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»So direkt, so atemnah hat er uns kaum je durch das Quartier seiner Jugend geleitet.« Dieter Hildebrandt
David Bendiger ist noch keine 19 Jahre alt, kommt nach Warschau und will Schriftsteller werden. Er hat kein Geld und träumt davon, eine junge reiche Frau zu finden, berühmt zu werden und die große weite Welt zu bereisen. Bei Sonja, einer alten Bekannten, findet er vorübergehend Unterschlupf. Er bemüht sich um ein Visum für Palästina, muß jedoch vorher eine Scheinehe eingehen und sieht sich plötzlich in amouröse Abenteuer mit drei Frauen verstrickt, die ihn in Konflikt mit seiner…mehr

Produktbeschreibung
»So direkt, so atemnah hat er uns kaum je durch das Quartier seiner Jugend geleitet.« Dieter Hildebrandt

David Bendiger ist noch keine 19 Jahre alt, kommt nach Warschau und will Schriftsteller werden. Er hat kein Geld und träumt davon, eine junge reiche Frau zu finden, berühmt zu werden und die große weite Welt zu bereisen. Bei Sonja, einer alten Bekannten, findet er vorübergehend Unterschlupf. Er bemüht sich um ein Visum für Palästina, muß jedoch vorher eine Scheinehe eingehen und sieht sich plötzlich in amouröse Abenteuer mit drei Frauen verstrickt, die ihn in Konflikt mit seiner orthodoxen Erziehung bringen.

Ein fesselnder Zeit- und Liebesroman vor dem Hintergrund der politischen und sozialen Umbrüche im Warschau der zwanziger Jahre - mit autobiographischen Zügen.
Autorenporträt
Singer, Isaac Bashevis
Isaac Bashevis Singer wurde am 14. Juli 1904 in Radzymin in Polen geboren und wuchs in Warschau auf. Er erhielt eine traditionelle jüdische Erziehung. Mit 22 Jahren begann er, für eine jiddische Zeitung in Warschau zu schreiben, erst auf hebräisch, dann auf jiddisch. 1935 emigrierte er in die USA und gehörte dort bald zum Redaktionsstab des 'Jewish Daily Forward'. 1978 wurde ihm für sein Gesamtwerk der Nobelpreis für Literatur verliehen. Für Aufsehen sorgten auch die Verfilmungen seiner Werke 'Freinde, die Geschichte einer Liebe' und 'Jentl'. Am 24. Juli 1991 starb Singer in Miami.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.1998

Frauen, Krieg und all das
Aus der Urgeschichte: Ein sehr früher Roman von Isaac B. Singer

Er ist noch nicht einmal neunzehn, aber er hat schon zwei Kriege und zwei Revolutionen erlebt, angefangen zu schreiben, sich von seiner religiösen Erziehung losgesagt und mit Spinozas "Ethik" getröstet. "Manchmal kam ich mir wie ein alter Mann vor."

David Bendiger, der angehende jiddische Schriftsteller, schickt sich im Jahr 1922 an, die Welt zu betreten. Kind eines chassidischen Rabbi, aufgewachsen in Armut, in dem Viertel, wo Warschau damals am jüdischsten war, bestimmt zum Studium der heiligen Bücher und zu einem Leben fern aller Weltlichkeit: nun, wo er keinen Glauben mehr hat und kein Gesetz, weiß er nicht, wo er hingehört. Aber andererseits: Alles ist jetzt möglich.

Genau so ein dünner, blasser, rothaariger, schüchterner und kluger Junge wie David Bendiger war Isaac Bashevis Singer, als er in der Warschauer literarischen Szene auftauchte. Man könnte die beiden, Autor und Romanfigur, ohne weiteres miteinander verwechseln; man könnte sogar so tun, als seien sie ein und dieselbe Person: Was der eine als erzählendes Ich im Roman vorbringt, stimmt mit den Gedankengängen und Gefühlswelten, die wir aus Singers Memoiren kennen, recht genau überein. Was die konkreten Ereignisse betrifft, von denen sowohl im Roman wie in den Memoiren die Rede ist, so gibt es da nur ein paar kleinere Abweichungen. Die aber sind entscheidend für das Gedeihen des Romans - und die Konstruktion einer Geschichte.

David Bendiger also kommt zurück nach Warschau, von wo die Familie während des Kriegs vor dem Hunger und den Krankheiten geflohen war. Er kommt allein, ohne Geld, ohne Beziehungen, ohne Aussichten. Die Frauen sind seine Rettung: Von der einen, die sehr viel älter ist als er, bekommt er Essen und ein bißchen Liebe. Bei zwei anderen Frauen, glühenden Kommunistinnen, mietet er sich ein. Und bestellt mit einer weiteren das Aufgebot für eine Scheinehe, um auf ihre Kosten mit einem gemeinsamen Visum nach Palästina auszuwandern.

Mit der Beschaffung von Papieren und dem Warten auf das Visum vergeht ein langer Winter, und von dieser Zeit der Hoffnung, des Hungers, der Zweifel, der kleinen Triumphe, der Kälte und der Mutlosigkeit erzählt der Roman. Das heißt natürlich, David Bendiger erzählt, und er läßt uns sehr ungeniert teilhaben an seinem Frühstück, seiner tagelangen Verstopfung, den Problemem mit dem schiefgetretenen Absatz und den metaphysischen Schauern, die ihn manchmal so anwehen. Es ist ein sehr intimer Roman, von der Art, wie ihn schüchterne Leute schreiben. Davids älterer Bruder, ein literaturgewordener Doppelgänger Joshua Singers, führt ihn im Schriftstellerclub ein, wo sich die verschiedenen Fraktionen - Bundisten, Kommunisten, Zionisten - heftige Verbalschlachten liefern. David Bendiger aber trägt einen unausgegorenen Essay über Spinoza und die Kabbala mit sich herum. Und das ist in der damaligen Zeit politisch völlig unkorrekt.

Trotz seiner Auswanderungspläne ist der Junge kein Zionist. Und auch kein Sozialist; Kommunist schon gar nicht. Wenn überhaupt etwas, dann ist er Pessimist, mit allem Nachdruck eines Alters, in dem Weltanschauungen so entsetzlich schwer wiegen. Was sein Judentum betrifft, so ist es ihm längst zur Frage geworden: worin es denn eigentlich besteht. Es muß viele wie David Bendiger gegeben haben damals in Warschau. Oder in Lemberg, in Berlin oder Wien. Es sind die ersten Jahre der wiedererstandenen polnischen Republik, die bereits Krieg geführt hat mit der Sowjetunion; die Stimmung ist vorherrschend nationalistisch und zunehmend antisemitisch, was sich auch in zahlreichen Gesetzen niederschlägt.

Die jungen Leute, die in diesem Buch auftreten, sehen für sich, für die Juden überhaupt, in Polen keine Zukunft. Eduscha, die Braut eines kommunistischen Parteifunktionärs, wird David Bendigers erste Geliebte. Sie ist Materialistin vom Scheitel bis zur Sohle, und die Liebe mit ihr schockiert den jungen Spinoza-Spezialisten wegen ihrer puren Fleischlichkeit. Seine Scheinehefrau dagegen, assimiliert bis zur bürgerlicher Décadence, die daherredet wie eine ausgekochte Antisemitin, ist einem eleganten Gauner verfallen, für den sie jede Erniedrigung erträgt. Wohin kommt es mit uns, fragt sich David Bendiger entsetzt, wenn es kein moralisches Gesetz gibt? Die Figuren, die Singer entwirft, sind den authentischen Gestalten aus den Memoiren weitgehend, wenn auch mit Diskretion, nachgezeichnet. Und doch haben sie etwas Exemplarisches; man wird sie in vielen Romanen und Erzählungen Singers wiederfinden.

Singer gehört zu den Schriftstellern, die im Grunde immer dieselbe Geschichte erzählen. Seine Geschichte handelt immer von Begierde und Nacktheit und Erkenntnis; vom Sündenfall, wenn man so will. Er schrieb sie unermüdlich, in unzähligen Variationen, und nahm seine Leser immer wieder damit gefangen. Hier, in diesem Roman, haben wir sie, die Singersche Urgeschichte mit ihren speziellen und inzwischen wohlvertrauten Ingredienzen, in einer wohl sehr frühen Version. Sie schmeckt beim Lesen sehr frisch und süß und ein klein wenig bitter. Denn natürlich geht alles schlecht aus, die Welt ist kein Garten Eden und die Liebe vieldeutig und enttäuschend und absolut unentbehrlich.

"Zwischen Sexus und Bethaus" verortete Singer selbst seine Erzählerei. Und dieses Hin- und Hergerissensein zwischen dem Heiligen und dem Animalischen, dieser widersprüchliche Aufenthalt in der Schmuddeligkeit des Lebens - hier, in diesem ein wenig linkischen Jugendbuch, wird davon erzählt im Tonfall unendlichen Staunens. Frauen. Krieg. Literatur. "Wie unvorhergesehen das alles war!" Mit grandioser Heftigkeit schwankt der jugendliche Erzähler zwischen euphorischen Ausbrüchen und finsterster Depression, was er auch ganz schlicht und wörtlich zum Ausdruck bringt: "Vater im Himmel, offenbare dich mir! Laß mich dich einen Augenblick sehen! Meine Verzweiflung macht mich wahnsinnig." Wenn es nicht so tragisch gemeint wäre, müßte man lachen. Manchmal lacht man trotzdem.

Es gibt viele Stellen in diesem Roman - sprachliche Unbeholfenheiten und kleine Schlampigkeiten in der erzählerischen Logik -, die davon zeugen, daß Singer noch unerfahren war, als er ihn schrieb. Aber die fast kindlichen Phantastereien ("Angenommen, die Lesznostraße wäre ein riesiger Eisberg . . .") und manchmal sehr schrägen Analogien sind von ungewollter Komik und haben ihren eigenen Reiz. Trotzdem ist es ein Roman, den der erwachsene, der reife Schriftsteller sicher nur schwer vertreten konnte. Zwar erschien das Buch 1967 in Fortsetzungen im "Jewish Daily Forward" wie Singers andere Romane auch. Ins Amerikanische übersetzt und als Buch veröffentlicht wurde er aber erst nach seinem Tod im Jahre 1991.

Wäre es der einzige Roman, den man je von Isaac Bashevis Singer gelesen hat, würde man kaum an Weltruhm oder gar Nobelpreis denken. Man würde denken: Was wäre es doch für ein überaus unwahrscheinliches und kitschiges Ende für die hier erzählte, gerade einmal angebrochene Lebensgeschichte, wenn der junge Mann, ach was, der Junge, nach Amerika gelangte und ein weltberühmter Schriftsteller würde. Aber das ist kein Schluß für den Roman eines aufrichtigen Pessimisten. KATHARINA DÖBLER

Isaac Bashevis Singer: "Das Visum". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gertrud Baruch. Hanser Verlag, München 1998. 272 S., geb., 38,- DM.

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