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Aladdin betreibt das Café am Dorfausgang, aber er hat nur einen einzigen Gast. Konvois und Soldaten sind in den staubigen Straßen, die Häuser haben keine Schlösser, und Aladdin ist schon mehrere Male gestorben. Aladdin heißt eigentlich Albert und ist Statist in einem bayerischen Trainingscamp für Afghanistansoldaten. Aber ist Albert nicht eigentlich Aladdin? Albert wird sich immer unsicherer und schon bald ist nicht mehr klar, was Spiel ist und was Ernst - die afghanische Ehefrau, die Blendgranaten, der Sack über dem Kopf? Isabelle Lehn lässt uns in BINDE ZWEI VÖGEL ZUSAMMEN die Verunsicherung…mehr

Produktbeschreibung
Aladdin betreibt das Café am Dorfausgang, aber er hat nur einen einzigen Gast. Konvois und Soldaten sind in den staubigen Straßen, die Häuser haben keine Schlösser, und Aladdin ist schon mehrere Male gestorben.
Aladdin heißt eigentlich Albert und ist Statist in einem bayerischen Trainingscamp für Afghanistansoldaten. Aber ist Albert nicht eigentlich Aladdin? Albert wird sich immer unsicherer und schon bald ist nicht mehr klar, was Spiel ist und was Ernst - die afghanische Ehefrau, die Blendgranaten, der Sack über dem Kopf?
Isabelle Lehn lässt uns in BINDE ZWEI VÖGEL ZUSAMMEN die Verunsicherung durch Medien und Weltgeschehen spüren. Und vielleicht sind wir alle irgendwie Albert, im deutschen Niemandsland zwischen Krieg und Inszenierung.
Autorenporträt
Isabelle Lehn, geboren 1979, lebt in Leipzig. Sie wurde im Fach Rhetorik promoviert und arbeitet am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Ihre Texte wurden in diversen Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht und mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Prosanova-Publikumspreis 2014 und dem Edit-Essaypreis 2016.

Binde zwei Vögel zusammen ist Isabelle Lehns Debüt.

Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Das alles beherrschende Gefühl in Isabelle Lehns Debütroman ist Entfremdet-Sein: von anderen entfremdet zu sein, vom Weltgeschehen entfremdet zu sein und vor allem sich selbst entfremdet zu sein. Es scheint, als habe sich ihr Protagonist Albert in seinem eigenen Leben wie in einem Niemandsland verlaufen. Schuld sind die Erfahrungen, die er als Aladdin in einem Trainingslager für Afghanistansoldaten gesammelt hat. Verloren und ratlos erlebt er die Gegenwart und geht von dieser aus immer wieder in den Rückblick. Man erfährt, wie er mitten in der bayerischen Pampa so lebensecht den Krieg nachspielte, dass ihn die Erinnerungen daran nicht loslassen. Er hat sich so verändert, dass er nicht in sein altes Leben zurück kann. Seine Identitätskrise, die innere Zerrissenheit, bringen ihn in einen Zustand der Lähmung, wie zwei Vögel, deren Flügel man aneinanderbindet. Dem für den Bachmannpreis nominierten Roman liegt eine tolle Idee zugrunde. Durch das Bild des unmittelbar in unserer Nachbarschaft gelegenen "afghanischen Dorfes" wird gezeigt, wie der Krieg in unsere Komfortzone einbricht - und wie wenig er sie tatsächlich berührt. Auch Albert alias Aladdin bleibt den Lesern fremd.

© BÜCHERmagazin, Katharina Manzke

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.08.2016

Realitätscheck
Isabelle Lehn öffnet einem
Reporter die Augen für sein Land
Wie soll man über die Flüchtlingskrise schreiben? Kann man überhaupt darüber schreiben, wenn man nicht selbst ein Flüchtling ist? Sicher, denn auch wenn man noch nie eine Flüchtlingsunterkunft von innen gesehen, noch kein Wort mit einem der in Deutschland gestrandeten Syrer oder Afghanen gewechselt hat, betroffen ist man allein schon durch die Vehemenz der medialen Berichterstattung.
  Das gilt in besonderem Maße für die Berichterstatter selbst; als solcher steht man unter extremem Druck, etwas Relevantes, die allgemeine Lage Erfassendes zu produzieren. Da bietet es sich doch an, als Statist in einem bayrischen Trainingscamp für Afghanistan-Soldaten anzuheuern. So hat es sich Albert, Journalist und Held in Isabelle Lehns hellsichtigem Debütroman „Binde zwei Vögel zusammen“, zumindest gedacht. Was einst ein Lager für Displaced Persons war, dient jetzt als Imitation eines Dorfs im Marmal-Gebirge, und was einst Albert war, ist für sechs Wochen Aladdin, CoB, ein Civilian on the Battlefield.
  Als Albert kurz darauf zu seiner Freundin nach Leipzig zurückkehrt, will es ihm allerdings nicht gelingen, diesen Aladdin ganz abzulegen. Als Doppelgänger lebt er fortan ein Parallelleben. Weder kann Albert Aladdin auch nur für einen Moment vergessen, noch gelingt es ihm, seine Gestalt wirklich anzunehmen und auszufüllen. Aladdin bleibt ein Gespenst. Er ist nicht der, der die Wunderlampe reibt, sondern der Lampengeist selbst. Körperlos schwebt er über Albert, ein virtuelles Bild von hartnäckiger Präsenz.
  Es geht in „Binde zwei Vögel zusammen“ also nicht um Flüchtlingsschicksale, ja kein einziger Flüchtling tritt hier auf. Es geht um die allgegenwärtige mediale Präzenz, und darum, wie viel stärker sie in das Leben eines jeden Einzelnen eingreift, als es die Flüchtlinge selbst tun. Vielleicht mangelt es hier und da an Flüchtlingsunterkünften. Wirklich eng aber droht es in den Köpfen der Einheimischen zu werden, die angesichts all der Bilder, Meinungen und Panikreden kurz vor dem Platzen zu sein scheinen.
  Nach den sechs Wochen im bayrischen Marmal-Gebirge, abgeschnitten von der Außenwelt, ohne Smartphone, Zeitung und Internet, wird Albert-Aladdin jedenfalls von Informationen überschwemmt, von all den Nachrichtenereignissen, die er nun nachholt, all den vermeintlichen Neuigkeiten, die über ihn hereinbrechen. Am Ende stellt sich heraus, dass Albert kaum in der Lage ist, diese von Eilmeldungen überwölbte Wirklichkeit auszuhalten.
  Anders ergeht es Aladdin, der in einer Art Bewerbungsschreiben an den „Deutschen Staat“ deutlich macht, dass er jeden Realitätscheck locker bestehen würde: „Meine organisatorische Stärke, Ausdauer und Risikofreude konnte ich während meiner Flucht in Ihr Land unter Beweis stellen. Ich bin diszipliniert und verhandlungserprobt, arbeite eigenständig und gerne im Team. Fundierte Kenntnisse im Umgang mit Hierarchien, eine solide Duldsamkeit sowie sehr gute Sprachkenntnisse (Paschtu, Dari, Englisch und Griechisch) runden meine Kompetenzen ab.“ Eine runde Sache ist auch dieser kleine Roman.
TOBIAS LEHMKUHL
              
Isabelle Lehn: Binde zwei Vögel zusammen. Eichborn Verlag, Köln 2016. 191 Seiten, 18 Euro, E-Book 13,99 Euro.
Der Undercover-Reporter
Albert wird sein zweites Ich,
Aladdin, nicht mehr los
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2016

Ichversteigerung hinter Wachsäpfeln

Autorinnen erzählen vom Krieg, Teil 1: Hauptmotiv in Isabelle Lehns Debütroman "Binde zwei Vögel zusammen" sind real werdende Schrecken der Kriegssimulation.

Von Simon Strauß

Die ewige Frage nach dem Ich. Nach dem Bewusstsein, nach dem, was wir spüren, wenn wir sagen: Ich bin. Kein Leben kann ganz ohne Zweifel bleiben, ob das, was es zu sein scheint, wirklich ist, ob nicht im Verborgenen ganz andere Kräfte sein Wesen bestimmen. Oder im Kleistschen Sinne nicht alles ein Traum ist - "was sonst?" Arthur Rimbaud, der herzenswunde französische Dichter, hat darauf mit dem oft zitierten Satz geantwortet: "Je, c'est un autre" - Ich, das ist ein anderer. Die Gedichtzeile des spätmittelalterlichen persischen Mystikers Dschelaladdin Rumi, die Isabelle Lehn ihrem Debütroman als Motto voranstellt, klingt ähnlich: "Ich bin nicht ich. Mein wahres Ich - Wer mag es sein?"

Auf der leeren weißen Anfangsseite wirkt das zunächst wie ein vergilbter Kalenderspruch. Aber wenn man später, nach der Lektüre, noch einmal zurückblättert, liest man ihn anders. Programmatischer. Dann kommt es einem plötzlich so vor, als ob diese junge Autorin ihr Buch nur deshalb geschrieben hätte, um diese eine ewige Frage vom Kalenderblatt herunterzureißen und neu zu stellen.

Der erzählerische Rahmen, den sie dafür gefunden hat, ist außergewöhnlich: Albert, ein junger Mann, arbeitet als Statist in einem bayrischen Trainingscamp für Afghanistan-Soldaten. Tag für Tag spielt er dort den Schrecken des Krieges nach. Sobald der Supervisor "Dorfleben" ruft und die Soldaten mit ihren Humvees herangerast kommen, wird er zu Aladdin, einem afghanischen Cafébesitzer mit einer dicken vollverschleierten Frau und drei Kindern in einem Dorf am Fuße des Marmal-Gebirges, nicht weit entfernt von Mazar-i-Sharif. In den Wirren des Krieges hat der angeblich seinen Aprikosenhain verloren und versteckt nun Sprengfallen unter Steinhaufen. Albert, sein Darsteller, ist ein CoB, ein Civilian on Battlefield, so die militärische Abkürzung für Zivilisten, die in einer Gefechtssimulation Statistenrollen übernehmen. Damit ihn die Soldaten treffen können, trägt er ein Sensorgeschirr unter dem Kaftan. Wird er erwischt, bekommt er den Rest des Tages frei. Ansonsten wartet er in der Moschee die Zeit ab, die ein Gebet ausfüllen könnte, oder feilscht auf dem Basar mit Spielgeld um Requisiten. Sogar eine als Attentat getarnte Trauerszene muss er nachstellen, damit Soldaten den Häuserkampf unter echten Bedingungen proben können. Alles ist bis ins Detail nachgestellt und perfekt inszeniert. Nur die Gedanken, die hat man Albert nicht vorgeschrieben.

Und so denkt er sich immer tiefer in seine Rolle hinein, identifiziert sich bald völlig mit seiner Figur. Er beginnt nervös zu werden, wenn die Soldaten seine Frau anschauen, fühlt sich überall unsicher und bezeichnet seine Gage als Sold. Wenn Albert nach sechs Wochen das Trainingslager verlässt, kann er seine Figur, kann er diesen Aladdin nicht mehr abstreifen. Die fremde Haut, die er übergezogen hat, bleibt an ihm kleben. Das eine und das andere Ich kämpfen in ihm einen zermürbenden Kampf. "Binde zwei Vögel zusammen, sie werden nicht fliegen können, obwohl sie nun vier Flügel besitzen", zitiert Lehn noch mal Rumi und beginnt, vom Eigentlichen zu erzählen: von der Zeit danach, der zermürbenden Erinnerung.

Obwohl Albert nicht in einem wirklichen Krieg war, die Sprengstofffallen und Taliban-Verstecke nicht echt gewesen sind, ist ihm das Spiel in die Glieder gefahren, lastet seitdem ein schwerer Druck auf seiner Brust, von dem ihn keine WG-Party, kein Sex mit der Freundin mehr befreien kann. Es braucht nur eine Autotür zu knallen, ein Licht aufzublitzen, und Aladdin übernimmt wieder. Stößt Alberts altes Ego beiseite und rennt um sein Leben.

Isabelle Lehn hat einen packenden Psychoroman geschrieben, der seine Kraft dadurch entwickelt, dass er über den Wahnsinn des Krieges nur in der Möglichkeitsform spricht. Nichts passiert hier wirklich, alles sind nur Bilder, und doch ist der seelische Schaden, den sie verursachen, schmerzhaft authentisch. Was als klassische Rückkehrer-Geschichte beginnt, in der Beschreibung des Fremdseins im alten Leben der amerikanischen Fernsehserie "Homeland" ähnelt, splittert bald auf zur komplizierten Parabel auf Identitätskrisen und imaginierte Realitäten. Manchmal merkt man dem Text an, dass er der eigenen Rahmenhandlung nicht recht traut. Immer wieder wehen dann Fetzen von politischem Zeitgeschehen oder kunstwissenschaftlicher Theorie durchs Bild und erschweren die Übersicht. Isabelle Lehn hat am Literaturinstitut Leipzig studiert. Dass sie darüber hinaus auch promovierte Rhetorikerin ist, davon zeugt die besondere Sorgfalt, mit der hier die inneren Monologe des Protagonisten ausgearbeitet sind.

Ihr Roman entfernt sich zunehmend von seinem szenisch-narrativen Anfang und wird zu einer dichten Studie über die Wirkung der Bilder auf unser Leben. Der "Gewaltporno", in dem Albert sechs Wochen lang mitspielt, hat ihn äußerlich unversehrt gelassen. Aber in seinem Inneren hat er alles verändert. Seit er die Kriegsbilder selbst nachgestellt hat, traut er den Bildern in den Fernsehnachrichten nicht mehr. Alles kommt ihm vor wie eine gigantische Inszenierung, wie ein nie endendes Rollenspiel: "Es sind immer die gleichen Geschichten, die man sich erzählt, es sind immer die gleichen Bilder, vielleicht sogar dieselben, vor ununterscheidbaren Kulissen, und nur die Statisten in den orangenfarbenen Overalls haben die Namen gewechselt." Bald glaubt Albert niemandem mehr, schon gar nicht sich selbst. Auf der Flucht vor seinen Erinnerungen wird er ständig eingeholt, überall blitzen Horrorvisionen auf: Eine Inschrift auf einer Renaissance-Fassade verschwimmt mit einer schauerlichen Enthauptungsszene aus einem IS-Propagandavideo. In seiner Hilflosigkeit klammert sich Albert immer stärker an sein zweites Ich, an die Figur des Aladdin. Tiefer und tiefer taucht er in das erzählte Leben ab, bis er für immer die Rollen tauscht.

"Binde zwei Vögel zusammen" ist kein einfaches Buch. Lehn schreibt nicht gefällig, nicht gradlinig, sie macht es dem Leser in ihrem Debütroman mitunter extra schwer. Aber immer wieder wird man zurückgerissen in den düsteren Bewusstseins- und Bilderstrom, den sie zum Fließen gebracht hat. Die kühle Schilderung des "Real Life Trainings" zum Beispiel, das die Statisten nach ihrer Zeit im Dorf verordnet bekommen, um wieder für das richtige Leben fit gemacht zu werden, bleibt lange im Gedächtnis: der Supermarkt, der nie schließt und nie öffnet, dessen Regale jeden Morgen mit Wachsäpfeln gefüllt und jeden Abend wieder ausgeräumt werden, um eine Wirklichkeit zu simulieren, die mehr als unwirklich ist. Die wahre Identität der Akteure spielt hier schon längst keine Rolle mehr.

Isabelle Lehn: "Binde zwei Vögel zusammen". Roman.

Eichborn Verlag, Köln 2016. 191 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Tobias Lehmkuhl hält Isabelle Lehns kleinen Roman für eine runde Sache. Die Geschichte um einen Journalisten, der zwecks Recherche in einem bayrischen Trainingscamp für Afghanistan-Soldaten anheuert und dann nicht mehr von seiner Rolle als CoB Aladdin, Civilian on the Battlefield, loskommt und eine Doppelexistenz führt, hat Lehmkuhl verdeutlicht, wie schwer es ist, über Flüchtlingsschicksale zu berichten und wie die mediale Dauerpräsenz unsere Existenz bestimmt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Isabelle Lehn hat einen packenden Psychoroman geschrieben, der seine Kraft dadurch entwickelt, dass er über den Wahnsinn des Krieges nur in der Möglichkeitsform spricht." Simon Strauß, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.11.2016 "Mit diesem Dorf in der Oberpfalz hat die 1979 in Bonn geborene Autorin Isabelle Lehn einen begnadet ergiebigen Ausgangspunkt für ihren Debütroman gefunden. [...] Solche Orte gibt es wirklich, und Lehn nutzt ihr poetisches wie politisches Potenzial." Tilman Strasser, Tagesspiegel, 20.09.2016 "In Isabelle Lehns hellsichtigem Debütroman werden einem Reporter die Augen für sein Land geöffnet." Süddeutsche Zeitung, 03.08.2016