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Der Fall Colonia Dignidad ist eines der dunkelsten Kapitel der bundesdeutschen Geschichte und bis heute in großen Teilen nicht aufgearbeitet. In der von deutschen Staatsbürgern in Chile gegründeten Siedlung wurde zwischen 1961 und 2005 missbraucht, misshandelt, gefoltert und gemordet. Medien und Menschenrechtsorganisationen berichteten früh darüber, das Auswärtige Amt und die bundesdeutsche Justiz schritten jedoch nicht ein. Jan Stehle hat hierzu in umfangreichen Recherchen Primärquellen aus Behörden- und Privatarchiven erschlossen. Er rekonstruiert detailliert die Verbrechen sowie das…mehr

Produktbeschreibung
Der Fall Colonia Dignidad ist eines der dunkelsten Kapitel der bundesdeutschen Geschichte und bis heute in großen Teilen nicht aufgearbeitet. In der von deutschen Staatsbürgern in Chile gegründeten Siedlung wurde zwischen 1961 und 2005 missbraucht, misshandelt, gefoltert und gemordet. Medien und Menschenrechtsorganisationen berichteten früh darüber, das Auswärtige Amt und die bundesdeutsche Justiz schritten jedoch nicht ein. Jan Stehle hat hierzu in umfangreichen Recherchen Primärquellen aus Behörden- und Privatarchiven erschlossen. Er rekonstruiert detailliert die Verbrechen sowie das respektive Behördenverhalten und legt die Mitverantwortung von Bundesbehörden für die schweren Menschenrechtsverletzungen der Colonia Dignidad offen.
Autorenporträt
Jan Stehle, geb. 1974, lebt in Berlin, wo er am Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) tätig ist. Der Politikwissenschaftler, Ökonom und Menschenrechtsaktivist forscht seit Jahren zum Thema Colonia Dignidad und setzt sich auf verschiedenen Ebenen für die Aufarbeitung der dort begangenen Verbrechen ein.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Peter Burghardt kann es nicht fassen. Was Jan Stehle in seiner Dissertation akribisch und kenntnisreich, unnachgiebig und mutig aufdeckt, verschlägt ihm den Atem. Nicht nur das menschenverachtende Treiben der Verbrecherorganisation Colonia Dignidad unter dem Kinderschänder Paul Schäfer, das der Autor rekapituliert, schockiert den Rezensenten. Die Tatenlosigkeit deutscher Behörden, die Stehle beklagt, erscheint ihm skandalös. Stehles sachliche, gut strukturierte Dokumentation ist für Burghardt leuchtendes Beispiel und Aufruf zur Aufklärung und die Aufforderung, endlich die Opfer zu entschädigen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2021

Wahn
statt Würde
Jan Stehle beschreibt, wie Chile und Deutschland
das Zwangssystem Colonia Dignidad gewähren ließen
VON PETER BURGHARDT
So müsse Theresienstadt gewesen sein, soll der deutsche Konsul gesagt haben, als seine Delegation 1987 die Colonia Dignidad besucht hatte. Der KZ-Vergleich war ihm nachher unangenehm, aber der Termin muss ihn schockiert haben. Eine abgeschottete Deutschensiedlung in Chiles Anden, mit Zäunen, Stacheldraht, Kameras und Hunden.
Die Gäste hatten vom Missbrauch Minderjähriger in der Enklave gehört, von getrennten Familien und adoptierten Kindern. Es hieß, dass einige Mitglieder Pistolen vom Kaliber 7,65 Millimeter besaßen. Die Führungsriege um Paul Schäfer empfing und wies stolz auf ein signiertes Foto von Franz Josef Strauß hin. Ein Männerchor sang, dem Diplomaten fielen die „starren und ausdruckslosen Augen“ der Sänger und stereotype Antworten auf.
Der Politologe und Menschenrechtler Jan Stehle beschreibt das pseudoreligiöse Zwangssystem in seinem Buch „Der Fall Colonia Dignidad“ als eine „nach innen wirkende kriminelle Gemeinschaft und andererseits als nach außen wirkende kriminelle Vereinigung“. Das entspricht der chilenischen Rechtsprechung, aber warum wurde so wenig gegen diese kriminelle Organisation unternommen? Weshalb haben deutsche Staatsanwälte in sechs Jahrzehnten keine einzige Anklage in der Causa Colonia erhoben, nicht mal gegen in Chile überführte und nach Deutschland geflohene mutmaßliche Verbrecher?
Stehle findet auf mehr als 600 Seiten Antworten. „Zum Umgang bundesdeutscher Außenpolitik und Justiz mit Menschenrechtsverletzungen 1961- 2020“, lautet der Untertitel seiner Dissertation an der FU Berlin. Es geht um einen der übelsten Krimis der Nachkriegszeit, um ein erschreckendes Exempel von Straflosigkeit. Deutschland, schreibt er, sei mitverantwortlich für die Verbrechen der Colonia Dignidad, Kolonie Würde, die inzwischen Villa Baviera heißt, Dorf Bayern.
1961 hatte sich der Laienprediger und Kinderschänder Schäfer aus dem Rheinland nach Südamerika abgesetzt. Die einen folgten bewusst, andere wurden verschleppt. Die Fassade des Auswandererpostens mit seinen gut 300 Bewohnern war die eines skurrilen Musterguts mit Klinik, Landwirtschaft, Volkstanz und Gebet. Fleißig und fromm. In Wahrheit war dies ein sektenartiges Gefängnis mit Folterkammer im Kartoffelkeller, mit Giftküche, Prügelritualen und Bewegungsmeldern. Ein Hort von Mord, Entführung, Vergewaltigung, Psychopharmaka, Elektroschocks, Sklavenarbeit. Von Menschenraub, Gehirnwäsche, Zensur, Rentenbetrug, Waffenschmuggel, Geheimarchiv, schwarzen Konten. Ein Ort der totalen Kontrolle, ein Staat im Staat. Dieser Menschenversuch, von den Behörden lange als sozial eingestuft, hat Familien zerrissen und etlichen Deutschen und Chilenen das Leben zerstört.
Viel wurde über diesen Wahnsinn geschrieben und gesendet, aber außer Betroffenen und Aufklärern wie dem chilenischen Anwalt Hernán Fernández kennt den Skandal niemand besser als Stehle. Er kam erstmals als Austauschschüler Anfang 1990 nach Chile, am Ende der Militärdiktatur. Wer jemals mit dem Gruselstück Colonia zu tun hatte, der weiß, wie schwer es ist, den Überblick zu behalten. Stehle gelingt das als Wissenschaftler und Kenner; die Dichte seiner Studie samt Fußnoten und Zitaten auf Deutsch und Spanisch verlangt Geduld. Oberflächlich wurde dieses Gewaltregime oft genug abgehandelt.
Der Chronist dokumentiert sachlich und strukturiert. Er erläutert, wie Sektenführer Schäfer mit Hilfe seiner Getreuen schutzlose Kinder und Jugendliche zugeführt wurden. Wie sein Netzwerk Augusto Pinochets Putsch 1973 den Weg bereitete und ein „Schlüsselakteur des Repressionsapparates“ (Stehle) wurde. Diese Deutschen, los alemanes, haben wesentlich zu Chiles Tragödie beigetragen.
Oppositionelle ließ der Geheimdienst in die Kolonie verschleppen, foltern, ermorden; Kolonisten verbrannten Leichen. Die Mörder? Unbekannt. Ein Colonia-Mann verriet Stehle, dass ein Sanitäts-Unimog der Colonia zum Gaswagen für Giftgas umgebaut worden sei. Zum Freundeskreis zählten Politiker, Juristen und Unternehmer aus Chile und Deutschland, unter ihnen der Waffenhändler Gerhard Mertins, Funktionäre der CSU („Musterbeispiel deutscher Aufbauleistung“) – und Hernán Larraín, aktuell chilenischer Minister für Justiz und Menschenrechte. Die Colonia schickte Handwerker in die deutsche Botschaft in Santiago, sie hatte sogar ein Büro am Starnberger See. Es war der Kalte Krieg, auch Bonn waren Linke im Zweifel verdächtiger als rechte Diktatoren. Politischen und ökonomischen Beziehungen sei „meist der Vorrang vor einer klaren Haltung in Menschenrechtsfragen eingeräumt“ worden, stellt Stehle fest.
Er hat jahrelang Akten durchforstet und Gespräche geführt. Er stieß dabei auf Mauern, beim Auswärtigen Amt, bei Staatsanwaltschaften, beim BND. Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte zwar 2016 ein Mea Culpa für einstige Unterlassungen des Ministeriums, aber Deutschland und Chile schieben sich weiterhin die Verantwortung zu. Für Stehle ein „Ping-Pong Spiel“ mit deprimierender strafrechtlicher Bilanz; die Lobbyarbeit der Colonia wirkte.
In Deutschland gab es jahrzehntelang nicht mal einen Haftbefehl gegen Schäfer, trotz aus der Colonia entkommener Zeugen wie Wolfgang Kneese. Dafür durften Colonia-Anwälte ausufernd gegen Amnesty International und Gruner & Jahr prozessieren. Deutsche Zielfahnder wurden nicht eingesetzt, um Schäfer nach seiner Flucht 1997 zu suchen. Opferanwalt und Medien stießen die Fahndung an, festgenommen wurde er 2005 in Argentinien, Schäfer starb 2010 im chilenischen Gefängnis.
Mehrere andere in Chile Angeklagte oder Verurteilte leben trotz internationaler Haftbefehle in Deutschland, unter ihnen der ehemalige Sektenarzt Hartmut Hopp, Schäfers Nummer zwei. Deutschland, das keine Deutschen in Länder jenseits der EU ausliefert, sei „zum sicheren Hafen“ (Stehle) für diese mutmaßlichen Täter geworden. Die Villa Baviera macht als Folklorepark mit Bierfest weiter, von der Bundesregierung 2008 bis 2013 mit einer Million Euro unterstützt. Das habe „das Fortwirken alter CD-Strukturen in neuer Form begünstigt“, so Stehle, dabei dürfte das Schweigekartell Colonia ein Vermögen besitzen. Geschädigte warten trotz vereinzelter Hilfe vergeblich auf Gerechtigkeit.
Der Kritiker Stehle fordert, mehr auf die Opfer zu schauen, er mahnt weitere Entschädigungen an, eine Gedenkstätte, Aufklärung. Etliche Delikte sind nach deutschem Recht verjährt, doch Stehle verweist auf den veränderten Umgang mit NS-Verbrechen. Beihilfe zum Mord könnte auch in Sachen Colonia ein gültiger Straftatbestand sein. Besonders enttäuscht ist er von der Justiz in Nordrhein-Westfalen, wo etliche Schergen herkamen und manche wieder Zuflucht fanden. Sie ermittelte über Jahrzehnte und stellte sämtliche Verfahren ein. Stehle erinnert an das verstörende Urteil des OLG Düsseldorf von 2018 im Fall Hopp, in Chile verurteilt und in Deutschland straffrei. Die Colonia Dignidad, so hieß es da, sei ja auch wohltätig gewesen.
Ein Ort der totalen Kontrolle,
ein Staat im Staate Chile.
Oder ein großer Menschenversuch
Mutmaßliche Täter
leben seit Jahren unbehelligt
in Deutschland
Jan Stehle:
Der Fall Colonia Dignidad.
Zum Umgang bundesdeutscher Außenpolitik und Justiz mit Menschenrechtsverletzungen 1961-2020. Transcript-Verlag, Bielefeld 2021. 644 Seiten, 29 Euro. Kostenfreier Download.
Die Colonia Dignidad heißt nun Villa Baviera – all die Verbrechen von einst werden gern verschwiegen.
Foto: Mario Ruiz / dpa
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O-Ton: »Eines der größten Menschenrechtsverbrechen unter deutscher Beteiligung« - Jan Stehle im Interview bei Spiegel online am 14.10.2022. »Ein Standardwerk, das Beste, was es zum Thema gibt.« Robert Lessmann, lateinamerika anders, 2 (2022) »Der Autor liefert die bisher genaueste Analyse zur (Mit-)Verantwortung deutscher und chilenischer Institutionen für die in jener deutschen Sektensiedlung in Chile begangenen Verbrechen.« www.npla.de, 14.03.2022 »Jan Stehle hat [...] alles verfügbare Wissen über den bundesdeutschen Umgang mit diesem Jahrhundertverbrechen zusammengestellt und die Frage nach der Verantwortung gestellt.« Gaby Küppers, ila, 453 (2022) »Jan Stehle hat [...] ein fundiert recherchiertes und zugleich äußerst politisches Buch vorgelegt. Dank seiner über 12-jährigen hartnäckigen Recherche ist er ein zentraler Akteur jener Aufarbeitungsgeschichte, die er beschreibt, und dürfte damit selbst in spätere Geschichtsbücher eingehen.« Frank Bösch, H-Soz-u-Kult, 24.02.2022»Jan Stehles Buch bietet einen sehr guten Überblick über die Ereignisse, eine enorme Datenbasis und einen Ausgangspunkt für weitere Recherchen.« Ute Löhning, Amnesty Journal, 19.01.2022 »Die Schilderung dieses vermutlich größten Justiz- und Politikskandals der hiesigen Nachkriegsgeschichte hinterlässt Grusel und Wut. Ein realer Kriminalfall auf ca. 600 Seiten, faktenreich mit vielen Belegen und Zitaten.« www.links-lesen.de, 15.01.2022 »Jan Stehles nun veröffentlichte Dissertation leistet den bislang weitestgehenden Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der Colonia Dignidad, der dort begangenen Verbrechen sowie der Mitverantwortung staatlicher Institutionen. Es ist das Referenzwerk, auf das sich weitere Forschungen und Analysen stützen können.« Ute Löhning, neues deutschland, 19.12.2021 »Jan Stehle beschreibt das pseudoreligiöse Zwangssystem des Paul Schäfer in Chile akribisch und arbeitet heraus, warum sich kaum eine Behörde in Deutschland um die Verbrechen in der Colonia Dignidad kümmerte - bis heute.« Peter Burghardt, Süddeutsche Zeitung, 28.11.2021 »Ein ebenso beeindruckendes wie bedrückendes Buch. Die ungeheure Stofffülle, die Jan Stehle hier in langjähriger Kleinarbeit zusammengetragen hat, macht es zu einem Nachschlagewerk für alle, die an diesem beschämenden Kapitel bundesdeutscher Geschichte näher interessiert sind.« Rainer Huhle, NMRZ, 24.11.2021 O-Ton: »Alemania es corresponsable tanto a nivel de la diplomacia como de la justicia« - Jan Stehle entrevistada por https://www.dw.com am 17.11.2021. »Jan Stehle hat mit Der Fall Colonia Dignidad eines der finstersten Kapitel deutscher Außenpolitik offengelegt.« Paul Welch Guerra, Lateinamerikanachrichten, 569/570 (2021) Besprochen in: Telepolis, 08.11.2021 Lateinamerikanachrichten, 519/520 (2021), David Rojas-Kienzle https://links-lesen.buchkatalog.de, 29.11.2021 https://www.npla.de, 23.01.2022 https://www.npla.de, 08.02.2022, Ute Löhning Ila, 453 (2022), Gaby Küppers Südlink, 199 (2022), Ute Löhning https://www.npla.de, 10.06.2022, Ute Löhning antifa, Januar/Februar 2023, Axel Holz https://piedepagina.mx, 25.02.2023, Ute Löhning neues deutschland, 08.09.2023, Susanne Brust/ Ute Löhning www.npla.de, 12.09.2023…mehr