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Udis und Na`amas Ehe ist in eine Sackgasse geraten. Udi reagiert darauf mit den unterschiedlichsten körperlichen Symptomen - einmal ist er für zwei Tage fast vollständig gelähmt, ein anderes Mal wird er für kurze Zeit blind, und das immer nach einem Streit mit Na`ama. Dann legt er sich ins Bett und lässt sich von Frau und Tochter bedienen. Na`ama gegenüber rechtfertigt er dieses Verhalten mit dem Hinweis auf ein acht Jahre zurückliegendes Erlebnis - damals hätte seine Frau ihn beinahe mit einem Maler betrogen. Etwas, was er nie verziehen hat. Na`ama leidet seither unter Gewissensbissen und…mehr

Produktbeschreibung
Udis und Na`amas Ehe ist in eine Sackgasse geraten. Udi reagiert darauf mit den unterschiedlichsten körperlichen Symptomen - einmal ist er für zwei Tage fast vollständig gelähmt, ein anderes Mal wird er für kurze Zeit blind, und das immer nach einem Streit mit Na`ama. Dann legt er sich ins Bett und lässt sich von Frau und Tochter bedienen. Na`ama gegenüber rechtfertigt er dieses Verhalten mit dem Hinweis auf ein acht Jahre zurückliegendes Erlebnis - damals hätte seine Frau ihn beinahe mit einem Maler betrogen. Etwas, was er nie verziehen hat. Na`ama leidet seither unter Gewissensbissen und versucht fast alles, um ihm den Alltag so angenehm wie möglich zu gestalten - nur damit er sie wieder liebt, wie früher. Aber er ist nicht bereit, ihr zu vergeben. So sind beide, Mann und Frau, vor allem damit beschäftigt, sich gegenseitig zu zermürben.
Schließlich bringt Na`ama ihren Mann zu einer jungen israelischen Heilerin, die ihre Kunst von den alten Tibetern gelernt hat. Sie erkennt, dassht nur der Ehemann und Vater, sondern die ganze Familie sich eines kathartischen Prozesses unterziehen muss. Mit dem Haken, dass Udi kurz darauf die Familie verlässt, um zu seiner Ärztin zu ziehen ... Na`ama ihrerseits beginnt eine Affäre mit einem erfolgreichen Architekten, deren intensive erotische Natur ihr zur Offenbarung wird.
Und doch finden Na`ama und Udi wieder zueinander. Die Trennung ist vollzogen, der unmerklich vor sich hin schwelende alltägliche Hass ist verglimmt - doch vielleicht zeigt sich hier die Chance zu einem neuen Anfang. Ein intelligentes, ein weises Buch über das weite Feld ehelicher Zweisamkeit.
Autorenporträt
Zeruya Shalev, 1959 in Israel geboren, studierte nach ihrer Militärzeit Bibelwissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem. Sie arbeitet als Schriftstellerin und Verlagslektorin. Ihre Romane wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. 2012 erhielt sie für ihr literarisches Gesamtwerk den "Welt"-Literaturpreis.
Seit 1993 ist sie mit dem Schriftsteller und Journalisten Eyal Megged verheiratet. Zeruya Shalev lebt mit ihrem dritten Mann, zwei Kindern aus verschiedenen Ehen und einem Adoptivkind in Jerusalem. Am 29. Januar 2004 wurde sie dort bei einem Anschlag eines Selbstmordattentäters erheblich verletzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.04.2001

Austreibung der Kindheit
Zeruya Shalevs großer Kleinfamilienroman „Mann und Frau”
Eine ganz normale Familie, Vater, Mutter, Kind. Eine Szene, wie sie sich jeden Morgen an den unterschiedlichsten Orten abspielt. Der Wecker schrillt, das Kind muss zur Schule. Ein Elternteil quält sich aus dem Bett. Alles müsste reibungslos funktionieren, damit es irgendwie zu schaffen ist, und doch knirscht das Räderwerk des Kleinbetriebs Familie an allen Ecken und Enden. Ein hastiges Hin und Her, die Zeit wird knapp, kurze Satzfetzen werden durch genervte Münder gezischt. Die Tochter ist zehn, der Mann bleibt liegen, demonstrativ. Er findet, das Kind müsste längst selbstständiger sein. Die Mutter aber pocht auf dessen Recht, ein Kind zu sein. Sie will ihm Geborgenheit geben, läuft dem Bild von der glücklichen Familie hinterher: Vater, Mutter, Kind, fröhlich vereint am Frühstückstisch. Noch einmal stürzt sie ins elterliche Schlafzimmer. Der Mann bittet um ein Glas Wasser. Eine kleine Bitte, die sich in diesem Augenblick zu einer ungeheuren Anmaßung auswächst. Als hätte sie nicht schon genug zu tun, als hätte sie Zeit, sich auch noch um ihn zu kümmern. Da kommt ein Satz, hart wie ein Donnerschlag: „Na’ama, ich kann nicht aufstehen. ...] Ich spüre meine Beine nicht, ich kann sie nicht bewegen.”
Die Banalität des Alltags schlägt umins Katastrophische. Drohung und Glücksversprechen in einem, denn das könnte ein Ausweg sein: wenn einfach alles zusammenbricht. Der Tag ist aus dem Tritt gebracht – und die Frau auch. Wie kann er ihr das antun? Und wie soll sie das anstellen? Gedanken sausen durch ihren Kopf, wild und ungeordnet. Die Bandbreite ist groß, sprengt das Fassungsvermögen: auf der einen Seite organisatorische Probleme – wie bringt man den Mann ins Krankenhaus und die Tochter in die Schule? –, auf der anderen Seite nichts als die nackte existentielle Angst.
„Mann und Frau” ist ein außerordentlicher Roman und ein Schlag in die Magengrube. Sofort fragt man sich, wie Zeruya Shalev, die israelische Autorin, die mit „Liebesleben” bereits im letzten Jahr Aufsehen erregte, das macht. Da steht das Profane neben dem Rätsel der Existenz und des Heiligen, da ist alles erfahrungsgesättigt und selbstverständlich, da wiegt sich die Syntax in langen Satzkaskaden und doch steht jedes Wort für sich allein. Zeruya Shalevs Romane sind ebenso präzis in der Beschreibung alltäglicher Situationen wie obsessiv in ihrer erhellenden Übersteigerung. Biblische Motive bilden den Hallraum des Romans, verleihen ihm Tiefe und Allgemeingültigkeit.
Teuflisch vertrackter Lebensplan
Na’ama und Udi kennen sich seit der Kindheit. Schon früh haben sie sich einander versprochen, fast Kinder noch. Das junge Mädchen will einen Mann, dessen sie sich sicher ist, der sie nie verlässt, denn ihre Mutter hatte die Familie verlassen, um ein neues, unabhängiges Leben zu beginnen. Vor der Reaktivierung dieser Verletzung will sie sich schützen und ist immer bereit, ihrem Udi zu beweisen, dass sie niemals werden wird wie die eigene Mutter. Ein Lebensplan, gut gemeint und teuflisch vertrackt, wie dafür gemacht, am Ende zu scheitern.
Udi und Na’ama leben eine symbiotische Beziehung. Alles, was dem einen geschieht, geschieht dem anderen auch. In dieser Symbiose kann ein Kind nur den Keim der Zwietracht säen. Und irgendwann erweist sich das, ohne dass einer der beiden etwas dafür kann. Udi liebt die kleine Tochter sehr, Na’ama weiß seine Fürsorge zu schätzen, nur für sie selbst bleibt kein Raum. Eines Tages lernt sie einen Maler kennen. Er ist es, der sie endlich richtig ansieht, der jenes Quäntchen Distanz in seinen Blick legt, das nötig ist, um den anderen wahrzunehmen. Er malt sie in den verschiedensten Posen. Und immer ist sie schön. Endlich hat sie einen Spiegel, der ein Bild zeigt, das ihr gefällt. Eines Tages ist sie so weit, mit ihm schlafen zu wollen, nackt stehen beide am Fenster in seinem Atelier, hoch über der Straße. Da trifft sie ein Blick. Udi läuft am Haus vorbei. Und wie von der Tarantel gestochen, stürzt sie aus dem Atelier des Malers, um ihrem Mann hinterher zu rennen, dem sie ihre Unschuld beweisen will. Von nun an wird sie immer die Schuldige sein und alles daran setzen, dass er ihr verzeiht.
Da passiert ein Unglück, das zu vergessen ihr Familienleben bestimmen wird. Udi lässt die Tochter aus dem Fenster fallen. Sie überlebt. Doch Udi interessiert sich nicht mehr für sie. Statt dessen stürzt sich Na’ama in eine neue Symbiose. Alles will sie von nun an für die Tochter tun, die zwar körperlich gesundet, aber doch Schaden an ihrer Seele nimmt: als Zuschauerin des Kampfes zwischen Vater und Mutter, dessen Ursache sie nicht kennt. Udi macht Na’ama für den Fenstersturz verantwortlich, weil das Geständnis ihres (eigentlich gar nicht vollzogenen) Ehebruchs ihn zur Verzweiflung getrieben habe.
Der Roman spielt vor dem Hintergrund der jüdischen und israelischen Geschichte. Die Geschichte ist so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Etwas, was die Körper und Seele durchdringt, ein Faktum, das nicht in Frage gestellt werden kann, sondern einfach da ist, den Alltag bestimmt. Das ist der Unterschied zu Maxim Billers Roman „Die Tochter”, der eine ähnliche Familienkonstellation beschreibt, auch dort lässt der Vater die abgöttisch geliebte Tochter aus dem Fenster fallen. Während der Roman des in Deutschland lebenden Maxim Biller eine Kopfgeburt ist, immer kokettierend mit der Pose, Thesen über das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen vorzuführen, kommt Shalevs Roman ganz ohne Thesen aus. Nicht nur, was die Geschichte Israels betrifft, sondern auch in Bezug auf das Verhältnis der Geschlechter.
Zeruya Shalev geht so grundlegend mit dem Geschlechterverhältnis um, wie es der Titel ihres Romans nahe legt. Der zielt nicht nur auf Mann und Frau im Sinne von Ehegatten, sondern auf den Menschen im Allgemeinen: auf seine geschlechtlich differenzierte Erscheinungsform. Obwohl Zeruya Shalev vor allem die weibliche Innenwelt bis in die kleinsten Windungen des Selbstverzichts und der daraus resultierenden Rachegelüste und Befreiungssehnsüchte beschreibt, verzettelt sie sich niemals in Schuldzuweisungen. Souverän zeigt sie, wie sehr die eigentlich religiöse Vorstellung von Schuld, Opfer und Sühne den Alltag auch des modernen Paars bestimmt.
Was diese Kleinfamilie typisch erscheinen lässt, ist die Distanzlosigkeit, die zu einer ständigen Vermischung der Positionen führt. Die Geburt eines Kindes ist das, was Mann und Frau zur Familie macht. Darauf scheint sich die Sehnsucht zu richten. Im selben Moment aber, wo das Kind da ist, zieht es alle Aufmerksamkeit auf sich und absorbiert sämtliche Energien. In einer paradoxen Verdrehung wird der Zustand des Babyseins zum unbewussten Ziel aller Beteiligten. Erschöpft bis an den Rand des Kollapses, versuchen alle Familienmitglieder diese Position zu besetzen. Das gilt nicht nur für das typische Phänomen der Regression bei Kindern, die mit der Existenz jüngerer Geschwister zurecht kommen müssen, sondern auch für das Elternpaar. Mit der Geburt des Kindes beginnt der Wettlauf um die Besetzung der Position desjenigen, der im Familienverbund am schutzbedürftigsten ist. Die Austreibung der Kindheit ist eine logische Folge der Überforderung.
Familie, das heißt „guter Wille und Schuldgefühle”. Die Figuren Zeruya Shalevs zelebrieren ihre Krankheiten und Neurosen – selbst die sexuelle Obsession wie in „Liebesleben”, wo die weibliche Hauptfigur dem Jugendfreund des Vaters verfällt – als Möglichkeit, ins Reich der Kindheit zurückzukehren. Nirgendwo gibt es Klügeres über den seltsamen Initiationsritus zu lesen, den die Einweisung ins Krankenhaus für den Kranken und seine Angehörigen bedeutet. Die befremdliche Enteignung des vertrauten Körpers, der Zustand des Wartens vor Untersuchungsräumen, die auf dem Bauch des Kranken gelagerten Personaldokumente und medizinische Kryptografien, das Fluidum der Selbstaufgabe und die Erleichterung des Besuchers beim Verlassen dieser befremdlich unwirklichen, infantil entmündigten Welt.
„Wer will schon mitten im Leben versorgt werden, und fast hätte ich gesagt, ich”, denkt sich die Erzählerin in „Liebesleben”, als sie zum wiederholten Mal in die Atmosphäre des Krankenhauses eintaucht, in dem die Frau ihres angegrauten Geliebten zu Tode gepflegt wird.
Der durch Lähmung der Beine und vorübergehende Blindheit seine Schutzbedürftigkeit signalisierende Gatte in „Mann und Frau” wird schließlich von einer (mit einem Baby versehenen) Heilerin vom Sinn seiner Krankheit überzeugt – und gesundet. Die neu erworbene Kraft nutzt er, um seine Frau zu verlassen. Für sie beginnt eine Zeit der Ohnmacht, die sich erst auflöst, als sie sich zum ersten Mal einem Mann aus reiner sexueller Lust hingibt. Damit ist vollendet, was sie fast zehn Jahre zuvor mit dem Maler zugunsten ihres Mannes unterbrochen hat. Der Weg für das Paar wird frei. Das Schlussbild zeigt Vater, Mutter, Kind am Geburtstag der Tochter. Das „einfache Licht eines Sommernachmittags” bescheint die Szene, „das Licht des gewöhnlichen Alltags, ohne Pracht, ohne Hoffnungen, ...]es scheint, als wären keine Versprechungen mehr nötig, weder vom Himmel noch von der Erde”. Open end.
MEIKEFESSMANN
ZERUYA SHALEV: Mann und Frau. Roman. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, Berlin 2001. 340 Seiten, 39,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Frivole Problemzonen
Zeruya Shalev: "Mann und Frau" / Von Kristina Maidt-Zinke

Diesmal braucht der israelische Literaturkritiker Mordechai Shalev nicht gar so schamhaft über gewisse Stellen hinwegzublättern: Seine als Schriftstellerin erfolgreiche Tochter Zeruya geht in ihrem neuen Roman mit erotischen Details ungleich sparsamer und dezenter um als in ihrem vieldiskutierten Bestseller "Liebesleben". Erzählte sie dort von einer nicht immer appetitlichen sexuellen Obsession mit pikantem Altersunterschied und inzestuösem Beigeschmack, so hat sie sich nun dem Ernst des reiferen Ehe- und Familienlebens zugewandt, das "Mann und Frau" zwar noch die eine oder andere Kopulationsszene beschert, dessen Problemzonen sich jedoch mehrheitlich oberhalb der Gürtellinie befinden. Die Ich-Heldin Na'ama kommt so atemlos redselig und pathetisch reflexionsbesessen daher wie ihre Vorgängerin Ja'ara, hat aber jener jungen Bibelwissenschaftlerin nicht nur einiges an Jahren voraus, sondern verfügt auch über einen soliden Kontakt zur Realität, da sie in einem Heim für ledige Mütter arbeitet und selbst Mutter einer frühpubertierenden Tochter ist. Udi, der dazugehörige Gatte und Vater, ist Reiseleiter von Beruf und entschieden weniger farblos als weiland Ja'aras stupsnasiger, libidogestörter Gemahl. Daß wir es erneut mit einem Fall von weiblicher Frustration und Selbstbefreiung zu tun haben, kündigt sich indes schon auf der ersten Seite an: Udi riecht morgens aus dem Mund "wie ein alter Schuh", und kaum wacht er auf, macht er gehässige Bemerkungen. Diese Ehe hat ihre besten Zeiten hinter sich.

Hier ist es allerdings der Mann, der die Ketten der schal gewordenen Zweisamkeit sprengt, nachdem ihn sein Körper mit dramatischen Warnzeichen darauf aufmerksam gemacht hat, daß er unter seelischem Druck steht. Als erstes und bedrohlichstes Symptom dieser sogenannten "Konversionsneurose", nicht zu verwechseln mit Konversationsneurose, tritt bei Udi eine hypochondrische Ganzkörperlähmung auf, die in der nicht weniger neurosengeschüttelten Na'ama zunächst die Hoffnung weckt, sie könne den rastlosen Wandervogel endlich ans Haus fesseln: ". . . ein verwöhnter Gefangener wird er sein, ein Riesenbaby, das sich noch nicht auf den Bauch drehen und krabbeln kann, so behalten wir ihn für uns, er soll weder gesund werden noch sterben, das Baby, das ich mir gewünscht habe, das Baby, das uns zu einer Familie machen wird".

Würde die Erzählerin es uns nicht wortreich erläutern, könnten wir es ohne Mühe erraten: Na'ama möchte ihren Mann ganz für sich, obwohl ihre Leidenschaft längst abgekühlt ist; sie fühlt sich von ihm bedrängt und eingeengt und ist zugleich von ihm abhängig; sie hat ihr ganzes Dasein auf seine Wünsche und Bedürfnisse abgestimmt und wird trotzdem, wie es eben Art der Frauen ist, von Schuldgefühlen geplagt. Die stabilste Harmonie haben die beiden erlebt, als ihre Tochter ein Baby war, das ihrer beider Zuneigung bündelte und verstärkte. Doch als die kleine Noga eines Tages den sonst so fürsorglichen Händen des Vaters entglitt, vom Balkon fiel und in Lebensgefahr schwebte, zerbrach das Idyll, und Argwohn vergiftete fortan die Dreierbeziehung. Als Strafe Gottes deutete Na'ama den Vorfall, hatte sie sich doch kurz vorher in einen Maler verliebt und nur deshalb der fleischlichen Versuchung widerstanden, weil Udi durch Zufall hinter ihr Geheimnis gekommen war. Natürlich traut er ihr seitdem nicht mehr über den Weg. Ja, und dann ist da noch das Familiendrama, das Na'ama mit sich herumschleppt: Ihre Mutter verließ seinerzeit kaltblütig Heim, Herd und Kinder, um ihrer künstlerischen Berufung zu folgen. Kein Wunder, daß sich die Heldin nach ihrer Entbindung an Mann und Säugling klammern mußte, "als wären sie mein Vater und meine Mutter, die wieder zusammenleben wollten, weil ich ein braves Mädchen gewesen war".

Das ist Psychologenfutter, des Frauentherapeuten täglich Brot, doch als Literatur nur unter Vorbehalt genießbar. Zeruya Shalev legt noch eins drauf, indem sie in den zerrütteten Jerusalemer Haushalt eine tibetanische Heilerin einführt, die Räucherstäbchen entzündet, Buddhas Lehren predigt und den konversionskranken Udi im Handumdrehen wieder auf die Beine bringt, so nachhaltig, daß er wenig später mit dem leicht abgewandelten Rilke-Wort "Ich muß mein Leben ändern" seinen Auszug avisiert. Für Na'ama bricht die Welt zusammen, denn eine Frau ohne Mann ist für sie "eine Frau ohne Daseinsberechtigung", und daß der wundersam Genesene zielstrebig in die Arme jener schlanken Asiatin flieht, macht die Sache nicht besser. Dann aber zeigt sich, daß der Kontakt mit fernöstlicher Weisheit auch an der Verlassenen nicht spurlos vorübergegangen ist: Nachdem sie sich mit ihrer Mutter ausgesprochen, im Mädchenheim ihre sozialarbeiterischen Qualitäten bewiesen und mit einem leichtfüßigen Architekten im Schlafzimmer einer Musterwohnung die frivole Seite ihres Wesens ausgelebt hat, kann sie sich von alten Denkmustern lösen, lernt ihre Freiheit schätzen und widmet sich ihrer Tochter liebevoller als bisher.

Zeruya Shalev hat offenbar beherzigt, was einige Kritiker sich nach ihrem letzten Buch von ihr wünschen: weniger kruden Sex, mehr Israel. Eine Versöhnungsreise, die Udi und Na'ama in die Wüste von Jericho führt, zeitigt zwar nicht die erhoffte Wirkung, gibt der Autorin aber Gelegenheit, ihr Psychodrama von internationalem Zuschnitt mit einheimischen Landschaftsbildern zu dekorieren, und das alttestamentarische Donnerwort, das schon im "Liebesleben" zum Zuge kam, weiß die Bibelkundlerin Shalev auch hier wieder sinnstiftend einzusetzen. Ihr emotionsgeladener Erzählstrom, in seinen stärksten Momenten mitreißend trotz hohen Kitschrisikos, gebiert in schwächeren Augenblicken mißglückte Metaphern von eigenwilligem Reiz: Da fliegen Brotscheiben aus dem Toaster "wie heiße Ohrfeigen", eine Glatze "gleitet grau wie ein Wasserfall bei Nacht an mir vorbei", beim Geschlechtsakt öffnen sich "die Schranken für die verzuckerten Waggons der Lust", der Sommer sitzt "mit glühenden Arschbacken auf seinem Thron", und hin und wieder klopft ein neues Baby "an die knarrenden Türen unsere Herzen". Das Motto über der Geschichte jedenfalls könnte lauten: Alles wird gut. Und wenn dies schon kein Buch für "Mann und Frau" ist, so ist es doch, horribile dictu, ein waschechter Frauenroman.

Zeruya Shalev: "Mann und Frau". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, Berlin 2001. 399 S., geb., 39,80 DM.

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Udi und Na’ama erleben eine Ehe im Endstadium. Die Gefühle sind verbraucht, Nähe bereitet Schmerzen, gegenseitige Zermürbung bestimmt den Alltag. Udi reagiert darauf körperlich: Nach einem Streit mit Na’ama kann er sich mal nicht mehr bewegen, mal wird er vorübergehend blind. Er legt sich ins Bett und lässt sich bedienen: von Na’ama, die sich schuldig fühlt, weil sie ihren Mann vor Jahren fast betrogen hat, und von seiner Tochter, die gegen die Mutter um seine Liebe kämpft. Als Na’ama am Rande der Selbstverleugnung steht, verlässt Udi die Familie. Erst nachdem beide sich durch andere Partner voneinander befreit haben, scheint es möglich, sich gegenseitig wieder zu entdecken. Zeruya Shalev („Liebesleben“) bleibt ihrem Lieblingsthema auch in ihrem zweiten Roman treu: dem schmerzhaften, schonungslosen Prozess der Selbstfindung, den sie traurig und ironisch zugleich erzählt. (www.parship.de)

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Hanns-Josef Ortheil kam sich bei der Lektüre dieses Romans vor wie eine "völlig willenlose Leserpuppe", aber schließlich ergibt er sich einfach der Sogwirkung des Buches. Er preist den Roman, der die Auflösung einer scheinbar perfekten Ehe erzählt, als "raffiniert", wobei ihm das Raffinierteste die Sprache erscheint, deren Übersetzung von Mirjam Pressler er zudem "preiswürdig" findet. Der Leser werde mit tief befriedigendem Lesestoff "gefüttert" wobei gleichzeitig jede Zeile in ihn "hineinsticht", so der Rezensent beeindruckt. Und wenn er sich auch mitunter gegen die "Verstiegenheit" des Buches wehrt und er sich wie im "Gefühlsgefängnis" vorkommt, sieht er sich trotzdem gezwungen, dem "Rhythmus" des Buches zu folgen. Am Ende ist der Rezensent zwar "völlig erschöpft", doch ist er sich sicher, dass er es mit einem "Meisterwerk" zu tun hatte.

© Perlentaucher Medien GmbH