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Wie die DDR abgewickelt wurde - und wer daran verdiente
Dirk Laabs erzählt die Geschichte der Treuhand, jener »Superbehörde«, die ursprünglich angetreten war, das Volkseigentum der DDR vor dem Ausverkauf zu retten und am Ende verantwortlich war für drei Millionen Entlassungen. Es ist eine Geschichte, die im Schatten der Wiedervereinigung stattfand. Laabs eröffnet uns einen neuen Blick auf die Wendezeit, sein Buch ist Wirtschaftsthriller und Geschichtsbuch in einem.
Die Treuhand ist das zentrale Symbol für eine in Teilen misslungene Wiedervereinigung. »Größtes Schlachthaus Europas« rief
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Produktbeschreibung
Wie die DDR abgewickelt wurde - und wer daran verdiente

Dirk Laabs erzählt die Geschichte der Treuhand, jener »Superbehörde«, die ursprünglich angetreten war, das Volkseigentum der DDR vor dem Ausverkauf zu retten und am Ende verantwortlich war für drei Millionen Entlassungen. Es ist eine Geschichte, die im Schatten der Wiedervereinigung stattfand. Laabs eröffnet uns einen neuen Blick auf die Wendezeit, sein Buch ist Wirtschaftsthriller und Geschichtsbuch in einem.

Die Treuhand ist das zentrale Symbol für eine in Teilen misslungene Wiedervereinigung. »Größtes Schlachthaus Europas« rief man ihr 1994 nach ihrer eigenen Abwicklung hinterher. Niemals zuvor in der Geschichte hat es einen derart großen Konzern gegeben. Die Treuhand war für 10 000 Betriebe und vier Millionen Angestellte zuständig.

Im Osten herrschte 1989 Aufbruchseuphorie, im Westen Goldgräberstimmung. Wie das Rennen ausging, ist bekannt. Wie es dazu kam, schildert Dirk Laabs und bringt die wichtigsten Insider erstmals zum Reden. Er beschäftigt sich mit einem der spannendsten und gleichzeitig wenig beleuchteten Kapitel der jüngsten deutschen Zeitgeschichte und wird Diskussionen auslösen: War die Arbeit der Treuhand wirklich unumgänglich für die Vereinigung der beiden deutschen Staaten? Und war sie letztlich erfolgreich?
Autorenporträt
Dirk Laabs, geboren 1973 in Hamburg, ist Autor und Filme-macher. 2005 erschien von ihm »Tödliche Fehler ¿ Die Fehler der Geheimdienste vor dem 11. September 2001«. Sein Film »Die Fremden im Paradies ¿ Warum Gotteskrieger töten« wurde 2004 mit dem Dokumentarfilmpreis des BR ausgezeichnet. Bei Pantheon ist von ihm erschienen »Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand« (2012), das mit dem Opus-Primum-Preis für die beste wissenschaftliche Nachwuchspublikation des Jahres 2012 ausgezeichnet wurde. Zuletzt ist von Dirk Laabs 2014 das mit Stefan Aust gemeinsam verfasste Werk »Heimat-schutz. Der Staat und die Mordserie des NSU« erschienen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2012

Schlachthaus des Westens?
Ein Buch - noch keine Geschichte der Treuhandanstalt

Als die Treuhandanstalt am 1. Juli 1990 zur Eigentümerin von 7894 "Volkseigenen Betrieben" mit vier Millionen Beschäftigten wurde, begann eine der größten Privatisierungsaktionen der Wirtschaftsgeschichte. Für die Transformation einer Planwirtschaft in das System einer Marktwirtschaft gab es kein historisches Vorbild und keinerlei Erfahrungswerte, kein verlässliches Wissen über die ostdeutsche Wirtschaft im Westen und kaum konzeptionelle Vorlaufzeit.

Rasch entfernten sich tatsächliche Erfahrungen von ursprünglichen Erwartungen, und die Treuhandanstalt fand sich mitten im Absturz und im Deindustrialisierungsschock der ostdeutschen Wirtschaft wieder. Bis zu ihrer Auflösung zum 31. Dezember 1994 hatte sie 30,6 Prozent der Betriebe stillgelegt, 53,8 Prozent privatisiert, 13,1 Prozent an Alteigentümer zurückgegeben und 2,6 Prozent in kommunale Trägerschaft überführt. Die meisten privatisierten Betriebe gingen in westdeutschen Besitz über, wo sie in bestehende Unternehmen eingepasst und weitgehend zu ,verlängerten Werkbänken', zu Filialbetrieben ohne eigene Abteilungen für Forschung und Entwicklung umgestaltet wurden. War ursprünglich erhofft worden, dass die Treuhand aus den Privatisierungen zirka 600 Milliarden DM erlösen würde, so schloss sie mit einem Defizit von 230 Milliarden DM ab - zwischen erwartetem Erlös und tatsächlichem Ertrag lag also eine Differenz von sage und schreibe 830 Milliarden DM.

Vor diesem Hintergrund wurde die Treuhandanstalt mit ebenso grundlegender wie unterschiedlicher Kritik belegt: Während das Verdikt des "Ausverkaufs" der Treuhand zu viel Vertrauen in den Markt vorwarf, argumentierten marktorientierte Ökonomen, staatliche Strukturpolitik hätte nur neue Subventionsempfänger zum Schaden der Steuerzahler hervorgebracht. Vor allem wurde die Treuhand zur Projektionsfläche tiefsitzender Enttäuschungen über die Folgen der Einheit, weil die "blühenden Landschaften" nicht ohne Einschnitte und Verwerfungen entstanden, auch in den Lebensläufen der Ostdeutschen. Ein Eigentumstransfer von diesen Dimensionen wurde sowohl Gegenstand von vielfältigen Begehrlichkeiten und unlauteren Machenschaften als auch von Argwohn und Verschwörungstheorien. Was aber war die Regel, was die Ausnahme? War die Treuhand nur Gegenstand von Ressentiments? Oder stand mehr hinter der Institution und ihrer Politik: eine systematische westdeutsche Entwertung der DDR, die westliche Liquidierung potentieller Konkurrenz, flächendeckende Manipulation und Kriminalität?

Die Forschung urteilt in dieser Hinsicht zurückhaltender. Vielmehr hat Wolfgang Seibel (2005) sowohl die große Expertise innerhalb der Treuhandanstalt als auch ihre strategische Chancenlosigkeit gegenüber ihrer Aufgabe herausgestellt, so dass ihr nur die "verwaltende Zerstörung der wirtschaftlichen Illusionen von 1990" übrig geblieben sei. Und die Frage, warum die Treuhand so unglaublich viel weniger erlöste als erwartet, hat Karl-Heinz Paqué in seiner "Bilanz" der deutschen Einheit (2009) mit der Höhe der Altschulden, den 1990 verbreiteten Illusionen über die Qualität des Bestandes sowie falschen Erwartungen künftiger Marktbedingungen und dem enormen Zeitdruck beantwortet.

Zugleich ist die Forschung längst nicht am Ende, und systematische Untersuchungen stehen aus, erst recht eine "wahre Geschichte der Treuhand". Nicht weniger ist der Anspruch von Dirk Laabs, der dem Leser als "investigativer Journalist" gegenübertritt. Er wirft eine Abfolge von Schlaglichtern auf unterschiedliche Schauplätze. Überschrieben mit Einblendungen ("5. August 1990, Ost-Berlin"), wie wir sie aus Fernsehreportagen kennen (das Buch geht aus einer Fernsehdokumentation hervor), präsentiert er eindrückliche Einzelaspekte und personal stories aus jenem großen Transformationsprozess, die Repräsentativität für das Ganze suggerieren. Ob dem so ist, wird freilich ebenso wenig analysiert, wie die Frage nach tragfähigen Alternativen reflektiert wird.

Überhaupt hat sich der Autor mit der Forschung zum Thema kaum beschäftigt. Auch Quellen werden nicht systematisch ausgewiesen, sondern sind aus den Anmerkungen im Einzelnen zu erschließen. Es handelt sich in erster Linie um zeitgenössische Zeitungs- und Zeitschriftenartikel und Memoiren: Die angeblich über 200 Interviews mit fast 100 Beteiligten werden im Buch nur sehr vereinzelt referiert; dass "die wichtigsten Insider erstmals zum Reden" gebracht worden wären, kann man jedenfalls nicht wirklich behaupten. Und wenn Laabs auf Gerichtsurteile über Vereinigungskriminalität (etwa in Sachen Michael Rottmann und der Wärmeanlagenbau Berlin) zurückgreift, dann handelt es sich um juristisch bereits Verfolgtes, nicht um investigative Neuigkeiten.

Dies gilt auch für den Bau der Raffinerie in Leuna, bei der es nicht um Bestechungen von französischer, sondern um immense Subventionen von deutscher Seite ging. Der seinerzeitige sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) bemerkte dazu im Interview: "Ich glaube zwar, man hätte gewissenhafter sein können, aber wenn ich jetzt die Wahl hätte, ob man noch 500 Millionen draufgelegt hätte oder nicht . . . , dann würde ich sagen: Es war besser, auch wenn wir damals erpresst worden sind, das Ding dann wirklich zu bauen, als dass wir hier sehr viel langfristigere Schäden hätten verkraften müssen, wenn die Raffinerie nicht gebaut worden wäre." Gerade dies belegt jedoch die (abermals nicht näher diskutierte) Forschungsposition, dass sich das Aktionsfeld der Treuhand vom Anbieter- zum Käufermarkt wandelte, auf dem der Treuhand die (niedrigen) Preise diktiert werden konnten. Dass dabei privatwirtschaftliche Unternehmen und einzelne Personen mehr und weniger rücksichtslos auf die Maximierung des eigenen Vorteils setzten, ist freilich etwas anderes als ein systematischer Ausverkauf der ehemaligen DDR durch das "Schlachthaus" Treuhand, wie Laabs insinuiert, wobei er mehr mit Suggestionen als mit klar formulierten Thesen arbeitet.

Wenn er immer wieder darauf hinauskommt, der Westen habe den Osten überrollt und die Ostdeutschen verletzt, dann ist durchaus etwas daran, gerade hinsichtlich der kulturellen Seite und einer westdeutschen Haltung, die deutsche Einheit zu westlichen Maximalbedingungen zu gestalten. Zugleich lässt Laabs völlig außer Acht, dass die Transformation einer bankrottierten Planwirtschaft, die den westlichen Strukturwandel seit den sechziger Jahren völlig versäumt hatte, in eine Marktwirtschaft in allen postkommunistischen Staaten erhebliche Verwerfungen und Anpassungsleistungen forderte. Und sie lässt ebenso außer Acht, dass der massive Eigentumstransfer von Ost nach West zugleich Teil einer Entwicklung war, mit der die ehemalige DDR ungleich höhere Wohlstandszuwächse erlebte als alle anderen postkommunistischen Gesellschaften.

Dies mag man unterschiedlich gewichten, aber wichtig ist doch, die ambivalenten Elemente überhaupt zu wägen, statt zu allzu einfachen Pauschalaussagen wie dieser zu kommen: "Eine Stunde null gibt es nicht. Die alte Macht wird von neuen Mächten abgelöst." Wie es tragfähig anders hätte sein können, lässt der Autor im Ungewissen. Die Sehnsucht nach der tabula rasa ist freilich, wie wenige Blicke in die Geschichte zeigen, wahlweise unhistorisch oder gefährlich. Das Buch kommt zu dem Schluss, es sei an der Zeit, das Urteil über die Treuhand "durch Fakten zu belegen": "Die Akten müssen von Wissenschaftlern systematisch aufgearbeitet werden, eben weil das Thema so polarisiert." Das ist durchaus richtig - jedenfalls bleibt "die wahre Geschichte der Treuhand" und der Transformation nach 1990 noch zu schreiben.

ANDREAS RÖDDER

Dirk Laabs: Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand. Pantheon Verlag, München 2012. 384 S., 16,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rudolf Hickel sagt es klar und deutlich wie der Autor auch: Die Erfolgsgeschichte von der ökonomischen Wiedervereinigung Deutschlands ist Geschichtsklitterung. Das Buch des investigativen Journalisten Dirk Laabs zeigt es dem Rezensenten en detail, spät, aber nicht zu spät, wie Hickel meint. Laabs erläutert ihm, wie die Treuhandanstalt das DDR-Volksvermögen zugunsten westdeutscher Konzerne demontiert und die Fakten umgebogen hat. Spannend wie ein Krimi findet Hickel Laabs auf Zeitzeugen-Interviews basierende Analyse der Abwicklung Volkseigener Betriebe. Die systemischen Bedingungen dafür (politische und ökonomische Machtdominanz des Westens) erklärt ihm der Autor anhand der handelnden Personen. Vermisst hat Hickel im Buch die Erwähnung der wenigen gelungenen Sanierungsbeispiele, die, so weiß der Rezensent, allerdings nur gegen den Widerstand der Treuhand durchgesetzt werden konnten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.06.2012

Halb Kaufhaus, halb Schlachthaus
Die Treuhandanstalt sollte das Volksvermögen der DDR privatisieren – Dirk Laabs hält ihr Wirken für verheerend
Mit wachsendem zeitlichen Abstand zur deutschen Einigung droht die Siegesmeldung von der erfolgreichen Auferstehung des Marktsystems aus den Produktionsruinen DDR sich zu verfestigen. Einige von der Bundesregierung beauftragte wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute haben unlängst zu belegen versucht, der Import der real existierenden Produktionsverhältnisse auf der Basis der D-Mark in die neuen Bundesländer sei nun erfolgreich abgeschlossen. Diese Bilanz ist geschönt. Bis heute wirkt sich die extrem schnelle Demontage des DDR-Volksvermögens belastend aus. Eine entscheidende Ursache dafür war das Wirken der Treuhandanstalt (THA).
Die THA hat unter dem Einfluss westdeutscher und ausländischer Unternehmen die Richtung vorgegeben. Der investigative Journalist und Filmemacher Dirk Laabs hat nun „Die wahre Geschichte der Treuhand“ geschrieben. Seine Analyse basiert auf 200 Interviews mit nahezu 100 Zeugen der Zeit. Die Enttarnung der größten Korruptionsskandale bei der Abwicklung wichtiger Volkseigener Betriebe liest sich wie ein Krimi. Die nachgelieferte Rechtfertigung der vielen Fehlentscheidungen, sie seien Folge menschlichen Fehlverhaltens, lenkt von der systematisch betriebenen Politik vor allem zugunsten der westdeutschen Konzerne ab. Es war dieses System von Staat und Kapital, das die in Laabs’ Buch vorgeführten Beispiele von Versagen und Korruption erzeugt hat.
Die Treuhandanstalt, die „größte Industrieholding der Welt“ – wie der 1991 ermordete THA-Präsident Detlev Karsten Rohwedder sie spöttelnd nannte –, sollte das in „Volkseigenen Betrieben“ konzentrierte Produktivvermögen an der Messlatte westdeutscher Konkurrenz auf Marktfähigkeit testen. Rohwedders Nachfolgerin, Birgit Breuel, die vor der Übernahme der Präsidentschaft in Pamphleten für die neoliberale Erneuerung in Westdeutschland missionierte, hat der Privatisierung des volkseigenen Vermögens Vorfahrt eingeräumt: Privatisieren auf Teufel komm raus, dann sehr zurückhaltend sanieren (vor allem durch Subventionierung der neuen Kapitaleigner) und am Ende stilllegen der Betriebe – auch um etwaige unliebsame Konkurrenzunternehmen auszuschalten.
Nach dem Ende der offiziellen Treuhandanstalt und der Übergabe von Restaufgaben auf Nachfolgeinstitutionen produzierte Birgit Breuel 1994 die Lesart über die THA für die Geschichtsbücher: „Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass hier in viereinhalb Jahren eine ganze Wirtschaft transformiert worden ist und sich heute in weiten Teilen im Wettbewerb behauptet, ist in einer unglaublich kurzen Zeit hier Marktwirtschaft eingeführt worden.“ Diese Rechtfertigung gehört in das Fach plumper Geschichtsklitterung. Vielmehr blieb unter dem massiven Druck der international gehärteten Konkurrenz vor allem aus Westdeutschland keine Zeit zu einer Anpassung der Produktionsverhältnisse.
Eine Gruppe um den ostdeutschen Ingenieur Matthias Arzt, den Physiker Gerd Gebhardt sowie den Theologen und Politiker von Bündnis 90, Wolfgang Ullmann, hatte in einem Manifest eine „Treuhandanstalt (Holding) zur Wahrung der Anteile der Bürger mit DDR-Bürgschaft am Volkseigentum der DDR“ vorgeschlagen. Bereits im Beschluss der Volkskammer vom 17. Juni 1990 war vom Volkseigentum an Kapitalgesellschaften aber nicht mehr die Rede.
Durch den DM-Import zum 1. Juli 1990 sind über Nacht jegliche Schutzzonen vor der Übermacht der international gestählten Unternehmen Westdeutschlands entfallen. Ob dieser „monetäre Urknall“ durch den DM-Import vermeidbar war, bleibt umstritten. Schließlich waren die Rufe der DDR- Bevölkerung auf Massendemonstrationen „Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr“ unüberhörbar. Klar war aber, dass es zu einem sozio-ökonomischen Absturz kommen musste. Deshalb hätten neben einer aktiven Finanz- und Wirtschaftsstrukturpolitik Schutzzonen zur Transformation der VEB-Wirtschaft aufgebaut und gesichert werden müssen.
Die THA hätte hier die Führungsrolle übernehmen müssen: „Kauf von Zeit“ (Wolfgang Thierse) mit finanziellen Mitteln zur Sanierung wäre erforderlich gewesen. Genau das Gegenteil wurde durchgesetzt. Die staatskapitalistische Mega-Industrieholding THA profilierte sich als eine Mischung aus, wie es der damalige IG-Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler formulierte, „Verkaufsagentur und Schlachthaus“. Um das schmutzige Geschäft zu entpolitisieren, wollte Kohls Bundesregierung die Arbeitsteilung: Die „bundesmittelbare Anstalt“ sollte weit weg von der Gestaltung und Kontrolle durch die Politik als „Stilllegungsagentur“ schalten und walten.
Unter der ordnungspolitischen Parole, von Anfang an den real existierenden Kapitalismus Westdeutschlands zu implantieren, übernahmen – von wenigen markanten Persönlichkeiten aus Ostdeutschland abgesehen – westdeutsche Wirtschafts- und Politikvertreter die Geschäfte. Rohwedder sprach schon mal von den „Kolonialherren aus dem Westen“.
Hinzu kam eine Heerschar von Wirtschaftsprüfgesellschaften und dubiosen Beratern, die sich mit Phantasiehonoraren ihre Einsätze entlohnen ließen. Gesichert wurde die Übernahme der Bewertungsregeln hochentwickelter kapitalistischer Unternehmen, die auf die DDR-Unternehmen nicht übertragbar waren. Weil der Privatwirtschaft der Vorzug gegeben wurde und mangels Kontrolle konnten sich in der THA Inkompetenz, Gier und Verantwortungslosigkeit austoben. Die Strategie des schnellen Verkaufs von Unternehmensteilen zusammen mit der Möglichkeit, Sanierungshilfen abzustauben, löste einen „Goldrausch“ auf Kosten der Steuerzahler aus.
Dirk Laabs konzentriert sich in seinem lesenswerten Buch auf die handelnden Personen. Anhand ihrer macht er die systemischen Bedingungen klar: politische und ökonomische Machtdominanz Westdeutschlands, imperiales Verhalten westdeutscher Unternehmensbosse, Bonisysteme für die Geschäfte der Privatisierung und eingeworbene Finanzhilfen, mangelnde Qualifikationsvoraussetzungen des handelnden Personals, Lobbygruppen, völlig unzureichendes Risikomanagement und Kontrolle.
Im „Goldrausch“ kam es zu vielen Fällen von „Vereinigungskriminalität“. Einige Beispiele: der Verkauf der VEB-Wärmeanlagenbau in Berlin, der zu Verhaftungen einiger Täter führte; der mit Schmiergeldern und Politikereinfluss vollzogene Poker um die am Ende von Elf Aquitaine übernommenen Leunawerke; die beim Verkauf der Döbelner Beschläge- und Metallwerke geflossenen Bestechungsgelder; die durch den westdeutschen Marktführer Schott verhinderte Fortführung der Glasring AG in Ilmenau sowie die Übernahme der VEB Holzhandel durch einen dubiosen Wiener Unternehmer.
Spannend sind auch Laabs’ Hinweise auf die Übernahme der Zweigstellen der DDR-Staatsbank durch die Deutsche Kreditbank AG, einer hundertprozentigen Tochter der Deutschen Bank, sowie die hochsubventionierte Rettung von VEB Carl Zeiss Jena durch Lothar Späth, die mit einer Spaltung in zwei Unternehmen und einem massiven Arbeitsplatzabbau erkauft wurde.
Die – allerdings wenigen – Beispiele gelungener und seriöser Sanierungen werden in diesem Buch nicht angesprochen. So war zum Beispiel der Autor dieser Buchbesprechung an der Rettung der Sächsischen Edelstahlwerke in Freital beteiligt. Mit dürftigen Gutachten aus der Roland-Berger-Umgebung hatte die THA 1992 mehrmals das Aus beschlossen. Nach massiven Protesten der Belegschaft und unter Mithilfe der IG Metall und des damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) konnte das Unternehmen gegen den Willen der THA gerettet werden. Der westdeutsche Unternehmer Rüdiger Winterhagen aus Siegen hat den Standort in Freital übernommen und erfolgreich saniert.
Die wenigen positiven Beispiele waren nur gegen den erbitterten Widerstand der THA-Machtzentrale durchzusetzen. Auch deshalb lässt sich das Urteil von Dirk Laabs verallgemeinern: Durch die Führungsrolle für die schnelle Entfesselung der Märkte sowie das Geschäftsmodell, der Privatisierung Vorrang zu geben, wurde der „Preis der Einheit“ zulasten der zusätzlichen Arbeitslosen und bei hohen fiskalischen Kosten massiv nach oben getrieben. Wie Laabs zu Recht schlussfolgert: Der Privatisierung der Erlöse steht am Ende die Sozialisierung der Verluste gegenüber.
In der Schlussbilanz 1994 ist die Anzahl der Beschäftigten in Betrieben unter den Fittichen der THA von 4,1 auf 1,24 Millionen Mitarbeiter gesunken. Erlöse aus Privatisierungen in Höhe von 76 Milliarden stehen Kosten von 332 Milliarden gegenüber, die auch die Schmiergelder enthalten. Die erzeugten Schulden von mehr als 250 Milliarden wurden von 1995 an in den „Erblastentilgungsfonds“ übernommen. Das Etikett für den Fonds suggeriert, es handele sich nur um eine von der DDR erzeugte Erblast. Die Erblasten, die maßgeblich die Treuhandanstalt als westdeutsche Industrieholding erzeugt hat, werden verschwiegen.
Das Buch von Dirk Laabs kommt spät, aber nicht zu spät. Die ökonomische Einigung Deutschlands wurde zur Erfolgsstory hochstilisiert. Laabs’ Buch zeigt, was davon zu halten ist: Das ist Geschichtsklitterung.
RUDOLF HICKEL
DIRK LAABS: Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand. Pantheon Verlag, München 2012. 384 Seiten, 16, 99 Euro.
Rudolf Hickel lehrt Wirtschaftswissenschaft an der Universität Bremen.
Der Treuhand-Chef Detlev
Karsten Rohwedder sprach von den
„Kolonialherren aus dem Westen“.
Kurt Biedenkopf half, gegen
den Willen der Treuhand ein
Stahlwerk erfolgreich zu sanieren.
Die Treuhandanstalt hat bei der Privatisierung des DDR-Vermögens Milliarden in den Sand gesetzt. Das lag aber nicht bloß an der Passivität oder der Unfähigkeit der Zuständigen. Zeichnung: Haderer
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»Laabs Buch ist minutiös recherchiert und spannender als ein Krimi, denn die Wirklichkeit ist immer viel schlimmer.« stern, 09.02.2012
»Das fesselnde Buch, das detailreich - ja fast minutiös - die Ereignisse der Nachwendezeit schildert, ist realer Polit- und Wirtschaftskrimi zugleich. Auch wenn wenig Neues auf diesen 384 Seiten steht: In der Komprimierung ist das Thema nach wie vor brisant und die Lektüre Pflicht für jeden, der sich für Zeitgeschichte interessiert.«