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Die Mainzer Nachkriegsarchitektur bietet so manche Überraschungen: Sie wird meist schlichtweg übersehen, weil sie im Gegensatz zu früheren eindrucksvollen Äußerungsformen unprätentiös, funktional und oft von zurückhaltendem Charme ist. Sie wird bis heute unterschätzt, obwohl sie über den vordergründigen Charakter von Zweckbauten hinaus wenig beachtete Neuansätze für die Demokratie der Nachkriegsgesellschaft hervorgebracht hat. Sie wird letztlich verkannt, obwohl sich hier nach den Einengungen der NS-Zeit kaum wahrgenommen eine neue Freiheit in vielerlei Bauformen experimentell…mehr

Produktbeschreibung
Die Mainzer Nachkriegsarchitektur bietet so manche Überraschungen: Sie wird meist schlichtweg übersehen, weil sie im Gegensatz zu früheren eindrucksvollen Äußerungsformen unprätentiös, funktional und oft von zurückhaltendem Charme ist. Sie wird bis heute unterschätzt, obwohl sie über den vordergründigen Charakter von Zweckbauten hinaus wenig beachtete Neuansätze für die Demokratie der Nachkriegsgesellschaft hervorgebracht hat. Sie wird letztlich verkannt, obwohl sich hier nach den Einengungen der NS-Zeit kaum wahrgenommen eine neue Freiheit in vielerlei Bauformen experimentell äußert.Exemplarisch stellt das Buch 68 Nachkriegsbauten vor, die unterschiedlicher nicht sein könnten, Siedlungen, Wohnhäuser, Kirchen, Gewerbebauten, Universität, Kultur- und Gewerbebauten bis hin zum Fastnachtsbrunnen.Die prägnanten Texte, die reiche Bebilderung und drei Karten fordern dazu auf, die Stadt mit neuen Augen zu entdecken. Herausgegeben im Auftrag des Stadthistorischen Museums Mainz e. V. und verfasst unter Mitwirkung von Mitgliedern der Initiative DIE BETONISTEN.Mit Beiträgen von: Eva Authried, Jonas Grahl, Leonie Köhren, Jennifer Konrad, Maximilian Kürten, Lucy Liebe, Leonie Matt, Rainer Metzendorf, Robinson Michel und Valerie Ucke.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2021

Häuser aus Stahl und eine Halle aus Gold

MAINZ Beim Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Stadt Mainz hat ein Plan gefehlt. Dennoch ist zwischen 1945 und 1970 viel Sehenswertes und Bleibendes entstanden.

Von Markus Schug

Dem Mainzer ist der rote Mainsandstein, mit dem in der bewegten Vergangenheit der 2000 Jahre alten Stadt etliche schmucke Kirchen und sehenswerte Adelspalais geschaffen worden sind, noch immer das liebste Baumaterial. Und so überrascht es nicht, dass viele der Gebäude, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, von der Bevölkerung bis heute eher ertragen als gemocht werden. Bestes Beispiel dafür ist das 1973 eröffnete Rathaus am Rheinufer, das zwar bundesweit als Ikone der Nachkriegsmoderne gerühmt wird, die meisten Bürger aber bis heute nicht wirklich zu begeistern vermag. Jahrelang wurde darüber diskutiert, das nach den Plänen des dänischen Architekten Arne Jacobsen und seines Partners Otto Weitling entworfene Bauwerk entweder meistbietend zu verkaufen oder aber gleich ganz niederzulegen. So gesehen, ist es schon ein kleines Wunder, dass die etwas trutzig wirkende Bürokratenburg, die im Innern mit vielen herausragenden Details zu punkten weiß, nun tatsächlich für gut 100 Millionen Euro von Grund auf saniert werden soll. Von einem "einzigartigen, unverwechselbaren und durchkomponierten Gesamtkunstwerk" spricht denn auch Rainer Metzendorf, der als Herausgeber des gerade erschienenen Buchs "Mainz 1945-1970" den Blick des geneigten Betrachters auf die "verkannte Epoche des Wiederaufbaus" lenken will.

Eine durchaus prägende Periode, die gut 25 Jahre nach Kriegsende mit der Eröffnung des Hilton Hotels, der als Festsaal und Kongresszentrum gedachten Rheingoldhalle sowie des direkt daneben platzierten neuen Rathauses ihren Abschluss fand. Bis dahin hatte es viele Pläne und Planer gegeben, die das schwer geschädigte Mainz wiederaufbauen und möglichst gar schöner noch als früher machen wollten. Schließlich war die Innenstadt durch Bombenangriffe zu etwa 80 Prozent zerstört worden. Andererseits waren allein schon der frisch erworbene Titel als Hauptstadt des neu geschaffenen Bundeslandes Rheinland-Pfalz sowie die von der französischen Militärregierung unterstützte rasche Wiederbelebung der Johannes Gutenberg-Universität zwei triftige Gründe dafür, "schnell und nicht zu aufwändig Bauten hochzuziehen", wie Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) in seinem Grußwort schreibt. Zum Glück seien dabei in vielen Fällen aber "keine Provisorien oder billige Schlichtbauten" herausgekommen. Von "funktionalen, schnörkellosen, ästhetisch klaren Gebäuden, reduziert auf wesentliche Teile, authentisch, zeitgemäß und inszeniert mit einer damals gebotenen Bescheidenheit", spricht Herausgeber Metzendorf; und auch von einer Wiederentdeckung und fortführenden Interpretation der hohen Bauhaus-Schule aus der Weimarer Zeit. Dabei hätte alles ja auch ganz anders kommen können, wenn seinerzeit etwa die Vorstellungen von Marcel Lods verwirklicht worden wären, dessen am Reißbrett entworfene Traumstadt mit 20-geschossigen Scheibenhochhäusern hätte glänzen sollen. Hoch hinaus mochte Ende der Fünfzigerjahre auch Stadtplaner Ernst May, der den Mainzern 16 wie an einer Perlenschnur aufgereihte Hochhäuser schenken wollte. Dessen am Ende aber nur in Teilabschnitten verwirklichte Aus- und Neubauvorschläge wurden später von Hans Jacobi wieder kassiert, der als "erbitterter Hochhausgegner" stattdessen selbst von einem verkehrsgerechten Mainz mit Autobahnring, Stadttangente und untertunnelten Rhein träumte. Wobei er auch die Fußgänger nicht vergaß, die wie am Brandzentrum auf einer eigenen Ebene und fern von den Autos unterwegs sein sollten.

Was genau in Mainz letztlich wo und wann entstanden ist, verdeutlicht das im Münchner Morisel Verlag und im Auftrag des Stadthistorischen Museums Mainz veröffentlichte Grundlagenwerk - und das sowohl en détail als auch im Überblick. Der gedruckte Stadtrundgang führt unter anderem zu den Wohntürmen der Berliner Siedlung und auf das Firmengelände der Glaswerke Schott, in die Heilig-Kreuz-Kirche und zu den MAN-Stahlhäusern in der Oberstadt, an das früher wegen seines Cafés oft auch "Klein Paris" genannte Allianzgebäude und auf den über eine tief im Erdreich steckende "Muschel" verfügenden Campus der Hochschule. Vielerorts in Mainz begegnen einem bis heute die typischen Bauelemente der Fünfziger-, Sechziger- und frühen Siebzigerjahre: gerasterte Fassaden mit markanten Balkonen, ausschwingende Treppenanlagen mit eleganten Handläufen oder großzügig gestaltete Schaufensterfronten mit goldglänzendem Messingrahmen. Es gibt sie also durchaus noch in der Stadt, auch wenn der alte Glanz häufig verschwunden und der Lack oftmals schon ab ist.

Rainer Metzendorf (Hg.): Mainz 1945-1970. Die verkannte Epoche des Wiederaufbaus. Morisel Verlag, München, 2021. 24,90 Euro. ISBN 978-3-943915-52-5.

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