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Ein Salon schreibt Geschichte
Über vierzig Jahre, von 1898 bis 1941, war das Haus des Münchner Verlegerehepaars Hugo und Elsa Bruckmann ein Treffpunkt der großen Geister, der Künstler, Literaten, Musiker und Gelehrten. Mit dem Auftritt Adolf Hitlers wurde der Salon zum Schauplatz, an dem das Unvereinbare zusammenkam: eine hochgeistige und kunstsinnige Elite und die radikale Rechte. Gestützt auf zahllose Dokumente erzählt Wolfgang Martynkewicz ein provokantes Kapitel deutscher Geschichte, das geradewegs in die Abgründe und Katastrophen des 20. Jahrhunderts führt und zu dem Experimentierfeld…mehr

Produktbeschreibung
Ein Salon schreibt Geschichte

Über vierzig Jahre, von 1898 bis 1941, war das Haus des Münchner Verlegerehepaars Hugo und Elsa Bruckmann ein Treffpunkt der großen Geister, der Künstler, Literaten, Musiker und Gelehrten. Mit dem Auftritt Adolf Hitlers wurde der Salon zum Schauplatz, an dem das Unvereinbare zusammenkam: eine hochgeistige und kunstsinnige Elite und die radikale Rechte.
Gestützt auf zahllose Dokumente erzählt Wolfgang Martynkewicz ein provokantes Kapitel deutscher Geschichte, das geradewegs in die Abgründe und Katastrophen des 20. Jahrhunderts führt und zu dem Experimentierfeld zurückkehrt, das die Moderne zuallererst war.

Man dachte groß von der Kunst und der Literatur im Haus des Verlegerehepaars Hugo und Elsa Bruckmann. Man glaubte an die kultivierende Kraft, die das Leben umgestaltet, reinigt und erneuert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam ein elitärer Kreis von Künstlern und Literaten zusammen, eine sich unpolitisch verstehende Opposition, die ein gemeinsames Gefühl einte - das Unbehagen an der Moderne. Im Salon Bruckmann rezitierten Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal und Stefan George ihre Gedichte, der Gelehrte Norbert von Hellingrath dozierte über die Lyrik Hölderlins, der Münchner Jugendstilarchitekt Richard Riemerschmid forderte eine Gesellschaft des "guten Geschmacks", der Kulturphilosoph Rudolf Kassner sprach von menschlicher Größe, die nur dann zur Wahrheit komme, wenn sie sich über das "Vulgäre, Willkürliche und Mittelmäßige" erhebe, Harry Graf Kessler erzählte von Paul Gauguin, Pierre Bonnard und dem Bildhauer Maillol, und auch Thomas Mann schaute gelegentlich vorbei. Im Mittelpunkt der Geselligkeiten standen die Charismatiker, die Visionäre und Geistesaristokraten. Nach dem Ersten Weltkrieg machte der Salon eine bemerkenswerte Entwicklung durch: Das Verhältnis zur Macht veränderte sich. Im Dezember 1924 trat erstmals Adolf Hitler im Salon auf. Von nun an gehörte er mit Rudolf Heß und Alfred Rosenberg zu den Habitués. War im Hause Bruckmann ein Gesinnungswandel eingetreten? Oder liegen die Gegensätze doch enger beieinander, als es auf den ersten Blick erscheint?
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2010

Nur eine stilvolle Wildheit

Warum begeisterte man sich im Bildungsbürgertum für die Nazis? Wolfgang Martynkewicz beschreibt den Münchner Salon Bruckmann, in dem Hitler ein und aus ging.

Zu den Rätseln, die der Aufstieg der NSDAP nach wie vor aufgibt, gehört die Frage nach den Motiven, die Mitglieder des kultivierten Großbürgertums dazu trieben, einen wildgewordenen Kleinbürger anzuhimmeln, der in schäbiger Garderobe und mit Nilpferdpeitsche zu ihren Soirees kam und es für einen Ehrentitel hielt, ein Barbar zu sein.

Was die Arbeiter und Angestellten, die Handwerker und Bauern von 1930 an in Massen zu dieser Partei drängte, ist angesichts der Weltwirtschaftskrise ja noch zu verstehen. Was aber brachte angesehene, am Schönen und den feinen Unterschieden interessierte Familien wie die Wagners, die Bechsteins, die Bruckmanns dazu, schon Jahre zuvor sich für eine Bewegung zu enthusiasmieren, die ihrem ganzen Zuschnitt nach jenseits der Grenze dessen lag, was man in diesen Kreisen noch zu tolerieren pflegte? Und die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht einmal sonderlich erfolgreich war?

Wolfgang Martynkewicz hat dazu jetzt ein Buch vorgelegt, das ganz ohne Wahlsoziologie und Bourdieu auskommt und vielleicht gerade deshalb dem Phänomen so nahe kommt wie wenige zuvor. Es schildert Aufstieg und Zerfall des Salons Bruckmann in München, in dem sich von der vorletzten Jahrhundertwende bis in die Endphase des Nazireiches die Crème de la Crème des Kunst-, Literatur- und Wissenschaftsbetriebs die Klinke in die Hand gab. In ihren herrschaftlichen Villen, zunächst in der Nymphenburger Straße, später am Karolinenplatz und in der Leopoldstraße, empfingen der Verleger Hugo Bruckmann und seine Frau Elsa, eine geborene Prinzessin Cantacuzène, Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Kassner, Rainer Maria Rilke und Stefan George, Houston Stewart Chamberlain und Hermann Graf Keyserling, Ludwig Klages und Alfred Schuler, Thomas Mann und Harry Graf Kessler, um nur einige Namen zu nennen.

Geboten wurden neben Geselligkeit Lesungen, Rezitationen und musikalische Darbietungen, die sich vor dem Ersten Weltkrieg ganz im Rahmen einer gemäßigten Moderne bewegten und politisch ein Spektrum zuließen, das von einem Wilhelminer wie Chamberlain bis zu einem scharfen Kritiker des persönlichen Regiments wie Harry Graf Kessler reichte. Der Sozialform des Salons gemäß stand nicht der Austausch von Fachmenschen im Vordergrund, sondern derjenige von "Kulturmenschen", wie man damals gern sagte. Entsprechend suchte man nicht nach Wissen und Wahrheit, sondern nach der Möglichkeit von Schönheit, Größe und Persönlichkeit in der Moderne, nach einer neuen Weltanschauung, die imstande wäre, die verstreuten Glieder des modernen Lebens zu einem Ganzen zu fügen - eine Aufgabe, deren Lösung man niemandem so sehr zutraute wie dem Künstler, dem Dichter, der so in die Rolle des Kulturheilands und "Formbringers" (Friedrich Gundolf) hineinwuchs.

Mit dem Kriegsausbruch 1914 ging die Schwingungsweite, die den Salon bis dahin ausgezeichnet hatte, zunehmend verloren. Dazu trug sowohl Hugo Bruckmann bei, der seinen Verlag ganz den Propagandaschriften Chamberlains zur Verfügung stellte und darüber hinaus auch die vielgelesenen "Süddeutschen Monatshefte" auf einen strammen Rechtskurs brachte, als auch Elsa Bruckmann, die sich in der "Kriegshilfe für geistige Berufe" engagierte und dafür Gäste ihres Salons zu Vorträgen gewann. Neben Wölfflin, Keyserling und Schuler trat dort auch Norbert von Hellingrath auf, der Sohn ihrer Schwester, zu dem die kinderlose Elsa ein besonders enges Verhältnis hatte. Als dieser auch von Stefan George und Ludwig Klages geförderte junge Mann, dessen größte Leistung in der Wiederentdeckung Hölderlins bestand, im Dezember 1916 vor Verdun durch einen Granatenvolltreffer ums Leben kam, warf dies Elsa Bruckmann seelisch aus dem Gleichgewicht. Ihre Briefe aus den beiden letzten Kriegsjahren berichten von Depressionen und Sanatoriumsaufenthalten.

Nach dem Zeugnis des Historikers Karl Alexander von Müller, der in ihrem Haus ein und ausging, war es die Stimme Adolf Hitlers, die sie wieder aufrichtete. Sie vernahm sie wohl zum ersten Mal nicht in ihrem Salon, sondern im Zirkus Krone bei einer Massenversammlung im Februar 1921, also in einem Ambiente, in dem sich Hitler auf ganz andere Weise zu entfalten vermochte als im kleineren Kreis. Seine Stimme ließ sie nicht mehr los. Sie folgte ihr in die turbulente Versammlung im Bürgerbräu im November 1923, in der Hitler auf einen Stuhl sprang, mit der Pistole in die Decke feuerte und die deutsche Revolution für ausgebrochen erklärte, in die Gerichtsverhandlung, die wiederum ganz von dieser Stimme beherrscht wurde, und nach Landsberg, wo Hitler 1924 inhaftiert war, aber in Wahrheit wohl eher Hof hielt.

Als er im Dezember 1924 entlassen wurde, war der Salon Bruckmann eine der ersten Adressen, die Hitler ansteuerte. Fortan war der Kontakt eng. Elsa und Hugo Bruckmann redigierten im Herbst 1925 den ersten Band von "Mein Kampf" für die Neuauflage, und auch in die Abfassung des zweiten Bandes wurden sie einbezogen. Im Juli 1926 war Elsa beim Parteitag der NSDAP in Weimar dabei, ein Jahr später konnte Hitler in ihrem Salon sein Programm vorstellen, in Anwesenheit des Industriellen Emil Kirdorf, der extra dazu geladen worden war.

Beide Bruckmanns engagierten sich 1929 lebhaft im Rahmen des "Kampfbundes für deutsche Kultur", mit dem die Nationalsozialisten beim Bildungsbürgertum punkten wollten. 1932 traten sie offiziell in die Partei ein, erhielten in Anerkennung ihrer Verdienste eine besonders niedrige Mitgliedsnummer. Hugo Bruckmann zog 1932 für die NSDAP als Abgeordneter in den Reichstag ein und übernahm in der Regimezeit verschiedene Ämter, unter anderem als Präsidialratsmitglied in der Reichskulturkammer. Als er im September 1941 starb, äußerte Hitler bei einem Gespräch im Führerhauptquartier, Bruckmann "habe zwei welthistorische Verdienste, erstens um die Jahrhundertwende durch die Herausgabe von Chamberlains ,Grundlagen des XIX. Jahrhunderts' und zweitens seine Verdienste um die junge NSDAP. Der Führer erzählte, wie er in Bruckmanns Haus alle bedeutenden Männer der nationalen Kreise Münchens kennengelernt hätte."

Über Elsa Bruckmann sind keine Kommentare überliefert. Dabei war es erst ihre Verehrung, ja Vergötterung, die ihm das Entreebillett für dieses Haus verschafft hatte. Wesentliche Motive für diese Vergötterung, die bis zum Ende des Regimes anhielt, kann man im persönlichen Bereich vermuten, in der Ersatzfunktion, die nach dem Tod ihres Neffen der mit diesem fast gleichaltrige Hitler in ihrem Seelenhaushalt übernahm. Andererseits konnte Hitler diese Funktion jedoch nur deshalb übernehmen, weil er mit Hellingrath gewisse Gemeinsamkeiten aufwies. Auch er erschien als Künstler, der seine Talente nur aufgrund widriger Umstände nicht voll zu entfalten vermochte und deshalb der Unterstützung und Förderung bedurfte, auch er als der jugendliche Genius, von dem nichts Geringeres zu erwarten stand als eine Regeneration der Welt, eine "Palingenesis", in der die neuere Forschung, zu Recht oder zu Unrecht, ein zentrales Movens des Faschismus sieht.

Was an Hitler faszinierte, war nicht diese oder jene seiner Ideen, sondern das, was als Idealismus erschien, der aktivistische Gestus, der jeden Kompromiss zurückwies und mit rigoroser Unbedingtheit auf sein Ziel lossteuerte. Diesem Teil des Bürgertums erschien die Welt, die seit den Tagen des Sturm und Drangs entstanden war, als ein einziger Verrat an den Idealen der Geniezeit, als ein Absturz in Materialismus und Utilitarismus, auf den man mit immer neuen Pathosformeln reagierte, die von Erlösung, von Wiedergeburt und Wiederverjüngung sprachen und am Ende eine solche Suggestionskraft entfalteten, dass selbst ein untalentierter Postkartenmaler und egomanischer Schwadroneur als Schiller oder Wagner redivivus erscheinen konnte.

Dass dieser ein Fremder war, der die bürgerlichen Umgangsformen mit Verachtung strafte, war dabei kein Hinderungsgrund, gehörte vielmehr seit je zum Repertoire aller Erlöser und Heilbringer, wie denn auch die Vorstellung, Kultur sei offenbar nicht das Gegenteil von Barbarei, vielmehr, oft genug, "nur eine stilvolle Wildheit", diesen Kreisen durchaus geläufig war. Kein Geringerer als Thomas Mann hatte sie gleich zu Beginn des Krieges zu Papier gebracht und konnte sich darin breiter Zustimmung gewiss sein.

Wolfgang Martynkewicz ist eine präzise, stilsichere und nie in volkspädagogische Attitüden verfallende Darstellung dieser Zusammenhänge gelungen. Das Buch beruht auf gründlichen Archivrecherchen und präsentiert viel neues Material, es ist in den Urteilen differenziert und vermeidet jene Klischees, die gerade dort am meisten verbreitet sind, wo die Sachkenntnis über einige Standardwerke der Sekundärliteratur nicht hinausgeht.

In einem Fall ist ihm dies freilich nicht gelungen, und das ausgerechnet beim Titel. "Salon Deutschland" ist ungefähr so zutreffend, wie die von Rudolf Heß ad nauseam wiederholte Formel: "Hitler ist Deutschland, wie Deutschland Hitler ist." So richtig es ist, dass Deutschland sich Hitler oder den Salon Bruckmann zurechnen lassen muss, so wahr ist doch auch, dass ein Teil nicht das Ganze sein kann, selbst dann nicht, wenn man die Beziehung als repräsentative denkt. Denn dass die Gäste des Hauses Bruckmann in irgendeiner Weise repräsentativ gewesen seien, lässt sich nicht ernsthaft behaupten, nicht einmal mit Blick auf die Schicht, aus der sie stammten.

STEFAN BREUER

Wolfgang Martynkewicz: "Salon Deutschland". Geist und Macht 1900-1945. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 617 S., geb., 26,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2010

Das leuchtende und das braune München
Wie die Kultur sich der Barbarei auslieferte: Wolfgang Martynkewicz erzählt vom Salon der Bruckmanns, den Thomas Mann und Adolf Hitler besuchten
Die Geschichte der großen Krise, die nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs zahlreiche Exponenten der kulturellen Elite Deutschlands zu willigen Steigbügelhaltern des Nationalsozialismus werden ließ, ist schon häufig erzählt worden. Das gilt auch für die Analyse der Ursachen, die diese Krise auslösten und die längst mit den zahlreichen, durch den verlorenen Weltkrieg vielfach potenzierten Verwerfungen und Verwirrungen dingfest gemacht wurden, mit denen der Einbruch der Moderne die Gemüter tief verunsicherte. An der Verblüffung und Entrüstung, mit der noch heute wahrgenommen wird, mit welchem Nachdruck diese Verstörungen insbesondere die Angehörigen der kulturellen Elite, die Dichter und Denker heimsuchten, ändert das jedoch nichts. Der in diesem Versagen manifest werdende Widerspruch zum geläufigen Selbstbild dieser Elite, das auf einer den meisten überlegenen Weit- und Einsicht beharrt, erweist sich als zu irritierend.
Eben dieses Erlebnis war für den Literaturwissenschaftler Wolfgang Martynkewicz der Anstoß, sich erneut mit dem frappanten Versagen der kulturellen Elite in Deutschland vor der totalitären Versuchung, die mit Hitler triumphierte, ausführlich zu befassen.
Das rechtfertigt Martynkewicz damit, dass er sich vor allem über den Kessel beugt, in dem gleichsam die Ursuppe dieses verhängnisvollen Versagens zusammengerührt und aufgekocht worden sei. Als diesen Kessel identifiziert er den Salon, den das Verlegerehepaar Hugo und Elsa Bruckmann, die als Fürstin Cantacuzène dem verarmten rumänischen Hochadel entstammte, in ihrer Wohnung am Karolinenplatz 5 in München zwischen 1899 und 1941 führte. In seiner Glanzzeit vor wie unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg war dieser Salon ein Treffpunkt, der von vielen bekannten Künstlern, Musikern, Literaten und Gelehrten frequentiert wurde.
In den prächtigen Räumen der Bruckmannschen Wohnung begegneten sich Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke, Rudolf Kassner und Harry Graf Kessler, aber auch der jüdische Gelehrte Karl Wolfskehl und der Graphologe Ludwig Klages, der aus seinem Antisemitismus keinen Hehl machte, der Schriftsteller und Großindustrielle Walther Rathenau und der Rassetheoretiker Houston Stewart Chamberlain oder auch Thomas Mann, Stefan George und Rudolf Alexander Schröder, um nur einige der bekanntesten Gäste dieses Salons zu nennen. Seit dem 23. Dezember 1924, als er zum ersten Mal in der Abendgesellschaft der Bruckmanns erschien, gehörte auch Adolf Hitler mit seinen Paladinen Rudolf Heß und Alfred Rosenberg zu den Habitués am Karolinenplatz 5.
Diese Aufzählung erweckt jedoch den völlig falschen Eindruck der Gleichzeitigkeit, denn es kann keine Rede davon sein, dass bei Hugo und Elsa Bruckmann etwa Rilke und Thomas Mann Adolf Hitler begegnet wären. Die für über vierzig Jahre Dauer verbürgte Kontinuität des Salons erschöpft sich allein im gastgebenden Ehepaar, das einen Personenkreis um sich versammelte, der seine in diesem langen Zeitraum sich wandelnden Interessen und Anschauungen reflektierte.
Ebenso unrichtig wäre aber auch die Vermutung, dass der Salon der Bruckmanns nachweisbar die politischen Einstellungen seiner Besucher beeinflusst hätte. Hier wie in anderen gesellschaftlichen Zirkeln fand sich ein Personenkreis ein, der trotz aller Unterschiede in den Anschauungen, mit denen auf die Herausforderungen der Moderne und die von ihr eröffneten Perspektiven und Veränderungen reagiert wurde, im Primat von Kultur und Bildung, von Dichtung und Kunst übereinstimmte.
Das änderte sich grundsätzlich erst mit dem Ersten Weltkrieg, mit dem die Politik als ein neues Thema aufkam, das zunächst über den vertrauten Leisten von Kunst und Kultur geschlagen wurde. Der Krieg zersprengte die „machtgeschützte Innerlichkeit”, als die das Kaiserreich erlebt wurde, und öffnete dem durch die mannigfachen Infragestellungen durch die Moderne ausgelösten Unbehagen ein Ventil, dem Thomas Mann mit dem bekannten Satz in dem im November 1914 in der Neuen Rundschau erschienen Essay „Gedanken im Kriege” Ausdruck verlieh: „Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden, und eine ungeheure Hoffnung.” In diesem Aufsatz entwickelte Thomas Mann auch erstmals die Antithese von westlicher Zivilisation und deutscher Kultur, die er in den „Betrachtungen eines Unpolitischen” begrifflich schärfte und als Pfeiler seiner kulturell überformten politischen Anschauung explizierte.
Diese Sicht wie vor allem auch die daraus abgeleitete Vision, die als eine Folge des Kriegs für Deutschland „die Ausgleichung von Geist und Macht” zuversichtlich erhoffte, wurde von vielen Angehörigen des Bildungsbürgertums ausweislich einschlägiger Äußerungen geteilt. Sobald sich jedoch der kriegerische Konflikt festfraß, zersprangen diese anfänglich damit verknüpften Illusionen, ein Prozess, der durch die Kapitulation, die Not und das Chaos der unmittelbaren Nachkriegszeit erheblich beschleunigt wurde. Jetzt schlug die Stunde der Rattenfänger, die den Schrecken der Bürger vor Unordnung und der damit verknüpften Drohung einer bolschewistischen Revolution in Deutschland dazu nutzten, Proselyten zu machen. Das war die entscheidende Weichenstellung, denn während Thomas Mann etwa sich nach anfänglichem Zaudern zu Demokratie und Republik bekannte, gingen die Bruckmanns und manche der Besucher ihres Salons eben dazu auf Distanz und begrüßten stattdessen im Nationalsozialismus, wie Martynkewicz schreibt, „das autoritäre Prinzip, das sie im Künstlertum bewundert hatten”.
Das ist keineswegs ein neuer, sondern lediglich ein weiterer Beleg, der illustriert, dass weder das Bekenntnis zu künstlerischer Avantgarde noch zur Ästhetik der Moderne per se einen Immunschutz gegen den Nationalsozialismus boten, auch wenn dieser eine ganz anders geartete, eine zutiefst anti-humanistische und massenmörderische Radikalität im Schilde führte. Die Bruckmanns gehörten zu den Vielen aus der kulturellen Elite, die sich von der vermeintlich gleisnerischen Moderne, mit der sich der Nationalsozialismus anfangs kostümierte und die von einer Leni Riefenstahl etwa zum ästhetischen Programm entwickelt wurde, blenden und verlocken ließen. Deshalb war es nur folgerichtig, dass Hitler seit Mitte der zwanziger Jahre ein gern gesehener Gast im Salon der Bruckmanns war.
Ob deshalb dieser Münchner Salon ein „Skandalon” ist, wie Wolfgang Martynkewicz im Vorwort schreibt, kann jedoch dahin stehen. Zwar steht außer Frage: „Im Haus der Bruckmanns hatte Adolf Hitler seinen ersten Auftritt vor einem bildungsbürgerlichen Publikum, vor einer kunstsinnigen Elite”, aber was beweist das, was folgt daraus? Nicht mehr und nicht weniger, als dass sich die Bruckmanns als typische Vertreter jenes Kulturbürgertums identifizieren lassen, das in Hitler und dem Nationalsozialismus Retter und Rettung sah. JOHANNES WILLMS
WOLFGANG MARTYNKEWICZ: Salon Deutschland. Geist und Macht 1900- 1945. Aufbau Verlag, Berlin 2009. 617 Seiten, 26,95 Euro.
Das Versagen der kulturellen Elite vor der totalitären Versuchung bleibt bis heute verblüffend
Das Münchner Verlegerpaar Hugo und Elsa Bruckmann (links) lud von 1899 bis 1941 zum Salon. Rechts das Verlagsgebäude in der Nymphenburger Straße. Fotos: DLA Marbach / Abb. aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Nicht wirklich überraschend findet Rezensent Stefan Mahlke die Ergebnisse dieser Studie von Wolfgang Martynkewicz. Der Autor führt für ihn detailliert vor Augen, wie Teile der kulturellen Elite Münchens im Salon Bruckmann beim Aufstieg des Nationalsozialismus mitmischten. Die enorme Fülle der Belege, die Martynkewicz dafür ausbreitet, lässt ihn immer wieder erschrecken, mindert aber auch ein wenig das Lesevergnügen. Dass Adolf Hitler höchstpersönlich ab 1924 ein gern gesehener Gast des Salons war, wo er die Elite Münchens kennen lernte, wundert Mahlke dann nicht wirklich. Er hebt indes hervor, dass Hitler einen Rainer Maria Rilke, einen Stefan George oder einen Thomas Mann nicht begegnete, verkehrten sie zu dieser Zeit doch nicht mehr im Salon Bruckmann.

© Perlentaucher Medien GmbH
"hervorragende Studio dieses Kapitels deutscher Geistesgeschichte" Volker Weiß Jungle World 20101115