Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Lara
Wohnort: 
Frankfurt

Bewertungen

Insgesamt 31 Bewertungen
Bewertung vom 14.09.2024
Huiii, wer ist denn da noch wach? - Ab ins Bett und Gute Nacht!
Kugler, Christine

Huiii, wer ist denn da noch wach? - Ab ins Bett und Gute Nacht!


ausgezeichnet

Das kleine Gespenst Theo ist noch wach und fliegt, als er sich erschreckt, aus dem Schloss bis zum Haus der kleinen Hexe Lotte. Auf dem Weg zurück trifft er noch einige andere Figuren (Werwolf, Spinne, Vogelscheuche, Vampirmädchen), die alle aus irgendeinem Grund nicht schlafen können. Theo hilft ihnen allen kreativ beim Einschlafen, bis er selbst müde wird und von seinem Vater ins Bett gebracht wird.

„Huiii, wer ist denn da noch wach? Ab ins Bett und Gute Nacht“ von Christine Kugler ist ein sehr schönes Bilderbuch, das trotz der „schaurigen“ Figuren völlig ohne Gruselfaktor auskommt, sodass es sich wirklich zum Einschlafen eignet. Die Bilder sind, passend zur Nacht, eher dunkel gehalten, sehr detailreich und gefallen mir sehr gut. Das Buch enthält auch wirklich viele Klappen (fast immer 2 pro Doppelseite). Die Klappen zeigen dann, wie Theos Einschlafhilfen ablaufen. Wie so häufig bei Klappen, lassen diese sich leider nicht wieder komplett schließen. Nach dem ersten Öffnen stehen sie immer leicht auf. Toll an der Gestaltung ist, dass man rund um den Text noch viel entdecken kann. Je nach Müdigkeitszustand des Kindes, kann man den Text also flexibel verlängern oder eben nur die schnelle Runde lesen.

Der Text selbst ist in Reimform geschrieben. Das liebe ich bei Kinderbüchern sehr. Es lässt sich auch sehr gut vorlesen, ich finde nur eine einzige Stelle etwas holprig.

Das Bilderbuch ist aus sehr stabiler Pappe und matt gedruckt. Es erscheint sehr wertig und wird mit Sicherheit lange halten.

„Huiii, wer ist denn da noch wach? Ab ins Bett und Gute Nacht“ von Christine Kugler ist ein wunderbares Bilderbuch, das für uns nun Teil der Einschlafroutine ist. Aus meiner Sicht kann man das Buch durch die flexiblen Möglichkeiten auch schon deutlich früher als mit 2 Jahren lesen.

Bewertung vom 31.08.2024
Die Frauen jenseits des Flusses
Hannah, Kristin

Die Frauen jenseits des Flusses


sehr gut

1965: Frances ist in eine wohl situierte kalifornische Familie geboren, in der die Militärkarriere der Männer eine große Rolle spielt. Die Heldenwand des Vaters ist Erinnerung und Ansporn zugleich, sodass auch Frances‘ Bruder Finley seinen Weg beim Militär sieht und voller Stolz nach Vietnam geht. Als Frances mit der Idee konfrontiert wird, dass auch Frauen Helden sein können, entschließt sie sich zu einem mutigen Schritt. Sie meldet sich freiwillig als Krankenschwester für Vietnam. Sie will ihren Vater stolz machen, ihrem Bruder folgen und hat keine Vorstellung davon, was Krieg wirklich bedeutet. Sie wächst über sich hinaus, findet Freundinnen und die Liebe. Doch mit der Rückkehr aus dem Krieg ist dieser für sie nicht vorbei, sondern er wird sie weiter begleiten und herausfordern.

Kristin Hannah hat mit „Die Frauen jenseits des Flusses“ einen Roman vorgelegt, der den häufig vergessenen Frauen, die in Vietnam gedient haben, eine Stimme gibt.
Ich mag die Romane von Kristin Hannah, sie behandelt schwierige und wichtige Themen auf eine besondere Art und schafft es, diese in einem emotionalen (Unterhaltungs)Roman zu verpacken. Mich hat auch dieser Roman wieder sehr bewegt und zum Nachdenken gebracht. Allerdings muss ich sagen, dass ich diesem Roman etwas seichter empfunden habe und mir einige Aspekte doch zu vorhersehbar waren.

Auch wenn die Autorin hier den vergessenen Veteraninnen von Vietnam eine Stimme gibt, wird der Krieg an sich durchaus kritisch beleuchtet. Das habe ich sehr positiv empfunden. Durch das militärische Setting ist die Sprache natürlich auch in Teilen dadurch geprägt. So wird zum Beispiel die Uhrzeit immer als 0700 (null siebenhundert) angegeben. Das sind kleine Zeichen dafür, wie sehr der Dienst Frances geprägt hat.
Die Leserinnen und Leser werden nicht geschont und die dramatischen Umstände in einem Feldkrankenhaus werden sehr explizit dargestellt. Wer damit ein Problem hat, sollte nicht zu diesem Buch greifen. Wer Hannah kennt, weiß aber wohl, dass sie solche Themen sehr klar und deutlich bespricht. So wird aber auch greifbar, wie stark der Dienst die Menschen geprägt hat und welche Herausforderungen daraus entstehen. Das Leben nach dem Krieg spielt im Roman auch eine große Rolle und nimmt ca. die Hälfte des Buches ein.

Ehrlich gesagt finde ich den deutschen Titel überhaupt nicht gut. Der Titel klingt für mich viel zu sehr nach einem kitschigen Roman und wird dem Buch nicht gerecht. Der englische Titel passt viel besser.

Insgesamt hat mir „Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah wieder ein Mal gut gefallen. Hinter „Der Nachtigall“ bleibt der Roman zurück, bietet aber wirklich wieder ein Mal eine Perspektive auf ein wichtiges, aber schwieriges, Thema.

Bewertung vom 28.08.2024
Vielleicht können wir glücklich sein
Hennig von Lange, Alexa

Vielleicht können wir glücklich sein


ausgezeichnet

Der Krieg kommt im Jahr 1944 immer näher und obwohl Klara die Leitung des Heims inzwischen abgegeben hat, hält der Kriegsalltag jeden Tag neue Herausforderungen für sie bereit. Die Vorstellung, sich mit der Aufgabe der Leitungsfunktion dem Regime etwas entziehen zu können, schlägt gründlich fehl, denn der lange Arm der Nationalsozialisten greift auch bis ins Privatleben und so ist Klara weiterhin im Zwiespalt zwischen Moral und Schutz ihrer Familie. Noch dazu plagen sie weiterhin Sorgen um Tolla, die es nicht nach England geschafft hat, und ihren Mann Gustav, der an der Front ist. Und außerdem ist der Krieg auch im ruhigen Sandersleben angekommen, sodass auch Klara und ihre Kinder vor Angriffen Schutz suchen.
Und auch für Isabelle hält das Leben viele Jahre später noch einige Herausforderungen bereit. Sie ist entschlossen die Erinnerungen ihrer Großmutter in einem Buch zu verarbeiten, doch das ist gar nicht so leicht vereinbar mit einem Leben als junge Mutter.

„Vielleicht können wir glücklich sein“ ist der dritte Teil der Heimkehr-Trilogie von Alexa Hennig von Lange. In der Trilogie verarbeitet sie die Lebensgeschichte ihrer Großmutter, die ihre Erinnerungen auf Kassetten aufgenommen hat.

Das Buch fügt sich nahtlos in die Reihe ein. Die Autorin erzählt die Geschichte wieder aus beiden Perspektiven, was immer wieder Abwechslung bringt und die Geschichte noch etwas greifbarer macht, da man die Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen erleben kann. Wie auch schon in den vorangegangenen Teilen ist der Erzählstil sehr warmherzig und empathisch.
Mir hat in diesem Band tatsächlich auch Isabelles Part besonders gut gefallen. Ich fand es spannend und hilfreich von ihrer Situation und ihren Gefühlen als junge Mutter zu lesen, was vielleicht auch meiner eigenen aktuellen Situation geschuldet ist.

Insgesamt fand ich auch diesen Roman wieder sehr bewegend, gerade das Ende hat mich tief berührt. Mit „Vielleicht können wir glücklich sein“ hat Alexa Hennig von Lange einen sehr interessanten Abschluss einer familiären Aufarbeitung mit der NS-Zeit vorgelegt. Leider wurde diese Aufarbeitung in vielen Familien verpasst und nur die wenigsten haben wohl die Chance auf einen Schatz wie diese Kassetten zurückgreifen zu können.

Bewertung vom 27.08.2024
Von Eintagsfliege bis Grönlandwal
Murray, Lily

Von Eintagsfliege bis Grönlandwal


sehr gut

„Von Eintagsfliege bis Grönlandwal. Wie lange Tiere leben“ von Lily Murray und Jesse Hodgson ist eine Art Bilderbuchsachbuch für Kinder. Das Buch behandelt auf 62 Seiten die Lebenszyklen von 27 Tieren. Gestartet wird mit dem Tier, mit der kürzesten Lebensdauer und es endet dann mit dem Tier, mit der längsten Lebensdauer. Es sind ganz unterschiedliche Tiere dabei. So sind einem einige recht bekannt (z.B. Honigbiene), von anderen (z.B. Glasschwamm) hat man noch nie gehört. Doch auch die Kapitel zu den bekannteren Tieren sind sehr interessant, da in knapper Form der Lebenszyklus dargestellt wird. Wir kennen vermutlich alle Honigbienen, aber die wenigsten wissen wohl, wie sich ihre Aufgaben im Lauf ihres Lebens verändern.

Die Texte sind sehr interessant und enthalten viele Informationen. Wir haben eine ganze Weile gebraucht, bis wir mit dem Buch durch waren, da man nach jedem Tier eigentlich etwas Pause braucht, um es sacken zu lassen. Manchmal bin ich bei den Texten ins Stocken geraten, weil ich es beim ersten Lesen widersprüchlich fand, später wurde es dann aber klar und nachvollziehbar. An manchen Stellen, hätte man daher die Texte etwas anpassen können. Da ich keinerlei Ahnung von Tieren habe, kann ich nicht beurteilen, ob das biologisch alles so stimmt.

Die Bilder sind gezeichnet und zum Anschauen erst mal sehr schön. Allerdings gibt es auch hier einen kleinen Kritikpunkt, da es manchmal etwas irritierend ist. Bei der Zwerggrundel musste ich nach dem Lesen erst mal Google bemühen, wie das Tierchen nun aussieht, da es mir anhand des Bildes, das die Zwerggrundel in ihrem Lebensraum mit anderen Bewohnern darstellt, nicht ganz klar war. Die Zeichnungen sind zwar wirklich schön, aber vielleicht wären Fotos doch hilfreicher gewesen, wobei das natürlich das gesamte Buch verändert hätte.

Bewertung vom 22.08.2024
Pi mal Daumen
Bronsky, Alina

Pi mal Daumen


ausgezeichnet

Oscar hat sich seinen Traum erfüllt und studiert Mathe an der Universität, an der sein großes Idol lehrt. Der 16jährige ist hochbegabt und entstammt einer privilegierten alten Adelsfamilie, wodurch er trotz seiner besonderen Bedürfnisse alle Möglichkeiten hat. In einer Vorlesung trifft er auf die 53jährige Moni, die in der Vorlesung auffällt wie ein bunter Hund. Sie hat mehrere Jobs und opfert sich für die Familie auf, weshalb auch schon mal einer ihrer kranken Enkel mit an die Uni geschleppt wird.

In „Pi mal Daumen“ schafft Alina Bronsky es erneut Humor und Nachdenklichkeit zu vereinen. Mit Oscar hat sie einen sehr eigenwilligen Protagonisten geschaffen, dessen besonderen Blickwinkel wir erleben dürfen. Teilweise sind seine Offenheit und Direktheit erschreckend und wirken überheblich, an anderen Stellen ist es einfach unglaublich witzig.

Auch wenn die Geschichte an einer mathematischen Fakultät spielt, muss man keine Mathegenie sein, um der Handlung zu folgen. Und auch wenn Mathe für mich immer nur ein notwendiges Übel war, konnte ich Oscars und Monis Begeisterung - fast schon Besessenheit - nachvollziehen. Allzu tief steigt man in die Materie inhaltlich auch nicht ein. Im Fokus stehen die beiden teilweise recht eigenwilligen Hauptfiguren.

Bronskys Erzählstil finde ich, wie immer, klasse! Der Roman liest sich wie gewohnt fix weg. An einigen Stellen musste ich laut lachen und das schaffen wirklich nur wenige Autorinnen und Autoren.

Nicht komplett überzeugt hat mich leider das Ende. Hier hätte Bronsky dem Buch ruhig noch ein paar mehr Seiten gönnen können.

Insgesamt hat mir Alina Bronskys „Pi mal Daumen“ mal wieder sehr gut gefallen. Wer sich auf den Roman einlässt, wird in eine ganz eigene Welt der beiden durchaus teilweise eigenwilligen Hauptfiguren entführt. Der „bösartige“ Humor bringt einen regelmäßig zum Lachen.

Bewertung vom 12.08.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


ausgezeichnet

Ruhrgebiet, 1990er Jahre: Reza ist mit seinen Eltern, beide Akademiker, aus dem Iran geflüchtet. In Deutschland landen sie im Ruhrgebiet, in einem Stadtteil, der mal als sozialdemokratisches Vorzeigeprojekt gedacht war, sich aber negativ entwickelt hat. Die Sozialprognose für Kinder aus dem Viertel scheint immer erst mal negativ zu sein. Und so gerät Reza in ein völlig anderes Leben, als sein Elternhaus es erahnen lassen würde, denn auch in Deutschland legen seine Eltern Wert auf Bildung.

In „Als wir Schwäne waren“ schreibt Behzad Karim Khani vom Ankommen: in Deutschland, im sozialen Brennpunkt und im Leben.
Der Einstieg war für mich nicht ganz so einfach, da ich nicht genau einschätzen konnte, an wen sich der Autor mit seiner Ansprache richtet. Als dann aber der eigentliche Teil der Erzählung begann, war ich sofort gefesselt. Die Sprache ist sehr klar, knapp und präzise. Der Autor kommt völlig ohne Ausschweifungen aus, ganz anders, als man es vielleicht erwarten würde von jemandem, in dessen Muttersprache es so 15 Worte für Stolz gibt.
Auf eine gewisse Art und Weise ist die Erzählung auch schonungslos. Es wird nichts ausgelassen, was zur Realität der Siedlung dazugehört, egal ob Sex, Gewalt oder Drogen, aber eben auch eine Fremdenfeindlichkeit, die man permanent spürt. Reza ist mittendrin statt nur dabei und nimmt die Leserinnen und Leser mit in den Alltag dieser Jugendlichen. Die Kapitel, man könnte auch Abschnitt sagen, sind immer recht kurz und man springt teilweise von einem Ereignis zum anderen. Dadurch entsteht beim Lesen ein zusätzlicher Sog, denn ein kurzer Abschnitt geht ja immer noch. Und so ist das Buch schneller ausgelesen, als man sich vorstellen kann.

Für „Als wir Schwäne waren“ von Behzad Karim Khani gibt es von mir eine klare Empfehlung.

Bewertung vom 30.07.2024
Seinetwegen
Del Buono, Zora

Seinetwegen


ausgezeichnet

1963 stirbt Zora del Buonos Vater bei einem Autounfall. Sie selbst ist zu diesem Zeitpunkt erst acht Monate alt und der Vater bleibt ein Leerstelle. Die Mutter spricht kaum über ihn, zu schmerzhaft scheint der Verlust zu sein und die Tochter versucht den Schmerz der Mutter zu entgehen. So ist für sie die zweiköpfige Familie der Normalzustand. 60 Jahre später, als sie die Mutter langsam an die Demenz verliert, macht sich Zora del Buono auf Spurensuche. Wer war E.T., der Mann, der den Unfall verschuldet hat?

In „Seinetwegen“ nimmt Zora den Buono ihre Leserinnen und Leser mit auf eine Reise, die sie nicht nur dem Unfallverursacher näher bringt, sondern auch die Leerstellen des Vaters zu füllen beginnt.
An einer Stelle im Buch kündigt sie es als biografisch-lexikalisches Werk an und aus meiner Sicht passt das perfekt. Ihre persönliche Recherche führt sie immer wieder zu historischen Ereignissen, aktuellen Debatten und allgemeinen Informationen, die aber immer einen Bezug zu ihrer Suche haben. Ich habe bei der Lektüre einiges an (unnützen) Wissen angesammelt. So kenne ich mich jetzt auch mit Schweizer Autokennzeichen aus.

Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen, sie springt in der Erzählung immer wieder zwischen persönlicher Gesichte und den anderen Aspekten hin und her. Das erfordert durchaus eine gewisse Aufmerksamkeit und man muss sich darauf einlassen, dass es eben kein linear erzählter Roman ist. Wer das tut, bekommt ein vielfältiges Leseerlebnis. Obwohl das Buch nur knapp 200 Seiten hat, hat man das Gefühl viel mehr gelesen zu haben. Die Erzählung ist sehr dicht und es scheint kein Wort zu viel.

Das Buch enthält auch einige Bilder, die einem die Autorin und ihre Familie näher bringen. Ich fand es sehr schön und es war auch genau in der richtigen Dosierung.

„Seinetwegen“ von Zora del Buono ist ein außergewöhnliches Werk, bei dem man, wenn man sich darauf einlässt, eine sehr persönliche Entwicklung verfolgen kann. Ich habe jede Gelegenheit genutzt, um weiterzulesen.

Bewertung vom 18.07.2024
Geile Zeit
Seydack, Niclas

Geile Zeit


sehr gut

Niclas Seydack ist ein Millennial, er gehört also zu denen, die zwischen 1980 und den späten 90er geboren wurden - teilweise auch unter Generation Y bekannt.
In „Geile Zeit“ fasst er das Lebensgefühl dieser Altersgruppe zusammen. Er beschreibt Kindheit, Jugend und Start in das Erwachsenenleben aus seiner Perspektive. Das Buch bietet dabei sehr viel Identifikationspotential, denn das meiste, was Seydack beschreibt, kennt man aus seinem eigenen Leben. Vieles ist zwar aus seiner persönlichen männlichen Perspektive geschildert, aber wer kennt nicht die Jungs, die für die ganze Klassenfahrt nur eine Unterhose eingepackt haben.
Der Schreibstil ist passend, locker und sehr eingängig. Ich war von der ersten Seite an „im Flow“ und wollte auch immer weiter lesen.

Auch wenn er das Lebensgefühl an vielen Stellen wirklich gut zusammenfasst, hat mir für die völlige Begeisterung am Ende doch noch etwas gefehlt. Seydack fokussiert sich stark auf die negativen Aspekte und verliert Chancen und Potentiale aus meiner Sicht etwas aus dem Blick. Ja, die Millennials sind vermutlich die erste Generation, der es nicht besser gehen wird, als ihren Eltern. Aber muss man nicht realistischerweise anerkennen, dass diese Entwicklung ohnehin nicht ewig fortsetzbar wäre? Und geht es uns deshalb automatisch schlecht? Hier hätte ich mir gewünscht, dass ein stärkerer Abwägungsprozess stattfindet und man vielleicht auch dazu kommt, einen Blick auf die zukünftigen Auswirkungen und Möglichkeiten zu wagen.

Niclas Seydack beschränkt sich in „Geile Zeit“ auf seine persönlichen Erlebnisse und Wahrnehmungen, die Millennials an vielen Stellen bekannt vorkommen werden und so eine Rekapitulation des eigenen Lebens ermöglichen. Leider geht es über diese persönliche Ebene aber nicht hinaus. Trotzdem ist das Buch lesenswert für alle, die in Erinnerungen schwelgen wollen oder Verständnis für diese Generation entwickeln möchten.

Bewertung vom 10.07.2024
VIEWS
Kling, Marc-Uwe

VIEWS


sehr gut

Eine 16jährige wird vermisst. Das erste Hinweis auf ihren Verbleib ist ein Gewaltvideo, das unmittelbar viral geht. Aufgrund der gesellschaftlichen Brisanz zieht das BKA die Ermittlungen an sich und Yasira Saad soll die Täter finden. Und zwar möglichst schnell, denn unmittelbar mit der Verbreitung des Videos haben sich gesellschaftliche Gruppen gebildet, die auf Vergeltung aus sind.

Eins vorab: Ich bin großer Fan von Marc-Uwe Kling und verschlinge alles, was er so veröffentlicht. Ich liebe seine Gesellschaftskritik und seinen realistischen Blick auf die Welt. Auch wenn meine politische Position vielleicht eine etwas andere ist, erkennt er wichtige gesellschaftliche Probleme und greift mit dem Finger tief in die Wunde. Genau so ist es auch bei „Views“ wieder. Der Roman trieft vor aktueller Gesellschaftskritik gepaart mit dystopischen Elementen. In manchen Werbemaßnahmen wird das Buch, auch von Kling selbst, als Thriller beworben. Dem würde ich nicht zustimmen, da hier viel zu wenig Augenmerk auf den Fall selbst gelegt wird. Im Mittelpunkt stehen die gesellschaftlichen Auswirkungen und die Möglichkeiten technischer Entwicklungen. Aus meiner Sicht ist das aber ein Vorteil, einen gänzlich unpolitischen Thriller hätte ich nicht gebraucht.

Der Schreibstil ist, wie man es von Kling gewohnt ist, sehr eingängig und liest sich flott weg. Trotz des ernsten Themas ist es auch durchaus wieder lustig und gespickt mit Anspielungen auf aktuelle Ereignisse. Das macht die Bücher von Kling natürlich immer etwas zeitlich gebunden. Für Leser in einigen Jahren könnten viele der Anspielungen verloren gehen. Vom SRF Literaturclub wird das Buch als heutig bezeichnet und das trifft es aus meiner Sicht perfekt.
Mir hat das Lesen unglaublich viel Spaß und ich habe das Buch innerhalb eines Tages beendet.

Allerdings hat der Roman aus meiner Sicht auch Schwächen, aus meiner Sicht ist er nicht völlig auserzählt. Kling lässt viel Potential liegen. Der knappe und pointierte Schreibstil, der beim Känguru 100%ig funktionierte, kommt bei diesem Roman an seine Grenzen. Mir fehlte das letzte Quäntchen zur völligen Begeisterung. Man muss sich aber bewusst sein, dass dies wirklich Meckern auf sehr hohem Niveau ist. „Views“ von Marc-Uwe Kling ist absolut lesenswert!

Bewertung vom 15.06.2024
Man sieht sich
Karnick, Julia

Man sieht sich


ausgezeichnet

Frie, die eigentlich Friederika heißt, und Robert sind schon seit der Schulzeit Freunde. Doch eigentlich ist Robert schon seit dem ersten Tag 1988, an dem Frie ihm den Weg an der neuen Schule zeigte, verliebt. Nach der Schule trennen sich ihre Wege, doch die alte Verbundenheit bleibt und immer wenn sich ihre Lebenswege wieder kreuzen, stellt sich die Frage „Was ist das eigentlich?“.

Julia Karnick erzählt in „Man sieht sich“ die Geschichte zweier Menschen, deren Wege sich immer wieder kreuzen und deren Freundschaft immer ein bisschen mehr zu sein scheint. Wir starten dabei im Jahr 1988 und enden letztlich im Jahr 2022, als die beiden bereits die Altersmarke 50 geknackt haben.
Ich konnte mich mit der Geschichte der beiden auf eine gewisse Art und Weise identifizieren und mochte beide Hauptfiguren auf ihre eigene Art und Weise. Robert fand ich tatsächlich etwas sympathischer, während Frie ein etwas eigenwilligerer Charakter ist. Trotzdem fand ich auch Fries Parts spannend und bin ihr gerne gefolgt.
Gut gefallen hat mir, dass die Geschichte wirklich aus dem Leben gegriffen war. Man folgt den beiden durch verschiedene Lebensphasen und erlebt dabei auch ihre Entwicklung mit, denn in über 30 Jahren verändern sich Menschen natürlich.

Julia Karnicks Schreibstil lässt sich für mich am ehesten als unaufgeregt beschreiben. Sie erzählt die Geschichte ganz ruhig, aber sehr klar und berührend. Mir hat das Lesen sehr große Freude bereitet und ich hätte gerne auch noch mehr gelesen. Wer allerdings die ganz großen Dramen und Emotionen erwartet, könnte hier enttäuscht werden.

„Man sieht sich“ von Julia Karnick ist ein Roman der ruhigen Töne, der sich total auf die Hauptfiguren und ihre Beziehung zueinander fokussiert.