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Helmut Salzingers ästhetische und gesellschaftspolitische Positionen sind bis zur Mitte der siebziger Jahre in einem steten Fluss. Vom wohlwollenden Beobachter und Interpreten der sich profilierenden Pop- und Protestkultur in den sechziger Jahren entwickelt er sich zum engagierten Fürsprecher der 'Yippies' - jener unorthodoxen hedonistischen Linken, die kulturrevolutionäre Programmatik mit einer 'psychedelischen Lebensweise' verschmolzen wissen wollte -, um schließlich ganz aus dem Kulturbetrieb auszusteigen und sich aufs Land zurückzuziehen. Auch bei ihm verwandelte sich die…mehr

Produktbeschreibung
Helmut Salzingers ästhetische und gesellschaftspolitische Positionen sind bis zur Mitte der siebziger Jahre in einem steten Fluss. Vom wohlwollenden Beobachter und Interpreten der sich profilierenden Pop- und Protestkultur in den sechziger Jahren entwickelt er sich zum engagierten Fürsprecher der 'Yippies' - jener unorthodoxen hedonistischen Linken, die kulturrevolutionäre Programmatik mit einer 'psychedelischen Lebensweise' verschmolzen wissen wollte -, um schließlich ganz aus dem Kulturbetrieb auszusteigen und sich aufs Land zurückzuziehen. Auch bei ihm verwandelte sich die kulturrevolutionäre Euphorie allmählich in Desillusionierung. Salzinger war in diesem Punkt ein gar nicht untypischer Repräsentant seiner Zeit, allerdings wusste er seinen Sinneswandel so scharfsinnig wie kaum ein anderer Vertreter der Eskapisten-Fraktion theoretisch zu unterfüttern. Nicht zuletzt infolge der Rezeption von Carlos Castanedas esoterisch-mythopoetischen Schriften schmolz er die pro-revolutionäre Gesellschafts- in melancholisch-defätistische Zivilisationskritik mit radikalökologischem Einschlag um. Diese chronologisch geordnete Sammlung von pop- und kulturkritischen Essays und Kritiken, für deren Auswahl der Herausgeber Frank Schäfer den Nachlass gesichtet hat und die hier folglich teilweise zum ersten Mal in Buchform, teilweise überhaupt erstmals gedruckt vorliegen, lässt sich zum einen als politisch-poetologische Biografie Helmut Salzingers, zum anderen aber auch als materialreiche, meinungsfreudige (Sub-)Kulturgeschichte der sechziger und siebziger Jahre lesen.
Autorenporträt
Helmut Salzinger, 1935 geboren, 1993 gestorben, zum Dr. phil. promoviert mit einer Arbeit über 'Eugen Gottlob Winklers künstlerische Entwicklung', verdingte er sich ab Mitte der sechziger Jahre als Literaturkritiker u.a. für die Zeit und avancierte mit seinen Collage-Essays Rock Power (1972) und Swinging Benjamin (1973), vor allem aber mit seiner 'Jonas Überohr'-Kolumne im Musikmagazin Sounds zum angesehensten und einflussreichsten Popkritiker der siebziger Jahre.Frank Schäfer, 1966 geboren, Dr. phil, lebt als Schriftsteller in Braunschweig. Er schreibt u.a. im Rolling Stone, in der taz, Neuen Zürcher Zeitung, Titanic und jungen Welt über manches, meistens aber über Literatur und Popkultur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2010

Popformat

Der Rock 'n' Roll lieferte den Revolten und Umbrüchen der sechziger und siebziger Jahre den Soundtrack, war Ausdruck eines Lebensgefühls, das seine Attribute in Sex, Drogen und langen Haaren fand. Einem aufgeschreckten Bürgertum galt der Rock freilich als zu vernachlässigender "Konsumschund". Helmut Salzinger (1935 bis 1993), ein promovierter Germanist, war der erste Kulturkritiker von Format, der die Impulse dieser Musik ernst nahm. Beeinflusst von Walter Benjamin, über den er mit "Swinging Benjamin" ein anregend-provozierendes Buch schrieb, suchte Salzinger im Rock 'n' Roll nach revolutionärer Sprengkraft, wies zugleich aber darauf hin, dass auch diese Musik der kulturindustriellen Verwertung unterworfen war und zu einem florierenden Geschäft wurde. Ebenso meinungsstark wie theoretisch fundiert schrieb er auch über Literatur, die vom Pop inspiriert wurde (Hubert Fichte, Tom Wolfe, Rolf Dieter Brinkmann und andere), und ging der Frage nach, ob und wie "die Politik der Neuen Linken mit einer psychedelischen Lebensweise" zu verbinden sei. Er publizierte anfangs vor allem in der "Zeit", der seine Radikalität jedoch 1970 zu weit ging, als er für Raubkopien eintrat. Im verdienstvollen Sammelband "Best of Jonas Überohr" legt das Nachwort des Herausgebers Frank Schäfer anhand von Korrespondenzen den zeittypischen Konflikt offen. Unter dem Pseudonym Jonas Überohr fand Salzinger schließlich in der legendären Musikzeitschrift "Sounds" eine vielbeachtete Plattform für seine Kritiken und Kolumnen. (Helmut Salzinger: "Best of Jonas Überohr". Popkritik 1966-1982. Hrsg. von Frank Schäfer. Filo Fine Arts, Hamburg 2010. 367 S., geb., 16,- [Euro].)

kmod

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Julian Weber blickt mit Interesse auf die von Frank Schäfer gelungen aufbereitete Wiederveröffentlichung popjournalistischer Texte des Autors Helmut Salzinger - auch wenn sie nur teilweise gut gealtert sind. Immerhin bieten sie Weber einen wertvollen Einblick in die anfangs zähe Entwicklung deutscher Popkritik, die nicht nur von den bürgerlichen Kulturvorstellungen, sondern auch von dem Umstand ausgebremst wurde, dass die deutsche Linke der Hippiekultur - stärker als in anderen westlichen Ländern - mit großer Skepsis begegnete und es für "unorthodoxe Positionen" wenig Raum gab. Salzinger, der auch unter dem Pseudonym Jonas Überohr schrieb, stand mit seiner Aufgeschlossenheit nach Webers Darstellung im deutschen Feuilletonbetrieb ziemlich alleine da, obwohl er nicht einmal so offen mit den wechselnden Moden umging wie "popaffizierte englische Autoren". So wurde seine Arbeit ein "langsames, teilweise auch qualvolles Scheitern". Den Vorwurf des Provinzialismus, wie ihn kürzlich Diedrich Diederichsen formuliert hat, möchte Weber dem Autor allerdings nicht machen. Dass die Bundesrepublik "Popentwicklungsland" war, war schließlich nicht Salzingers Schuld.

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