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In seinem hochdramatischen Roman schildert Yasmina Khadra die Metamorphose eines unbescholtenen jungen Mannes zum Killer der GIA, der Bewaffeneten Islamischen Gruppen, die Algerien in eine blutige Tragödie stürzten.
"Ich habe meinen ersten Mann am Mittwoch, dem 12. Januar 1994, morgens um 7 Uhr 35 getötet. Er war Anwalt..." Nafa Walid, Sohn eines kleinen Eisenbahners aus der Kasbah von Algier, ist ein sympathischer Junge, der davon träumt, Schauspieler zu werden. Aber der Traum zerschlägt sich, und Nafa wird Chauffeur bei der einflußreichen Familie Raja, die eine luxuriöse Villa in den…mehr

Produktbeschreibung
In seinem hochdramatischen Roman schildert Yasmina Khadra die Metamorphose eines unbescholtenen jungen Mannes zum Killer der GIA, der Bewaffeneten Islamischen Gruppen, die Algerien in eine blutige Tragödie stürzten.
"Ich habe meinen ersten Mann am Mittwoch, dem 12. Januar 1994, morgens um 7 Uhr 35 getötet. Er war Anwalt..." Nafa Walid, Sohn eines kleinen Eisenbahners aus der Kasbah von Algier, ist ein sympathischer Junge, der davon träumt, Schauspieler zu werden. Aber der Traum zerschlägt sich, und Nafa wird Chauffeur bei der einflußreichen Familie Raja, die eine luxuriöse Villa in den Nobelvororten von Algier bewohnt. Als im Bett des Raja-Sohnes ein junges Mädchen an einer Überdosis Heroin stirbt, macht dieser ihn zu seinem Zeugen und zwingt ihn, die Tote noch in derselben Nacht zu verscharren, nachdem ihr Gesicht und ihr Körper bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden.
Dieses traumatische Erlebnis stürzt Nafa in tiefe Verzweiflung, er vergräbt sich, sucht Trost in der Religion, ein fanatischer Islamist vermittelt ihm einen ersten Kontakt zum Imam. Er will den Raja-Sohn des Mordes anklagen, muß aber erfahren, daß er gegen die vermögende und mit der Wirtschafts- und Politprominenz des Landes verbundene Familie keine Chance hat. Tief resigniert, willigt er schließlich ein, Fahrer für die Fundamentalisten zu werden. Was folgt, ist der langsame, stufenlose Abstieg in die Hölle - durch äußere Gewalt und durch eigene schuldhafte Verstrickung.
Autorenporträt
Yasmina Khadra ist das Pseudonym des 1956 geborenen algerischen Autors Mohammed Moulessehoul. Als hoher Offizier der algerischen Armee konnte er sein Pseudonym erst lüften, als er im Dezember 2000 mit seiner Familie ins Exil nach Frankreich ging. Er erfand die Figur des Commissaire Llob, den Helden von fünf Kriminalromanen, deren letzte drei in Frankreich herauskamen und eine Einheit bilden, eine Trilogie zum Thema Bürgerkrieg und seiner Hintergründe. Vorher und nachher veröffentlichte er weitere Romane. Zur Trilogie, die mit Morituri beginnt, schreibt Yasmina Khadra: "Die Trilogie will eine möglichst getreue Analyse der Tragödie sein, die mein Land erschüttert."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Die Angst der Sonne vor der Stadt
In der Endlosschleife der Gewalt: Yasmina Khadras großer Roman über die Wirren Algeriens / Von Joseph Hanimann

Den ersten großen Roman über das algerische Drama der neunziger Jahre hätte man eigentlich von dem Lager erwartet, das schreibend seinen Blutzoll bezahlt hat. Daß er nicht von einem Journalisten, Berufsschriftsteller oder Rechtsanwalt, sondern von einem - ehemaligen - Armeeangehörigen stammt, paßt zur Verstrickung der Ereignisse in Algerien. Yasmina Khadra ist das Pseudonym, das der 1956 geborene Armeeoffizier Mohammed Moulessehoul von seiner Frau entlehnte und unter dem er bis zu seiner Ausreise über Mexiko nach Frankreich vor gut einem Jahr schon mehrere Bücher veröffentlichte. Auf deutsch ist eine Kriminaltrilogie um den Kommissar Llob bekannt. Im autobiographischen Buch "L'Ecrivain" (Der Schriftsteller) hatte er nach seiner Ankunft in Frankreich die wahre Identität der Yasmina Khadra enthüllt.

Die gerade auf französisch erschienene Aufzeichnung "L'imposture des mots" erzählt die schwierigen Anfangsmonate des Exils nach dieser Enthüllung, wo die Medien am Schriftsteller vorbei vor allem den ehemaligen Armeeangehörigen zur Rede stellen wollten. Sosehr der Autor sich vom Offiziersleben distanziert und im Schreiben heute seine wahre Bestimmung sieht, bestreitet er jede Beteiligung der algerischen Armee an den Bluttaten, entgegen anderen Aussagen.

Auch in diesem vor drei Jahren erschienenen Roman schaukelt ein Doppel-Ich zwischen erster und dritter Person narrativ hin und her. Die zunächst im gemessenen Kapitelrhythmus noch ausfedernde Bewegung wird im Fortgang immer kürzer, härter, prosaischer. Im beschleunigten Ostinato dieser untergründigen Erzählbewegung sucht der Autor das Paradox seines Stoffs einzufangen: jenen Zusammenhang von allmählichem, unaufhaltsamem, fast selbstverständlichem Abgleiten in die Barbarei und jähem Eintauchen in die Parallelwelt des Greuels, von der es kein Zurück mehr gibt.

Nafa Walid stammt aus einer kleinen Eisenbahnerfamilie der Kasbah in Algier mit jähzornigem Vater, resignierter Mutter und drei schwer verheiratbaren Schwestern. Die entsprechend kleingemusterten Ausbruchsträume des Jungen von Filmkarriere und Schauspielerruhm scheinen zunächst in Erfüllung zu gehen mit einer verheißungsvollen Erstlingsrolle. Die Realität holt den "Versager aus der letzten Reihe" aber bald wieder ein. Das aussichtslose Herumjobben des jungen Mannes ohne Ausdauer hat für ihn weniger mit Faulheit zu tun als mit einem rebellischen Rest von Selbstachtung, die ihn nicht jede subalterne Rolle einnehmen läßt. Eine Stelle als Chauffeur bei einer der reichsten Familien des Landes bringt ihn schließlich, wenn auch nur als Dienstangestellten, in die Nähe von Luxus und großem Lebensstil.

Sie bringt ihn allerdings auch auf jenen abschüssigen Lebensweg, der in den Abgrund führt. Dieser Weg ist gepflastert mit den widerwärtigen Allüren von Neureichen, der bodenlosen Korrumpierung eines ganzen Milieus und totaler Willkür der Machtausübung, denen Nafa ausgesetzt ist. Das luderhaft kindische Herrensöhnchen mit dem Übernamen "Junior", dem Nafa als Fahrer zugeteilt ist, kennt nur die Tyrannei seiner Augenblickslaunen. Das kaltblütige Vorgehen Juniors, auf dessen Lustlager ein Mädchen an einer Überdosis draufgeht, das daraufhin mit einem bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Gesicht vom Leibwächter in einem Wald verscharrt wird, wirft den Augenzeugen Nafa in tagelange Verstörung und aus seinem Dienst nach Vorschrift heraus. Nicht die eifernden Islamisten der FIS sind es, die in der Darstellung Khadras den ersten Blutakt vollbringen, sondern die zynischen Sprößlinge des korrupten Privilegiertenmilieus. Die Predigten der aufgebrachten Gottesmänner kommen den ihnen Zuströmenden oft eher öde vor. Viel schlimmer aber ist die elende Mittelmäßigkeit der kleptokratischen Machthaber, die nicht den geringsten Sinn für höhere Dinge aufbringen. Die Islamisten hören uns wenigstens zu und anerkennen unser Tun, sagt der frustrierte Quartiermusiker Ali zu seinem Freund Nafa.

Die windungsreich zögernde Annäherung des wieder in seinem griesgrämigen Elternhaus lebenden Nafa an die Islamisten wird vor dem Hintergrund der in die Romanhandlung hereinflimmernden realen Zeitgeschichte Algeriens nach den annullierten Wahlen 1991 geschildert: Rückkehr der einstigen Afghanistan-Kämpfer, der "Cheikhs", erste Übergriffe der Milizen auf Prostituierte, Trinker und sonstige "gotteslästerliche" Elemente, Inhaftierung der Islamistenführer Madani und Ali Belhadj, Ausbreitung einer neuen, radikaleren Mufti-Generation im Untergrund. Die verzweifelte Suche Nafas mitten in den Krawallen nach dem Schurken, der mit seinem Schmiergeld für das Ausreisevisum durchgebrannt ist, oder eine aufregende Taxi-Irrfahrt durch die von den ersten Bombenexplosionen erschütterte Stadt wirken etwas bemüht. Überzeugender ist es, wenn die historische Kulisse in sachlich knappen Zügen auf den Hintergrund der Romanhandlung getupft wird. Am deutlichsten zeigt sich Khadras literarisches Können in der Kraft der Bilder, die, wie von einem poetischen Hauch gebläht, sich hie und da jäh von Roman- und Zeitgeschichte abheben.

Nafa fährt nämlich als Chauffeur bald seine ersten Einsätze für riskante Aktionen der Islamisten - und "endlich existierte er, zählte er". Dann folgt auch sein erster Todeskommandoeinsatz, gegen einen Rechtsanwalt. Als er dem Mann gegenübersteht, kann er vor Panik zuerst nicht abdrücken und dann mit dem absurden Schießen auf den längst Toten gar nicht mehr aufhören. "Nach dem dritten macht es einem nichts mehr aus", tröstet ihn später sein Chef. Nafa ist nachträglich rasend wegen der Fügsamkeit des Ermordeten, der sich wehrlos seinem Los gestellt und auf Nafas vergewissernde Frage nach seinem Namen einfach mit einem tonlosen Ja geantwortet hatte.

So ein Trauma kann den Mörder nur zum Weitermorden veranlassen. Und die sachlich-eiskalte Detailschilderung der Vorgänge - das Gebiß, das einem Opfer beim Schuß auf die Kühlerhaube prallt und dann auf dem Asphalt zersplittert, das Messer, das beim Durchschneiden der Kehle sich bis zum Halswirbel einkerbt, die Schreie der mit Benzin übergossenen und angezündeten Verletzten nach einem Gefecht - verlangt geradezu nach der lindernden Gegenwirkung jener poetischen Bilder: das Bild von der Morgensonne über Algier, die lieber draußen auf dem Meer wartet, bis die Nacht ihr letztes Schafott abgebaut hat, oder das Bild von der nächtlichen Stadt im Nebel, die, von Tausenden gischtgepeitschter Leichentücher umflattert, auf das in ihren Eingeweiden rumorende Entsetzen lauscht und nichts mehr erwartet, weder von den Menschen noch von den anderen Nationen, noch vom Himmel, noch von der Weite des Horizonts.

Was im dritten Romanteil folgt, wo die Erzählperspektiven zwischen "ich" und "er" nur noch hohl gegeneinanderklappern, ist die Vollendung der Umwertung aller Werte, die der Nietzsche-Leser Yasmina Khadra eingehend studiert hat. Nafa herrscht als Bandenchef in den Bergen und terrorisiert die kabylischen Bauern, stets im Namen der Gottesgefälligkeit. Am befremdlichsten ist dabei, wie mitten in die kaltblütige Bestialität Anflüge von selbstverständlicher Menschlichkeit sich mischen, wenn Nafa etwa einen alten Freund wiedertrifft oder am Schluß sich sogar auf eine krude Liebesgeschichte einläßt. Wo die rivalisierenden Formationen von GIA und AIS schon nicht mehr nur gegen die Ordnungskräfte, sondern auch gegeneinander im Kampf liegen, regiert in der finsteren Gewaltapotheose keine Kampftaktik und keine Logik mehr, sondern nur noch blutrünstiges Draufgängertum. In den kurzen Verschnaufpausen unter irgendeinem Dickichtstrauch mögen die Kämpfer dann den Gedanken nachhängen, "wovon die Wölfe träumen, tief in ihrer Höhle, wenn ihre Zunge zwischen zwei satten Rülpsern im frischen Blut ihrer Beute schwelgt".

Nafa Walid liegt aber bald dort, wo er im Prolog schon lag: in einer von der Polizei umstellten Hausruine, inmitten seiner letzten verletzten oder toten Kumpane. Der Fortgang des Gewaltzyklus, aus dem es kein Zurück mehr gibt, ist so narrativ zur Endlosschleife gebogen, der Sonderfall Algerien literarisch zum Paradigma umgearbeitet: erschreckend, fesselnd, lehrreich und im ganzen auch gut übersetzt.

Yasmina Khadra: "Wovon die Wölfe träumen". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Regina Keil-Sagawe. Aufbau Verlag, Berlin 2002. 331 S., geb., 20,- .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

""Erschreckend, fesselnd, lehrreich" findet Rezensent Joseph Haniman diesen Roman, in dem er den algerischen Gewaltzyklus "narrativ zur Endlosschleife" gebogen sieht, den "Sonderfall Algerien" literarisch zum Paradigma umgearbeitet. Zunächst lüftet der Rezensent die Identität der Autorin, hinter der eigentlich ein Autor steckt: ein ehemaliger Armeeoffizier namens Mohammed Moulesshoul, der unter dem Namen seiner Frau bereits mehrere Bücher veröffentlicht habe. In diesem, vor drei Jahren zuerst in Frankreich erschienenen Roman, sieht der Rezensent "ein Doppel-Ich zwischen erster und dritter Person" narrativ hin und herschaukeln. Die zunächst im "gemessenen Kapitelrhythmus noch ausfedernde Bewegung" werde im Fortgang immer kürzer, härter und prosaischer, beschreibt der Rezensent das "beschleunigte Ostinato" der untergründigen Erzählbewegung des Romans. So versuche der Autor das Paradox seines Stoffes einzufangen: den Zusammenhang von allmählichem Abgleiten in die Barbarei und Eintauchen in die Parallelwelt des Gräuels. In die Tragödie des jungen Protagonisten sieht Hanimann reale algerische Zeitgeschichte hineinflackern. Am deutlichsten hat sich das literarische Können des Autors dem Rezensenten in der Kraft der Bilder offenbart, die "wie von einem poetischen Hauch gebläht", sich gelegentlich von Roman- und Zeitgeschichte abheben würden.

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