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Dieses Buch erzählt die Geschichte der Zwickauer Terrorzelle, die sich «Nationalsozialistischer Untergrund» nannte. Es rückt ganz nah heran an die Biographien von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Die Autoren beschreiben, wie aus drei Mittelschichtskindern rechtsextreme Terroristen werden konnten, die über ein Jahrzehnt lang mordeten und im Untergrund lebten - ohne gefasst zu werden. In einer detailreichen Reportage schildern sie in beklemmenden Nahaufnahmen, wie die drei Extremisten ihre Taten verübten, wer ihnen half und wie sie ihren Alltag organisierten. Parallel zur Geschichte…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch erzählt die Geschichte der Zwickauer Terrorzelle, die sich «Nationalsozialistischer Untergrund» nannte. Es rückt ganz nah heran an die Biographien von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.
Die Autoren beschreiben, wie aus drei Mittelschichtskindern rechtsextreme Terroristen werden konnten, die über ein Jahrzehnt lang mordeten und im Untergrund lebten - ohne gefasst zu werden. In einer detailreichen Reportage schildern sie in beklemmenden Nahaufnahmen, wie die drei Extremisten ihre Taten verübten, wer ihnen half und wie sie ihren Alltag organisierten.
Parallel zur Geschichte der Zwickauer Terrorzelle beschreibt das Buch das gesellschaftliche Klima in Deutschland nach der Wende, in dem sich das Trio radikalisierte. Es zeigt auf, welche Umstände dazu führten, dass über ein halbes Jahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder solch brutaler Terror von rechts gedeihen konnte.
«Ein intensives Buch, ein spannendes Buch, das ein völlig neues Licht auf die Zwickauer Terrorzelle wirft. Ich kann es als ein großes Stück schonungsloser Aufklärung nur empfehlen.»
Hans Leyendecker
Autorenporträt
Christian Fuchs arbeitet für das Investigativ-Ressort der ZEIT. Zuvor hat er dem Rechercheverbund von NDR und Süddeutscher Zeitung angehört. Seit über einem Jahrzehnt beschäftigt er sich intensiv mit Rechtsextremismus. Er ist Gewinner des Reporterpreises, des RIAS-Preises sowie des Leuchtturms für besondere publizistische Leistungen und zählte bereits mehrfach zu den "Journalisten des Jahres". Bei Rowohlt erschienen von ihm gemeinsam mit John Goetz "Die Zelle" und der Bestseller "Geheimer Krieg".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Erst sieben Monate ist es her, dass die Existenz der rechtsextremen Terrorzelle NSU bekannt wurde - da kann das soeben erschienene Buch "Die Zelle" nichts anderes als ein "Schnellschuss" sein, meint Rezensent Andreas Förster. Zumal entscheidende Details noch immer unbekannt oder umstritten seien. Dennoch hätten sich die Autoren John Goetz und Christian Fuchs mehr Mühe geben können, ein belastbares, differenziertes Bild zu entwerfen, meint der verärgerte Rezensent. Aus "Bequemlichkeit", so Försters Vorwurf, verträten sie die These von einer isolierten Gruppe, ließen Verfehlungen und Ungereimtheiten in der Arbeit von Verfassungsschutz und Bundesbehörden unerwähnt, hinterfragten zweifelhafte Erklärungen der Ermittler nicht und ignorierten die Unschuldsvermutung. Da wundert sich der Rezensent, wie ausgerechnet Hans Leyendecker, der "Hohepriester" des investigativen Journalismus in Deutschland, ein Vorwort beisteuern konnte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2012

Serienkiller
Die "Zwickauer Zelle"

Journalisten können schneller urteilen als Untersuchungsausschüsse, Sonderermittler und Richter. Sie haben es leichter, aus ein paar dürren Fakten eine bunte Geschichte zu konstruieren. Das Buch von Christian Fuchs und John Goetz über die drei mutmaßlichen Rechtsterroristen vom "Nationalsozialistischen Untergrund" widersteht jedoch dieser schnellen Versuchung. Vielleicht waren sie abgeschreckt durch Irrtümer ihrer schreibenden Berufskollegen, die das Wort "Döner-Morde" in die Welt brachten und jahrelang, auch in dieser Zeitung, der falschen Hypothese hinterherjagten, acht türkischstämmige und ein griechischer Geschäftsmann seien von einer "Bosporus"- oder "Halbmond-Mafia" getötet worden. Noch im August 2011 hatte der "Spiegel" fabuliert, die Mordwaffe liege eventuell im Safe einer romantischen Schweizer Villa am Bodensee. Ein Kenner des Mafia-Milieus, "Mehmed" habe sie dem Staatsanwalt besorgen können, doch dieser habe "Mehmed" leider "verprellt". Tatsächlich lag die Pistole in einer Wohnung im sächsischen Zwickau. Bis November 2011.

Am Freitag, dem 4. November gegen 15 Uhr macht Beate Zschäpe einen schweren Fehler. Die mutmaßliche Terroristin soll Spuren beseitigen, alles tilgen, was über sie und ihre beiden Komplizen zu finden wäre. Böhnhardt und Mundlos sind zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Der eine hat dem anderen mit einer großkalibrigen Waffe den Schädel weggeschossen und sich dann einen Gewehrlauf in den Mund gesteckt. Das Wohnmobil, in dem das geschieht, brennt lichterloh. Kurz danach hat Beate Zschäpe Benzin in der Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 verschüttet und es angezündet. Doch als die Frau mit ihren Katzen unterm Arm die brennende Wohnung verlässt, vergisst sie, die Fenster zu öffnen, um dem Feuer Luft zu verschaffen. So kommt es nur zu einer Verpuffung. Die zerfetzt zwar das halbe Stockwerk. Doch in den Trümmern bleiben Hunderte Gegenstände erhalten: Waffen, Computerfestplatten, Handys, Rechnungen, Flugblätter, CDs, Spielzeug.

Die Hinterlassenschaften des mörderischen Trios werden zu Indizien im größten Ermittlungsverfahren, das die Bundesanwaltschaft seit der Terroristenjagd in den siebziger und achtziger Jahren geführt hat. Im Herbst soll der Prozess gegen Frau Zschäpe und andere beginnen. Was weiß man über die Herkunft, das Verschwinden und das Leben des Mord-Trios im Untergrund? Wie haben sie es geschafft, dreizehn Jahre lang unentdeckt quer durch Deutschland Morde und Banküberfälle zu verüben? Das Buch - schnell und flott geschrieben - will einen Zwischenstand geben zu einem politischen Kriminalfall, der inzwischen mehrere hundert Aktenordner füllt.

Fernsehreporter Fuchs und Zeitungsjournalist Goetz bleiben im Wesentlichen bei den Fakten und halten sich mit Bewertungen und Urteilen zurück. Zur lückenhaften Polizeiarbeit, zu den mutmaßlichen Versäumnissen von Staatsanwaltschaften, Nachrichtendiensten und auch der Presse werden in den fünf Kapiteln zwar immer wieder Tatsachen und Fragen eingestreut, epische Empörung aber vermieden. Eine collagenhafte Arbeitsweise wenden Goetz und Fuchs leider auch an, wenn es um "gesellschaftliche Umstände" geht, unter denen die Gruppe nach dem Ende der DDR in Jena entstand. Hier zitieren sie nahezu ausschließlich konservative oder auch bornierte CDU-Politiker. Die leugneten Mitte der neunziger Jahre den steten Anstieg rechtsextremer Gewalt, schrieben brennende Asylbewerberheime und rassistischer Morde einer verfehlten Asylpolitik der SPD zu oder, als selbstverschuldetes Schicksal, den Opfern selbst. So entschuldigt beispielsweise der Mecklenburgische CDU-Politiker Rehberg die Belagerung eines Asylbewerberheims durch einen rassistischen Mob: "Dass die Ausländer unsere Sitten und Gebräuche nicht kennen und vielleicht nicht kennen wollen, stört die Befindlichkeit unserer Bürger." Damit soll der Eindruck entstehen, eine wenigstens latent rassistisch-antisemitische CDU habe die Zwickauer Serienkiller animiert. An derart schäbiger Einseitigkeit und böser Infamie entgleist das Buch inmitten wohlsortierter Sachlichkeit.

Die Autoren durften Untersuchungsakten einsehen, haben Zeitungsberichte zusammengetragen und gemeinsam mit ihren Helfern eigene Recherchen angestellt. Dreizehn Stunden befragten sie vor laufender Kamera die Eltern von Uwe Böhnhardt. Daraus ist ein NDR-Film geworden, und daraus stammen die interessanten Passagen des Buches über die Anfänge des "Trios" in Jena und das vergebliche Bemühen der Eltern Böhnhardt und Mundlos, ihre Kinder von dem Irrsinn abzubringen, dem sie seit Mitte der neunziger Jahre mit unheimlicher Konsequenz und wachsender Brutalität anhingen. Fuchs und Goetz haben mit dem ersten Buch zu dem Fall einen guten Beitrag geleistet, trotz ihrer bedauernswerten politischen Engstirnigkeit.

PETER CARSTENS

Christian Fuchs/John Goetz. Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland. Rowohlt Verlag, Berlin 2012. 272 S., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.12.2012

Terroristen kommen
nicht aus dem Nichts
Betrachtungen der Milieus, die das Entstehen
der Verbrechergruppe NSU möglich machten
VON TANJEV SCHULTZ
So viel die Ermittler und die Öffentlichkeit mittlerweile über die Neonazi-Killer zu wissen glauben, vieles an der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bleibt weiterhin ein Rätsel. Die Auswahl der Tatorte und der Opfer, der Abbruch der Mordserie im Jahre 2007 oder das offene Freizeitleben des Trios, das einem Leben im „Untergrund“ zu widersprechen scheint: Das Bild vom NSU ist bruchstückhaft. Etliche Bücher sind nun zu dem Thema erschienen: Sie erschließen das geistige und soziale Milieu, in dem der NSU entstanden ist.
Um Terrorismus zu verstehen, dürfe man „nicht nur auf die Terroristen blicken“, schreibt der Bochumer Historiker Fabian Lemmes in einer lesenswerten Fallstudie über die Anarchisten des 19. Jahrhunderts. Der Beitrag findet sich in einem Sammelband, der den NSU nur am Rande streift und im Übrigen darlegt, wie wichtig das soziale Umfeld zum Verständnis terroristischer Gruppen ist. In dem Buch der Konfliktforscher Stefan Malthaner und Peter Waldmann finden sich beispielsweise Aufsätze zum radikalen Milieu im antiken Judentum, zur Unterstützer-Szene der RAF oder zu den militanten Salafisten.
Die Beiträge eint die plausible Grundidee, dass Terrorgruppen keine isolierten, „freischwebenden“ Zellen sind. Das bedeute freilich nicht, dass das radikale Milieu, aus dem Terroristen heraus agieren, in jedem Falle und in allen Teilen positiv auf Terrorakte reagiert oder diese aktiv unterstützt. Es kann die Terroristen, das zeigen die Beiträge, manchmal sogar bremsen.
Der Generalbundesanwalt stellt den NSU als weitgehend abgekapselte Kleingruppe dar. Sogar von den wenigen mutmaßlichen Helfern ist bisher nicht klar, wie viel sie wirklich vom NSU und dessen Verbrechen wussten. Juristisch scheint der NSU also doch so etwas wie eine „freischwebende“ Zelle zu sein. Soziologisch kann und sollte man das anders sehen.Dierk Borstel und Wilhelm Heitmeyer sprechen in ihrem Aufsatz über den Rechtsterrorismus von einem „Zwiebelmuster“: Der ideologische und personelle Kern einer militanten Gruppe sei abhängig von den „Lieferungen der radikalisierten Milieus“, Terroristen kämen nun einmal nicht aus dem Nichts.
Bleibt dies noch abstrakt und theoretisch distanziert, gelingt es den Journalisten Christian Fuchs und John Goetz (der mitunter auch für die SZ tätig ist), dem NSU-Trio nahezukommen, ohne dabei den sozialen Kontext aus dem Blick zu verlieren. Ihre Monografie „Die Zelle“ ist ein spannender Report über das Leben und die Taten von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, wie sie sich aus unzähligen Akten und der Befragung vieler Weggefährten darstellen. Doch sie ist noch mehr. Eingewoben sind Reminiszenzen an das rassistische geistige Klima, die unselige Asyldebatte und die endemische Neonazi-Gewalt der Neunzigerjahre, in denen das NSU-Trio politisch groß wurde. Wer nun noch einmal liest, wie nicht zuletzt in Thüringen, wo die drei lebten, der Staat vor den Rechtsextremisten zu kapitulieren schien, den erfasst auch im Rückblick der Zorn. Die Schwäche des Staates und die damals bis in die Union reichende Hetze gegen vermeintliche Asylbetrüger können das Trio auf ihrem Weg der Radikalisierung durchaus ermuntert haben.
  Und nichts hat sich geändert: Die Fingerabdrücke von Flüchtlingen werden längst schon in der Datenbank Eurodac gespeichert, aber nur für die Zwecke des Asylverfahrens. Künftig – so eine geplante EU-Richtlinie – sollen Sicherheitsbehörden auf Eurodac umfassend zugreifen können. Das heißt: Wo immer eine Straftat verübt wird, kann man als Erstes gucken, ob als Täter ein Asylsuchender infrage kommt. Jeder Flüchtling: ein potenzieller Straftäter.
Es gab, immerhin, die Lichterketten anständiger Bürger. Doch Politik und Behörden bildeten damals keineswegs ein starkes Band im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Das hat unlängst sogar der BKA-Präsident Jörg Ziercke eingeräumt. „Wir hätten uns“, sagte Ziercke, „alle gemeinsam bereits Anfang der 1990er-Jahre dafür einsetzen müssen, den gewalttätigen Rechtsextremismus koordinierter und zielgerichteter zu bekämpfen.“ Das ist eine Einsicht. Aber sie kommt spät – und für viele Opfer zu spät.
Das Buch von Fuchs und Goetz schildert, wie das NSU-Trio vor dem Untertauchen ungerührt von den milden Sanktionen rechtsextreme Rebellion betrieb: wie Uwe Mundlos im Werkunterricht Hakenkreuze in Metallplatten ritzte, wie er gemeinsam mit Beate Zschäpe Geld aus einem Jugendtreff gestohlen haben soll, und ein Jugendrichter Zschäpe später zu Sozialstunden in ebendiesem Club verurteilte. Sie tanzten, so wirkt es, allen auf der Nase herum und machten sich im Kreise ihrer braunen Kameraden als elitäre, besonders provokante Truppe wichtig.
Das Trio lebte in einem ohnehin radikalen Milieu, in dem es nur durch noch mehr Radikalität Aufmerksamkeit erzielen konnte. Für jugendliche Täter ist diese psychologische Komponente kaum zu unterschätzen – der NSU allerdings verzichtete später bis zu seinem Ende darauf, sich öffentlich mit seinen Taten zu brüsten.
Das Konzept „Taten statt Worte“, dem der NSU folgte, war bei Neonazis schon länger im Gespräch und wurde mitunter auch praktiziert. Doch weder im Bewusstsein der Sicherheitsbehörden noch dem der Öffentlichkeit war das präsent – so wenig wie die internationalen Neonazi-Netzwerke, die lange vor dem NSU ihre Terror-Strategien propagierten. Die Journalisten Maik Baumgärtner und Marcus Böttcher liefern in ihrem Buch „Das Zwickauer Terror-Trio“ einen nützlichen Exkurs zu diesen Netzwerken und folgen im Übrigen der Chronologie der NSU-Verbrechen. Ihr Buch ist ein hilfreicher Überblick, der noch offene Fragen und Unklarheiten nicht verschleiert. Mitunter geben die Autoren allerdings auch windigen Zeugen ein Forum.
Die Publizisten Patrick Gensing („Terror von rechts“) und Olaf Sundermeyer („Rechter Terror in Deutschland“) entfernen sich dagegen in ihren Monografien vom NSU und rücken stattdessen die Geschichte des Rechtsterrorismus und das um ihn gesponnene „braune Netz“ ins Zentrum. Gensing schlägt einen Bogen bis zu einer Rede Heinrich Himmlers, in der dieser 1943 sagte, Mord sei eine Notwendigkeit, die nicht in der Öffentlichkeit verhandelt werden sollte. Gensing, der seit Jahren über Rechtsextremisten schreibt, zitiert aus den Songs von Neonazi-Bands und erinnert an die vielen Gewalttäter, deren Überfälle auf Einwanderer seit Jahrzehnten Alltag sind in Deutschland. Der Autor versteht den Rechtsextremismus als eine „soziale Bewegung“, wobei nicht ganz klar wird, was damit analytisch gewonnen ist.
Gensing, so viel wird deutlich, mag nicht glauben, dass der NSU als isolierte Gruppe agierte. Er vermutet offenbar ein größeres Unterstützer-Netzwerk, dessen Ausmaße bisher nur noch nicht richtig erfasst worden sind. Denkbar ist das, aber bisher fehlen dafür juristisch belastbare Belege. Und die soziologische Einsicht, dass Terrorgruppen ohne soziales Umfeld nicht vorstellbar sind, bedeutet ja keineswegs, dass sich eine Zelle nicht im Lauf ihrer Entwicklung lösen kann von allen Strukturen, die ihre Existenz gefährden (= die Polizei auf ihre Spur bringen könnten).
Nicht nur die Behörden, auch kenntnisreiche Reporter haben all die Jahre keinen Verdacht geschöpft. Wäre das möglich gewesen, wenn der NSU beim Planen seiner Taten weiter mit bekannten Szene-Größen kooperiert hätte?Wie die Antwort auch ausfällt, die verschiedenen Schichten der Zwiebel aufzublättern, die den NSU umgeben, ist in jedem Falle notwendig. Ohne die braunen Kameradschaften, die wiederum mit der NPD verbunden waren und sind, hätte die Zwickauer Zelle auf keinen Resonanzboden hoffen können. In einem Kapitel zeigt Gensing, wie Rechtsextremisten die „sächsische Demokratie“ vor sich hertreiben und Antifa-Gruppen unter der Repression des Staates leiden.
Olaf Sundermeyer wiederum befasst sich mit den Konjunkturen des rechten Terrors in der Bundesrepublik. Er präsentiert nicht nur eine bedrückend ausführliche Chronologie der Anschläge seit den Neunzigerjahren. Er geht auch zurück zu den Tätern früherer Jahrzehnte: zur Wehrsportgruppe Hoffmann und der Hepp-Kexel-Bande. Diese Namen sind weit weniger bekannt als die der linken Terroristen der RAF oder der „Bewegung 2. Juni“.
Am ehesten in böser Erinnerung ist vielen das Oktoberfest-Attentat von 1980, bei dem 13 Menschen starben, darunter der mutmaßliche rechtsextreme Täter. Die organisierten Strukturen des rechten Terrors, die Wehrsportgruppen oder das im Jahr 2000 in Deutschland verbotene Netzwerk „Blood & Honour“ blieben dagegen eher ein Thema für Fachleute. Und wer erinnert sich an Odfried Hepp? Er verübte Anfang der Achtzigerjahre gemeinsam mit einer Handvoll anderer Rechtsextremisten Bombenanschläge. Die Bande überfiel außerdem Banken.
Sundermeyer hat Odfried Hepp, Jahrgang 1958, für das Buch besucht. Er beschreibt ihn als „unscheinbaren, freundlichen Mann“, der leise spricht. Sie hätten sich als „100-prozentige Nationalsozialisten“ verstanden, sagt Hepp. Die Bande plante damals, den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß aus dem Gefängnis in Berlin-Spandau zu befreien. Weil sich die Gruppe zerstritten hatte, kam es jedoch nicht dazu.
Unweigerlich schweifen die Gedanken bei Hepps Offenbarungen wieder zum NSU. Dessen Protagonisten können oder wollen nicht reden. Zwei NSU-Mitglieder – Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – sind tot. Ihre mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe, die sich voraussichtlich von Frühjahr an in München vor Gericht verantworten muss, schweigt bisher zu allen Vorwürfen. Ihre Geschichte liegt erst in Umrissen vor. Der Gerichtsprozess wird hoffentlich dazu beitragen, mehr über den NSU zu erfahren – und auch über das radikale Milieu, in dem die Ideologie und der Terror des NSU heranreiften.
Stefan Malthaner, Peter Waldmann (Hg.): Radikale Milieus. Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen. Campus Verlag, Frankfurt 2012. 390 Seiten, 34,90 Euro.
Christian Fuchs, John Goetz : Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland. Rowohlt, Reinbek 2012. 267 Seiten, 14,95 Euro.
Maik Baumgärtner, Marcus Böttcher: Das Zwickauer Terror-Trio. Ereignisse, Szene, Hintergründe. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2012. 255 Seiten, 14,95 Euro.
Patrick Gensing: Terror von rechts. Die Nazi-Morde und das Versagen der Politik. Rotbuch Verlag, Berlin 2012. 236 Seiten, 14,95 Euro.
Olaf Sundermeyer: Rechter Terror in Deutschland. C.H. Beck, München 2012. 271 Seiten, 16,95 Euro.
Man hätte, sagt der BKA-Präsident
Ziercke, den Rechtsextremismus
besser bekämpfen müssen
Die Bundesrepublik war zu Neonazis nie so nett wie die Mutti auf unserem Bild. Dass ihre Sicherheitskräfte aber bis in jüngste Zeit auf dem rechten Auge blind waren, wird heute auch von offizieller Seite zugegeben.
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So gut geschrieben, dass man manchmal das Gefühl hat, man sitze mit den Reportern im Auto. Südwest Presse