23,95 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 2-4 Wochen
Produktdetails
  • Verlag: Lenos
  • Originaltitel: La Main coupee
  • Seitenzahl: 398
  • Deutsch
  • Abmessung: 200mm
  • Gewicht: 448g
  • ISBN-13: 9783857873270
  • ISBN-10: 3857873272
  • Artikelnr.: 10315612

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Blaise Cendrars, geboren 1887 als Frédéric Louis Sauser in La Chaux-de-Fonds. Mit sechzehn lief er von zu Hause weg und kam nach längeren Reisen durch Russland, die Mandschurei und China 1910 erstmals nach Paris. Freundschaft u.a. mit Apollinaire, Chagall, Robert und Sonia Delaunay, Léger, Modigliani. Spätere Reisen führten den Schriftsteller u.a. nach Rom (1921), Brasilien (1924-1928) und Spanien (1931). Ab 1950 lebte Cendrars in Paris, wo er 1961 starb. Sein Gesamtwerk umfasst rund vierzig Bände.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.02.2003

Homer
aus der Jukebox
Blaise Cendrars
zieht einhändig in den Krieg
„Une deux, une deux” sangen die spielenden Kinder im Pariser Jardin du Luxembourg, ein Verwundeter schlug mit seinen Krücken dazu den Takt und ein einarmiger Poet kritzelte die Verse: „coupe coupe / coupe le bras coupe la tête.” Das war im Herbst 1916, nach der Rückkehr des kriegsversehrten Fremdenlegionärs Blaise Cendrars in seine Wahlheimat. Im August 1914 hatte der gebürtige Schweizer ein Manifest verfasst, das die in Paris lebenden Ausländer zum freiwilligen Waffengang für Frankreich aufrief. So kam der Dichter zur Fremdenlegion, gemeinsam mit einem bunten Häuflein von Metöken, Zigeunern und anderen fahrenden Gesellen, von denen kaum meiner den Krieg überlebte.
Seinen Dickkopf hatte Cendrars behalten, aber die rechte Schreibhand, mit der er schoss und tötete, war von einer Granate zerfetzt und der Arm amputiert worden. Fortan setzte er alles auf die Linke und hämmerte seine Gedichte und seine rhapsodische Prosa, die den Grundgeräuschen des Jahrhunderts, seinen Aufnahmeapparaten, akustischen Verstärkern und Maschinenrhythmen abgelauscht waren, bald genauso flott in die Schreibmaschine, wie der Autonarr den Alfa Romeo steuerte. Rund vierzig Bände umfasst sein Gesamtwerk, mit dem er zum Balzac seiner Zeit werden wollte. Das ist ihm zwar nicht ganz gelungen, aber seine Wirkung reicht weit, von den Künstlerateliers auf dem Montmartre und den Dichterkolonien der Rive gauche bis zu den Rockpoeten des New Yorker Village. Seine Wiederentdeckung im deutschsprachigen Raum ist das Verdienst des kleinen Basler Lenos Verlags und der wackeren Übersetzerin Giò Waeckerlin Induni.
Dreißig Jahre nach seinen Fronterlebnissen und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, den er in einem Versteck überlebte, kommt Cendrars auf die „abgehauene”, die „abgeschnittene” Hand” zurück: „La main coupée” lautet der Originaltitel seines 1946 erschienenen „Buchs der Erinnerung” an die erste Jahrhundertkatastrophe. Zwanglos und mehr einer musikalischen als einer chronologischen Ordnung verpflichtet, schließt es sich an den vor zwei Jahren erstmals auf deutsch erschienenen fulminanten autobiographischen Roman „Die Signatur des Feuers” (L’Homme foudroyé) an. Der deutsche Titel „Die rote Lilie” folgt der Überschrift zu einem kleinen Abschnitt des Buchs, an dem Cendrars eine geheimnisvoll verschlüsselte Schilderung des Schicksals seiner Hand liefert: Sie ist genauso phantastisch wie die surreale Wirklichkeit des Krieges, von dessen Opfern nichts zurückbleibt als zersprengte und in alle Himmelsrichtungen geschleuderte Glieder.
Einstürzende Bleidächer
Auch wenn Cendrars die Schrecken des Krieges einmal prosaischer und weniger kubistisch ausdrückt, kommen seinen volltönenden Melodien wie Sperrfeuer ins Literaturkontor daher. Kürzere Wege, schneller zu erreichende Ziele bietet nur der Tod, und „marschiere oder krepiere” heißt die Parole. Die Lieder der Legionäre haben alle nur ein einziges Thema: den Cafard. Der Cafard ist ein seltsam mythischer Käfer, der aus dem nordafrikanischen Wüstensand eingeschleppt wurde, ein elendes schwarzes Mistvieh, das von den Eingeweiden bis in die tiefsten Windungen des Gehirns vordringt. Seine fatalen Wirkungen stellen sich unter ewigem Warten, endlosem Nichtstun und erdrückender Langeweile ein, vor allem des nachts auf einsamem Lauschposten, „wenn die Stunden wie Bleidächer sind, die einstürzen, auf einen herabstürzen, einen einklemmen, einen platt drücken, einen unter ihrem Schutt begraben”. Wer vom Cafard befallen wird, der lässt alle Flügel hängen, er vergeht vor Trübsinn und verzehrt sich vor quälender Sehnsucht und Verlangen nach dem Hinterland, nach dem Frühling und nach dem Duft der Frauen.
Zu den schönsten, vielleicht halbwahren Episoden des Buchs gehört die Geschichte von „Madame Kupka”, der Frau des tschechischen Künstlers František Kupka, eines frühen Pioniers der abstrakten Malerei. Eines Tages soll sie sich durch alle Linien geschmuggelt haben, um ihren Mann aufzusuchen. Sie hatte Glück, denn der Erzähler selbst schob gerade Wache und führte sie zum Nest ihres Gatten: „Und die zwei wälzten sich im Stroh.”
Als Buch der Erinnerung ist „Die rote Lilie” auch ein Buch der Freunde - aber „was für ein Friedhof!” Vergeblich wird man bei Cendrars jedoch nach Schilderungen des Heldentods suchen. Seine Männer sind von beinahe hysterischer Empfindsamkeit. Die tote Zeit an der Front vertreiben sie sich mit „Boche-Schießen” oder mit Lausbubenstreichen. Cendrars selbst ist ganz in seinem Element, wenn es beispielsweise darum geht, ein zur Höllenmaschine umgebautes Grammophon zur Weihnachtsnacht in die deutschen Stellungen zu transportieren. Pünktlich um Mitternacht setzt der Erzähler die Nadel auf: Als in den feindlichen Stellungen eine Ziehharmonika aufspielt und das „O Tannenbaum” ertönt, wird dieses Lied plötzlich von der Marseillaise übertönt, worauf ein unglaubliches Feuerwerk erfolgt, an dem sich beide Seiten beteiligen. In dieser Nacht, so beschließt Cendrars seine Schilderung von 1914, seien die Engel „wohl mit verschleiertem Gesicht davongeflogen”.
VOLKER
BREIDECKER
BLAISE CENDRARS: Die rote Lilie. Aus dem Französischen von Giò Waeckerlin Induni. Lenos Verlag, Basel 2002. 400 Seiten, 23,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In seinem 1946 erschienen Gedichtband "La main coupee" (die abgeschnittene Hand) komme Cendrars, der im Ersten Weltkrieg als Frontsoldat eine Hand verlor, auf seine Kriegserlebnisse zurück, erklärt der Rezensent Volker Breidecker. Der Titel der deutschen Übersetzung, "Die rote Lilie", so Breidecker weiter, folge der Überschrift eines kleinen Abschnittes, in dem Cendrars "eine geheimnisvoll verschlüsselte Schilderung des Schicksals seiner Hand" liefere, die in ihrem Verschwinden so "surreal" und so "phantastisch" wie die "Wirklichkeit des Krieges" erscheine. Überhaupt sei der "Heldentod" in Cendrars Text abwesend, Parole sei hier das zynische "marschiere oder krepiere". Doch auch die Zeit sei gewissermaßen tot, und der "Cafard", der sehnsüchtige "Trübsinn", breche über die im "ewigem Warten, endlosem Nichtstun" und in der "erdrückender Langeweile" gefangenen Soldaten herein, die sich nur mit "Boche-Schießen" und "Lausbubenstreichen" über Wasser halten könnten. Und so sei dieser Band auch ein Buch der Freundschaft zwischen mürbe gewordenen "hysterisch empfindsamen" Männern, keinen Kriegshelden. Cendrars "Legionärslieder", so Breidecker, sind "volltönende Melodien", die "wie Sperrfeuer ins Literaturkontor" daherkommen.

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr