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Otto von Bismarck hat als "weißer Revolutionär" Politik und Verfassung des Kaiserreichs entscheidend geprägt. Bereits Zeitgenossen haben den "Eisernen Kanzler" daher häufig dafür verantwortlich gemacht, dass sich im Kaiserreich die Parteien im Gegensatz zum Westen nur schwer zu verantwortlichen Trägern im politischen Willensbildungsprozess entwickeln konnten und die deutsche Geschichte daher einen "Sonderweg" beschritt.
Doch wie stand Bismarck wirklich zu den Parteien bzw. wie konnten diese sich trotz der von der Verfassung zunächst gezogenen Grenzen im Zusammenspiel mit Bismarck, aber auch
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Produktbeschreibung
Otto von Bismarck hat als "weißer Revolutionär" Politik und Verfassung des Kaiserreichs entscheidend geprägt. Bereits Zeitgenossen haben den "Eisernen Kanzler" daher häufig dafür verantwortlich gemacht, dass sich im Kaiserreich die Parteien im Gegensatz zum Westen nur schwer zu verantwortlichen Trägern im politischen Willensbildungsprozess entwickeln konnten und die deutsche Geschichte daher einen "Sonderweg" beschritt.

Doch wie stand Bismarck wirklich zu den Parteien bzw. wie konnten diese sich trotz der von der Verfassung zunächst gezogenen Grenzen im Zusammenspiel mit Bismarck, aber auch teilweise in erbitterter Feindschaft gegen ihn entfalten? Auf der zweiten wissenschaftlichen Tagung der Otto-von-Bismarck-Stiftung haben Konrad Canis, Elisabeth Fehrenbach, Lothar Gall, Christian Jansen, Dieter Langewiesche, Rudolf Morsey, Heinz Reif und Klaus Tenfelde versucht, darauf neue Antworten zu geben.
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Autorenporträt
Lothar Gall, geboren 1936, ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Frankfurt am Main. Er ist u. a. Träger des Leibniz-Preises und des Balzan-Preises.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2002

Geschmeidig
Die Geschichte einer Pubertät:
Bismarcks Spiel mit den Parteien
Wo er stand, war die Mitte, und damit es ein jeder begreife, begann er zu drohen und zu paktieren, zu schmeicheln und zu fordern, gab sich je nach Tagesordnung wehleidig, auftrumpfend, verleumderisch, gefühlsarm oder pathetisch: Keine allzu große Wertschätzung für den Innenpolitiker Bismarck spricht aus den Attributen, mit denen acht Historiker im Auftrag der Bismarck-Stiftung das Verhältnis des Eisernen Kanzlers zu den Parteien kennzeichnen. Der Ausspruch gegenüber dem Chef der Reichskanzlei, er habe nicht schlafen könne, er habe „die ganze Nacht gehasst”, ist der verschwiegene Kehrreim dieser ertragreichen Studien.
Schon Zeitgenossen hatten dem ehemaligen Rittergutsbesitzer bescheinigt, in der Wahl seiner Feinde nicht wählerisch zu sein. Er selbst verglich Grundsätze mit Pantoffeln. Man werfe sie fort, wenn sie auf die Probe gestellt werden, und „läuft, wie einem die Beine gewachsen sind”. Aus dem reaktionären Landtagsabgeordneten Bismarck wurde so der Realpolitiker, der heute mit den Konservativen, morgen mit den Liberalen und übermorgen sogar mit dem Zentrum Bündnisse einging. Trotz der Leidenschaft, mit der er sich in die Hinterzimmergespräche und die Parlamentsdebatten stürzte, blieben ihm letztlich sämtliche Parteien suspekt. Er billigte ihnen, wie Heinz Reif pointiert feststellt, nur zwei Optionen zu: willenlose Gefolgschaft oder folgenlose Gegnerschaft.
Bekanntermaßen litten die Sozialdemokratie und das katholische Zentrum am meisten unter Bismarcks selbstherrlichem Regiment. Seine Vorurteile gegenüber dem Papsttum und den Jesuiten wurden, so Rudolf Morsey, in einer streng protestantischen Kindheit grundgelegt. Der Kulturkampf gegen jenes Bevölkerungsdritttel aber, das katholischen Glaubens war, entsprang laut Morsey weniger dem furor protestanticus als einer „Allergie gegen weltanschaulich fundierte politische Orientierungen” überhaupt. Elisabeth Fehrenbach belegt, dass selbst das Sedanfest zur Erinnerung an den Sieg über Frankreich keineswegs dazu diente, die Nation zu einen. Es sollte vielmehr nach der repräsentativen Meinung eines liberalen Strafrechtlers „die Sozialisten und Ultramontane” an ihre „Schuld” erinnern, 1871 „Feinde des Reichs” gewesen zu sein.
Die „Alt-Achtundvierziger” scheinen auf den ersten Blick prädestiniert, Bismarcks Abneigung gegen den Linksliberalismus, seinen Invektiven gegen den „Gelehrtenstand” zum Opfer zu fallen. Die „entschiedenen Liberalen” waren ein ergrautes Häuflein, das zwar als „Fortschrittspartei” oder „Deutsche Freisinnige Partei” im Kaiserreich bis zu achtzehn Prozent der Stimmen gewinnen konnte, den Sprung von der intellektuellen Avantgarde zur Massenpartei indes nicht vollbrachte. Dass die unter schwarz-rot-goldenem, nationalstaatlichem wie parlamentarischem Banner angetretene Bewegung schon zuvor partiell mit Bismarck zusammenarbeitete, wird gemeinhin als Opportunismus ausgelegt.
Im Haus der Phrasen
Christian Jansen hingegen betont die programmatische Übereinstimmung. Bismarck sicherte sich nicht nur die rhetorischen Qualitäten mancher Alt-Achtundvierziger für seine Öffentlichkeitsarbeit, er teilte vor 1866 deren Aversion gegen den Deutschen Bund und ein starkes Österreich. Unter dem Einfluss des Junghegelianismus wiederum begriffen die Linksliberalen Bismarck als „Instrument der historischen Vernunft” und hielten den Krieg für das geeignete Mittel zur Staatsbildung. Laut Jansen ist darum der oft behauptete Gegensatz von Bismarcks „Eisen und Blut”-Politik und „einer demokratisch-zivilen Nationalbewegung” nicht gegeben.
Ebenso anregend, ebenso angreifbar sind die Fluchtpunkte, die Morsey entwirft. Er verweist darauf, dass Bismarcks „Kanzelparagraph” – das Verbot für Pfarrer, politisch Stellung zu beziehen – im Dritten Reich und in der DDR fortbestand. Auch die Zustimmung des Zentrums für Hitlers Ermächtigungsgesetz stellt er in eine ähnliche Tradition. Die katholische Minderheit habe seit den Diskriminierungen im Kaiserreich ihr Ziel darin gesehen, „nicht wieder aus der nationalen Volksgemeinschaft ausgeschlossen zu werden”. Da Bismarck den Katholizismus als vaterlandslos stigmatisierte, glaubte dieser sich zum ostentativen Patriotismus gezwungen: „Diese Einstellung war ein Grund” für das Placet von 1933.
Er treibe „jetzt auswärtige Politik, wie ich früher auf die Schnepfenjagd ging”, schrieb Bismarck 1864. Ein Vergnügen unter Gleichgesinnten war ihm die große Diplomatie, während der parlamentarische Schlagabtausch ihn mit Emporkömmlingen zusammenführte. Doch alle Griesgrämigkeit kann nicht darüber hinweg täuschen: das unablässige Koalieren war die Schule der Außenpolitik. Der Umgang mit den verhassten Parteien half, eine fast grenzenlose Geschmeidigkeit zu perfektionieren. Die Parteien ihrerseits gewannen durchaus an Statur, die sie dann aber aus eigenem Verschulden und im Banne ihrer viel zu vage umrissenen Klientel wieder einbüßten. Vielleicht, so könnte ein Fazit des thesenstarken Bandes lauten, sollte nicht vom Scheitern der Parteien und Bismarcks Triumph geredet werden, sondern von einer beiderseitigen Überforderung, wie sie typisch ist für eine pubertäre Beziehung – auch für die von Parlament und Regierung.
ALEXANDER
KISSLER
LOTHAR GALL (Hrsg.): Otto von Bismarck und die Parteien. Schöningh Verlag, Paderborn 2001. 156 S., 13,20 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Alexander Kissler ist sehr angetan von dem Buch über das Verhältnis Bismarcks zu den Parteien und lobt die "ertragreichen Studien", die er darin gefunden hat. Der Rezensent findet zwar, dass so manches "angreifbar" ist in diesem Sammelband, beispielsweise Jansens Standpunkt, dass Bismarcks "Eisen und Blut"-Politik nicht unbedingt im Widerspruch zu einer "demokratisch-zivilen Nationalbewegung" stünde. Doch gerade wegen der streitbaren Thesen findet der Rezensent das Buch so "anregend" und lobt es deshalb als "thesenstark" und aufschlussreich. Kissler betont, dass aus allen Beiträgen des Bandes ersichtlich ist, dass die Autoren Bismarck keine besondere "Wertschätzung" als Innenpolitiker entgegenbringen.

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