Marktplatzangebote
30 Angebote ab € 0,30 €
  • Broschiertes Buch

1 Kundenbewertung

Henry Neff verspürt trotz seiner jugendlichen vierundzwanzig Jahre keine Lust, auf der Karriereleiter nach oben zu kommen. Attraktive Angebote schlägt er aus und sucht stattdessen Unterschlupf im Fundbüro eines Hauptbahnhofs. "Mir genügt's, da zu bleiben, wo ich bin", ist sein Motto, und schon bald gewinnt er Gefallen an seinem neuen Arbeitsplatz, der reich an Kuriositäten und absonderlichen Vorkommnissen ist.Jeder Tag beschert ihm Begegnungen mit Menschen, die die unglaublichsten Dinge verlieren und liegen lassen. Mal vermisst ein Messerwerfer sein Handwerkszeug, mal tauchen im Zug…mehr

Produktbeschreibung
Henry Neff verspürt trotz seiner jugendlichen vierundzwanzig Jahre keine Lust, auf der Karriereleiter nach oben zu kommen. Attraktive Angebote schlägt er aus und sucht stattdessen Unterschlupf im Fundbüro eines Hauptbahnhofs. "Mir genügt's, da zu bleiben, wo ich bin", ist sein Motto, und schon bald gewinnt er Gefallen an seinem neuen Arbeitsplatz, der reich an Kuriositäten und absonderlichen Vorkommnissen ist.Jeder Tag beschert ihm Begegnungen mit Menschen, die die unglaublichsten Dinge verlieren und liegen lassen. Mal vermisst ein Messerwerfer sein Handwerkszeug, mal tauchen im Zug zurückgelassene Liegestühle auf, und ein andermal wendet sich eine Schauspielerin hilfesuchend an Henry, weil sie ihr Textbuch nicht mehr findet. Um den "Besitznachweis" zu führen, fordert Henry sie mit dem ihm eigenen Charme auf, Passagen aus dem Theaterstück im Fundbüro zu rezitieren.
Siegfried Lenz' warmherziger Humor lässt die farbige Szenerie eines unvergleichlichen Schauplatzes vor die Leser tret
Autorenporträt
Siegfried Lenz, geboren 1926 in Lyck (Ostpreußen), begann nach dem Krieg in Hamburg das Studium der Literaturgeschichte, Anglistik und Philosophie. Danach wurde er Redakteur. Er zählt er zu den profiliertesten deutschen Autoren. Seit 1951 lebte Siegfried Lenz als freier Schriftsteller in Hamburg. 1988 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 2004 wurde ihm der Hannelore-Greve-Preis der Hamburger Autorenvereinigung verliehen, 2009 erhielt er den Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte und 2010 wurde Siegfried Lenz mit dem Nonino International Prize ausgezeichnet. 2011 schließlich verlieh man ihm die Ehrenbürgerwürde seiner polnischen Geburtsstadt. Siegried Lenz verstarb 2014.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2003

Fundbüro
Der neue Roman von Siegfried Lenz als Vorabdruck in der F.A.Z.

Wer sich das Fundbüro als Hort der Hoffnung, als letzte Rettung der vom Verlust Niedergedrückten und als Ort des wiedergefundenen Glücks vorstellt, wird im neuen Roman von Siegfried Lenz eines Besseren belehrt. Das Fundbüro, in das Harry Neff versetzt wird, gemahnt denn jungen Mann zunächst stark an einen Beichtstuhl: "Nirgendwo sonst gibt es einen Ort, wo Sie soviel Zerknirschung erleben, soviel Bangen und Selbstanklagen, na ja, Sie werden es ja erfahren." Mit diesen Worten empfängt Hannes Harms, Leiter des Fundbüros bei der Eisenbahn, seinen neuen Mitarbeiter. Neff, vierundzwanzig, das schwarze Schaf einer Familie, die seit Generationen das beste Porzellangeschäft in der Stadt besitzt, war Zugbegleiter, bevor er sich versetzen ließ. Zur Verwunderung seiner neuen Kollegen zeigt er sich zufrieden mit seiner neuen Aufgabe. Denn Neffs Ehrgeiz hält sich in Grenzen, am beruflichen Aufstieg ist er nicht interessiert, wie er ohnehin nicht viel von "Klimmzügen" hält. Die gutgemeinte Mahnung des Chefs, er solle nicht den Rest seines Lebens auf dem Abstellgleis verbringen, schlägt er in den Wind.

Neff ist ein Leichtfuß. Mit dem Kollegen Bußmann trinkt er Schnaps hinter Regalen, der kaum älteren Paula Blohm, dem "Zentrum des Fundbüros", macht er schöne Augen und den nicht ganz ernstgemeinten Vorschlag, mit einer größeren Geldsumme die plötzlich im Fundamt auftaucht, durchzubrennen: Tahiti, wenn auch nur für zwei Wochen. Als ein Artist seine Wurfmesser, die er im Zug vergessen hatte, zurückverlangt, läßt Neff sich den obligaten Eigentumsnachweis der Fundsache auf ungewöhnliche Weise vorlegen: Er stellt sich vor eine Holzwand und läßt den Messerwerfer seine Kunstfertigkeit mit einigen Würfen unter Beweis stellen.

Weil Neff nicht einmal die fundamentale Philosophie des Fundamtes anerkennen will, muß Harms endgültig an dem neuen Mitarbeiter verzweifeln. Denn daß nicht jedes Ding ohne weiteres ersetzbar und jeder Verlust binnen kurzem zu verschmerzen sein darf, ist nun einmal die Existenzbedingung der Institution, die Neff aufgenommen hat und die nun überdies von außen bedroht ist. Denn die Bahn steht vor einer ihrer gefürchteten Strukturreformen, fünfzigtausend Stellen, so wird gemunkelt, sollten gestrichen werden, und schon taucht eine Art Gutachter im Fundbüro auf, der die kleine Belegschaft um ihre Arbeitsplätze fürchten läßt.

Zwischen Schirmen und Büchern, die bei den regelmäßig durchgeführten Auktionen nicht abgeholter Fundsachen nur im Dutzend versteigert werden, zwischen Reisetaschen und Rucksäcken gehen die Tage dahin, und Neff geht allen weiterreichenden Gedanken aus dem Weg. Die seltsamen Dinge, die um ihn herum geschehen, nimmt er zunächst kaum wahr. Woher kommt die Puppe, in deren Bauch zwölftausend Mark versteckt sind. Wer ist der gutgekleidete Mann, der seinen Aktenkoffer zunächst auf dem Bahngleis stehenläßt und später aus dem anfahrenden Zug wirft? Was hat es mit dem seltsamen Inhalt des Koffers auf sich, und was planen die vermummten Motorradfahrer, die so bedrohlich um Neffs Haus donnern und schließlich seinen neuen Freund, den baschkirischen Mathematiker Fedor, attackieren?

Das Fundbüro, das dem neuen Buch des Autors der "Deutschstunde" und von "Arnes Nachlaß" seinen Titel gab, ist nicht so geheuer, wie es zunächst den Anschein hat. Heute beginnen wir mit dem Vorabdruck des neuen Romans von Siegfried Lenz.

HUBERT SPIEGEL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.07.2003

Bienenstich in mondbeglänzter Steppe
Dies ist der Aufstand der Anständigen: Der hochmoralische Roman „Fundbüro” von Siegfried Lenz
Rührend. „Fundbüro”, der neue Roman von Siegfried Lenz, führt uns in ein irgendwie heutiges, eher aber neben als in der Gegenwart liegendes Deutschland. „Farbe hatte das Haus nötig”, heißt es einmal, „in dem doppelstöckigen, nebelgrauen Gebäude war ein Lokal, dessen Aushang für Sauerfleisch und Bratkartoffeln warb; als sie das Fenster passierten, wurde die Gardine zur Seite geworfen, und eine Hand klopfte gegen die Scheibe und winkte...” Wenn es auf dieser Bühne etwas zu feiern gibt, wird Bienenstich aufgetragen; Polizeifahrzeuge heißen „Peterwagen”, und telefoniert wird nicht mit dem Mobiltelefon, sondern in der nächsten Zelle. Noch zahlt man mit der deutschen Mark, aber lang kann die Geschichte nicht her sein, die Lenz erzählt, denn ein Radiosprecher vermeldet: „Die Lenker europäischer Staaten hatten sich in Genf versammelt, um über eine Osterweiterung der EU zu beraten.”
Poetisch wie ein Dachboden
Große Bahnhöfe haben Fundbüros, als Stätten von Schicksalsverkettungen ideale Schauplätze für altmodisch-solides Erzählhandwerk. Im „Fundbüro” von Lenz erwartet den Leser eine gegenwärtige Vergangenheit, handgeschriebene Formulare statt Computer, in langen Dienstjahren ergraute, freundlich-gelassene Beamte, die über ein Zauberreich von Verlustobjekten aller Art – vom Schlüsselbund bis zum Riesenliegestuhl – gebieten, und die längst aufgehört haben, sich über irgend etwas zu wundern. Poetisch wie ein alter Dachboden ist dieser Kosmos des in Zügen und auf Bahnsteigen Liegengebliebenen.
Der rechte Ort also für Henry Neff, den Helden des Buches, eine der seit neuestem in der deutschen Literatur wieder so populären Taugenichtsgestalten. Dem Vierundzwanzigjährigen ist wichtig, „dass ich mich wohl fühle bei der Arbeit und dass man mich zufrieden lässt, verschont von allem Gerenne und Getöse.” Sorge und Eile verderben das Dasein, sagte vor über hundert Jahren Jacob Burckhardt – Henry Neff will wieder nach dieser Devise leben. Das Fundbüro hat er sich als Arbeitsplatz ausgesucht, weil es seine Fantasie anregt – wer hier alles auftaucht! –, und weil es seinem natürlichen Drang zur Freundlichkeit und zum Schalk entgegenkommt.
Eine Schauspielerin hat ihr Textbuch verloren? Dann soll sie sich als legitime Besitzerin beweisen, indem sie eine Szene vorspielt. Ein Artist vergaß sein Messerset – also muss er nach Henry werfen, der sich starr vor eine Türe stellt. Ein kleines Mädchen spielt sehr überzeugend auf ihrer liegengebliebenen Flöte. Die Bearbeitungsgebühr von 30 Mark wird gern erlassen, überhaupt ist das Fundbüro auch eine Stätte der Seelsorge: Wer seinen Verlobungsring verlegt hat, braucht nicht nur Hilfe beim Ausfüllen des Suchantrags, sondern vor allem Trost. Wäre die Sprache von Lenz nicht so wasserklar und unaufdringlich, man könnte glauben, man sei in ein Buch von Wilhelm Raabe gestolpert.
Dass die Bundesbahn längst eine Horrorwelt von „Service-Points” und „Snackerias” geworden ist, bleibt schonend verborgen; kein einziges quietschgelbes Wort verunziert diese Prosa, bloß die „Umstrukturierung” lagert wie fernes Donnergrollen am Horizont. Die Bahn muss Stellen abbauen, und der Leser ahnt rasch, dass der Zwang zur Einsparung auch nicht vor dem Schiebefenster des Fundbüroschalters halt machen wird. Vorerst lernen wir andere Probleme der Jetztzeit kennen: Im Bauch einer Spielzeugpuppe findet sich verstecktes Geld – Drogenhandel? Ein sarmatischer Mathematiker – Universität Sarátow – hat seine Felltasche liegengelassen, gottseidank bekommt Henry schnell heraus, dass der Fremde in einem nahegelegenen Hotel abgestiegen ist.
Doktor Fedor Lagutin spricht ein noch altmodischeres Deutsch, als es der Roman ohnehin schon kultiviert. Denn bei ihm zu Hause gibt es einen deutschen Club, „und wenn einige eurer Schriftsteller – solche, die in unserem Herzen wohnen – Geburtstag haben, denken wir an sie und feiern sie mit Lesungen und mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen”. „Sagenhaft”, sagt Henry dazu, „das finde ich einfach sagenhaft.” Kein Wunder, dass Fedor und Henry Herzenfreunde werden und dass Henrys Schwester bald in stummer Liebe zu dem edlen und hochkultivierten Steppenmenschen entbrennt.
Böse wie ein Märchenwald
Mit ihm bekommt die Geschichte historische und menschliche Tiefe. Fedor stammt aus einer Kultur uralter Gastfreundschaft. In der norddeutschen Stadt aber, in der Henry lebt und deren Universität den Doktor eingeladen hat, treibt eine ausländerfeindliche Motorradbande ihr Unwesen. Auf den öden Asphaltflächen der Hochhaussiedlung, in der Henry wohnt, jagen sie einen farbigen Briefträger und verletzen auch den sarmatischen Gast. Keine Gewalt!, ist eigentlich Henrys Lebensdevise, aber im Lauf der Erzählung muss er lernen, dass sie nicht ausreicht.
Siegfried Lenz schafft es, seinen halbrealistischen Märchenton bis zum Schluss durchzuhalten; gleichzeitig gelingt ihm ein Traumbild vom Aufstand der Anständigen, das den guten Schluss doch vermeidet. Der gutmütige Henry will seinen Arbeitsplatz für einen älteren Kollegen, der in den Vorruhestand gedrängt wird, räumen – vergebens, ein Schlaganfall kommt ihm zuvor. Und gegen die Motorradbande wehrt er sich, indem er den schwarzen Briefträger heldenmütig verteidigt. Doch Fedors überstürzte Abreise zurück nach Sarmatien kann er nicht verhindern. Der freundliche Mathematiker wurde auf einer Universitätsfete beleidigt – das ist schlimmer als die Wunden, die ihm die Motorradfahrer beigebracht haben. „Den Pfeil, der dich trifft, kannst du herausreißen, Worte aber bleiben stecken für immer”, weiß ein sarmatischer Sinnspruch.
Der Roman „Fundbüro” spielt auf die Gegenwart nur an. Das hier entworfene Deutschland ist farbloser, freundlicher und altmodischer als das wirkliche: viel schöner, weil grauer und wärmer. Zugleich ist es böse und gefahrvoll wie ein Märchenwald. Immer wird es böse Menschen geben, sagt uns dieses milde Buch, deshalb muss man sich entscheiden. Trotzdem dürfen wir unser Land liebhaben so wie der Sarmate seine mondbeglänzte Steppe – wenn wir darüber nur die Nächstenliebe nicht vergessen.
GUSTAV SEIBT
SIEGFRIED LENZ: Fundbüro. Roman. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2003. 336 Seiten, 21,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der neue Lenz-Roman ist ein dramatisches, gut erzähltes Buch, findet Rezensent Kurt Flasch, der eigenem Bekunden zufolge außerdem durch rasche Handlungsumschwünge und realistische Einlagen gefesselt wurde. Doch dies Lob ist schnell relativiert: denn zusehends hat das "Papierene, das Lehrhafte" der Romanfiguren dem Rezensenten das Lesen erschwert, bis er schließlich zu dem Ergebnis kommt, dass ihnen nicht nur "psychologische Vertiefung", sondern das Leben fehlt. Besonders Protagonist Henry sei eine "Demonstrationsfigur", klagt Flasch. Aber auch andere Figuren des Romans halten dem Rezensenten zufolge ein Plakat hoch und geben eine Sentenz von sich, am liebsten eine "politische Maxime". Einen "Hauch poetischen Zaubers" freilich legt Lenz nach Ansicht des Rezensenten über den Roman, weil er einen der Protagonisten in der Sprache der Herder-Zeit reden lasse. Doch dann mindere Lenz den Wert dieser Erfindung, indem er als Erzähler selbst in diese Diktion falle. Das Humanitätspathos, das eben noch die fortlaufende Barbarisierung unserer Zeit für den Rezensenten hörbar machte, erscheint ihm in diesen Momenten als "forcierte Besinnlichkeit".

© Perlentaucher Medien GmbH