Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 11,00 €
  • Gebundenes Buch

Am 16. August 1818 entdeckte John Ross auf seiner ersten Arktis-Expedition ausgedehnte Flächen roten Schnees - er nannte sie Crimson Cliffs. Ross veröffentlichte in seinem Tagebuch eine schöne handkolorierte Zeichnung, die sich dem breiten Publikum einprägte, und übergab Proben des roten Schnees an Wissenschaftler. Das unentschiedene Gutachten von William Hyde Wollaston und die Unsicherheit des Botanikers Robert Brown bei der Einordnung des "färbenden Prinzips" in das Linnésche System erregten nicht nur naturwissenschaftliches und ästhetisches, sondern auch theologisches Interesse - wurde doch…mehr

Produktbeschreibung
Am 16. August 1818 entdeckte John Ross auf seiner ersten Arktis-Expedition ausgedehnte Flächen roten Schnees - er nannte sie Crimson Cliffs. Ross veröffentlichte in seinem Tagebuch eine schöne handkolorierte Zeichnung, die sich dem breiten Publikum einprägte, und übergab Proben des roten Schnees an Wissenschaftler. Das unentschiedene Gutachten von William Hyde Wollaston und die Unsicherheit des Botanikers Robert Brown bei der Einordnung des "färbenden Prinzips" in das Linnésche System erregten nicht nur naturwissenschaftliches und ästhetisches, sondern auch theologisches Interesse - wurde doch rot gefärbten Erscheinungen bereits in den Schriften der Antike, aber auch in der Bibel und in Schriften aus dem Mittelalter große Beachtung geschenkt.

Leopoldina-Präsident Nees von Esenbeck nannte die Erforschung der "roten Erscheinungen" gar die wichtigste Aufgabe, die sich die moderne Naturwissenschaft stellen könne. Was ist es? Ist es anorganisch oder organisch? Ist es roter Staub und wenn ja, wo kommt er her? Fällt er zusammen mit Meteoriten vom Himmel? Wodurch wird die Farbe verursacht, was ist das färbende Prinzip? Viele Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts waren in die Diskussionen einbezogen, darunter Agardh, Banks, Berzelius, Biot, Chladni, Darwin, De Luc, Ehrenberg, Humboldt, Liebig, Maury, Saussure, Schomburgk, Valenciennes und Wrangel.

Ihre Spurensuche in die Vergangenheit verknüpft die Autorin mit Hinweisen auf moderne Forschung, denn die Schneealge dient heute u. a. dazu, genetische und physiologische Ursachen der Kälteanpassung zu erforschen.
Autorenporträt
Petra Werner, Schriftstellerin und Publizistin, geb. in Leipzig, aufgewachsen in Berlin, veröffentlichte Erzählungen und Monographien zur Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie arbeitet in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und lehrt an der Technischen Universität Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2007

Nein und nochmals Nein, ruft die Natur
Ach, wären wir doch mit mikroskopischer Sehkraft bedarft, ach, wären die Pflanzen doch durchsichtig – vielleicht hätten wir das Rätsel des roten Schnees dann rascher gelöst. Petra Werner erzählt von der Entdeckung der kleinen Welt und der Suche nach dem färbenden Prinzip Von Nico Bleutge
Die Dinge, so scheint es, rücken nur langsam näher. Wer durch das Mikroskop schaut, spürt manchmal einzig das Okular an den Lidern. Und hört, ganz leise, den Körper atmen. Nach und nach aber will sich das Auge scharf stellen – und die Einzelheiten mit ihren feinen Schatten gleiten aufeinander zu. Der junge Forscher Francis Bauer musste die Probe geschmolzenen Schnees, auf die er so lange gewartet hatte, zunächst einmal ruhen lassen. Erst nach einigen Stunden konnte er eine zarte rote Ablagerung auf dem Boden der Flasche erkennen. Das Mikroskop zeigte einige hundert rote Kügelchen, die mit einem kurzen Stiel versehen waren. Doch was hatte er entdeckt? Waren es Pilze, Meeresteilchen? Oder Samen kleiner Garnelen, die in jenen Gewässern so häufig vorkommen?
Die Faszination des roten Schnees erreichte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Auf seiner Fahrt durch die Arktis hatte der englische Kapitän John Ross nicht nur eine Klippe mit roten Schneeflächen gesichtet, er hatte das Phänomen in seinem Tagebuch auch beschrieben und in einer Zeichnung festgehalten. Vor allem war es ihm gelungen, eine Probe des roten Farbstoffs nach England zu bringen und von namhaften Gelehrten untersuchen zu lassen. Die Forscher erhofften sich die Erhellung eines alten Rätsels. Zugleich verknüpfte sich die Frage nach dem roten Schnee mit weitaus tiefer reichenden Problemen wie der Unterscheidung zwischen organischer und anorganischer Natur.
Die Wissenschafthistorikerin Petra Werner hat einen guten Blick für die zusammenschließende Kraft dieser Erscheinung. Sie zeigt sehr schön die Geschichte und das motivische Gewebe rund um den roten Schnee. Rot als die Farbe des Blutes – leicht vorzustellen, wie sich Erzählungen über verfärbte Flüsse oder „Blutregen” bis in die Ideenwelten von Kunst und Religion ausbreiten konnten. Für den roten Schnee interessierten sich Botaniker, Zoologen, Chemiker, Naturphilosophen und Dichter. So handelt diese Geschichte auch von der Konkurrenz der wissenschaftlichen Disziplinen, von der Trennung der Sphären Geist und Natur und von einigen Sonderlingen.
Ein Forscher, der sich mit Pilzen oder Staub beschäftige, hatte es schwer unter den Gelehrten. Feuchte Erde, von einem Wurm durchwühlt – den unscheinbaren Dingen hafteten Bilder des Unnützen und Schmutzigen an. Dabei bewegte die Entdeckung der „kleinen Welt” die gesamte wissenschaftliche Zunft. In einem Brief schrieb Alexander von Humboldt, es würde sich ein ganz anderer Anblick bieten, „wenn wir von Natur mit microskopischer Sehkraft begabt, wenn die Integumente der Pflanzen vollkommen durchsichtig wären”. Francis Bauer ließ sich von solchen Sätzen ebenso bestärken wie der Naturforscher Christian Gottfried Ehrenberg. Beide vertraten die Ansicht, für die Färbung des Schnees müsse eine „vegetabilische Substanz” verantwortlich sein. Ehrenberg wurde zum Spezialisten für alle Arten von Rotfärbungen. Am Ende sollte eine „Weltkarte der kleinen Organismen” stehen, die einen Zusammenhang des Lebens mit den festen Bestandteilen der Gebirge wie mit der Atmosphäre zeigte.
Bei so viel wissenschaftlicher Theorie könnte man leicht in der Abstraktion verloren gehen. Petra Werner indes hat sich die mikroskopischen Verfahren ihrer Figuren zu Eigen gemacht. Sie dringt unter die Oberfläche der Diskussionen und zeigt deren Aufbau, auch manch verstecktes Motiv. Mit einem Sinn für Bilder und Anekdoten führt sie den Leser immer wieder ganz nah heran an jenes „färbende Prinzip”, das die Wissenschaftler im Hintergrund vermuteten. Die Erklärungen waren weit gestreut. Einige Forscher hielten den Einfluss der Sonnenstrahlen für maßgeblich, andere beriefen sich auf metaphysische Kräfte oder den Staub vorbeifliegender Meteoriten.
Trotz der Details verliert Werner nie die Zusammenhänge aus dem Blick, wobei sie die plausiblen Theorien nicht weniger würdigt als das Kuriose mancher Idee. Allerdings sind ihre Sätze bisweilen zu sehr dem passivischen Stil verhaftet. Auch staut sie ihre Ergebnisse immer wieder in trockenen Auflistungen oder nimmt dem Text durch Wiederholungen etwas Schwung. An solchen Stellen hätte man ihr ein bisschen mehr von jenem „Sinn für Poesie” gewünscht, den sie Ehrenbergs Schriften attestiert.
Das „färbende Prinzip” hinter dem roten Schnee beschäftigt die Wissenschaft bis auf den heutigen Tag. Längst ist gesichert, dass eine Schneealge den ungewohnten Farbton verursacht, und auch die chemische Zusammensetzung scheint erforscht. Was die Wissenschaftler interessiert, ist die genaue Physiologie und die genetische Struktur der Pflanze. Ihre Fähigkeit, sich an niedrige Temperaturen anzupassen, macht die Schneealge für die industrielle Anwendung attraktiv, etwa in der Fischzucht oder bei Reinigungsprozessen. Dennoch dürften die Schwierigkeiten der Forschung kaum weniger geworden sein. Der Astronom Ernst Florens Chladni umschrieb sie damals so: „Wenn ihr den kleinsten Zipfel des Schleiers lüften wollt, in welchen die Natur sich einhüllt, so ruft sie unabänderlich Nein! Nein! Nein!”
Petra Werner
Roter Schnee oder die Suche nach dem färbenden Prinzip
Akademie Verlag, Berlin 2007.
191 Seiten, 49,80 Euro
Die Faszination des „roten Schnees” erlebte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Der englische Kapitän John Ross brachte von seiner Reise durch die Arktis diese Zeichnung von Crimson Cliffs und darüber hinaus eine Probe mit, die von namhaften Gelehrten untersucht wurde. Die mikroskopische Aufnahme stammt von Christian Gottfried Ehrenberg, der zu einem Spezialisten für alle Arten von Rot- färbungen wurde. Abbildung aus dem besprochenen Band
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Frage nach dem roten Schnee hielt sowohl die Wissenschaft als auch die Gesellschaft des beginnenden 19. Jahrhunderts auf Trab. Der englische Kapitän John Ross brachte von der Reise durch die Arktis eine Probe des seltsamen Phänomens mit. Wissenschaftler verschiedenster Couleur versuchten das Rätsel aufzuklären, und auch Schriftsteller und Künstler ließen sich anregen. Auf schönste lässt sich an dieser Geschichte die komplexe Wechselwirkung zwischen Kultur und Wissenschaft zeigen, meint Nico Bleutge, und genau das gelinge der Wissenschaftshistorikern Petra Werner in diesem Buch. Hilfreich sei dabei, dass Werner bis zur tiefer liegenden Struktur der mannigfaltigen Diskussionen vordringe, und außerdem einen "Sinn für Bilder und Anekdoten" beweise. Und immer behalte sie den Überblick über ihren Stoff. Nur Werners Stil ist Bleutge manchmal zu spröde und redundant.

© Perlentaucher Medien GmbH