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Zu allen Zeiten haben Philosophen und Künstler Definitionen des Schönen gesucht. Das Hässliche dagegen ist meist nur als Gegensatz zum Schönen verstanden worden, fast nie wurde es für sich selbst betrachtet. Umberto Eco hat nun in seiner Geschichte der Häßlichkeit ein wunderbares Panoptikum versammelt: von Hölle und Teufel zu Monstern und Märtyrern, von den Hexen zu den Satanisten, vom Grotesken zur Obszönität, von der Apokalypse bis zum modernen Kitsch. Ein phänomenales Buch, das mit einem überwältigenden Reichtum an Abbildungen und Textstellen die faszinierende Nachtseite jener Schönheit…mehr

Produktbeschreibung
Zu allen Zeiten haben Philosophen und Künstler Definitionen des Schönen gesucht. Das Hässliche dagegen ist meist nur als Gegensatz zum Schönen verstanden worden, fast nie wurde es für sich selbst betrachtet. Umberto Eco hat nun in seiner Geschichte der Häßlichkeit ein wunderbares Panoptikum versammelt: von Hölle und Teufel zu Monstern und Märtyrern, von den Hexen zu den Satanisten, vom Grotesken zur Obszönität, von der Apokalypse bis zum modernen Kitsch. Ein phänomenales Buch, das mit einem überwältigenden Reichtum an Abbildungen und Textstellen die faszinierende Nachtseite jener Schönheit zeigt, in welcher sich die abendländische Kultur so gerne sonnt.
Autorenporträt
Eco, Umberto
Umberto Eco wurde am 5. Januar 1932 in Alessandria (Piemont) geboren und starb am 19. Februar 2016 in Mailand. Er zählte zu den bedeutendsten Schriftstellern und Wissenschaftlern der Gegenwart. Sein Werk erscheint im Hanser Verlag, zuletzt u.a. Die Fabrikation des Feindes und andere Gelegenheitsschriften (2014), Nullnummer (Roman, 2015), Pape Satàn. Chroniken einer flüssigen Gesellschaft oder Die Kunst, die Welt zu verstehen (2017) und Auf den Schultern von Riesen. Das Schöne, die Lüge und das Geheimnis (2019).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2007

Das Schöne hat nur ein Gesicht, das Hässliche aber tausend
Umberto Eco hat eine überbordend reiche Geschichte des Unschönen zusammengestellt Von Jens Bisky
Physis ist Schicksal. Die Wölbung der Nase, die Farbe der Haare haben über viele Leben entschieden. Wenn kein Schönheitschirurg hilft, Kosmetik nicht ausreicht, bedarf es anderer Tricks, etwa des bekannten mit der „hässlichen Freundin”, die so abstoßend wirkt, dass ihre Begleiterin allemal schön erscheint. In Emile Zolas Erzählung „Die Vogelscheuchen” wird daraus eine Geschäftsidee. Ein gewisser Durandeau beschließt, „aus der Hässlichkeit Kapital zu schlagen” und gründet eine Agentur, bei der vermögende Frauen eine hässliche Partnerin buchen können. Leider klappt das nicht immer. Manchmal ist eine Kundin einfach hässlicher „als jede mögliche Begleiterin”. Es bedarf nur wenig Empathie, um das Leiden derer zu mitzuempfinden, die sich ihrer Widerwärtigkeit auf diese Weise bewusst werden oder die an der Seite einer Schöneren den Tag verbrachten und abends allein vor dem Spiegel stehen. Hässlichkeit macht einsam, stößt aus dem Kreis der Menschen aus, und es ist wohl nur ein geringer Trost für die „unerlösten hässlichen Entlein”, dass Alkibiades einst eine Lobrede auf Sokrates und dessen äußere Hässlichkeit hielt: unter dem Äußeren eines Silen verberge der Philosoph eine tiefe innere Schönheit.
Vor dem Spiegel hilft die Selbstgewissheit dem guten Menschen wenig, mag er sich noch so sehr bemühen, seine Souveränität zurückzugewinnen, er bleibt ins Ich gebannt. Jean-Paul Sartre hat den Moment unvergesslich geschildert, berichtet, wie er aus Selbstschutz Grimassen schnitt: „Der Spiegel war mir eine große Hilfe: ich zwang ihn, mich zu lehren, dass ich ein Monstrum war (. . .) ich war in schauerlicher Weise natürlich. Ich habe mich nie davon erholt.” Man erinnere sich daneben an Quasimodo, an Frankensteins Ungeheuer und an das Gegenbild des Dorian Gray – der Gegensatz von Innen und Außen ist eines der eindrucksvollsten literarischen Motive, das selten seine Wirkung verfehlt. Ihm korrespondiert der Glaube, dass körperliche Entstellungen moralische Hässlichkeit anzeigen – man denke an Cesare Lombrosos Zusammenstellung von Verbrecherphysiognomien oder die Stereotype antisemitischer Propaganda.
Die Frage, wie wir auf Hässliches reagieren, es darstellen, erklären, deuten, erkennen, leitet untergründig Umberto Ecos „Geschichte der Hässlichkeit”, eine überbordend reiche, äußerst knapp kommentierte Zusammenstellung von Bildern und Texten. Äußerlich ähnelt sie seiner 2004 auf deutsch erschienenen „Geschichte der Schönheit”, aber sie hat sich anderen, verwickelteren Problemen zu stellen. Es gibt einen Kanon des Schönen, Proportions- und Harmonielehre, eine stolze Reihe philosophischer Bestimmungen der Schönheit in Natur und Kunst; aber wenn von Hässlichkeit die Rede ist, fehlen oft einlässliche und plausible Definitionen. Es gibt kein Ideal des Hässlichen, der Kulturhistoriker sieht sich einem unabsehbar vielgestaltigen Reich gegenüber, und es scheint angemessener, einen Katalog des Grässlichen, Entsetzlichen, Widerwärtigen zu erstellen, als es auf den Begriff zu bringen.
Hässlich ist, was Hass hervorruft, mag man aus der deutschen Wortgeschichte schließen. Das altgriechische aischrós bezeichnete Deformiertes, Untaugliches ebenso wie moralisch Verwerfliches, subsumierte das verpfuschte Handwerksprodukt wie die Missetat unter einen Titel. In der philosophischen Ästhetik führte das Hässliche lange Zeit ein ihm beinahe adäquates Schattendasein, bis 1853 Karl Rosenkranz seine „Ästhetik des Häßlichen” herausgab, eines der großen, scharfzüngigen, noch in seinen Beschränkungen hellsichtigen Bücher des 19. Jahrhunderts. Es bot nahezu die gesamte abendländische Literatur-, Kunst- und Geistesgeschichte auf, um die eigene Gegenwart verstehen zu können. Rosenkranz sprach von „Unform und Mißform”, „Gemeinheit und Scheußlichkeit” und „infernaler Bosheit”. Das „häßlichste Häßliche” sei nicht „das, was aus der Natur in Sümpfen, in verkrüppelten Bäumen, in Krüten und Molchen, in glotzenden Fischungeheuern und massiven Dickhäutern, in Ratten und Affen” uns anwidere, sondern „die Selbstflucht, die ihren Wahnsinn in den tückischen und frivolen Gebärden, in den Furchen der Leidenschaft, in dem Scheelblick des Auges und – im Verbrechen” offenbare.
Die „wirkliche Hölle”, in die der wortmächtige Stilist Rosenkranz seine Leser führte, war freilich nicht ohne Himmel. Er sprach dem Hässlichen jede Selbstständigkeit ab; es existiere nur in Bezug auf die Schönheit, als deren Negation. Wer sich mit ihm befasse, müsse niedersteigen in die „Hölle des Schönen”.
Diese Hölle besitzt viele ästhetische Reize, kann sogar eine schöne sein, und so ist es wohl ganz im Sinne von Rosenkranz, wenn Umberto Eco seine überbordend materialreiche „Geschichte der Hässlichkeit” mit zwei Gemälden rahmt, die Laien wie Kenner zu den Meisterwerken der Kunst und mithin zum Reich des Schönen rechnen: Er beginnt mit Picassos „Weinender Frau” aus dem Jahr 1937 und endet mit Diego Velázquez’ „Porträt des Jungen von Vallecas” und bringt – etwa in der Mitte des Bandes – eine Abbildung des „Laokoon”, der Schönheitstrunkenen vieler Jahrhunderte begeisterte.
In jedem der drei Fälle ist das Verhältnis von Hässlichem und Kunst ein anderes. Die schlichte alte Wahrheit, dass eine getreue künstlerische Darstellung des Widerwärtigen und Abstoßenden Schönes hervorbringen könne, reicht zur Erklärung kaum aus. Verglichen mit den Schönheitsköniginnen unserer Tage müsste Picassos „Weinende Frau” deformiert scheinen. Sie zeugt vor allem von der ungeheuren Kluft zwischen dem Alltagsvorstellungen vom Schönen und der
Kunstschönheit, einer Differenz, die für die Geschichte der modernen Kunst entscheidend geworden ist. Das rechtfertigt Ecos Unternehmen, das Hässliche – anders als Rosenkranz – als ein selbstständiges Phänomen zu betrachten. Aber damit weitet sich das ohnehin gewaltige Reich ins Unermessliche. Es ist wohl kein Zufall, dass in der neueren Forschung das Böse, der Schrecken, der Ekel, Spielarten des Hässlichen, eigens behandelt wurden, aber eine Gesamtdarstellung nicht vorliegt. Das Material ist zu reichhaltig und führt zwangsläufig auf immer neue Nebenpfade.
Eco meistert die Fülle mit bewundernswertem Takt, mit Liebe zum Einzelnen und vorurteilsloser Neugier. Der Reichtum des Buches mag anfangs einschüchtern. Es ist nicht für die fortlaufende Normallektüre gedacht, sondern lädt zum Blättern, Nachschlagen, Vergleichen ein. Es vertraut auf Leser, die noch etwas von einem kleinen Jungen in sich haben, die Welt auf eigene Faust entdecken und zugleich neue Rätsel aufspüren wollen, ohne Angst, sich zu verlieren.
Drei historische Zäsuren prägen die Geschichte des Hässlichen. Während die Griechen das Schreckliche, Unvollkommene der Wirklichkeit sahen, modellierten sie ihre Götter – mit der Ausnahme des Hephaistos – als Exemplare höchster, nicht mehr zu übertreffender Schönheit. Im christlichen Mittelalter verkehrte sich dieses Verhältnis: „Unter theologisch-metaphysischem Blickwinkel ist für das Mittelalter”, schreibt Eco, „das ganze Universum als Werk Gottes schön, und in dieser umfassenden Schönheit sind auch das Hässliche und das Böse in gewisser Weise aufgehoben; die Gottheit dagegen, Christus, der für uns gelitten hat, wird im Augenblick seiner größten Demütigung dargestellt.” Neben Bilder des Schmerzensmannes, des gegeißelten und gekreuzigten Gottessohnes, stellt Eco Hegels gewohnt klare Worte, dass der Mann „mit der Dornenkrone, das Kreuz zum Richtplatz tragend, ans Kreuz geheftet, in der Qual eines martervollen, langsamen Todes hinsterbend” sich nicht „in den Formen griechischer Schönheit” darstellen lasse.
Aber man muss nur wenige Seiten blättern, sechs Gemälde des heiligen Sebastian betrachten – das älteste von Andrea Mantegna aus den Jahren 1457-1459 –, um eine Vorstellung von der Schönheit des Leidens und seiner homoerotisch aufreizenden Gefälligkeit zu gewinnen.
Als mit der Renaissance das Irdische, Menschliche, Leiblich-Sinnliche Vorrang vor dem Göttlichen gewann, erhielt auch das Obszöne, Groteske, Plumpe eine andere Stellung in der Welt, wurde Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins. Monster, Fremde wecken nicht mehr allein Entsetzen, sondern wissenschaftliche Neugier.
Die Emanzipation der Kunst, das Vergnügen am ästhetischen Spiel, erlauben es, Schönheitsmängel, etwa alternder Frauen (ein ewig beliebtes Thema) mit Ironie und Sympathie zu schildern. Die Verurteilung des Hässlichen ist nicht mehr selbstverständlich, bald nimmt sich die Vorliebe für das Außergewöhnliche, Staunenerregende der Hinkenden, Schielenden und Buckligen an. Eindrucksvoll zeichnet Eco nach, wie einerseits der Teufel an Schrecken verliert und andererseits das Bild der Feinde immer dämonischer wird. Die metaphysisch gebundene Bosheit wandert in den Alltag.
Die Romantik, die auch hier das Erbe des 18. Jahrhunderts antritt, entbindet und befreit die Hässlichkeit endgültig. „Das Schöne hat nur ein Gesicht; das Hässliche tausend”, deklarierte Victor Hugo 1827, als er antrat, die lange Vorherrschaft des Klassizismus in Frankreich zu beenden. Aber noch wendet man sich dem Unförmigen, Verwesenden, den Schrecken der Großstadt, der Armut und der Schornsteine mit dem Willen zur schönen Form zu. Nicht umsonst wird Charles Baudelaire in diesem Buch am häufigsten zitiert, der noch über ein Aas Verse schrieb, wenigstens so schön wie Petrarcas Sonette auf Laura.
Dass die zerrissenen Geister der Moderne im Hässlichen schwelgen, um ihre „abgestumpften Nerven aufzukitzeln”, weil sie in ihm „gleichsam das Ideal ihrer negativen Zustände” erblicken, hatte Rosenkranz empört notiert. Heute besitzt das Hässliche in der Kunst nur noch begrenzte Kraft. Das „Hässliche der Avantgarden” sei, so Eco, „längst als neues Schönheitsmuster akzeptiert”. Das erst Abstoßende wird immer rascher integriert und kanonisiert.
Mit einem grandiosen Dreiklang schließt Eco sein Panorama des Widrigen: Er handelt von Kitsch und Camp als dem „Geschmack der anderen”. Er widerspricht der Annahme umfassender Relativierung mit einem Hinweis auf den „diabolus in musica”, unangenehme Intervalle wie die übermäßige Quarte, die heute wohl akzeptiert werde, aber nur weil sie den Schwefelgeruch nie eingebüßt habe. Es folgt ein Appell an das Mitgefühl mit Kranken, Deformierten und Entstellten. So gut eingeführt aber das Hässliche in den Inszenierungen der Gegenwart ist – so unverändert strebt im Alltag alles zur Schönheit.
Umberto Eco (Hrsg.)
Die Geschichte der Häßlichkeit
Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann, Petra Kaiser und Sigrid Vagt. Carl Hanser Verlag, München 2007. 453 Seiten, 39,90 Euro.
Das Hässliche hat keinen Kanon – sein Reich ist unabsehbar vielgestaltig
Der Teufel verliert an Schrecken – die menschlichen Feinde aber werden immer dämonischer
In der Renaissance wurde auch das Obszöne, Groteske, Plumpe Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins. Agnolo Bronzino, Der Zwerg Morgante, Rückenansicht mit einem Käuzchen auf der Schulter. Das Bild aus dem 16. Jahrhundert hängt in der Gallerie Palatina im Palazzo Pitti zu Florenz. Abbildung aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Diese "überbordend reiche" Geschichte des Hässlichen ist nicht für das Lesen in einem Stück gedacht, rät Jens Bisky, sondern lädt ein, immer wieder darin zu blättern und sich punktuell zu vertiefen. Besonders geeignet sei das Kompendium für denjenigen Typ des Lesers, der mit kindlicher Unerschrockenheit ins Ungewisse aufbrechen und alles am liebsten selbst erforschen möchte. Denn die Einordnung der Texte und Bilder geschehe zwar mit "bewundernswertem Takt", aber auch mit einem gewissen Minimalismus von Seiten des Herausgebers Umberto Eco. Was den abenteuerlustigen Bisky aber nicht stört. Eine überordnende Typologie des Hässlichen erstelle Eco nicht, plädiere aber für eine eigenständige Betrachtung des Phänomens, das eben nicht nur die Kehrseite des Schönen sei. Schön findet Bisky wiederum, dass Eco am Schluss mit dem Verweis auf die wohl ewig unangenehme übermäßige Quart betont, dass eben nicht alles relativ sei, nicht mal in der Postmoderne.

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