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Produktdetails
Trackliste
LP
1Invaincu00:02:06
2Santé00:03:11
3La solassitude00:03:02
4Fils de joie00:03:15
5L'enfer00:03:10
6C'est que du bonheur00:02:42
7Pas vraiment00:02:43
8Riez00:03:21
9Mon amour00:02:52
10Déclaration00:03:05
11Mauvaise journée00:03:08
12Bonne journée00:03:12
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2022

Die feiern, die nie feiern
Das Album "Multitude" des Belgiers Stromae

Vor Kurzem setzte sich der belgische Superstar Stromae in ein französisches Fernsehstudio, um über sein neues, drittes Album "Multitude" zu reden. Er berichtete, zur Vorbereitung auf die Platte in den Kongo, nach Mali und Ruanda, nach Brasilien, Bolivien und Mexiko gereist zu sein. Dort habe er unter anderem Kurzhals-, Langhals- und Röhrenspießlauten gefunden, sich aber auch nach Rhythmen umgehört, welche ihm für seine neuen Lieder passend erschienen. Die handelten oft von Einsamkeit, stellte die Moderatorin fest, und erkundigte sich, ob Stromae singe, um sich davon zu befreien. Bis dahin ließ sich das Gespräch der beiden für ein normales Interview halten. Doch Stromae lieferte seine Antwort auf die Frage, indem er zur eingespielten Musik "L'enfer" sang, ein Stück über seine private Hölle und die zweite Single des Albums.

Von einer Sekunde auf die andere verwandelte er die Nachrichtensendung damit zur besten Sendezeit in eine grandiose Pop-Oper. Wenige Klavierakkorde und ein lakonisches Schlagzeug genügten Stromae, um Spannung zu erzeugen, bevor Streicher und ein Chor die Dramatik erhöhten. Das Licht im Studio wurde gedimmt, als verdunkle sich soeben die Seele des Sängers. Er fuhr mit der Hand übers Gesicht, um Tränen wegzuwischen. Sein erst höflich bei der Moderatorin bleibender und dann in die Kamera gerichteter Blick ließ von Takt zu Takt auf größere innere Qualen schließen. Mit dieser Dramaturgie und einem den Hörer wehrlos zurücklassenden Ton von Vergeblichkeit in der Stimme gelang es Stromae, drei Minuten lang die Zeit schweben zu lassen. Ein unwiderstehlich bestürzender Moment.

Dessen Wirkung kam nicht zuletzt durch den Liedtext zustande. Darin wird sich Stromae zunächst zwar darüber klar, dass außer ihm auch viele andere Einsamkeit kennen und an ihr leiden. Bloß löst das nicht sein Problem. In einem verzweifelten Zornausbruch stellt das lyrische Ich darauf seinen eigenen Gedanken zur Rede: "Weißt du, ich habe reiflich überlegt / Und ich weiß wirklich nicht, was ich mit dir anfangen soll." Es kann sich nicht entscheiden, ob ihm jemand anders oder doch es sich selbst das Herz gebrochen hat.

Das mag erstaunen (oder auch gerade nicht) bei einem Star, der für sein intaktes Privatleben mit Gattin und Kind sowie zwei frühere Alben bekannt ist, die während der Zehnerjahre praktisch dauerhaft in den französischen Charts gewohnt haben - und nicht nur in diesen: Wer kennte nicht den Ohrwurm "Alors on danse"? Doch dieses Staunen erledigt sich schnell für den, der heraushört, wie viel sich Stromae für sein Comeback nach einer krankheitsbedingten Schaffenspause vorgenommen hat. Auf "Multitude" schreibt, singt und kämpft er gegen den Verlust und das Verlernen von Empathie an. Auch deshalb ermuntert er seine Hörer in "Santé", der ersten Single, mit Hawaii-Gitarren über einem Elektropop-Groove, andere hochleben zu lassen. Den Toilettenmann am Bahnhof ebenso wie die Reinemachefrau im Bordell, den Lastwagenfahrer genauso wie die jungen Eltern mit vor Sorgen zerheulten Augen: "Lasst uns die feiern, die nie feiern", singt Stromae, weil ihnen selbst für solche Veranstaltungen die Zeit und das Geld fehlen.

Auch "Le fils de joie", der "Sohn der Freude" und tatsächlich einer verstorbenen Sexarbeiterin, aus dessen Sicht Stromae das gleichnamige Stück singt, soll seine Party bekommen. Über einem fröhlich zerhackten Dubstep-Schlagzeug und als stimmlicher Wiedergänger seines großen leidenschaftlichen Landsmanns Jacques Brel widerlegt Stromae alle, die von den möglichen Urteilen über die Mutter des Freudensohns nur das Mieseste für richtig halten wollen: "Sie sagen, sie war eine Hure."

Bei "Pas vraiment" , auf Deutsch "nicht wirklich", versucht das lyrische Ich, sein Unwohlsein in der eigenen Beziehung zu rechtfertigen, indem es über einem aufgeräumten Housebeat und einer Tonleitern rauf und runter tanzenden Querflöte andere brutal konfrontiert: "Ich frage mich, weshalb ihr immer noch zusammen seid." Stromae beweist mit "Multitude", dass er, wenn nicht alle, so doch ziemlich viele wieder zusammenbringen kann. Mit seiner Musik. Und sogar mit Nachrichtensendungen. KRISTOF SCHREUF

Stromae:

"Multitude".

Polydor 0602445114047

(Universal)

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