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Voller Trauer und mit einer großen Liebe zum Leben setzt Yan Lianke all jenen Menschen ein poetisches Denkmal, die dem in China bis heute vertuschten Aids-Skandal der 90er Jahre zum Opfer fielen. Ein zutiefst bewegender Roman von einem der wichtigsten chinesischen Schriftsteller der Gegenwart.
Die Sonne geht unter über der chinesischen Provinz Henan und taucht das Tal in Rot. Ein toter zwölfjähriger Junge erscheint seinem Großvater in dessen Träumen und erzählt uns diese unglaubliche Geschichte: Vor vielen Jahren folgten die Bürger im Dorf Dingzhuang einem Aufruf der Regierung und
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Produktbeschreibung
Voller Trauer und mit einer großen Liebe zum Leben setzt Yan Lianke all jenen Menschen ein poetisches Denkmal, die dem in China bis heute vertuschten Aids-Skandal der 90er Jahre zum Opfer fielen. Ein zutiefst bewegender Roman von einem der wichtigsten chinesischen Schriftsteller der Gegenwart.
Die Sonne geht unter über der chinesischen Provinz Henan und taucht das Tal in Rot. Ein toter zwölfjähriger Junge erscheint seinem Großvater in dessen Träumen und erzählt uns diese unglaubliche Geschichte: Vor vielen Jahren folgten die Bürger im Dorf Dingzhuang einem Aufruf der Regierung und verkauften ihr Blut. Ein besseres Leben wurde ihnen versprochen, und der Großvater, Lehrer und Dorfvorsteher, riet ihnen gut zu. Sein ältester Sohn organisierte den Handel, und für eine Weile zog tatsächlich ein wenig Wohlstand ein. Dann aber kam die Krankheit, die die einstigen Spender schlicht das Fieber nennen und die sie nun aus dem Leben weht wie tote Blätter von den Bäumen. Yan Lianke erzählt von einer Schicksalsgemeinschaft und ihrem zum Scheitern verurteilten Versuch, in einer extremen Situation menschlich zu bleiben.
Autorenporträt
Yan Lianke, geboren 1958, ist ein chinesischer Schriftsteller der Gegenwartsliteratur. Im Jahr 2014 wurde er mit dem Franz-Kafka-Preis für sein Gesamtwerk geehrt.

Ulrich Kautz, Jahrgang 1939, arbeitet als Übersetzer zeitgenössischer chinesischer Belletristik. Von ihm liegen zahlreiche Übersetzungen vor.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensentin Iris Radisch hat den chinesischen Autor Yan Lianke in Peking besucht und einen traurigen, einsamen und imponierenden Schriftsteller kennen gelernt. Seinen von der Zensur verbotenen Roman "Der Traum meines Großvaters" über einen Aidsskandal in seiner Heimatprovinz Henan, dem knapp eine Million Bauern zum Opfer fielen, hat die Rezensentin mit großer Anteilnahme gelesen und dabei festgestellt, dass er trotz des traurigen Sujets auch amüsant ist. Der Autor schildert, wie an Aids erkrankte Bewohner eines Dorfes eine Art "Sterbe-Wohngemeinschaft" gründen, und er geht deren Liebeleien, Intrigen und Alltagsproblemen nach, erklärt Radisch. In ihren Augen fällt der Text in seiner eigentümlichen Mischung aus Realismus, Groteske und Lakonie sowohl aus der "westlichen" als auch der "traditionellen" chinesischen Poetik heraus, und passt wohl so ganz gut zu der Isolation und der Trauer seines Autors, der nicht nach Frankfurt reisen durfte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009

Allein mit dem Virus

Verzweifelter Kampf gegen ein Tabu: In seinem in China verbotenen Roman setzt Yan Lianke den verdrängten Aids-Opfern ein Denkmal.

Von Michael Müller

Der chinesische Schriftsteller Yan Lianke besitzt zwei besondere Eigenschaften: Er verfügt über das literarische Talent, große Romane zu schreiben, und er hat Mut, in seinen Romanen unbequeme Themen aufzugreifen. Beides fügt sich in seinem jüngsten Werk eindrucksvoll zusammen: "Der Traum meines Großvaters" thematisiert ergreifend Chinas Blutspendenskandal Mitte der neunziger Jahre. Schauplatz des Romans ist das Dorf Dingzhuang in der Provinz Henan. Mitte der neunziger Jahre erfahren die umliegenden Dörfer einen wahren Geldsegen. Die dortigen Bauern verfügen plötzlich über Geld, um sich neue Häuser mit einem Obergeschoss zu bauen. Nur an Dingzhuang geht die Entwicklung vorbei. Hier fristen die Bauern noch immer ein hartes, entbehrungsreiches Leben, denn Dingzhuang ist das einzige Dorf, das sich dem staatlich propagierten Blutverkauf bisher entzogen hat.

Erst dem Dorfältesten, dem von allen respektierten "Lehrer" und "Großvater" Ding Shuiyang, gelingt es, die Bauern von der Unbedenklichkeit des Blutspendens zu überzeugen. Von da an partizipiert auch Dingzhuang am Bluthandel. Das schnell verdiente Geld vor Augen, werden die Abstände zwischen den Spenden immer kürzer: Bis zu dreimal täglich verkaufen die Bauern ihr Blut an die zahlreichen Blutchefs - vor allem an Ding Hui, den erfolgreichsten unter ihnen. Der Wohlstand währt jedoch nicht lange. Die hygienischen Bedingungen bei der Blutabgabe sind derart katastrophal, dass sich die Dorfbewohner mit einem mysteriösen "Fieber" infizieren. Das tödliche "Fieber" greift um sich und rafft einen nach dem anderen dahin. Aids.

Fast alle Dorfbewohner sind betroffen, und der Schuldige ist schnell ausgemacht: Ding Hui. Er ist mit dem Bluthandel reich geworden, in der Amtshierarchie aufgestiegen und bleibt obendrein von der Krankheit verschont. Der Hass des Dorfes gilt ihm, man vergiftet zunächst seine Tiere und schließlich auch seinen zwölfjährigen Sohn. Da die kranken Bauern von offizieller Seite keine Unterstützung erhalten, entschließen sie sich, in die Dorfschule zu gehen, um dort gemeinsam ihre letzten Tage zu verbringen. Man teilt die Essensvorräte, man kocht zusammen. Doch Misstrauen, Gier und Neid zerstören die vermeintliche Idylle. Mit einem Handstreich von kulturrevolutionsartigem Ausmaß entreißen schließlich Jia Genzhu und Ding Yuejin dem Großvater die Leitung. Nur einer bleibt von all dem unberührt: Ding Hui. Ihm gelingt es immer wieder, sich den veränderten Umständen anzupassen und gar Kapital daraus zu schlagen. Einhergehend mit seinem wachsenden Reichtum, erfolgt der Aufstieg innerhalb der Partei, und der Hass der Dorfbewohner nimmt im selben Maße zu. Selbst sein eigner Großvater verspürt immer wieder den inneren Drang, seinen Sohn für dessen Handeln zu töten. Nach und nach sterben die Dorfbewohner von Dingzhuang. Niemand hilft ihnen, niemandem gelingt es, der Krankheit Einhalt zu gebieten. Und doch glimmt am Ende des Romans ein Funken Hoffnung auf.

Als der 1958 in der chinesischen Provinz Henan geborene Yan Lianke von den schrecklichen Vorkommnissen in seiner Heimatprovinz hörte, habe er einen inneren Drang verspürt, etwas darüber zu schreiben. "Der Traum meines Großvaters" sollte eine Mischung aus Roman und Dokument werden, um die schockierenden Vorgänge um den Blutspendenskandal in China bekannt zu machen. Dafür lässt Yan den ermordeten Sohn des Blutchefs Ding Hui die Geschichte Dingzhuangs erzählen. Durch ihn und die Träume seines Großvaters bringt Yan das in China lange Zeit tabuisierte Thema zur Sprache. Es ist eine kindliche Perspektive, die Sprache deshalb einfach, aber auch sehr direkt.

Lange Zeit war Aids in China ein Tabu. Die von dem Blutspendenskandal Mitte der neunziger Jahre betroffenen Gebiete wurden als Aids-Dörfer stigmatisiert, die Betroffenen mit ihrem Leiden alleingelassen. Yans Kritik manifestiert sich in der Person des Blutchefs Ding Hui. Der korrupte Parteikader infizierte durch unsaubere Spritzen die Bauern mit dem tödlichen Virus, schlug aus dem Leiden der Menschen finanzielles Kapital, wird für sein Handeln jedoch nie zur Rechenschaft gezogen.

Es dauerte nur einige Monate, bis Yans Roman Anfang 2006 kurz nach Fertigstellung von den staatlichen Behörden verboten wurde. Dabei ist Yan Lianke kein Dissident. Bis vor wenigen Jahren diente er in der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Unter ihrer Ägide wurde er an der Henan-Universität und dann an der Kunsthochschule der Volksbefreiungsarmee zum Schriftsteller ausgebildet und galt lange Zeit offiziell als einer der angesehensten chinesischen Gegenwartsautoren. Yan erhielt die wichtigsten Literaturpreise Chinas, den Lu-Xun-Preis und 2005 den Lao-She-Preis. Im selben Jahr sorgte "Der Traum meines Großvaters" für große Aufregung. Vier Jahre später liegt der Roman endlich in deutscher Übersetzung vor. Er setzt den zahlreichen Opfern ein literarisches Denkmal.

Yan Lianke: "Der Traum meines Großvaters". Roman. Aus dem Chinesischen von Ulrich Kautz. Ullstein Verlag, Berlin 2009. 364 S., geb., 22,90 [Euro].

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