84,95 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 6-10 Tagen
payback
0 °P sammeln
  • Buch mit Leinen-Einband

Aus dem Inhalt: Peter Krüger, Zur Einführung I. Frühe Neuzeit Heinz Duchhardt, Das Reich in der Mitte des Staatensystems. Zum Verhältnis von innerer Verfassung und internationaler Funktion in den Wandlungen des 17. und 18. Jahrhunderts Holger Th. Gräf, Gestaltende Kräfte und gegenläufige Entwicklungen im Staatensystem des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Republik der Vereinigten Niederlande als Macht des Übergangs Klaus Malettke, Grundlegung und Infragestellung eines Staatensystems: Frankreich als dynamisches Element in Europa Jean Béreger, Die Habsburger und ihre Erbfolgekrisen als…mehr

Produktbeschreibung
Aus dem Inhalt: Peter Krüger, Zur Einführung I. Frühe Neuzeit Heinz Duchhardt, Das Reich in der Mitte des Staatensystems. Zum Verhältnis von innerer Verfassung und internationaler Funktion in den Wandlungen des 17. und 18. Jahrhunderts Holger Th. Gräf, Gestaltende Kräfte und gegenläufige Entwicklungen im Staatensystem des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Republik der Vereinigten Niederlande als Macht des Übergangs Klaus Malettke, Grundlegung und Infragestellung eines Staatensystems: Frankreich als dynamisches Element in Europa Jean Béreger, Die Habsburger und ihre Erbfolgekrisen als Formationsphase des neuen europäischen Staatensystems Johannes Kunisch, Der Aufstieg neuer Großmächte im 18. Jahrhundert und die Aufteilung der Machtsphären in Ostmitteleuropa II. 19. Jahrhundert Paul W. Schroeder, The Vienna System and Its Stability: The Problem of Stabilizing a State System in Transformation Klaus Zernack, Polens Einfluß auf die Wandlung des europäischen Staatensystems von den Teilungen bis zur Reichsgründung Hans Henning Hahn, Die Revolution von 1848 als Strukturkrise des europäischen Staatensystems Anselm Doering-Manteuffel, Großbritannien und die Transformation des europäischen Staatensystems 1850-1871 Peter Krüger, Das Problem der Stabilisierung Europas nach 1871: Die Schwierigkeiten des Friedensschlusses und die Friedensregelung als Kriegsgefahr Eberhard Kolb, Stablisierung ohne Konsolidierung? Zur Konfiguration des europäischen Mächtesystems III. 20. Jahrhundert Ludolf Herbst, Niedergang und Wiederaufstieg. Europa als Großregion und Staatengemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg Wolf D. Gruner, Gleichgewicht, europäisches Staatensystem und europäische Einigungsidee Hermann-Josef Rupieper, Transnationale Beziehungen als Teil des internationalen Systems: Die Vereinigten Staates und Westdeutschland als Modellfall? Hans Lemberg, Transformation des internationalen Systems als Folge krisenhafter Veränderungen im östlichen Europa im 20. Jahrhundert Ernst Nolte, Zwischen Totalitarismus und bürgerlicher Gesellschaft: Fehlentwicklungen des internationalen Systems im 20. Jahrhundert Wilfried von Bredow, Globalisierung und Regionalisierung des internationalen Systems im Spannungsfeld von Weltordnungsanspruch und Pluralismus
Autorenporträt
Prof. Dr. Peter Krüger ist Prof. für Neuere Geschichte an der Philipps-Universität Marburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.1997

Staaten im Wandel
Betrachtungen zur europäischen Ordnung der letzten Jahrhunderte

Peter Krüger (Herausgeber) unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner: Das europäische Staatensystem im Wandel. Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit. Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 35. R. Oldenbourg Verlag, München 1996. XVI, 272 Seiten, 98,- Mark.

Wer wollte in Frage stellen, daß wir in einer Zeit leben, die einen massiven Wandel des europäischen Staatensystems sieht? Der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers hat die Konfrontation der Blöcke in Europa und der Welt beendet. Der Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens hat krisenhaft alte Staaten ausgelöscht und neue Staaten entstehen lassen. Die fortschreitende Integration und die absehbare Erweiterung der Europäischen Union führen einen Prozeß weiter, in dessen Verlauf der Nationalstaat vermutlich mehr und mehr seine klassische Form als souveräne Einheit im größeren Teil Europas verlieren wird. In einer solchen Situation mag es hilfreich sein, von den Historikern zu erfahren, daß der Wandel im Staatensystem Europas die Regel und langdauernde Kontinuität eher die Ausnahme gewesen ist.

Noch krasser hat es vor einigen Jahren Peter Krüger formuliert, der Herausgeber des hier zu besprechenden Bandes: "Das Staatensystem lebt und reproduziert sich nur in fortlaufender Veränderung." Dies war die Sentenz eines anspruchsvollen Forschungsprojekts, dessen ersten Abschluß die nun veröffentlichten 17 Beiträge einer hochkarätig besetzten Tagung bilden: Staatensysteme sollten nicht nur im Sinne des unter Historikern häufig gebrauchten, fast alltagssprachlichen Schlagworts erforscht werden, das die Titel vieler Arbeiten schmückt, aber im Grunde nur die reduktionistische Addition unabhängig gedachter Teile meint, nämlich der einzelnen außenpolitischen Beziehungen; vielmehr sollte ein methodisch schärferer, von den Sozialwissenschaften adaptierter, eben systemischer Sinn unterlegt werden. Es sollten also innerhalb des als System verstandenen Beziehungsgeflechts der europäischen Staaten der Neuzeit die jeweiligen (vereinbarten oder mehr oder weniger unbewußt gepflogenen) Mechanismen der Konfliktregelung, die vielfältigen strukturellen Bedingungen der Staaten wie der Staatengemeinschaft, die zahlreichen einzelnen Beziehungen untereinander, die Zusammenhänge zwischen innerer Entwicklung und Außenpolitik der im System repräsentierten Staaten, die Entscheidungen und Interaktionen von "Akteuren" innerhalb des Systems und deren Rückwirkungen auf die Stabilität oder Wandlung des Systems als Ganzes untersucht werden - allein die vollständige Wiedergabe der von Krüger in seiner Einleitung aufgeführten Fragestellungen würde den Rahmen einer Rezension bei weitem sprengen. Dabei scheint Krüger in erster Linie der aus der älteren Phase der systemtheoretischen Diskussion entlehnte Frageansatz zu interessieren, unter welchen Umständen ein Staatensystem Stabilität herstellen oder wahren kann. Das erklärt wohl auch, warum keine eigenen Beiträge die revolutionär umwälzenden Systemänderungen in der Folge der beiden Weltkriege unseres Jahrhunderts thematisieren.

Angesichts des angerissenen umfassenden methodischen Katalogs kann es nicht verwundern, daß jeder der Aufsätze, zumal sie mit einer Ausnahme eher kurzgehalten sind, nur Teilaspekte der systemtheoretisch möglichen Fragen behandelt. Bei einigen wenigen der Beiträge kann man sich allerdings nur schwer des Eindrucks erwehren, hier sei alter Wein in neue Schläuche gefüllt, traditionelle Erkenntnisse der Diplomatiegeschichte seien nur mit einigen systemtheoretischen Begriffen umfrisiert worden.

Überhaupt scheint das Herantragen systemtheoretischer Elemente an das europäische Staatensystem für unterschiedliche Epochen der Geschichte auch unterschiedliche Grade an Erkenntnisgewinn zu versprechen. Für die Anfänge der Neuzeit mit ihren im Inneren noch "unfertigen" Staaten, ihren vornehmlich dynastisch geprägten Beziehungen und mit einem sich erst in der Entwicklung befindenden "Staatensystem" wirkt ein solcher Zugriff gelegentlich wie ein Prokrustesbett: Wie der Räuber in der griechischen Sage muß der Historiker aus der kaum zu überblickenden Komplexität des unfertigen Systems zu viele Glieder abschlagen, zu viele Akteure vernachlässigen, zu sehr vielleicht auch willkürlich einzelne Elemente herausgreifen und in das Bett der Theorie strecken, um überhaupt deren heuristischen Wert greifen zu lassen.

Dagegen erweist sich der theoriegeleitete Zugriff für die Zeit vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert, die klassische Epoche des europäischen Staatensystems, als ausgesprochen fruchtbar. Dies zeigen besonders die in der Bewertung sich teilweise ergänzenden, teilweise aber auch durchaus widersprechenden Beiträge über das 19. Jahrhundert. Wenn etwa Paul W. Schroeder eine Rehabilitierung des Wiener Kongresses vornimmt, weil dieser als einzige Neuordnung nach einer der großen Katastrophen der neuzeitlichen Geschichte eine tragfähige Antwort auf den vorherigen Zusammenbruch des Staatensystems entwickelt habe, indem er tatsächlich die Ursachen für die zahllosen großen Kriege des 18. Jahrhunderts beseitigt habe, so mag man dieser ganz von systemtheoretischen Erwägungen getragenen Analyse nur zustimmen. Aber vielleicht beurteilt Schroeder die Tragfähigkeit des Wiener Friedenssystems nun zu positiv, sowohl hinsichtlich der Akzeptanz bei allen beteiligten Staaten wie vor allem bei anderen nichtstaatlichen "Akteuren". Der allmähliche Zerfall dieses Systems seit 1848 kann wohl nicht nur auf die Willkür späterer Staatsmänner zurückgeführt werden; er beruht vielmehr wohl auf einer der wenigen gesicherten Erkenntnisse, die man aus der Betrachtung internationaler Systeme mitnehmen kann: Ein zu sehr auf den Erhalt des Status quo ausgerichtetes System, das mit seinen Mechanismen nicht auf die konstruktive Verarbeitung dynamischer Elemente angelegt ist, verurteilt sich längerfristig selbst zum Scheitern.

Der zunehmende Zerfall des "Europäischen Konzerts" im Vollzug und als Ergebnis der Umwälzungen in Europa von 1848 bis 1871 konnte in der folgenden Zeit nie mehr vollständig kompensiert werden. Es bleibt strittig, ob es etwa zum Bismarckschen Bündnissystem nach 1871 mit dem Versuch, Europa in einem Schwebezustand zu halten, realistische und längerfristig tragfähigere Alternativen gegeben hätte (so Peter Krüger in seinem Beitrag) oder ob lediglich der Abbau der Konfliktpotentiale und die Risikobegrenzung den beteiligten Staatsmännern die einzig realistischen Perspektiven boten und erst die Abkehr vom Bismarckschen System zur Katastrophe von 1914 führte (so Eberhard Kolb). Der Erste Weltkrieg, der radikale Verwerfungen im europäischen Staatensystem produzierte, und schließlich der Zweite Weltkrieg haben dann im Grunde das Staatensystem Europas zu einem Subsystem des internationalen, des Weltstaatensystems herabgedrückt. Für die Zeit nach 1945 macht die Einschränkung der Betrachtung auf Europa nur noch wenig Sinn; die meisten Beiträge für diesen Zeitraum erweitern deswegen den Rahmen zu Recht auf die weltweite internationale Ebene. Auch hier zeigt sich, daß - wie für die Anfänge der Neuzeit - die erhebliche Vergrößerung der Zahl der Akteure, zu denen neben den Nationalstaaten nun auch zunehmend international agierende Interessengruppen unterschiedlichster Provenienz gehören, die Anwendung der Systemtheorie zwar reizvoll macht, die Beschränkung auf jeweils einige wenige Faktoren jedoch zur forschungsstrategisch unabweisbaren Notwendigkeit wird.

Die gegenwärtig sich vollziehende Entwicklung des Staatensystems ist nicht das klassische Metier des Historikers. Konsequent beschließt den Band denn auch der Beitrag eines Politikwissenschaftlers (Wilfried von Bredow), der sich in weiser Beschränkung allerdings weitgehend damit begnügt, Fragen über die kaum vorhersehbare weitere Entwicklung des internationalen Staatensystems aufzuwerfen und alternative Antwortmöglichkeiten aufzuzeigen.

Eines macht der Sammelband überaus deutlich: Reine Diplomatiegeschichte ohne ausreichende Berücksichtigung des internationalen Systems, in dem sich außenpolitische Beziehungen abspielen, ohne Erarbeitung der jeweiligen Strukturen der Staatengemeinschaft, ihrer Regeln und Mechanismen, ihrer Wandlungen und Brüche stellt einen überholten Ansatz dar. WOLFGANG ELZ

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr