Sämtliche Erzählungen von Antal Szerb mit einem Nachwort von György Poszler
Mit betont leiser Ironie und hintersinnigem Humor kreist Szerb um historische Figuren und persönliche Geschichte, um den siegreichen Alltag und das verbannte Wunder.
»Ich bin eher Leser als Schriftsteller«, heißt es in einem von Szerbs Essays, »Ich bin eher Schriftsteller als Literaturwissenschaftler«, in einem späteren Tagebucheintrag. - Das Entweder-Oder ist zu einfach. Szerb näherte die Wissenschaft der Kunst an, und umgekehrt, und beides bis zu Äußersten, betont sein Herausgeber György Poszler. Das Verhältnis von Alltag und Wunder, die wechselseitige Durchdringung von beiden, interessiert Szerb dabei am meisten: Seine Erzählungen, die hier erstmals auf Deutsch vorgelegt werden, spiegeln diese Faszination.
Im ersten Teil des Bandes, der Szerbs Aufbruch als Schriftsteller markiert, dominiert die Liebe zur Geschichte - wir begegnen Mirandola, dem Gral und König Artus, der TochterKaiser Konstantins. Szerb verarbeitet seine enorme Belesenheit auf unterhaltsamste Weise, bevor er uns in den Erzählungen des zweiten Teils unterschiedliche Einblicke gewährt in die Sphäre seines persönlichen Lebens. Jener Figur aus der 'Pendragon-Legende', János Báthky, seiner Liebe zu Bibliotheken und allem Englischen begegnen wir hier wieder, ebenso wie den Problemen mit der Liebe - »Frauen gefallen mir nur unter besonderen Konstellationen und auch dann nicht besonders.«
Inhalt:
Teil I
- Cynthia
- In St Cloud, auf einer Gartenparty
- Fin de siècle
- Madelon, der Hund
- Nell Gynns Kuß
- In der Bibliothek
- Die Liebe in der Phiole
- Der Mann, der nicht zu retten war
Teil II
- Die Geschichte von Graf Pico und Monna Lianora
- Der auserwählte Ritter
- Ajándoks Brautstand
- Der weiße Magier
- Der Tyrann
- Das herannahende Ungeheuer
Mit betont leiser Ironie und hintersinnigem Humor kreist Szerb um historische Figuren und persönliche Geschichte, um den siegreichen Alltag und das verbannte Wunder.
»Ich bin eher Leser als Schriftsteller«, heißt es in einem von Szerbs Essays, »Ich bin eher Schriftsteller als Literaturwissenschaftler«, in einem späteren Tagebucheintrag. - Das Entweder-Oder ist zu einfach. Szerb näherte die Wissenschaft der Kunst an, und umgekehrt, und beides bis zu Äußersten, betont sein Herausgeber György Poszler. Das Verhältnis von Alltag und Wunder, die wechselseitige Durchdringung von beiden, interessiert Szerb dabei am meisten: Seine Erzählungen, die hier erstmals auf Deutsch vorgelegt werden, spiegeln diese Faszination.
Im ersten Teil des Bandes, der Szerbs Aufbruch als Schriftsteller markiert, dominiert die Liebe zur Geschichte - wir begegnen Mirandola, dem Gral und König Artus, der TochterKaiser Konstantins. Szerb verarbeitet seine enorme Belesenheit auf unterhaltsamste Weise, bevor er uns in den Erzählungen des zweiten Teils unterschiedliche Einblicke gewährt in die Sphäre seines persönlichen Lebens. Jener Figur aus der 'Pendragon-Legende', János Báthky, seiner Liebe zu Bibliotheken und allem Englischen begegnen wir hier wieder, ebenso wie den Problemen mit der Liebe - »Frauen gefallen mir nur unter besonderen Konstellationen und auch dann nicht besonders.«
Inhalt:
Teil I
- Cynthia
- In St Cloud, auf einer Gartenparty
- Fin de siècle
- Madelon, der Hund
- Nell Gynns Kuß
- In der Bibliothek
- Die Liebe in der Phiole
- Der Mann, der nicht zu retten war
Teil II
- Die Geschichte von Graf Pico und Monna Lianora
- Der auserwählte Ritter
- Ajándoks Brautstand
- Der weiße Magier
- Der Tyrann
- Das herannahende Ungeheuer
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.03.2007Curaçao mit Rotwein
Antal Szerb erzählt von Dandys, Damen und Doktoren
„János Bátky, Dr. phil., schützte sich auf verschiedenste Art und Weise gegen die Eintönigkeit des Lebens”. Mit diesem Satz beginnt „Madelon, der Hund”, eine von Antal Szerbs wunderbar eleganten, dekadenten Beschwörungen eines untergegangenen Dandytums, und man müsste schon gänzlich unempfindlich sein für diese Welt des Luxus, des Spleens und der Moden, um nicht sogleich reges Interesse an den Ticks des Doktor Bátky zu entwickeln. Wie schützt man sich also vor der Eintönigkeit des Lebens?
Nicht indem man sich in Abenteuer draußen in der Welt stürzt, sondern vielmehr durch eine Verfeinerung der inneren Empfindung. Herrn Bátky, so wird erzählt, war es in seiner Kindheit „manchmal gelungen, sich einzubilden, er äße Salami, wenn er gerade ein Stück Schokolade im Mund zergehen ließ. Später entwickelte er eine Vorliebe für Mixgetränke”. Dann kann man Curaçao mit Rotwein trinken, und das schmeckt dann „wie ein sechzehnjähriges Mädchen, das jetzt bestimmt schon verheiratet war”. Die erotische Delikatesse solcher Begegnungen im Mundraum zieht der Dandy im Zweifel der realen Begegnung mit Sechzehnjährigen vor.
Überhaupt die Frauen. „Die Gesichter der Frauen vergaß er konsequent”, heißt es von Doktor Bátky, dem ein Rendezvous mit einer Dame namens Jenny bevorsteht, was ein Problem sein kann, wenn man sich nur noch an ihr dunkelblaues Kostüm erinnern kann. „Die erste und zugleich schwerste Aufgabe eines jeden Rendezvous”, notiert sich Bátky im Geiste, „ist das Klären der Identität.” Mit der Identität haben Szerbs mondän gelangweilte Helden auch sonst ihre Schwierigkeiten. In einer anderen Erzählung, „Nell Gwynns Kuß”, ist die Hauptfigur gerade am Gare de l’Est dem Zug aus Budapest entstiegen und lässt sich durch die Stadt treiben, die ihm dann doch nur als eine vergrößerte Kopie seiner Heimatstadt erscheinen will.
Nicht, dass er enttäuscht wäre, dass „eigentlich jedes Café hier das ‚Abbazia’ war und dass die Menschen überall prinzipiell Budapester sind.” Es gehört einfach zur Ausstattung des Dandys, sich von nichts und niemandem beeindrucken zu lassen, nicht von Frauen und nicht von Städten. Der Dandy bestreitet schlicht die Möglichkeit, es könne unter der Sonne Neues und Besonderes geben. Alles ist absehbar, die Sensationen sind käuflich, die Triebe manipulierbar – sogar ein Dandy muss darüber melancholisch werden. Aber er trägt seine Trauer mit großer Eleganz.
Der Geschmack der Langeweile
„In der Bibliothek” heißen die Erzählungen von Antal Szerb, dem „großen Eleganten Ungarns”, wie Peter Esterházy ihn nennt. In den letzten Jahren sind die großen Romane des 1901 geborenen und 1945 im KZ Balf ermordeten Schriftstellers und Literaturhistorikers auf Deutsch erschienen. „Die Pendragon-Legende” (worin bereits ein gewisser Dr. Bátky auftaucht) oder „Oliver VII.”, geistreiche historische Romane, die wie diese Erzählungen von der Nähe zum englischen Ästhetizismus geprägt sind. „In der Bibliothek” enthält zweierlei Klassen von Erzählungen. Die eine handelt von männlichen Protagonisten wie Doktor Bátky, ungarischen Dandys in London oder Paris, von ihren erotischen Streifzügen, ihren Lektüren und Gesprächen, und vor allem von der noblen Langeweile, mit der sie durch ein Leben gehen, von dem sie nichts Besonderes erwarten. Diese Erzählungen, entstanden in den frühen dreißiger Jahren, bewahren eine Atmosphäre auf, die schon damals historisch war, eine Fin-de -Siècle-Reminiszenz an die großen Metropolen und einen Habitus, als dessen Inbild man sich Oscar Wilde vorstellen darf.
Die andere Gruppe von Erzählungen, zehn Jahre früher entstanden, greift historische Stoffe, Sagen und Legenden auf, so etwa „Die Geschichte von Graf Pico und Monna Lianora”, die Parzival-Geschichte oder den Sturz des Mailänder Herzogs und Tyrannen Galeazzo. Man fühlt sich in der Erzählweise ein wenig an Musils „Portugiesin” und andere Beispiele eines ästhetisierenden Historismus erinnert, mit dem Unterschied freilich, dass Szerbs Haltung mit dem zeitgenössischen Hang zu „tagheller Mystik” wenig gemeinsam hat. Es gibt kein philosophisches oder theoretisches Problem, dem diese Erzählungen auf der Spur wären. Sie verhalten sich gegenüber ihren Stoffen und Themen auf eine elegante Weise leidenschaftslos. Wie auch anders, wenn das Leben eintönig ist und die einzige Zerstreuung im Lesen und Phantasieren liegt?CHRISTOPH BARTMANN
ANTAL SZERB: In der Bibliothek. Erzählungen. Ausgewählt von György Poszler. Aus dem Ungarischen übersetzt von Timea Tankó. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006. 276 S., 14 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Antal Szerb erzählt von Dandys, Damen und Doktoren
„János Bátky, Dr. phil., schützte sich auf verschiedenste Art und Weise gegen die Eintönigkeit des Lebens”. Mit diesem Satz beginnt „Madelon, der Hund”, eine von Antal Szerbs wunderbar eleganten, dekadenten Beschwörungen eines untergegangenen Dandytums, und man müsste schon gänzlich unempfindlich sein für diese Welt des Luxus, des Spleens und der Moden, um nicht sogleich reges Interesse an den Ticks des Doktor Bátky zu entwickeln. Wie schützt man sich also vor der Eintönigkeit des Lebens?
Nicht indem man sich in Abenteuer draußen in der Welt stürzt, sondern vielmehr durch eine Verfeinerung der inneren Empfindung. Herrn Bátky, so wird erzählt, war es in seiner Kindheit „manchmal gelungen, sich einzubilden, er äße Salami, wenn er gerade ein Stück Schokolade im Mund zergehen ließ. Später entwickelte er eine Vorliebe für Mixgetränke”. Dann kann man Curaçao mit Rotwein trinken, und das schmeckt dann „wie ein sechzehnjähriges Mädchen, das jetzt bestimmt schon verheiratet war”. Die erotische Delikatesse solcher Begegnungen im Mundraum zieht der Dandy im Zweifel der realen Begegnung mit Sechzehnjährigen vor.
Überhaupt die Frauen. „Die Gesichter der Frauen vergaß er konsequent”, heißt es von Doktor Bátky, dem ein Rendezvous mit einer Dame namens Jenny bevorsteht, was ein Problem sein kann, wenn man sich nur noch an ihr dunkelblaues Kostüm erinnern kann. „Die erste und zugleich schwerste Aufgabe eines jeden Rendezvous”, notiert sich Bátky im Geiste, „ist das Klären der Identität.” Mit der Identität haben Szerbs mondän gelangweilte Helden auch sonst ihre Schwierigkeiten. In einer anderen Erzählung, „Nell Gwynns Kuß”, ist die Hauptfigur gerade am Gare de l’Est dem Zug aus Budapest entstiegen und lässt sich durch die Stadt treiben, die ihm dann doch nur als eine vergrößerte Kopie seiner Heimatstadt erscheinen will.
Nicht, dass er enttäuscht wäre, dass „eigentlich jedes Café hier das ‚Abbazia’ war und dass die Menschen überall prinzipiell Budapester sind.” Es gehört einfach zur Ausstattung des Dandys, sich von nichts und niemandem beeindrucken zu lassen, nicht von Frauen und nicht von Städten. Der Dandy bestreitet schlicht die Möglichkeit, es könne unter der Sonne Neues und Besonderes geben. Alles ist absehbar, die Sensationen sind käuflich, die Triebe manipulierbar – sogar ein Dandy muss darüber melancholisch werden. Aber er trägt seine Trauer mit großer Eleganz.
Der Geschmack der Langeweile
„In der Bibliothek” heißen die Erzählungen von Antal Szerb, dem „großen Eleganten Ungarns”, wie Peter Esterházy ihn nennt. In den letzten Jahren sind die großen Romane des 1901 geborenen und 1945 im KZ Balf ermordeten Schriftstellers und Literaturhistorikers auf Deutsch erschienen. „Die Pendragon-Legende” (worin bereits ein gewisser Dr. Bátky auftaucht) oder „Oliver VII.”, geistreiche historische Romane, die wie diese Erzählungen von der Nähe zum englischen Ästhetizismus geprägt sind. „In der Bibliothek” enthält zweierlei Klassen von Erzählungen. Die eine handelt von männlichen Protagonisten wie Doktor Bátky, ungarischen Dandys in London oder Paris, von ihren erotischen Streifzügen, ihren Lektüren und Gesprächen, und vor allem von der noblen Langeweile, mit der sie durch ein Leben gehen, von dem sie nichts Besonderes erwarten. Diese Erzählungen, entstanden in den frühen dreißiger Jahren, bewahren eine Atmosphäre auf, die schon damals historisch war, eine Fin-de -Siècle-Reminiszenz an die großen Metropolen und einen Habitus, als dessen Inbild man sich Oscar Wilde vorstellen darf.
Die andere Gruppe von Erzählungen, zehn Jahre früher entstanden, greift historische Stoffe, Sagen und Legenden auf, so etwa „Die Geschichte von Graf Pico und Monna Lianora”, die Parzival-Geschichte oder den Sturz des Mailänder Herzogs und Tyrannen Galeazzo. Man fühlt sich in der Erzählweise ein wenig an Musils „Portugiesin” und andere Beispiele eines ästhetisierenden Historismus erinnert, mit dem Unterschied freilich, dass Szerbs Haltung mit dem zeitgenössischen Hang zu „tagheller Mystik” wenig gemeinsam hat. Es gibt kein philosophisches oder theoretisches Problem, dem diese Erzählungen auf der Spur wären. Sie verhalten sich gegenüber ihren Stoffen und Themen auf eine elegante Weise leidenschaftslos. Wie auch anders, wenn das Leben eintönig ist und die einzige Zerstreuung im Lesen und Phantasieren liegt?CHRISTOPH BARTMANN
ANTAL SZERB: In der Bibliothek. Erzählungen. Ausgewählt von György Poszler. Aus dem Ungarischen übersetzt von Timea Tankó. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006. 276 S., 14 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Christoph Bartmann sieht in Antal Szerb die untergegangene Welt des Dandys aufbewahrt und lässt sich von der "Eleganz" und dem gepflegten Ennui der Erzählungen des Bandes "In der Bibliothek" bezaubern. Der 1944 im Konzentrationslager Balf ermordete Schriftsteller beschwört in seinen in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandenen Geschichten, die in seiner Zeit bereits historische Atmosphäre des Fin de Siecle und erinnern gerade in den Erzählungen, die sich mit geschichtlichen Stoffen beschäftigen, an Robert Musil, meint der Rezensent, wobei Szerb jedoch ohne jegliche philosophische oder theoretische Problemlage auskommt und sich stattdessen ganz der "leidenschaftslosen" Darstellung der eleganten "Langeweile" verschrieben hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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