Herbert Rosendorfer nähert sich Richard Wagner und der Musik auf dem Bayreuther»Grünen Hügel« ohne falsche Ehrfurcht. Er erzählt von beschuhten und unbeschuhten Wagnerianern, einem schuldlos schuldigen Lebemann und allzu menschlichen Göttern. Ein Buch für Kenner, Kritiker und neugierige Leser, die Leben und Werk Wagners von einer anderen Seite kennenlernen wollen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.06.2011Richard Wagner, von schräg
hinten aufgespießt
Richard Wagners Lebensgebäude muss man nicht durchs Hauptportal betreten, mit artiger Biographik und erlesener Hermeneutik, es lohnt den Weg durch die Hintertür. Herbert Rosendorfer, Jurist, Romancier, Musikfan, ist der geübte Seiteneinsteiger in die Opernwelten, an Wagner hat er sich abgearbeitet – mit augenzwinkerndem Blick auf die Glücks- und Wechselfälle eines Monomanie-Künstlers.
Dass ausgerechnet Rosendorfer, notorisch geistreicher bis humoriger Erzähler, kein Musikforscher, ein Wagner-Buch „für Fortgeschrittene“ abliefert, mag überraschen. Aber es geht in Ordnung: Nur der gefestigte, durch viele Hörübungen wissende „reine“ Wagnerianer ist souverän genug, die Rosendorfersche Rezeptur lockerer Wagner-Betrachtung ohne Gewissensbisse zu goutieren: Diese scheut weder tiefen Respekt noch die gute Laune, kennt die Kapriole wie die pingelige Erkundung. Erzählprinzip ist das latent ungeordnete assoziative Springen durch die Materialfülle, nur, die Kapitel folgen chronologisch dem Reigen der Werke. Dreierlei ist dabei tabu: Analyseehrgeiz, Bedeutungshuberei, Ergriffenheit.
War Richard Wagner ein Prä-Nazi, fragt der Autor irgendwann. Sicher nicht. Ist der Parsifal „das allerchristlichste Werk?“ Dazu merkt Rosendorfer an, dass es Wagner auch da „feig, eindeutig Stellung zu beziehen“ vermied. Schwerpunkte werden verhandelt, die Ausblicke ins private Revier Richards und Cosimas, Wagners Luxus- und Schuldenzwänge, so rätselhafte Wendepunkte wie Bayernkönig Ludwigs Liebe- und Geldüberrumpelungen, die dubiose Cosima-Eroberung, die Frauen – dazu das Liebesduett Tristan&Isolde, mit 40 Minuten das längste der Opernhistorie: „In dieser Zeit handelt Puccini fast die halbe Tosca ab samt dem dort handfesteren Liebestod.“ Nicht nur die „klägliche“ Wotan-Figur und ihre dumme Vertragspolitik reizt den Juristen Rosendorfer zum Einspruch: Der ganze Götterjammer hätte mit § 138 BGB vermieden werden können: Sittenwidrigkeit der Verträge. Wagner ultimativ für Wagalaweia-Weltwissende, Rosendorfer sei Dank!
Wolfgang Schreiber
Herbert Rosendorfer:
Richard Wagner für Fortgeschrittene.
dtv, München 2011. 238 Seiten,
10,20 Euro.
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hinten aufgespießt
Richard Wagners Lebensgebäude muss man nicht durchs Hauptportal betreten, mit artiger Biographik und erlesener Hermeneutik, es lohnt den Weg durch die Hintertür. Herbert Rosendorfer, Jurist, Romancier, Musikfan, ist der geübte Seiteneinsteiger in die Opernwelten, an Wagner hat er sich abgearbeitet – mit augenzwinkerndem Blick auf die Glücks- und Wechselfälle eines Monomanie-Künstlers.
Dass ausgerechnet Rosendorfer, notorisch geistreicher bis humoriger Erzähler, kein Musikforscher, ein Wagner-Buch „für Fortgeschrittene“ abliefert, mag überraschen. Aber es geht in Ordnung: Nur der gefestigte, durch viele Hörübungen wissende „reine“ Wagnerianer ist souverän genug, die Rosendorfersche Rezeptur lockerer Wagner-Betrachtung ohne Gewissensbisse zu goutieren: Diese scheut weder tiefen Respekt noch die gute Laune, kennt die Kapriole wie die pingelige Erkundung. Erzählprinzip ist das latent ungeordnete assoziative Springen durch die Materialfülle, nur, die Kapitel folgen chronologisch dem Reigen der Werke. Dreierlei ist dabei tabu: Analyseehrgeiz, Bedeutungshuberei, Ergriffenheit.
War Richard Wagner ein Prä-Nazi, fragt der Autor irgendwann. Sicher nicht. Ist der Parsifal „das allerchristlichste Werk?“ Dazu merkt Rosendorfer an, dass es Wagner auch da „feig, eindeutig Stellung zu beziehen“ vermied. Schwerpunkte werden verhandelt, die Ausblicke ins private Revier Richards und Cosimas, Wagners Luxus- und Schuldenzwänge, so rätselhafte Wendepunkte wie Bayernkönig Ludwigs Liebe- und Geldüberrumpelungen, die dubiose Cosima-Eroberung, die Frauen – dazu das Liebesduett Tristan&Isolde, mit 40 Minuten das längste der Opernhistorie: „In dieser Zeit handelt Puccini fast die halbe Tosca ab samt dem dort handfesteren Liebestod.“ Nicht nur die „klägliche“ Wotan-Figur und ihre dumme Vertragspolitik reizt den Juristen Rosendorfer zum Einspruch: Der ganze Götterjammer hätte mit § 138 BGB vermieden werden können: Sittenwidrigkeit der Verträge. Wagner ultimativ für Wagalaweia-Weltwissende, Rosendorfer sei Dank!
Wolfgang Schreiber
Herbert Rosendorfer:
Richard Wagner für Fortgeschrittene.
dtv, München 2011. 238 Seiten,
10,20 Euro.
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