„Senhor Antunes“ liegt in einem Lissaboner Krankenhaus. Der Arzt hat Krebs diagnostiziert. Kaum ist die schreckliche Wahrheit ausgesprochen, beginnen für ihn die Totenglocken der Kirche zu läuten und ein Trauergeleit zieht zum Friedhof hin. Da ist die Vorstellung von der igeligen Frucht eines
Kastanienbaumes in seinem Körper noch zurückhaltend.
Im Frühjahr 2007 verbringt „Senhor Antunes“ zwei…mehr„Senhor Antunes“ liegt in einem Lissaboner Krankenhaus. Der Arzt hat Krebs diagnostiziert. Kaum ist die schreckliche Wahrheit ausgesprochen, beginnen für ihn die Totenglocken der Kirche zu läuten und ein Trauergeleit zieht zum Friedhof hin. Da ist die Vorstellung von der igeligen Frucht eines Kastanienbaumes in seinem Körper noch zurückhaltend.
Im Frühjahr 2007 verbringt „Senhor Antunes“ zwei Wochen in einem Krankenhaus, um sich einer Darmkrebsoperation zu unterziehen. Während dieser Tage voller Hoffen und Bangen führt er Tagebuch, es sind Aufzeichnungen zwischen Verzweiflung und Schmerzen. Darin verweben sich Erinnerungen an seine Kindheit und verschiedene Episoden aus seinem Leben. Er lässt also noch einmal sein Leben Revue passieren.
In seinem neuen Buch „An den Flüssen, die strömen“ erzählt der weltberühmte portugie-sische Schriftsteller António Lobo Antunes ganz offen von seiner Krebserkrankung. Der Krebs ist zwar operabel, aber der Erfolg ungewiss. Das bedeutet für den Autor, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen: dies könne auch der Anfang vom Ende sein. So lässt Antunes sein literarisches Alter Ego mit seinem Schicksal hadern.
Diese gefühlte Todesnähe bringt noch einmal die biografischen Momente in Erinnerungsfetzen hervor. Wie ein Film im Zeitraffer laufen die unzähligen Episoden der Vergangenheit zwischen den Visiten und Krankenbesuchen ab. Sie überlagern sich mit widersprüchlichen Reminiszenzen und unangekündigten Schmerzen. Der Patenonkel, die Großmutter im Morgenmantel oder das Dienstmädchen, das im Hühnerstall die Eier suchte … sie alle treten im Fieberwahn an sein Krankenbett. Er sieht ihre Gesichter und sie reden mit ihm. Mitunter ist ihm alles gleichgültig und er wünscht sich nur, dass die störende Fliege in seinem Krankenzimmer bleibt.
Immer wieder wird auch der Fluss Mondego erwähnt, an dessen Quelle der Patient als Kind stand und der am Ende ins offene Meer mündet. Er ist gleichsam Sinnbild für den Fluss des Lebens.
Die reichlich zweihundert Seiten sind wie eine prosaische Bildfolge eines Lebens, die Schilderung eines Alptraums. „An den Flüssen, die strömen“ ist sicher das persönlichste und ergreifendste Buch von António Lobo Antunes.
Manfred Orlick