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Handtellergeschichten heißen sie, weil sie so knapp sind, daß man sie auf einen Handteller schreiben könnte. Und dabei sind sie so reich an Bildern und Themen, so vielschichtig und vieldeutig, daß sich aus jeder von ihnen im Kopf des Lesers ein ganzer Roman entspinnt. Sie führen uns mitten hinein in das japanische Leben, das zwischen Fremden und Vertrautem oszilliert - das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, die Beziehung zur Natur und zum Tod. Und sie bilden das Herzstück und zugleich die beste Einführung in das Werk Kawabatas, da er in dieser kurzen Form, die er zeit seines Lebens gepflegt hat, seine Erzählkunst zur Vollendung brachte.…mehr

Produktbeschreibung
Handtellergeschichten heißen sie, weil sie so knapp sind, daß man sie auf einen Handteller schreiben könnte. Und dabei sind sie so reich an Bildern und Themen, so vielschichtig und vieldeutig, daß sich aus jeder von ihnen im Kopf des Lesers ein ganzer Roman entspinnt. Sie führen uns mitten hinein in das japanische Leben, das zwischen Fremden und Vertrautem oszilliert - das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, die Beziehung zur Natur und zum Tod. Und sie bilden das Herzstück und zugleich die beste Einführung in das Werk Kawabatas, da er in dieser kurzen Form, die er zeit seines Lebens gepflegt hat, seine Erzählkunst zur Vollendung brachte.
Autorenporträt
Yasunari Kawabata (1899-1972), in Osaka als Arztsohn geboren, studierte englische und japanische Literatur und wurde 1926 mit seiner ersten längeren Erzählung Die Tänzerin von Izu über die Grenzen Japans hinaus bekannt. 1968 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Im Carl Hanser Verlag sind erschienen: Tausend Kraniche (Roman, 1956), Schneeland (Roman, 1957), Kyoto oder Die jungen Liebenden in der alten Kaiserstadt (Roman, 1965), Die Tänzerin von Izu (Erzählung, 1968), Ein Kirschbaum im Winter (Roman, 1969), Schönheit und Trauer (Roman, 1988), Handtellergeschichten (1990) und Der Blinde und das Mädchen (Neue Handtellergeschichten, 1999).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.1999

Ein Vorfall mit einem Hut
Yasunari Kawabatas Handtellergeschichten

Neben seinem 1994 preisgekrönten Landsmann Kenzaburô Ôe war der japanische Autor Yasunari Kawabata, der 1968 als erster Japaner (und zweiter Asiate nach Rabindranath Tagore) den Literaturnobelpreis erhielt, in der deutschen Literaturlandschaft etwas in den Hintergrund getreten. Doch nun, im Jahr seines einhundertsten Geburtstages, machen zwei Verlage mit neuen Büchern auf diesen modernen Klassiker aufmerksam. Der Insel Verlag präsentiert seinen experimentellen Zeitungsroman "Die rote Bande von Asakusa" und Hanser legt ein Bändchen mit neuen Handtellergeschichten vor.

Handtellergeschichten sind Erzähltexte, die so kurz sind, dass sie auf eine Handfläche zu passen scheinen - Prosaskizzen von nur wenigen Seiten Umfang, deren Reiz in ihrer Dichte und Suggestivität liegt. Kawabata gilt als "Erfinder" dieses Genres, und es scheint seinem künstlerischen Temperament entgegenzukommen zu sein. Schon die Titel seiner Texte - "Von der Säge und einer Niederkunft", "Der Rutschfelsen" oder "Wartesaal dritter Klasse" - klingen konkret und rätselhaft, andere erinnern an Märchen. "Die Tochter des Drachenkönigs" erzählt die Geschichte einer Rache für Ehebruch und Mord, und den Kern der mit gut sechs Seiten längsten Kurzgeschichte der Sammlung mit dem Titel "Auf den Winter zu" bildet die blutrünstige Legende von einem Samurai, der einen Tempel gründete. Dabei geht es mit geheimnisvollen Kräften zu, die auch die Träume der handelnden Personen bestimmen.

Kawabatas Stärke liegt im Skizzieren von ungewöhnlichen Personenkonstellationen wie in der Titelgeschichte "Der Blinde und das Mädchen". Darin wird die Geschichte einer Familie, bestehend aus der blinden Mutter und zwei Töchtern, erzählt, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie blinden Männern zu Diensten sind. Wie das Mädchen O-Kayo, die jüngere von beiden, die ihren Gönner immer zum Bahnhof begleitet, diese Situation erlebt und wie sie sich in den Blinden hineinversetzt, der im Spiegel ihrer boshaften Schwester den Wald im Abendrot "sieht", das zeugt von erzählerischer Suggestionskraft.

Das auf den männlichen Beobachter stets verführerisch wirkende junge Mädchen gehört zum Personeninventar von Kawabatas Werken. Wir begegnen ihr in dieser Sammlung immer wieder, und im nur zwei Seiten umfassenden ersten Text tritt sie uns in einer Badeszene entgegen, die stark an Kawabatas erste berühmte Erzählung von 1926, "Die Tänzerin", erinnert. Kawabatas journalistische Ader macht sich in den Straßenszenen und Impressionen aus Tokios Stadtteil Asakusa in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts bemerkbar, und man meint in "Der Vorfall mit dem Hut" und "Der Weg des Geldes" Skizzen für die schon erwähnte "Rote Bande" zu lesen. Andere Texte zeichnen stimmungsvolle Jahreszeitenbilder. So ließe sich die Sammlung als ein Kawabata-Lesebuch empfehlen, wenn der Eindruck nicht durch gravierende Schwächen getrübt würde.

Zunächst wüsste man gern, aus welcher Zeit diese neunzehn Texte stammen, doch dazu schweigt sich der Band aus. Das Nachwort erwähnt den Titel einer 1926 erschienenen Anthologie mit Handtellererzählungen, doch dass die ins Deutsche übertragenen Werke aus einem Zeitraum von 1924 bis in die sechziger Jahre stammen, bleibt den Lesern der Hanser-Ausgabe verborgen, zumal die Anordnung darin nicht der Werkchronologie folgt. So stammt der vorletzte Text von 1963, der letzte aus dem Jahr 1928. Aber das und die Auswahlkriterien hätte man gern erläutert bekommen.

Nun kann man aus den Texten kaum auf die Entstehungszeit schließen, da sie in der deutschen Version einen altertümelnd-umständlichen sprachlichen Duktus aufweisen, und das Altertümelnde setzt sich in der Wortwahl fort. Von elektrischen Lampen und der "elektrischen Staatsbahn" ist die Rede, wo es bloß "Lampe" und "Bahn" oder "Zug" heißen müsste. Andererseits ist in einem frühen Text ("Die weiße Blume", 1924) von einem Kranken die Rede und der Zeit, als er "noch in Ordnung war", ein ungekehrter sprachlicher Anachronismus, vielleicht ein Anglizismus, der sich in die deutsche Übersetzung geschlichen hat. Stilistisch hat es der Leser schwer, sich zu orientieren, man stolpert über merkwürdige Wendungen, wo das Original nichts Auffälliges zu bieten hat. Die Frau, die im Deutschen "sich bemühte, ihre Lidfalten zu beruhigen", hält einfach ihre Augen geschlossen, und der Mann, der "vor Lachen mit dem Bauch wackelt", schüttelt sich vor Lachen. Der "Schneereifen" ist ein Schlitten und der "Blauhimmel" der umgangssprachliche "Himmel".

Kawabata nutzt zwar die grammatikalischen Besonderheiten des Japanischen, um seine Sätze mit vielen Konnotationen anzureichern und "in der Schwebe" zu halten. Dadurch bekommen seine Texte eine geheimnisdurchtränkte Aura, die noch durch die Knappheit des Genres gesteigert wird. Je komprimierter und skizzenhafter die Texte, desto sorgfältiger muss auch die Übersetzung sein, damit die Verständlichkeit nicht leidet. Ganz so mysteriös, wie sich einige der Handtellererzählungen lesen, sind die Originale nicht. Um nachvollziehen zu können, was da geschieht, muss man bisweilen, etwa bei der "Tochter des Drachenkönigs", die japanische Fassung heranziehen. Doch das kann deutschen Lesern schwerlich zugemutet werden.

Kawabata, der allzu lange als Repräsentant einer vorwiegend traditionsorientierten, ästhetizistischen Prosa gehandelt wurde, ist ein vielgesichtiger Vertreter der literarischen Moderne in Ostasien, die es zu entdecken lohnt. Der Hanser Verlag hat sich seit vielen Jahren um sein Werk verdient gemacht. Mit der vorliegenden Textsammlung allerdings hat er den Zugang zu diesem Autor, der auch über das Verhältnis der Geschlechter verblüffende Einsichten bereithält, nicht erleichtert.

IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT

Yasunari Kawabata: "Der Blinde und das Mädchen. Neue Handtellergeschichten". Ausgewählt und aus dem Japanischen von Siegfried Schaarschmidt. Hanser Verlag, München 1999. 116 S., geb., 24,- DM.

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