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Es war einer der spektakulärsten Prozesse am Ende der Weimarer Republik: Die Anklage gegen den Kunsthändler Otto Wacker, 33 falsche van Gogh-Bilder verkauft zu haben. Aufgeflogen war die Sache bei der großen van Gogh-Ausstellung, die im Frühjahr 1928 bei Paul Cassirer in Berlin stattfand. Wacker, der neue Stern am Berliner Kunsthandelshimmel hatte mehrere Leihgaben zugesagt; als sie eintrafen, fiel es Grete Ring und Walter Feilchenfeldt wie Schuppen von den Augen: Das konnten nur Fälschungen sein.Bis es zum Verfahren kam, vergingen jedoch volle vier Jahre: Zu groß schien der Image-Schaden, der…mehr

Produktbeschreibung
Es war einer der spektakulärsten Prozesse am Ende der Weimarer Republik: Die Anklage gegen den Kunsthändler Otto Wacker, 33 falsche van Gogh-Bilder verkauft zu haben. Aufgeflogen war die Sache bei der großen van Gogh-Ausstellung, die im Frühjahr 1928 bei Paul Cassirer in Berlin stattfand. Wacker, der neue Stern am Berliner Kunsthandelshimmel hatte mehrere Leihgaben zugesagt; als sie eintrafen, fiel es Grete Ring und Walter Feilchenfeldt wie Schuppen von den Augen: Das konnten nur Fälschungen sein.Bis es zum Verfahren kam, vergingen jedoch volle vier Jahre: Zu groß schien der Image-Schaden, der all jenen drohte, die mit Wacker zusammengearbeitet hatten. Prominente Experten wie Julius Meier-Graefe und Jacob Baart de la Faille, der Autor des soeben erschienenen Werkverzeichnisses, hatten in Gutachten die Echtheit von Wackers "Van Goghs" bestätigt. Mit Ausnahme Cassirers hatten alle namhaften deutschen Kunsthändler bei Wacker eingekauft und die Werke mit großen Verdienstspannen an Sammler im In- und Ausland vermittelt. Bei einem Prozess war mit ungeahnten Folgeschäden zu rechnen. Dennoch kam es schließlich dazu. Das Verfahren wurde zu einem Waterloo für die Welt der "Experten" und den gesamten Kunsthandel. Am Ende wanderte Wacker hinter Gitter, und die Beteiligten waren bemüht, den Mantel des Schweigens über die Sache zu breiten. Der Machtantritt der Nazis tat kurz darauf ein übriges.Wer aber war jener Otto Wacker, der es vermocht hatte, eine ganze Branche in großem Stil zu narren? Nora und Stefan Koldehoff sind mit detektivischem Spürsinn diesem verschollenen Leben nachgegangen und haben sensationelles Material zutage gefördert. Sie dokumentieren die Kindheit in einer Malerfamilie, der die Tendenz zur Imitation und Hochstapelei keineswegs fremd war. Nach dem Ersten Weltkrieg machte Wacker eine bemerkenswerte Karriere als Ausdruckstänzer, ehe er mit Hilfe seines Lebenspartners in den Kunsthandel einstieg. Der Aufstieg, den er daraufhin mit seinen "van Goghs" hinlegte, war in jeder Weise atemberaubend - ebenso allerdings die aberwitzigen Manöver, als man begann, ihm auf die Schliche zu kommen. Im Dezember 1935 aus dem Gefängnis entlassen, sah er sich aller Verdienstmöglichkeiten beraubt. Sein Tanz, mit dem er sich erneut versuchte, galt den Nazis als "artfremd", die Künstler der Moderne, mit denen er sich beschäftigt hatte, gar als "entartet". Einzig seinem Lebenspartner Erich Gratkowski hatte er es zu verdanken, dass er nicht vor die Hunde ging. Nach Ende des Krieges fand sich Wacker in der DDR wieder, arbeitete als Lehrer für Gesellschaftstanz und betätigte sich als Restaurator alter Kunstwerke. Am 13. Oktober 1970 starb er in Ost-BerlinWieviele der von ihm gehandelten Bilder Fälschungen waren, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Vollends im Dunkel liegt, von wessen Hand diese Werke stammten. Der Recherche-Krimi von Nora und Stefan Koldehoff wird nach einer Fortsetzung verlangen.
Autorenporträt
Koldehoff, StefanStefan Koldehoff ist 1967 in Wuppertal geboren. Er studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Politikwissenschaften; danach arbeitete er als freier Journalist für die FAZ, taz und den Westdeutschen Rundfunk. Von 1998 bis 2001 war er Redakteur und zuletzt stellvertretender Chefredakteur des Kunstmagazins "Art" in Hamburg. Heute arbeitet er als Kulturredakteur beim Deutschlandfunk in Köln, wo er die Sendung "Kultur heute" moderiert. Daneben schreibt er regelmäßig für DIE ZEIT und die FAZ. Im Jahr 2008 wurde er für seine investigativen Recherchen mit dem puk-Journalistenpreis ausgezeichnet.Als van Gogh-Kenner publiziert Koldehoff seit über 20 Jahren über den Künstler. Neben zahlreichen Beiträgen zu Ausstellungskatalogen verfasste er u.a. die Rowohlts-Monographie zu van Gogh (2003) sowie "Van Gogh. Mythos und Wirklichkeit" (2003), "Wem hat van Gogh sein Ohr geschenkt? Alles, was Sie über Kunst nicht wissen" (2007) und "Ich und van Gogh. Bilder, Sammler und ihre abente

uerlichen Geschichten" (2015).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.01.2020

Verdächtige
Oliven
In den Zwanzigern wurde der Tänzer
Otto Wacker reich mit falschen van Goghs.
Ein Buch erzählt seine Geschichte
VON CATRIN LORCH
Den Namen Otto Wacker hat die Kunstgeschichte vergessen. Dabei stand der elegante junge Mann im Mittelpunkt des wohl größten Fälschungs-skandals, den es im deutschen Kunsthandel je gab. Sein Prozess in Berlin war Anfang der Dreißigerjahre so aufsehenerregend, dass auf den Titelseiten der Tageszeitungen berichtet wurde und Kurt Tucholsky sich in der Weltbühne darüber lustig machte.
Zum einen, weil die Werke, um die es ging, so kostbar und berühmt waren – an der Wand des Gerichtssaals lehnten Dutzende Gemälde, die Otto Wacker als van Goghs verkauft hatte. Aber vor allem, weil Kunsthistoriker, Experten, Kritiker und Museumsdirektoren gegeneinander antraten, bis der Berliner Kunstmarkt durch „die van Gogh-Affäre bedroht“ schien, wie eine Tageszeitung warnte.
Otto Wacker, der zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, blieb bei seiner Geschichte, dass die Gemälde aus der Schweizer Sammlung eines russischen Emigranten stammten, eines Adeligen mit Verbindungen zur Zarenfamilie, dessen Identität er nicht preisgeben könne, ohne ihn in Lebensgefahr zu bringen. Doch die Indizien sprachen am Ende gegen ihn. Die mehr als zwei Dutzend Gemälde, die Otto Wacker an Sammler, Händler und Galerien verkauft hatte, stammten wohl alle von der Staffelei seines Bruders in Düsseldorf.
Den schwindelerregenden Aufstieg des Ausdruckstänzers zum gefragten Kunsthändler und Galeristen im Berlin der Zwanzigerjahre schildern Nora und Stefan Koldehoff in ihrem Buch „Der van Gogh-Coup“. Die Autoren, deutsche Publizisten mit Expertise für van Gogh, haben ihre reiche Materialsammlung – Briefe, Zeitungsausschnitte, Gerichtsakten – zu einem spannenden Buch verwoben.
Otto Wacker kam 1898 in Düsseldorf als eines von sieben Kindern des Kunstmalers Hans Wacker zur Welt. Zunächst wurde er als Tänzer unter dem Namen Olindo Lovaël bekannt, trat mit seiner Schwester Luise mit „altspanischen Tänzen“ auf und ließ sich auf dem Cello von seinem homosexuellen Freund, dem Kunsthändler Erich Gratkowski, begleiten. Kritiker waren begeistert von den selbst entworfenen Kostümen, seinem „gertenschlanken, schmalen, erstaunlich biegsamen Körper“ und Titeln wie „An Käthe Kollwitz“, „Zuave (dem Andenken Vincent van Gogh gewidmet)“ und „Zwitschermaschine (nach Paul Klee)“.
Nachdem er wohl Anfang der Zwanzigerjahre erfolgreich einige Gemälde als van Goghs verkauft hatte, ging er dann das lukrative Geschäft im großen Stil an und eröffnete 1926 in der Berliner Viktoriastraße eigene Geschäftsräume. Van Gogh boomte, vor allem in Berlin. Der Schriftsteller Carl Sternheim und seine Frau Thea besaßen eine der Fälschungen, ebenso der Verleger Samuel Fischer, die Maler Alexej Jawlensky und Max Liebermann und die Schauspielerin Tilla Durieux, die mit dem Galeristen Paul Cassirer verheiratet war. Dessen Geschäftsführerin, die Kunsthistorikerin Grete Ring, meinte rückblickend trocken: „Damals herrschte in Deutschland ein ausgesprochenes Bedürfnis nach Bildern van Goghs, das sich aus dem bekannten Material nicht befriedigen ließ.“
Es war, als habe der Markt nur auf den Betrüger gewartet. Die Kunstzeitschrift Der Cicerone schwärmte von den „schönen, großen, ruhigen und vortrefflich hergerichteten Räumen“, die Otto Wacker mit einer „sehr bedeutenden Ausstellung des Zeichnungswerkes Vincent van Goghs eindrucksvoll eröffnet“ habe. Dass er auch gleich den Band „Vincent van Gogh“ im eigens dafür gegründeten Otto-Wacker-Verlag veröffentlichte, unterstrich die Seriosität des Unternehmens. Der Jung-Galerist hatte sogar den Herausgeber des Werkverzeichnisses, Jacob-Baart de la Faille, verpflichtet, der ihm Kontakte zu etablierten Sammlern vermittelte und ihn mit dem Neffen des Künstlers bekannt machte.
Wacker ließ sich den Sachverstand etwas kosten und honorierte Expertisen außergewöhnlich großzügig, mehr als zwei Dutzend Fälschungen nahm de la Faille ins Werkverzeichnis auf. Schon die Eröffnungsausstellung folgte einem Muster: Wacker zeigte stets nur ein Gemälde, meist in Kombination mit unzweifelhaft echten Zeichnungen.
Dass er immer wieder die gleichen Motive anbot – Zypressen, Olivenhaine, Selbstbildnisse und Sämänner – fiel so nicht auf. Sogar Galerien wie Bernheim-Jeune in Paris und Goldschmidt in Berlin stellten die Bilder aus. „Wir waren sehr bemüht, Wacker zu bereden, wenn es ihm möglich sein sollte, uns etwas anzubieten“, sagte der Händler Paul Glaser rückblickend.
Trotz der exorbitanten Preise – Wacker verlangte zwischen 25 000 und 65 000 Mark – fand er immer schnell Käufer. Sogar die Nationalgalerie nobilitierte den Aufsteiger durch einen Ankauf. Wacker war ein gemachter Mann. Er schenkte seinem Vater eine Wohnung in Berlin und richtete für die Familie ein Haus in der Künstlerkolonie Ferch am Schwielowsee ein.
Der einzige Kollege, dem der Schwindel früh auffiel, war Franz Zatzenstein, Inhaber der Galerie Matthiesen. Ihm hatte Wacker 1926 ein Zypressenbild verkauft und als Teil der Bezahlung ein authentisches Gemälde van Goghs mit Olivenbäumen in Kommission genommen. Zatzenstein bemerkte, dass bald darauf drei weitere, bis dahin unbekannte Varianten des Olivenbaummotivs auf dem Markt auftauchten und brach den Kontakt ab.
Zwei Jahre später unterlief Wacker dann ein entscheidender Fehler. Er lieh für eine Ausstellung mehrere Bilder an Cassirer aus. Dessen Geschäftsführerin Grete Ring fiel auf, dass die sechs von Wacker vermittelten Bilder auffällig ungelenk wirkten. Sie zeigte ihn an.
In der Presse, die schnell von dem sich anbahnenden Skandal Wind bekam, wurde monatelang ein Expertenstreit ausgetragen. Schließlich hatte Wacker Kennern wie Julius Meier-Graefe, de la Faille und dem Niederländer Henricus Petrus Bremmer viel Geld für Expertisen bezahlt. Meier-Graefe sprang im Berliner Tageblatt sofort für ihn in die Bresche und beteuerte seine „Überzeugung von der Ehrlichkeit Wackers“. Dass die Experten de la Faille, der seinen Irrtum öffentlich machte, und Bremmer gegeneinander in Stellung gebracht wurden, befeuerte die Debatte.
Als der mit Spannung erwartete Prozess am 4. September 1931 begann, war der Publikumsandrang enorm, im Schwurgerichtssaal des Berliner Gerichts sah es aus wie bei einer Vernissage: Auf einer Wandleiste hinter der Anklagebank waren 16 Gemälde aufgestellt.
Der Prozess war kompliziert. Wacker blieb bei seiner Version vom unbekannten Russen, die widerstreitenden Expertenmeinungen standen im Mittelpunkt. Schließlich ging es um Indizien: Dass es weder für den Ankauf oder Verkauf aus der Schweiz Unterlagen oder Transportpapiere gab, dafür aber unzählige Belege für Transaktionen aus Düsseldorf, war verdächtig.
Dort hatte die Polizei im Atelier des Bruders ein gefälschtes Gemälde mit Vincent-Signatur beschlagnahmt, außerdem das Foto eines Selbstbildnisses, das als Vorbild für eine Fälschung gedient haben könnte. Beim Vater fand die Polizei ein auf Pappe gemaltes „Kornfeld“. Es war dann am Neffen des Künstlers, Vincent Willem van Gogh, Wackers Legende zu entzaubern und festzustellen, dass es diesen Russen nicht geben könne. In zweiter Instanz wurde Wacker verurteilt.
Dass der Fall in Vergessenheit geriet, hat sicher auch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zu tun. Van Gogh und die Avantgarde galten als entartet, die meisten der betroffenen Kunsthändler und viele Sammler flohen aus Deutschland. Aus dem Gefängnis entlassen, arbeitete Wacker zunächst als Assistent eines Galeristen, in der Nachkriegszeit etablierte er sich in der DDR als Institution für Ausdruckstanz. Die Legende vom russischen Adeligen und dessen Sammlung hat er nie widerrufen.
Nora und Stefan Koldehoff: Der van Gogh-Coup. Nimbus Verlag Wädenswil 2019. 220 Seiten, 29,80 Euro.
Das Bedürfnis nach van Goghs
ließ sich „aus dem bekannten
Material nicht befriedigen“
Ein Experte nahm viele Bilder
ins Werkverzeichnis auf. Auch
die Nationalgalerie kaufte eines
Otto Wacker als
„Olindo Lovaël“.
Unten: Falsches Van-Gogh-Selbstporträt.  
Fotos: Archiv Stefan Koldehoff, Nimbus
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