Vorlesenden leicht gewesen, Mann durch einen "zweideutig-spöttischen Ton" lächerlich zu machen und vorzuführen, so der Rezensent. Stattdessen paare sich hier ein gewisses Amüsement angesichts der Widrigkeit des Alltags stets mit Empathie, die Vortragenden machten sich nicht zu "ironisierenden Ersatz-Erzählern", lobt Schmaus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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