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Ein Roman, der die wichtigste aller Fragen stellt: »Wie ist es gekommen, dass wir so alleine sind?«_Überflüssige Menschen ist ein ebenso politischer wie philosophischer Roman. Und gleichzeitig ein kunstvoll komponiertes und kontrastreiches Stück Sprachmusik, lyrisch und böse, verspielt und rau._In einem ungewöhnlichen Sound berichtet dieser Roman von den privaten und politischen Hoffnungen eines ganzen Jahrhunderts. Erzählerin ist Natalie, eine aus dem Schwäbischen stammende Berliner Russisch-Übersetzerin, die mit der Neuübertragung von Tschechows Drama Drei Schwestern beauftragt ist. Es geht…mehr

Produktbeschreibung
Ein Roman, der die wichtigste aller Fragen stellt: »Wie ist es gekommen, dass wir so alleine sind?«_Überflüssige Menschen ist ein ebenso politischer wie philosophischer Roman. Und gleichzeitig ein kunstvoll komponiertes und kontrastreiches Stück Sprachmusik, lyrisch und böse, verspielt und rau._In einem ungewöhnlichen Sound berichtet dieser Roman von den privaten und politischen Hoffnungen eines ganzen Jahrhunderts. Erzählerin ist Natalie, eine aus dem Schwäbischen stammende Berliner Russisch-Übersetzerin, die mit der Neuübertragung von Tschechows Drama Drei Schwestern beauftragt ist. Es geht um verlorene Traditionen und um korrumpierte Utopien. Um Erinnerungen an Vorfahren, zu denen die Verbindungen abgerissen sind. Um die vermeintliche Errettung so vieler Kleinbürgerkinder durch Bildung in den 1970er Jahren. Um sozialen Aufstieg. Und schließlich um die Verlorenheit einer ganzen Generation, deren Zeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts schon wieder vorüber ist: Überflüssige Menschen - wie die Lost Generation bei Tschechow.

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Autorenporträt
Gabriele Riedle ist 1958 in Stuttgart geboren und lebt in Berlin. Sie veröffentlichte vielfach ausgezeichnete Reportagen von allen Kontinenten, vor allem aus Krisen- und Konfliktgebieten zwischen Afghanistan und Libyen, Darfur und Tschetschenien. 1986 und 2001 war sie unter anderem Kulturredakteurin bei der taz und bei der Woche, 2001 bis 2016 Redakteurin und Reporterin bei GEO. 2017 gewann sie den Bayrischen Fernsehpreis und den Juliane-Barthel-Medienpreis für die Dokumentation Die heimliche Revolution. Frauen in Saudi-Arabien. 2018 war sie Gastprofessorin an der University of Virginia in Charlottesville, USA, und lehrte zur Geschichte der Kriegsberichterstattung. 1998 erschien Fluss, ein Roman, der gemeinsam mit Viktor Jerofejew entstand. Über ihren Roman Versuch über das wüste Leben (2004, AB-Band 238) schrieb Hans Magnus Enzensberger: »Riedles Prosa ist mit allen Wassern der Reflexion gewaschen und voller übermütiger Kapriolen, ihr Tempo ist furios und ihre Ambition vermessen.

« Ihr Roman Überflüssige Menschen (2012, AB-Band 327) machte »mit rhetorischer Verve und nicht ohne Selbstironie einem westdeutschen Bildungsroman den Prozess« (Der Spiegel).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gabriele Riedles neues Buch "Überflüssige Menschen" hat Rezensent Christian Metz nicht überzeugt. Er liest hier die Geschichte der fünfundfünfzigjährigen Nathalie, die als "Wiedergängerin des heiligen Hieronymus" versunken an ihrem Schreibtisch sitzt und verzweifelt versucht, Tschechows Drama "Drei Schwestern" ins Deutsche zu übersetzen. Der Kritiker folgt der Protagonistin, die sich nach ersten Übersetzungsproblemen immer weiter in Selbstreflexionen und Erinnerungen an die schwäbische Kindheit und Jugend verliert und dabei zunehmend der Melancholie verfällt. Leider muss Metz bald feststellen, dass der handlungslose Roman, der sich in der deutschen Tradition des melancholischen Erzählens wähnt, durch den allzu gewollten Tiefsinnsanspruch der Autorin zu einer "Suada voller Klischees" über den Nachkriegsmuff der Eltern, eine Jugendliebe in den fünfziger Jahren und ein bisschen Koketterie mit der RAF verkommt. Auch Riedles manieristischer Sprache kann der enttäuschte Kritiker nicht viel abgewinnen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2012

Wenn dann das Haar im Wind weht

Von der sakralen zur säkularen Welt: Gabriele Riedle stellt in ihrem Roman "Überflüssige Menschen" die weibliche Gegenfigur zum heiligen Hieronymus dar.

Da sitzt sie, zurückgezogen an ihrem Schreibtisch, in ihre Arbeit versunken. Natalie, fünfundfünfzig Jahre alt, ist eine Wiedergängerin des heiligen Hieronymus im Gehäuse, wie wir ihn von Dürers Meisterstich kennen. Der Vergleich zwischen Vorbild und Nachfolger macht anschaulich, worum es Gabriele Riedle in ihrem Roman "Überflüssige Menschen" geht: Natalie stellt die weibliche Gegenfigur zum Kirchenheiligen dar; sie figuriert quasi als Hieronyma. Zudem verkörpert sie den Übergang von einer sakralen zu einer säkularen Welt. Sie trägt Christi Geburt zwar noch im Namen, anders als Hieronymus aber übersetzt sie nicht mehr die Bibel, sondern Tschechows Drama "Drei Schwestern", dem jetzt offenbar der Rang des Buchs der Bücher zukommt. Den Auftrag dazu hat sie vom Theater Ulm erhalten. Dorthin ist nach zehn New Yorker Jahren ihr Jugendfreund, der Webermichel, zurückgekehrt. Der Intendant wünscht sich eine "neue und vor allem frische" Tschechow-Version, um mit ihr die schwäbische Provinz aufzumöbeln.

Doch die Übersetzung will nicht glücken. Nach drei Monaten hat Natalie nur vereinzelte Notizen zustande gebracht. Im Dialog mit Tschechows "Schwestern", im Ferngespräch mit ihrer schwäbischen Kindheit und Jugend erscheinen Natalie Arbeit und Leben als einziges, unlösbares Übersetzungsproblem. Müsste sie nicht erst den gesamten Sinn von Tschechows Stück erfassen, bevor sie den Schwestern passende Worte in den Mund legt? Müsste sie nicht den Sinn des eigenen Lebens erkennen, um jetzt, hier am Berliner Schreibtisch, eine eigene Sprache zu finden? Wie sollte die aussehen, wenn die eigene Existenz nichts anderes ist als eine schlechte Übersetzung eines vorgegebenen Textes, den die Eltern schon geschrieben haben, bevor man ihn selbst verfassen konnte?

Wie viel Eigenes fügt man dem Leben hinzu, wenn man wie Natalie an einer Erbkrankheit leidet, die das eigene Augenlicht bedroht, und man zudem denselben Namen trägt wie alle Frauen über Generationen ihrer Familie hinweg? Indem Natalie sich in Erinnerungen, Gedanken und Reflexionen dieser Art verliert, vollzieht Riedles Roman, was bereits in Dürers "Hieronymus" angelegt ist: Die Vita contemplativa kippt in Melancholie. Die sprachmächtige Übersetzerin wandelt sich zur melancholischen Erzählerin. Da sitzt sie, die Melancholikerin, über den handlungslosen Roman und die Sommermonate hinweg - solo in Berlin, lost in translation.

Das melancholische Erzählen gehört zu den festen Größen der deutschsprachigen Literatur. Die Romantik verhalf ihm um 1800 zur Blüte. So unterschiedliche Autoren wie Walter Kappacher, Martin Mosebach, Arno Geiger, Peter Licht oder Thomas Glavinic haben jüngst Spielarten dieses Erzählens erprobt. Riedles Roman selbst also steht vor dem Übersetzungsproblem seiner Figur: Lässt sich die melancholische Erzählweise so übertragen, dass man ihr etwas Eigenes, Aussagekräftiges abgewinnt? Eine Möglichkeit könnte darin liegen, dass Riedle diese Schreibsituation klarsichtig reflektiert. Das Potential dazu legt bereits der Romantitel "Überflüssige Menschen" an, der seinerseits eine Übersetzung von einer Tschechowschen Novelle ist.

Eigen könnte zudem die weibliche Erzählperspektive sein, aus der das Bild der Generation der fünfziger Jahre entworfen wird. Aber leider löst sich keines der Versprechen ein. Vor lauter Tiefsinn gehen Autorin wie Protagonistin der Scharfsinn verloren. Ihr Rückblick verkommt zur Suada voller Klischees. Ein bisschen Fünfziger und Nachkriegsmuff der Eltern, ein Hauch von Jugendliebe, Koketterie mit der RAF, Beschleunigung und Globalisierung des Lebens. Größer, schneller, weiter, West-Berlin.

Wenn es das tatsächlich schon war, was diese Generation zusammenhält, dann muss das nicht noch einmal erzählt werden. Dann zeichnet sich diese Generation vielleicht weniger durch das Erlebte als vielmehr durch den eigenen "Sound" aus, den sie sich zugelegt hat? Darauf lässt der Roman hoffen, wenn seine drei "Bücher" unter den Titeln "Der Anfang vom Lied", "Refrain" und "Das Ende vom Lied" firmieren. Doch trifft Riedles Sprache tatsächlich den Ton der Fünfziger, wenn sie im barocken Manierismus daherstelzt?

Girlandenartige Sätze und Kapitelüberschriften wie "Über Wörter und über Schellackplatten sowie darüber, was in der historischen Rückkopplungsschleife dann geschah" versetzen einen eher in die zweite Hälfte des siebzehnten als in die des zwanzigsten Jahrhunderts. Bleibt noch eine Hoffnung: Jede Generation hört ihre Musik, so auch diese: "Something there is about you that strikes a match in me. Is it the way your body moves or is it the way your hair blows free."

Aber Dylan war es dann doch nicht. Denn die Erzählerin sinnt stattdessen in ungehöriger Penetranz einem anderen Lied nach: "Auf de schwäbsche Eisabahna". Mit diesem Vers setzt der Roman ein, und er wird das "rulla, rulla, rullalah" bis zum letzten Eisenbahnvergleich am seinem Ende nicht mehr los. Das mag in den Trutzburgen des schwäbischen Berlin Nostalgie auslösen, für andere aber hat eine melancholische Erzählerin, die mit diesem Ohrwurm gestraft ist, etwas Bedrohliches. Statt uns der ambitioniert volkstümlichen Jammerläppichkeit hinzugeben, fragen wir daher mit dem Großmelancholiker Gisbert zu Knyphausen: "Was hast du der Menschheit jemals Gutes gebracht? Außer Musik und Kunst und billigen Gedichten? Hast du darüber schon mal nachgedacht. So klappt das nie, Melancholie, so klappt das nie."

CHRISTIAN METZ

Gabriele Riedle: "Überflüssige Menschen". Roman.

Die Andere Bibliothek, Berlin 2012. 239 S. geb., 32,- [Euro].

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