Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 10,00 €
  • Gebundenes Buch

Leonard Bernstein war einer der ersten internationalen Medienstars der klassischen Musik. Mit seinem Können und mit seinem Charisma erreichte er ein Millionenpublikum. Der in den USA geborene Sohn jüdischer Einwanderer machte sich einen Namen als Dirigent, Komponist, Autor, Lehrer, Manager, Musikvermittler. Seine West Side Story ist eines der populärsten Musicals des amerikanischen Musiktheaters, als Dirigent hat er nahezu alle bedeutenden Werke des klassisch-romantischen Orchesterrepertoires eingespielt, seine Mahler-Interpretationen sind legendär, sein Berliner Dirigat von Beethovens 9.…mehr

Produktbeschreibung
Leonard Bernstein war einer der ersten internationalen Medienstars der klassischen Musik. Mit seinem Können und mit seinem Charisma erreichte er ein Millionenpublikum. Der in den USA geborene Sohn jüdischer Einwanderer machte sich einen Namen als Dirigent, Komponist, Autor, Lehrer, Manager, Musikvermittler. Seine West Side Story ist eines der populärsten Musicals des amerikanischen Musiktheaters, als Dirigent hat er nahezu alle bedeutenden Werke des klassisch-romantischen Orchesterrepertoires eingespielt, seine Mahler-Interpretationen sind legendär, sein Berliner Dirigat von Beethovens 9. Sinfonie im Dezember 1989 bleibt unvergessen.

Stets positionierte er sich auch zu aktuellen politischen Fragen. Er betrieb Wahlkampf für John F. Kennedy, setzte sich für Bürgerrechte ein und polemisierte gegen den Vietnamkrieg. Eine tiefe persönliche Freundschaft verband ihn unter anderem mit Loki und Helmut Schmidt.

In seiner aktuellen Biographie beschreibt Sven Oliver Müller das in jeder Hinsicht überreiche Leben einer Ausnahmepersönlichkeit, wobei er die schwierigen Aspekte nicht verschweigt: Eitelkeit, Arroganz, erotische Exzesse, den Hang zu Zigaretten und Alkohol, die innere Vereinsamung der späten Jahre.
Autorenporträt
Müller, Sven Oliver
Sven Oliver Müller, geb. 1968, Historiker an der Universität Tübingen, forschte u. a. über die Geschichte der Musikrezeption in Europa und den USA, verfasste eine Studie über die politische Bewertung Richard Wagners im 20. Jahrhundert. Zurzeit arbeitet er an einer Geschichte der Gewalt und der Emotionen an der Heimatfront im Ersten Weltkrieg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2018

Bekannter Mann eben

Sven Oliver Müllers Buch über Leonard Bernstein lässt ermessen, was man über diesen Künstler eigentlich gern lesen würde.

Von Jan Brachmann

Leonard Bernstein rauchte bis zu hundertfünfzig Zigaretten am Tag, nahm einen ganzen Cocktail von Medikamenten ohne ärztliche Aufsicht zu sich und trank, damit sie besser rutschten, vorzugsweise Scotch dazu. Mit seiner Frau, der aus Chile stammenden Schauspielerin Felicia Montealegre, ging er zum gemeinsamen Kochen bei Jackie und John F. Kennedy. In Monaco soll er Grace Kelly Cha-Cha-Cha beigebracht haben. Und von Elsa Maxwells Partys behauptete er in einem Brief an seinen Bruder, dass ihn eine orientalische Adlige "mit ihren 100 Pfund Smaragden praktisch auf der Tanzfläche gefickt" habe.

Bernstein, genannt "Lennie", war ein bunter Hund mit Zugang zu Führungskräften der Weltpolitik. Seine Akte beim FBI, der Bundespolizei der Vereinigten Staaten, soll sechshundertsechzig Seiten umfassen. Seit 1997 ist sie einsehbar. Ob etwas von Belang drinsteht, wüsste man gern. Sven Oliver Müller sagt es uns in seinem Buch nicht. Dieses Buch, mit Kalkül im Vorfeld zum hundertsten Geburtstag Bernsteins im Sommer auf den Markt gebracht, heißt "Leonard Bernstein. Der Charismatiker". Im Eingangskapitel wird der Anspruch formuliert, das Besondere an Bernstein - dem Komponisten, Pianisten, aber besonders dem Dirigenten - zu erfassen durch Max Webers Begriff der charismatischen Herrschaft. Über den Stellenwert des Charismas werde nämlich "im Musikleben selten diskutiert. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum charismatische Dirigenten bislang eher selten wissenschaftlich untersucht wurden."

Man sollte nicht so vorschnell sein, dies als Ankündigung dessen zu nehmen, was das Buch leisten wird. Eine Arbeit am Begriff des Charismas findet ebenso wenig statt wie eine Analyse von dessen wirtschaftlichen und sozialen Wirkungsbedingungen. Stattdessen findet man am Ende den Satz: "Es mag banal klingen, aber eine wesentliche Ursache von Bernsteins Erfolg lag in seiner Bekanntheit." Aha! Oder war es umgekehrt? Zirkelschluss hin oder her: Auch die Datenbasis von Müllers Buch - etwa bei Bernsteins Honoraren - besteht aus Gerüchten.

Müller selbst schreibt etwas von Schätzwerten. Eine empirische Prüfung der Erfolgsgeschichten findet nicht statt. Wenn Bernstein bei seinen Freiluftkonzerten im Central Park mit den New Yorker Philharmonikern wirklich siebzigtausend Menschen erreichte, heißt das noch lange nicht, dass er damit auch ein nennenswertes Publikum jenseits der traditionellen Bildungselite anzog. Ähnliches wäre für seine Fernsehauftritte zu untersuchen. Prominente Sendeplätze sagen nichts darüber, ob tatsächlich Fabrikarbeiter aus Detroit oder das afroamerikanische Prekariat in Scharen Bernsteins "Wegen zu Beethoven" gefolgt ist.

Ein künstlerisches Urteil über Bernstein als Dirigent, darüber also, wie angemessen oder unangemessen dessen exaltierte Tanzweise der Musik gewesen sei, überlässt Müller lieber dem Dirigenten Michael Gielen oder dem Musikwissenschaftler Peter Gradenwitz. Vor einem analytischen Durchhören der 826 Schallplattenaufnahmen Bernsteins drückt sich der Autor. Peter Uehling hat das mit großer Metierkenntnis bei Herbert von Karajan getan. Von Müller darf man das nicht verlangen. Wenn er doch einmal versucht, ein ästhetisches Urteil zu fällen, kommen Sätze heraus wie diese: "Manche Beobachter hatten den Eindruck, dass er Brahms wie ein Wagnerianer deutete. Tatsächlich interessierten Bernstein primär die lyrischen Aspekte und weiten Spannungsbögen, auch auf die Gefahr hin, dass das Werk durch den expressiven Streicherklang und die breiten Tempi zu zerfallen drohte." Sehr originell! Bislang dachte man: Ein weiter Spannungsbogen könne dazu führen, die Bedeutung von Details zu unterschlagen, expressive Arbeit am Detail hingegen den Zusammenhang zerstören. Aber dass weite Spannungsbögen das Werk zerfallen lassen, möchte man doch gern einmal näher erläutert haben.

Man findet hier das biographische Material der Bernstein-Literatur bündig und flott lesbar zusammengefasst: Stationen seiner Karriere ebenso wie die Namen einiger Männer, die er liebte. Für jedes Cocktailgespräch in der Pause kommender Bernstein-Gedenkkonzerte kann man sich hier bestens verproviantieren. Am Ende schreibt Müller, es sei "wichtig, das durch die Verehrung seiner Anhänger entstandene Bild mit den realen Leistungen abzugleichen". Genau! Das wär's gewesen! Vielleicht beim nächsten Mal.

Sven Oliver Müller: "Leonard Bernstein".

Der Charismatiker.

Philipp Reclam jun. Verlag, Ditzingen 2018.

304 S., Abb., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr