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J R ist ein kleiner elfjähriger Junge, dem ständig die Schnürsenkel an seinen zerschlissenen Turnschuhen reißen, der nie ein sauberes Taschentuch zur Hand hat und von seiner Mutter vernachlässigt wird. Keiner ahnt, dass er - inspiriert vom Sozialkundeunterricht - vom Schultelefon aus ein Konto in Nevada eröffnet und damit begonnen hat, billigen Aktienplunder zu kaufen. Einmal auf den Geschmack gekommen, betreibt er das Spiel mit allem Ernst und Eifer weiter: Er macht Anleihen, fusioniert Firmen und verschiebt ungerührt ganze Belegschaften. Als Geschäftsführer und Strohmann für unvermeidliche…mehr

Produktbeschreibung
J R ist ein kleiner elfjähriger Junge, dem ständig die Schnürsenkel an seinen zerschlissenen Turnschuhen reißen, der nie ein sauberes Taschentuch zur Hand hat und von seiner Mutter vernachlässigt wird. Keiner ahnt, dass er - inspiriert vom Sozialkundeunterricht - vom Schultelefon aus ein Konto in Nevada eröffnet und damit begonnen hat, billigen Aktienplunder zu kaufen. Einmal auf den Geschmack gekommen, betreibt er das Spiel mit allem Ernst und Eifer weiter: Er macht Anleihen, fusioniert Firmen und verschiebt ungerührt ganze Belegschaften. Als Geschäftsführer und Strohmann für unvermeidliche öffentliche Auftritte gewinnt er Edward Bast, seinen Musiklehrer. Dessen persönliche Karriere steht allerdings in krassem Gegensatz zum kometenhaften Aufstieg der J R Corporation: Zunächst mit der Arbeit an einer Oper beschäftigt, bescheidet er sich schon bald mit einer Kantate, um am Ende in einem unvollendeten Cello-Solo zu verstummen. Aber auch J R's Finanzimperium trudelt schließlich dem Bankrott entgegen...
Autorenporträt
William Gaddis (1922-98) zählt mit Don DeLillo, Richard Ford und Thomas Pynchon zu den bedeutendsten amerikanischen Schriftstellern unserer Zeit. Nach dem Studium in Harvard reiste er mehrere Jahre durch Europa, Zentralamerika und Nordafrika und arbeitete an seinem ersten Roman, 'Die Fälschung der Welt', der 1955 in Amerika erschien. Die Kritik vermisste das Positive und schickte den Autor in die Wüste. Jahrelang arbeitete Gaddis als Produzent von Lehrfilmen in der Industrie und für das Militär. Erst zwanzig Jahre später, 1975, erschien sein zweiter Roman, 'J R'. Es folgten 'Die Erlöser' und 'Letzte Instanz'. Kurz vor seinem Tod vollendete Gaddis das Hörspiel 'Torschlusspanik' sowie einen letzten Roman 'Agape, Agape'.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2011

Eine Welt voll Klang und Wut

In "JR" zeigt uns Großmeister William Gaddis ein System auf Speed. Ob als Wirtschaftssatire, als Drehbuch oder als eine Art Hochgeschwindigkeits-Luhmann - lesen muss man den gnadenlosen, grandiosen Roman.

Von Frank Hertweck

William Gaddis sei der Anti-Franzen, hat Jonathan Franzen einmal gesagt, und "JR" ein unleserliches Buch, dessen "lächerlich komplizierte Handlung auf Wagners Ring basiert" (F.A.Z. vom 5. November 2005). Genauso gut könnte man behaupten, Franzens letzter Roman beruhe auf den Ratgeberfragen: "Wie finde ich den richtigen Partner fürs Leben" und "Wie kriege ich ihn/sie ins Bett?"

Jetzt hat man die Chance zu überprüfen, ob nicht doch etwas mehr hinter "JR" steckt als eine schräge Wagner-Adaption mit den Mitteln der Postmoderne. Im gleichen Jahr wie Franzens "Freiheit" ist "JR" von William Gaddis in der leicht überarbeiteten, hochmusikalischen Übersetzung von Marcus Ingendaay und Klaus Modick wieder erschienen, nachdem es 1996 erstmals auf Deutsch veröffentlicht worden war. Damals noch mit einem emblematischen JR auf dem Cover, heute um das Bild eines Jungen ergänzt, der den "Kleinen Strolchen" entlaufen scheint und leider die Idee des Buches verrät, dass man den Burschen eben nie sieht.

"JR" ist ein monströser Roman über einen elfjährigen Jungen, der ein gewaltiges Wirtschaftsimperium aufbaut. In aller Unschuld nimmt er das kapitalistische System beim Wort und auseinander. JR ist gierig. Und er lernt schnell.

Beim Klassenausflug bei einer New Yorker Bank erwirbt die Klasse eine Aktie, ihr "Anteil an Amerika". Und JR einen Schnellkurs in Kapitalismus auf der Vorstandstoilette: "Kennt nicht die erste einfachste Scheiß-Regel, die es gibt, Kauf auf Kredit, Verkauf für Bares?" Von nun an kauft und beleiht der Knabe, was er in die Finger kriegen kann, Ramschpapiere einer Textilfabrik, eine obskure Energiefirma mit Schürfrechten, eine Brauerei, eine Druckerei, die Streichholzschachteln bedruckt, einen Prothesen- und einen Haushaltsgerätehersteller, einen Papierproduzenten, ein Tabakunternehmen.

Er dealt mit Pensionsfonds und Versicherungen und Schweinebäuchen, er siedelt Indianer um, um an deren Reservat heranzukommen, weil man da irgendwelche Mineral- oder Gasvorkommen vermutet, er möchte seine Schule kaufen und Schulbücher mit Werbung ausstatten, er entwickelt Fusionskonzepte für ein Gesundheitssystem, bei dem alles aus einer Hand kommt: Altenheim, Pflegeheim, Beerdigungen, Friedhofsverwaltung. Alles gerät außer Rand und Band.

Und weil er nicht selbst in Erscheinung treten kann, telefoniert er mit vorgehaltenem Taschentuch mit der wachsenden Zahl von Mitarbeitern, die er schließlich in einer Suite im Waldorf untergebracht hat, alle Übertragungsfehler inbegriffen. JR verwandelt sich in ein gerüchtestreuendes Orakel, der alles, was er weiß, in der Zeitung liest, in Broschüren, Rundbriefen. Nichts davon ist wirklich geheim. Vieles nicht recht verstanden. Aber jede noch so durchgeknallte Idee wird ernst genommen, weil alle glauben, dass irgendetwas dahintersteckt. Das Arkanum ist in der Wirtschaft angekommen. Keiner ruft, der Kaiser ist nackt.

Bis zum Ende versuchen die anderen, den Sinn hinter den Maßnahmen zu verstehen und wenn möglich am Erfolg teilzuhaben. Man weiß ja nie, was die anderen wissen. Darum muss man darauf wetten, dass sie etwas wissen. Unterstellung lässt das System laufen - von Anfang an. Nachdem der Broker Crawley zu Beginn des Romans JRs Ramschportfolio vernichtend bewertet hat, telefoniert er doch mit seinem Kollegen, um ihm zu stecken, dass sich da etwas tut. Das Spiel beginnt. Aktienbewegungen sind Informationen, Bewegung erzeugt Bewegung.

JR ist ein Apologet des Rechts. Selbst am Ende, wenn sein gewaltiges Imperium untergegangen sein wird, reicht es nicht für ein Betrugsverfahren gegen ihn. "Ich meine, wieso stehlen. Wenn es so Gesetze gibt, wo man sich alles nehmen kann, was man haben will, und trotzdem ist es legal." Er nimmt sie wörtlich, eine, wie sein Anwalt sagt, "zwanghafte Bezugnahme auf den Wortlaut des Gesetzes in Verkennung des Geistes dieses Gesetzes". Das ist nichts Überraschendes, sondern Steuerberaterarbeit. Aber während die erfahrenen Banker von Typhon International das äußerst zynisch betreiben, macht JR das ohne Arg. Das Ergebnis ist das gleiche, weil Moralfragen nicht interessieren.

Aber wie intelligent ist das System? Kann der sogenannte Markt zwischen einem elfjährigen Teilnehmer und einem erfahrenen Banker unterscheiden? Nein, wenn man den Aufstieg JRs anschaut, scheinbar ja, weil er untergeht. Aber das tut er nicht, weil er erst elf ist. Der nächste JR sitzt schon in den Startlöchern.

William Gaddis leistet hier literarisch etwas, was man allenfalls mit dem Werk von Niklas Luhmann vergleichen kann. Er arbeitet sich durch die einzelnen Systeme der Gesellschaft hindurch: die Kunst in der "Fälschung der Welt", die Religion in "Erlöser", das Recht in "Letzte Instanz" und eben die Wirtschaft der Gesellschaft in "JR". Aber während sich Luhmann für das erstaunliche, weil unwahrscheinliche Funktionieren interessiert, entfaltet Gaddis ein System auf Speed, er ist eine Art Hochgeschwindigkeits-Luhmann, der testet, wann das System von den Gleisen springt. Ihm geht es um die wachsende Komplexität gesellschaftlicher Prozesse, an denen die Komplexitätsreduktionsmechanismen an ihre Grenzen kommen. Er interessiert sich für die ausufernde mediale Vernetzung, in "JR" sind es nur Fernsehen, Telefon, Bildtelefon, Tonband, die es gleichzeitig immer störanfälliger macht - bis zum Zusammenbruch. "Hab ich bei Wiener über Kommunikation gelesen, je komplizierter die Botschaft, desto größer die Möglichkeit für Scheiß-Irrtümer . . . zu viel Entropie-Scheiße überall."

In diesem Roman wird fast nur gesprochen, es ist ein gewaltiges Hörspiel, ein akustisches Weltengemälde, ein sprechendes, streitendes, plauderndes, brabbelndes Inferno. Dabei ist es völlig egal, ob man sich versteht oder nicht versteht, ob Sinn oder Unsinn geredet wird. Wichtig ist: Solange die Akteure glauben, etwas zu verstehen, läuft die Maschine weiter. Wer denkt, Kommunikation habe mit Transparenz zu tun, sieht sich von Gaddis eines Besseren belehrt. Permanent wird geredet, telefoniert, gesprochen, Fernseher laufen in der Schulkonferenz, Telefonleitungen werden verschaltet, Hörer aus Versehen nicht aufgelegt, Akten fallen zu Boden, Skripte werden vertauscht, Gespräche belauscht, überall spricht es, ein Radio läuft den ganzen Roman über und lässt sich nicht abschalten. Alles geht durcheinander, und niemand ist da, der den Lärm stoppen könnte. Jeder ist zum Mitmachen gezwungen.

Im Interview mit Klaus Modick erzählt Gaddis, warum das so ist. Er wollte in diesem Roman auf einen Erzähler verzichten, auf eine ordnende Hand und so etwas wie Echtzeit-Literatur schreiben. Und welche Schreibweise wäre näher an der Echtzeit als der Dialog? Nach Fernsehserien wie "24" oder TV-Konzepten wie "scripted reality" merkt man schnell, wie viel "JR" mit einem Drehbuch für eine Wirtschaftssatire gemein hat. William Gaddis ist der Realität verpflichtet, nicht dem Realismus. Und das bedeutet in aller Konsequenz, die Sprache selbst als Teil der Wirklichkeit zu verstehen.

Aber das macht den Roman auch so schwierig und kompliziert. Es ist ein Buch, das erschöpft und überfordert, da hat Franzen recht. Aber es ist darum ein reiches, unerschöpfliches Werk, ein außerordentlich komisches, eine brillante Satire mit größerem prognostizistischen Wert als manches ernstgemeinte Gutachten. Witzigere Dialoge finden sich kaum in der Weltliteratur. Der Roman ist von großer Musikalität. Und er ist eine Kreuzworträtselliteratur für Freunde des Ratens. Aber man kann ihn über weite Strecken auch ohne Raten lesen. Natürlich gibt es auch in "JR" jemanden, der die Fäden in der Hand hält, aber man kriegt ihn nicht zu fassen. Weniger Autor geht nicht. Jonathan Franzen steht für Vertrauen in seine Instanz, Gaddis für das Gefühl, manchmal sehr alleine zu sein.

Und hier steckt auch der eigentliche Konflikt zwischen Gaddis und Franzen. Fast ist es ein moralischer. Franzen schreibt so etwas wie heiße Literatur, voller Liebe zu seinen Personen, er würde vielleicht sogar so weit gehen und sagen: nur so bekommen literarische Figuren Substanz. Gaddis hingegen ist ein Meister der kalten Literatur. Seine Figuren erscheinen wie durch ein Mikroskop vergrößert und so gleichzeitig auf Distanz gebracht. Keiner traut dem anderen, Gaddis nicht seinen Figuren und diese sich nicht untereinander. Man mag sie nicht recht, sie sind unangenehm, verschroben, egoistisch. Mit ganz wenigen Ausnahmen: Emily "Amy" Joubert, Nichte des Tycoons, an JRs Schule tätig, eine etwas naive Unschuld, von ihrem Mann getrennt lebend, im Kampf um den gemeinsamen Sohn, schöne Geliebte und sorgende Mutter.

Und dann ist da Edward Bast, Komponist und ebenfalls kurzzeitig Lehrer an JRs Schule, der heillos überforderte Geschäftsführer von JR Corp. Eigentlich will er Opern schreiben. Aber dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als JR bei dessen Geschäften zu vertreten. Zunächst reduzieren sich seine großen Pläne auf das Komponieren einer Kantate, dann auf ein Solo für Cello. Nichts scheint den Siegeszug des Ökonomie mehr aufzuhalten. Träume gibt es nur als verlorene. Darin ist dieser Roman gnadenlos.

Das ist das zweite große Thema von "JR". Welchen Ort hat die Kunst in der Welt des Geschäftemachens? Wie kann Kunst unter diesen Bedingungen entstehen? Zunächst erscheint eine Künstlerwohnung in der 96. Straße in Manhattan als eine Art Gegenwelt zur um sich greifenden Ökonomisierung. Aber schnell zeigt sich, dass auch hier nichts zu wollen ist. Alle Bewohner sind gescheitert - nicht an der Gesellschaft, an sich selbst.

Jack Gibbs ist der Brillanteste von ihnen, er hat ein Buch über die Mechanisierung der Künste begonnen und es nie beendet. Jetzt arbeitet er ebenfalls als Lehrer an der Schule JRs und ist, wenn es so etwas gibt, die dritte zentrale Figur des Romans, er ist zynisch, dauernd betrunken, spielsüchtig, chronisch pleite und bekommt plötzlich eine Chance auf einen Neubeginn. Die schöne Amy verliebt sich in ihn. Es sieht so aus, als würde Jack wieder auf die Beine kommen, er überarbeitet sein altes Manuskript und stellt sich permanent die Franzen-Frage: Wer soll denn das verstehen? - um sich dann doch wieder in seinem Weltschmerz zu suhlen.

Man hat den Eindruck, Amerikas verlorene Generation versammelt sich in dieser Wohnung in der 96. Straße, pessimistisch, mit zerstobenen Plänen, ohne Zukunft, das traurige Bild einer kriegsversehrten Generation, denen die Ideale ausgetrieben wurden, ohne dass es ihnen gelungen wäre, auf den Zug illusionslosen Geschäftemachens aufzuspringen. Es ist die Aura der Romane von Richard Yates, ein düsteres Panorama von mehr oder weniger trinkfesten Männern, die es mit zickig-verständnislosen Ehefrauen oder Ex-Ehefrauen und bereitwilligen Sekretärinnen zu tun haben.

Sie alle hausen mehr oder weniger in diesem Apartment, das sich im Laufe des Romans in das schäbige Headquarter von JR Corp. verwandelt und sich mit allem füllt, was JR günstig kriegen kann oder von dem er glaubt, es gehöre in eine echte Unternehmenszentrale. Das zunehmende Durcheinander, die Stapel, die Kartons, die dauernden Lieferungen erzeugen eine Komplexität, die keiner mehr beherrscht und die ständig vom Zusammenbruch bedroht ist.

"JR" ist ein unbarmherziges Buch, und es ist noch unerbittlicher, wenn Gaddis über die Entstehungsbedingungen von Kunst nachdenkt. Aber im Gegensatz zu der Oper, die Edward Bast nie fertig komponiert, zu den vielen ungeschriebenen Büchern, die in Notizen und Skizzen versanden, zerrissen, zertreten, befleckt, zerstreut auf dem Boden liegen, ist Gaddis' Buch fertig geworden. "JR" ist da. Gaddis hat seiner komplexen Wirklichkeit dieses Werk abgerungen, das gerade darum eines der großen der Weltliteratur ist und in seiner formalen Anlage fast einzigartig.

Hätte irgendjemand in Deutschland einen solchen Roman schreiben können? Es gibt eine seltsame Verwandtschaft von Gaddis mit dem großen Außenseiter der deutschen Nachkriegsliteratur, mit Arno Schmidt: die gleiche maßlose Bildungsbeflissenheit, die große Musikalität, das Schreiben gleichsam mit den Ohren, Texte als Partituren, die extreme Präzision im Detail, die Darstellung von Sexualität. Aber die Welt von Schmidt ist eben Schmidts Welt. Und von den jüngeren? Ein Rainald Goetz, der Aufstieg und Fall von Leo Kirch hätte mitschreiben dürfen. Gaddis konnte das alles erfinden - und in eine Form bringen.

Die musikalisch volltönende Übersetzung von Klaus Modick und Marcus Ingendaay ist eine symphonische Dichtung, die alle Register zieht. Sie wurde an manchen Stellen leicht verschärft. "Dauernd heulen sie über die Eingriffe des Staates" heißt es jetzt ganz korrekt. "Doppelbesteuerung und so fort, aber wenn alles nicht mehr hilft mit der freien Marktwirtschaft und sie den Karren in den Dreck gefahren haben, dann sind sie die ersten, die die Hand aufhalten und nach staatlichen Bürgschaften schreien."

So weit, dass Banken gerettet werden müssen, ist "JR" noch nicht, da schluckt einfach einmal eine große eine kleine. Zu spät ist sich JR darüber im Klaren, wer die eigentlichen Big Player sind. "Ich meine, die Banken verlieren doch nie. Ich hätte mir selber von Anfang an 'ne Bank beschaffen sollen." Am Ende räumen die Banken auf. Um so groß zu werden, dass man sie nicht mehr untergehen lassen kann.

William Gaddis: "JR". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay und Klaus Modick. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 1040 S., geb., 29,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Eine Wiederentdeckung, die es in sich hat, erblickt Julian Weber in William Gaddis' 1975 erschienenem Wirtschaftskrisenroman "JR", der jetzt in einer überarbeiteten Übersetzung vorliegt. Er lässt keinen Zweifel: Das monumentale Werk ist keine leichte Lektüre, verzichtet Gaddis doch auf einen auktorialen Erzähler, auf Kapitel und Absätze, um das Geschehen fast ausschließlich über Dialoge zu entwickeln, deren Bedeutung der Leser selber einordnen muss. Gleichwohl hält er den sperrigen Roman, in dessen Zentrum ein elfjähriger Schüler steht, der nach einem Klassenausflug an die Wall Street selber in das Aktiengeschäft einsteigt und den Markt ordentlich aufmischt, der Mühen der Lektüre wert. Denn Gaddis enthüllt in seinen Augen das "intensive Chaos des Kapitalismus": Geld als einzig verlässliche Größe, Börsenzockerei, kaputte Familienverhältnisse, vergiftete Arbeitsatmosphären, der Einzelne permanent unter Druck und am Rande der Erschöpfung. Webers Fazit: höchst aktuell.

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