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In unserer medial vernetzten Welt kann auch die entfernteste Katastrophe Mitleid erregen. Globale humanitäre Aufmerksamkeit und groß angelegte internationale Hilfsaktionen für Krisengebiete außerhalb Europas sind allerdings recht junge Phänomene; sie setzten in nennenswerter Form erst Ende der 1960er Jahre ein. Dabei spielten die Bürgerkriege in Nigeria (1967-1970) und in Ostpakistan (1971) eine herausragende Rolle. Seitdem wurden Krisen in der »Dritten Welt« immer wieder zu Schauplätzen humanitärer Hilfsaktionen. Die Zeit zwischen dem Ende der 1960er Jahre und der Mitte der 1970er Jahre kann…mehr

Produktbeschreibung
In unserer medial vernetzten Welt kann auch die entfernteste Katastrophe Mitleid erregen. Globale humanitäre Aufmerksamkeit und groß angelegte internationale Hilfsaktionen für Krisengebiete außerhalb Europas sind allerdings recht junge Phänomene; sie setzten in nennenswerter Form erst Ende der 1960er Jahre ein. Dabei spielten die Bürgerkriege in Nigeria (1967-1970) und in Ostpakistan (1971) eine herausragende Rolle. Seitdem wurden Krisen in der »Dritten Welt« immer wieder zu Schauplätzen humanitärer Hilfsaktionen. Die Zeit zwischen dem Ende der 1960er Jahre und der Mitte der 1970er Jahre kann - so Florian Hannig in diesem Buch - als formative Phase für einen nun dauerhaft verankerten und institutionalisierten Humanitarismus verstanden werden, der sein Hauptaugenmerk weg von Europa und hin auf den globalen Süden richtet.
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Autorenporträt
Florian Hannig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Fachjournalistik Geschichte der Universität Gießen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "fesselnde politische Erzählung" liest Rezensentin Monika Remé diese Arbeit, in der Florian Hannig die Entwicklung und Institutionalisierung der humanitären Hilfe im 20. Jahrhundert nachzeichnet. Remé lernt, das die humanitäre Hilfe im Gegensatz zur Entwicklungshilfe nicht an koloniale Strukturen anschloss, sondern an Hilfsprogramme für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber sie erfährt auch, wie Medien Handlungsdruck erzeugten oder dass sich mit den Kriegen von Biafra und Ostpakistan in den westlichen Staaten "erweiterte Mitleidsgemeinschaften" bildeten, die auch den Globalen Süden in den Blick nahm. Remé attestiert Hannig hervorragende Rechercheleistungen und fundierte Archivarbeit, aber sie sieht auch, dass er nicht alle Thesen so belegt bekommt: Dass am Ende die USA Geldgeber und Agenda-Setter blieben, widerspreche eigentlich seiner These, dass die Institutionalisierung humanitärer Einsätze vor allem im UNHCR die Hilfe unabhängig von medialen Konjunkturen verfestigt habe.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Erweiterte Mitleidsgemeinschaft
Wie durch Medien der Handlungsdruck auf Regierungen für humanitäre Hilfe erhöht wird

Mein Bruder, Jahrgang 1984, streckte als Kleinkind gerne den Bauch heraus. Die Großmutter, Jahrgang 1934, machte sich angesichts des "Biafra-Bauches" Sorgen, ob das Kind wohl ausreichend ernährt sei. Auch mehr als 25 Jahre nach der Hungerkatastrophe in Ostnigeria war ihr dieses Phänomen noch präsent. Heute sind wir an Bilder des Elends gewöhnt. Dennoch lohnt es sich gerade in einer Zeit, in der wir Anfang und Ende von Kriegen und Katastrophen, ob im Ahrtal oder in Afghanistan, live miterleben, dass wir uns mit der politischen Bedeutung medialisierter Krisen auseinandersetzen.

In "Am Anfang war Biafra" zeichnet der Historiker Florian Hannig nach, wie sich Not- und Katastrophenhilfe zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Mitte der 1970er Jahre allmählich zu einem eigenen Politikfeld entwickelten, an das Erwartungen sowohl von den Bevölkerungen der Geberländer als auch von Staaten des heute sogenannten Globalen Südens gestellt werden. Einen entscheidenden Faktor dieses Prozesses sieht er in der aufkommenden Weltöffentlichkeit. Mit der Fortentwicklung der Medien bildeten die Bevölkerungen westlicher Staaten eine "erweiterte Mitleidsgemeinschaft" und ein globales politisches Gewissen aus. Dadurch entstand in Krisen Handlungsdruck auf Regierungen, die humanitäre Hilfe zunehmend als "Ventil" für innenpolitischen Druck nutzten. Die Eigendynamik der Institutionen, die national und international Koordination und Durchführung von Not- und Katastrophenhilfe übernahmen, unterstützte, so die Analyse, die Verstetigung des Politikfelds.

Während in der Forschung zu Entwicklungshilfe vor allem koloniale Strukturen als Vorläuferinstitutionen gesehen werden, zeichnet Hannig nach, wie sich in den USA die humanitäre Hilfe aus den zivilgesellschaftlichen und staatlichen Hilfsstrukturen für Europa im Zweiten Weltkrieg entwickelte. In Gestalt der United Nations Relief and Rehabilitation Administration gab es zudem bereits von 1943 bis 1947 eine von Amerika dominierte multilaterale Organisation für Nothilfe.

Im Kalten Krieg schwand zunehmend das Interesse der USA an multilateraler Hilfe und Nothilfe allgemein. Politisch war die Entwicklungshilfe für beide Blöcke, die mit jeweils eigenen Modernisierungstheorien Heilsversprechen vertraten, in den 1950er und 60er Jahren vielversprechender als Nothilfe. Dementsprechend erhielten neu gegründete UN-Organisationen für diese Arbeit keine ausreichende dauerhafte Finanzierung. Auf Krisen wurde sowohl auf internationaler Ebene als auch in den USA und der BRD ad hoc reagiert. Ob Menschen nach Kriegen und Katastrophen Hilfe erhielten, war damit vor allem von politischen Konjunkturen abhängig.

Erst mit dem Biafra-Konflikt Ende der 60er Jahre entstanden in der Bundesrepublik und den USA neue staatliche sowie neue beziehungsweise wiederbelebte zivilgesellschaftliche Strukturen der Nothilfe. Eine intensive Medienberichterstattung im Zusammenspiel mit politischen Kampagnen führte sowohl zu hoher Spendenbereitschaft als auch zu innenpolitischem Druck auf die Regierungen und damit zu Hilfsmaßnahmen erstaunlichen Ausmaßes für die Region.

Der Bürgerkrieg in Ostpakistan 1971 erschien der Weltöffentlichkeit als Wiederholung der Biafra-Krise. Schnell stieg der Druck auf die Regierungen, zu handeln. Um aber die Beziehungen zu Pakistan oder Indien nicht zu belasten, favorisierten westliche Staaten jetzt Hilfe über multilaterale Kanäle. Die UN beauftragten den Hohen Kommissar für Flüchtlinge (UNHCR) mit der Koordination der Flüchtlingshilfe in Indien. Dies führte nicht nur zur Ausweitung des Mandats, sondern auch zu einer bedeutenden finanziellen Stärkung des UNHCR. Der Einsatz schürte international Erwartungen an die UN als Hilfsakteur in künftigen Krisen und trieb die Institutionalisierung der humanitären Hilfe hin zu einer permanenten Aufgabe der UN in den Folgejahren voran.

Hannigs Arbeit liest sich fast durchgängig als fesselnde politische Erzählung. Von Briefen an die Regierungen der Bundesrepublik und USA über Artikel in relevanten Medien bis zu Sitzungsprotokollen der Ministerien, NGOs und UN zeugt das Buch von fundierter Archivarbeit. In den Schatz der Quellen einzutauchen, die der Autor auf mehreren Kontinenten erforscht hat, ist oft echte Lesefreude und zuweilen aufgrund der Materie auch schwer zu ertragen.

Hannig bietet dem interessierten Lesepublikum mit diesem Buch viel, will aber noch mehr. Häufig ist dem Text anzumerken, dass der Autor nur anreißt, was er erforscht hat. An anderen Stellen bleiben Fragen offen. So bringt er gegen Ende der Ausführungen die Beispiele der Hungerkrisen in Bangladesch und der Sahelzone Anfang der 1970er Jahre an. Er erklärt aber nicht, warum diese nicht zu medialen Phänomenen wurden. Eine von Hannigs zentralen Thesen ist, dass durch Institutionalisierung humanitäre Einsätze auch außerhalb medialer Aufmerksamkeitszyklen möglich wurden. Während dies in der Sahelzone zutraf, galt es für Bangladesch nicht. Aus "politischen Gründen", wie er schreibt, entschieden sich die USA, die damals wie heute entscheidender Geber und Agenda-Setter waren, gegen Hilfe. Das scheint seine Argumentation zu schwächen, wird aber nicht näher behandelt. Die Bedeutung der Vietnam-Hilfe für die Institutionalisierung der Hilfsstrukturen schneidet er immer wieder an, ohne tiefer darauf einzugehen. Interessant wäre auch, inwieweit sich seine Thesen auf Staaten mit ausgeprägterer Kolonialgeschichte, wie Großbritannien, Frankreich oder die Niederlande, übertragen lassen. Vielleicht können wir uns hier auf weitere spannende Arbeiten des Historikers freuen. MONIKA REMÉ

Florian Hannig: "Am Anfang war Biafra". Humanitäre Hilfe in den USA und der Bundesrepublik Deutschland.

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2021. 344 S., 45,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Hannigs Arbeit liest sich fast durchgängig als fesselnde politische Erzählung. Von Briefen an die Regierungen der Bundesrepublik und USA über Artikel in relevanten Medien bis zu Sitzungsprotokollen der Ministerien, NGOs und UN zeugt das Buch von fundierter Archivarbeit. In den Schatz der Quellen einzutauchen, die der Autor auf mehreren Kontinenten erforscht hat, ist oft echte Lesefreude [...].« Monika Remé, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.11.2021»[Das] Buch [bietet] ein beeindruckendes Panorama über die Entwicklung der humanitären Hilfe und ermöglicht dank eines umfangreichen Quellenkorpus anschauliche Einblicke gerade in die innenpolitischen Dimensionen. So leistet Florian Hannig trotz der zuvor angeführten Kritikpunkte einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Humanitarismus, dessen Mehrwert sich aber oft erst auf den zweiten Blick erschließt.« Tobias Hof, H-Soz-Kult, 09.11.2021