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In drei Zeitbildern gibt der dritte Band einen Einblick in den russischen Alltag des 20. Jahrhunderts. Das siebente Zeitbild zeigt, wie die Aufbruchstimmung der frühen Sowjetjahre während des ersten Jahrzehnts der Stalinherrschaft (1929-1941) in den Wellen des Terrors unterging, der nicht nur die alten Parteikader tödlich traf, sondern mit der Zwangskollektivierung und 'Entkulakisierung' der Landwirtschaft auch die Bauern. Das achte Zeitbild deckt den Zusammenhang von - scheinbar gesicherter - wirtschaftlicher Konsolidierung und gesellschaftlich-politischer Erstarrung auf, der die Zeit…mehr

Produktbeschreibung
In drei Zeitbildern gibt der dritte Band einen Einblick in den russischen Alltag des 20. Jahrhunderts. Das siebente Zeitbild zeigt, wie die Aufbruchstimmung der frühen Sowjetjahre während des ersten Jahrzehnts der Stalinherrschaft (1929-1941) in den Wellen des Terrors unterging, der nicht nur die alten Parteikader tödlich traf, sondern mit der Zwangskollektivierung und 'Entkulakisierung' der Landwirtschaft auch die Bauern. Das achte Zeitbild deckt den Zusammenhang von - scheinbar gesicherter - wirtschaftlicher Konsolidierung und gesellschaftlich-politischer Erstarrung auf, der die Zeit zwischen Chruschtschow und Gorbatschow (1964-1985) prägte. Immer deutlicher zeichnete sich der Potemkinsche Charakter einer 'Fassadengesellschaft' ab, in der Schein und Sein, öffentliches und privates Leben wild divergierten. Das neunte Zeitbild skizziert in einem Epilog die alltagsgeschichtlichen Veränderungen nach dem Ende der Sowjetunion (1992-2000). Es gehört zu den beklemmenden Einsichten des Buches, dass trotz aller radikalen Auf- und Umbrüche im Verlauf eines Jahrhunderts so vieles beim alten blieb
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2004

Frösche & Menschen
Carsten Goehrkes umfassende russische Alltagsgeschichte
Wie roch eine russische Kate, eine „Isba”, im 12. Jahrhundert? Warum flohen die Bauern im 17. Jahrhundert in Scharen von ihrer Scholle, so dass ganze Landstriche entvölkert wurden? Warum galt ein Frosch im Mittelalter als unrein? Und wie sahen damals die Liebesbriefe aus? Carsten Goehrke versucht im ersten Band seiner russischen Alltagsgeschichte, aus den kleinen, scheinbar banalen Dingen des Lebens auf die großen Zusammenhänge von Gesellschaft, Politik und Religion, auf das Wechselspiel von repressiver Herrschaft und privater Verweigerung zu schließen und auf das, was die französische Annales-Schule „Mentalität” nennt.
Goehrkes Werk ist eine Pionierarbeit und ein Werk mit bemerkenswertem Anspruch: In neun Zeitbildern, vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart will der Zürcher Osteuropahistoriker die Lebenspraxis der Ostslawen, also vor allem: der Russen, beschreiben, komplett mit historischem Abriss, Quellenlage und Forschungsstand, mit einem Blick in die „Lebenswelten”, aufgefächert in Land- und Stadtleben und einer fiktiven Szene, in der sich der russische Alltag exemplarisch verdichtet unter dem Motto: So könnte es gewesen sein.
Goehrkes umfassender Ansatz hat in der russischen Geschichtsschreibung vereinzelte Vorläufer, etwa bei Aaron Gurjewitsch. „Trockene Fachwissenschaft”, „Popularisierung” und „nostalgische Idyllisierung” will Goehrke meiden, und stattdessen beleuchten, wie sich die „kollektive Mentalität” der Russen verändert hat und „warum sie bis heute vom Überleben unter den Bedingungen eines übermächtigen Staatsapparates gezeichnet ist”. Und in der Tat bietet Goehrkes flüssig geschriebene, gut lesbare, in den „Szenen” vielleicht ein wenig zu flapsige Darstellung einen umfassenden Einblick in die vielfältigen Zwänge, denen der Mensch im russischen Mittelalter ausgesetzt war: Aberglauben und Frondienste, Korruption und Steuerlast. Das heutige Russland, die Stellung von Kirche und Staat, aber auch das tiefe Misstrauen gegenüber der Obrigkeit ist nicht zu begreifen, ohne diese Wurzeln im Blick zu behalten. Man darf gespannt sein auf den zweiten Band.
zri
CARSTEN GOEHRKE: Russischer Alltag. Eine Geschichte in neun Zeitbildern. Band 1: Die Vormoderne. Chronos-Verlag, Zürich 2003. 472 Seiten, 39,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit seiner Alltagsgeschichte in "Zeitbildern", so Rezensent Ulrich M. Schmid, verzichte Goehrke auf die strikt chronologische Ordnung traditioneller Geschichtsschreibung und untersuche zudem "vernachlässigte Räume" der russischen Geschichte. In diesem dritten und letzten Band behandele der Autor am ausführlichsten die frühe Stalinzeit, im zweiten Zeitbild die "Stagnationsphase" unter Breschnew, und drittens die nach Meinung des Rezensenten "wahrscheinlich zu kurz geratene" postsowjetische Zeit. Ein "erschütterndes" Kapitel habe der Autor den obdachlosen Straßenkindern der Stalinzeit gewidmet, die in Jugendbanden um ihr nacktes Überleben kämpften, da die Eltern im Gulag verschwunden waren. Für die siebziger Jahre zeichne Goehrke das Bild zweier Parallelgesellschaften, private Netzwerke und Schwarzmarkt hier, privilegiertes Versorgungssystem der Nomenklatura dort. Bei seiner Charakterisierung des sich in dieser Zeit herausbildenden "Homo sovieticus" entgehe der Autor groben Vereinfachungen, indem er eine "Kontinuität" zu obrigkeitsstaatlich geprägten "bäuerlichen Verhaltensmustern" herausarbeite. Andererseits, so der Rezensent, betone der Autor "wahrscheinlich" solche retardierenden Momente zu stark, wenn er beispielsweise die "ästhetischen Anschauungen der Russen" als seit dem Mittelalter unverändert darstelle. Zuletzt, lobt der Rezensent, bleibe es gleichwohl das "Verdienst" von Carsten Goehrkes Darstellung, "das Spektakuläre des Alltags" bis in die Zeit des modernen Fabrikarbeiters hinein beschrieben zu haben.

© Perlentaucher Medien GmbH
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