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Auf die Reisenden, die jedes Jahr zu Millionen nach Venedig kommen, wirkt die Stadt mit ihren Kanälen, Palästen und Kirchen wie ein großes Museum. Und doch ist Venedig putzmunter und lebendig. Dirk Schümer, der seit Jahren mitten in der Altstadt wohnt, stellt den Alltag der Venezianer abseits der ausgetrampelten Pfade vor.

Produktbeschreibung
Auf die Reisenden, die jedes Jahr zu Millionen nach Venedig kommen, wirkt die Stadt mit ihren Kanälen, Palästen und Kirchen wie ein großes Museum. Und doch ist Venedig putzmunter und lebendig. Dirk Schümer, der seit Jahren mitten in der Altstadt wohnt, stellt den Alltag der Venezianer abseits der ausgetrampelten Pfade vor.

Autorenporträt
Schümer, Dirk
"Dirk Schümer, geboren 1962 in Soest, seit 1991 Redakteur im Feuilleton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, ab 1999 Korrespondent mit Sitz in Venedig. Seit 2002 Co-Moderator des Büchertalks im SWR. Zuletzt erschienen: Die Kinderfänger ? die europäische Dimension eines belgischen Skandals (1998), Das Gesicht Europas ? ein Kontinent wächst zusammen (2000). "
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.07.2003

Im Salamikanal
Insel der Kunstfertigen: Dirk Schümer schildert Venedig
Es ist nicht einfach, mit den Gondeln Schritt zu halten. Dirk Schümer, in Venedig niedergelassener Korrespondent einer großen Zeitung, hat es versucht und seine Beobachtungen und Erfahrungen zu Feuilletons gewirkt, die für den Zeitraum eines guten Jahres eine regelmäßige Rubrik füllten. „Leben in Venedig” heißt – antithetisch zum schmachtenden „Tod in Venedig” – die jetzt als Buch erschienene Sammlung mit insgesamt 54 Stücken, deren jedes eine charakteristische Facette aus dem Alltag der Stadt oder das Porträt eines ihrer Bewohner zeichnet. Viel ist darin vom Wasser und vom Meer die Rede, von den Regeln, Techniken und Tücken, sich auf flachen Gewässern und in engen Kanälen zu bewegen, von Dampfern und Galeeren, von Barken und Motorbooten, sowie von den amphibischen Menschen, die die Stadt bevölkern, ihrem Stolz und Humor, ihren großen Idiosynkrasien und kleinen Melancholien.
Die routiniert und – wenn auch nicht immer bis in die Schlusssätze – elegant formulierten Skizzen sind für Reportagen eigentlich zu kurz und für Miniaturen schon wieder zu lang. Wie gleichförmige Schläge mit einem unter Wasser gedrehten Ruder messen sie jeweils rund vier Buchseiten, und es sieht ganz danach aus, als habe Schümer die aus dem Munde eines aufrechten Gondolieri vernommene Goldene Regel der „voga veneta” – der schwungvollen, venezianischen Art des Ruderns – auch beim Schreiben befolgt: „Das Ruder muß ins Wasser schneiden wie ein Messer in die Salami.” Zack, zack!
Schreiben als würde man rudern, stehend und im tänzerischen Ausfallschritt eines Gondoliere, das wäre fürwahr die adäquateste Form, sich einer „uralten Fortbewegungsweise” und einer einzigartigen Urbanität anzuverwandeln. Über deren tausendjährige Tradition schreibt Schümer, dass sie ganz auf dem Rudern basierte: „ohne die ,voga veneta’ gäbe es Venedig nicht”. Korrespondenten früherer Tage – Siegfried Kracauer, Joseph Roth oder Egon Erwin Kisch – hätten es wohl so gehalten, und noch heute ließe sich darüber staunen, wie leicht ihnen, zudem begünstigt von den auswärtigen Lockerungen ihrer Ressortpflichten, die Feder geworden wäre, wie tief diese unter die wässrigen Oberflächen des Lebens eingetaucht wäre, so dass die Resultate mühelos den Tag überlebt und jede Sammlung in Buchgestalt verdient hätten. Deshalb stutzt man, wenn der Klappentext den Autor als einen Berichterstatter vorstellt, der „neben der Arbeit noch Zeit zum Flanieren und Gondelrudern” findet: Seit wann sind solch ernsthaften und zeitaufwendigen Professionen zum Freizeitsport gediehen?
Hätte Schümer sich doch nur der von ihm geschilderten Stadt auch dahingehend angeglichen, dass er sich für seine Beobachtungen ein klein wenig mehr Zeit und Raum genommen hätte – auch nur halb so viel Zeit und Raum wie der von ihm porträtierte dänische Professor Ibsen, dem es in Venedig ein Vergnügen bereitet, „scheinbar ziellos durch die Gassen zu streifen”, so schwer dem „gemessen und zeitweilen humpelnd” schreitenden Siebzigjährigen auch das Erklimmen der Brücken über die vielen Treppenstufen gerät: „Er hat Zeit.” Viel Zeit, Goethe zufolge gar „Jahrtausende Zeit”, die ihr vom Meer gegeben wurden, hat auch Venedig, nur nicht unser rudernder Reporter, der sich schon bei seinem wohlorganisierten, speditionsbetriebenen Umzug vom nordeuropäischen Festland darüber begeisterte, „wie reibungslos diese Überfahrt unserer bürgerlichen Existenz nach Venedig funktionierte”. Kein Adagietto aus Gustav Mahlers Fünfter Symphonie wurmte ihm ins Ohr, kein „Abschied von der Welt” stand ihm vor Augen, ganz norm- und funktionsgerecht war der vermeintliche „Abgrund” zwischen der einen „Normalität” hier und der andern dort „erstmal überbrückt”. Salopp, salopp.
Geheimnisse der Gondoliere
Dabei hat Schümer interessante und aufschlussreiche Details aus dem Alltag der Stadt und über verschiedene venezianischen Kunstfertigkeiten zu berichten, beispielsweise über die elegante Technik, bei Regen in den engen und wuseligen Gassen „nicht mit den Schirmen zusammenzustoßen”. Manches hätte er auch von den Gondolieri und den Bootsbauern, die er nach ihren Berufsgeheimnissen befragte, lernen können: „Wenn die gebräunten Männer morgens um neun auf den Steg des Bootshauses treten und Gastone sich versonnen eine Zigarette ansteckt, dann gehen sie manchmal gebeugt und schleppend. Doch sobald sie auf dem schmalen, schwankenden Boot stehen, werden ihre Bewegungen leicht, geradezu tänzelnd. Keine Welle und kein anderes Boot kann ihrer traumhaften Sicherheit etwas anhaben. Sie wissen instinktiv, wann sie den Schaft kurz nehmen und wie eine Schiffsschraube wedeln müssen, um seitwärts zu fahren. Oder wann sie mit hartem Schlag das Ruder neben die Forcola zu klemmen und sich entgegenzustemmen haben, um den Rückwärtsgang einzulegen.”
So sehr zu begrüßen ist, dass Dirk Schümer einer von literarischen, filmischen und touristischen Mythen hoffnungslos zugeschütteten Stadt wieder die lebendige Gegenwart zugesteht und sie in die Normalität des Alltags zurückholt, entgehen ihm doch die traumhaft- tagträumerischen Horizonte einer Stadt, die eben doch um so vieles anders und anormaler als andere Städte ist. Und wann immer Schümer selbst ins Träumen und Sehnen kommt, dann ist es, als schweiften seine Gedanken weit ab in den Norden, nach Kopenhagen, Stockholm oder, weiter noch, in die dunklen Fjorde. Da hilft auch keine Betrachtung über „unsere grenzenlose Einsamkeit vor der Geschichte”. Aber Rudern, vielleicht.
VOLKER BREIDECKER
DIRK SCHÜMER: Leben in Venedig. Mit Illustrationen von Oliver Sebel. Ullstein Verlag, München 2003, 238 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2003

DIRK SCHÜMER, Kulturkorrespondent dieser Zeitung mit Sitz in Venedig, weiß, daß das vorgeblich untergehende Venedig in Wahrheit putzmunter und lebendig ist - wenngleich eher im verborgenen. Wer nur für wenige Tage hier verweilt, kann die Venezianer und ihre Vision der Stadt gar nicht erfassen. Dirk Schümer faßt in einem Buch seine Venedig-Kolumnen aus dem Feuilleton zusammen und stellt dabei den venezianischen Alltag auch abseits der ausgetrampelten Pfade vor: den Priester Mario, der mit den Seeleuten und Armen im Industriehafen lebt; Asia, den lebensweisen Träger von Fleisch und Gemüse auf dem Rialtomarkt, oder den Drei-Sterne-Admiral Pagnotella, der seinen Traum von einem Meeresmuseum im mittelalterlichen Arsenal träumt. Ganz nebenbei entsteht so das Mosaik einer gar nicht musealen Kultur. Wie beseitigen die Venezianer ihren Müll? Wie werden sie mit dem Taubendreck fertig? Wie meistern sie Hochwasser? Weil sie die Untergangsgeschichte verlachen, haben die Venezianer spannende Antworten auf solche Fragen gefunden. (Dirk Schümer: "Leben in Venedig". Illustrationen von Oliver Sebel. Ullstein Verlag, München 2003. 240 S., geb., 18,- [Euro]).

F.A.Z.

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