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Christoph Meckels Vaterbuch »war der Höhepunkt einer ganzen Reihe von literarischen Versuchen, mit denen Angehörige der 68er-Generation ihre Väter beschrieben, den autoritären Charakter, die kruden Arrangements mit den Nazis. Wie Christoph Meckel in seinem Vater die deutsche Malaise erkannte, hat etwas Allgemeingültiges.« Die Zeit

Produktbeschreibung
Christoph Meckels Vaterbuch »war der Höhepunkt einer ganzen Reihe von literarischen Versuchen, mit denen Angehörige der 68er-Generation ihre Väter beschrieben, den autoritären Charakter, die kruden Arrangements mit den Nazis. Wie Christoph Meckel in seinem Vater die deutsche Malaise erkannte, hat etwas Allgemeingültiges.« Die Zeit
Autorenporträt
Christoph Meckel, 1935 in Berlin geboren, studierte Grafik in Freiburg und München. Er lebt in Berlin und in Südfrankreich und veröffentlichte verschiedene Radierzyklen sowie zahlreiche Prosa- und Gedichtbücher, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden. Auszeichnungen u.a.: Bremer Literaturpreis 1981 und Joseph-Breitbach-Preis der Akademie für Literatur und Wissenschaft der Stadt Mainz 2003. Christoph Meckel verstarb am 29. Januar 2020.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2002

Die Leere
Christoph Meckels „Suchbild”
Die schlichte Wahrheit, der dieses Buch seine Existenz verdankt, besteht aus sechs Worten. Diese Wahrheit ist zu stolz, zwischen den Zeilen zu verbleiben, sich gar enträtseln zu lassen. Schon in der achten Zeile der ersten Seite bringt sie sich unmissverständlich zur Geltung: „ich habe meine Mutter nicht geliebt.” Dem Sohn, der diesen Satz schreibt, ist es um eine Wahrheit von der Art zu tun, die man die „reine” oder „nackte” Wahrheit nennt. Er setzt sie einer Mutter entgegen, der es eklatant an „Nacktheit”, an Natur, an sinnlicher Gegenwart gefehlt haben soll.
Es ist eine strenge Wahrheit, der sich der Sohn bis zur letzten Zeile verschreibt, streng wie ein protestantischer Gott. Sie duldet keine anderen Götter neben sich selbst. Der Sohn, ein Meister des deutschen Satzbaus, baut für die schlichte, nackte Wahrheit eine feste, kühle Burg aus glänzender Prosa. Nichts ist provisorisch an dieser Burg, alles festgefügt. Nichts Spiel, alles ernst. Nichts Konjunktiv, alles Gewissheit. Nur der Titel kokettiert mit dem Ungreifbaren: „Suchbild. Meine Mutter”.
Der Lyriker, Erzähler und Zeichner Christoph Meckel, 1935 in Berlin geboren, hat schon einmal ein Buch mit dem Titel „Suchbild” geschrieben. Das trug den Untertitel „Über meinen Vater”, erschien im Jahre 1980 und war einer der wichtigsten Repräsentanten der damaligen „Väterliteratur” in Deutschland. Darin suchten die zwischen 1933 und 1945 geborenen Söhne nach den dunklen Seiten in den Biographien ihrer Väter, die ihre Bewährungsproben im Nationalsozialismus zu bestehen hatten und selten bestanden. Eberhard Meckel (1907 bis 1969), der Vater dieses Sohnes, war ein erfolgreicher Schriftsteller der dreißiger Jahre, befreundet mit Peter Huchel und Günter Eich. Nach dem Krieg legte der Vater Wert darauf, in Distanz zum Regime gelebt zu haben. Aus irritierenden Funden im Nachlass des Vaters war dieses „Suchbild” hervorgegangen: antisemitische Aufzeichnungen in den Tagebüchern, die ungerührte Zeugenschaft bei Massenerschießungen in Polen zogen den ostentativen „Adel des Geistes” in Zweifel.
Pardon wird nicht gegeben
Schon damals hatte der Sohn „die schöne und kluge Frau” des Vaters, seine Mutter, am Rande ins Bild geholt. Fast sah sie aus wie eine positive Kontrastfigur: Dass sie schärfer dachte und deutlicher sah, kritischer, leidender in der Epoche lebte, schien ihm niemals ganz bewusst zu werden. Nun steht die Mutter im Zentrum des zweiten „Suchbilds”. Es erscheint erst jetzt, weil sie erst vor kurzem starb, im Alter von 92 Jahren. Geschrieben hat der Sohn das Buch bis auf wenige Seiten schon zu ihren Lebzeiten.
Von der Fähigkeit zur Kritik und zum Leiden ist der Mutter wenig geblieben. Mochte sie den Nationalsozialismus „schärfer” gesehen haben als der Vater, nach seinem Tod wird sie zur Rivalin des Sohnes, des Aufdeckers der Lebenslügen: „Sie retuschierte, mit Eile und Energie, die Rollen des Toten und fälschte das eigene Bild.” Doch nur beim Vater konzentrierte sich der Blick des Sohnes auf das verharmloste Mitläufertum. Bei der Mutter ist die Behauptung von Widerstand, wo keiner war, nur eine Facette im Gesamtbild. Dieses aber zeigt nicht eine politische Opportunistin, sondern eine Figur des Mangels, der nicht zu helfen war: eine Mutter, die sich nicht lieben lässt.
Darum sind die beiden „Suchbilder” nur zum Schein eine Parallelaktion. Das Buch über den Vater handelte im Kern von einer enttäuschten Liebe. Die Enttäuschung des Sohnes war so groß, weil die Liebe zum Vater so groß gewesen war. Der erste Satz sprach vom Glück der Erinnerung, von der Fahrt mit dem Vater im offenen Wagen über eine Chaussee. Das Buch über die Mutter ist von Beginn an ein Buch über die Nicht-Liebe, über eine Leerstelle, die nie etwas anderes war als leer, über eine Liebesunfähige. Es ist das härtere, mitleidlosere Buch. Es attestiert seinem Gegenstand, der jungen Frau wie der Greisin, mit immer neuen Belegen „Hochmut”, „Indifferenz” „Unzugänglichkeit”, „mangelnde Lebenslust”, „verborgene Herrschsucht”.
Das erste „Suchbild” wuchs aus einem Porträt der Landschaft zwischen Karlsruhe und Basel heraus. Zu diesem Bild der katholisch-alemannischen Herkunftswelt des Vaters gibt es im Buch über die Mutter kein Pendant. Der preußische Protestantismus, als dessen Inkarnationsfigur die hochkultivierte, stets distanzierte Dame erscheint, ist keine Landschaft, sondern ein Verhängnis. Dem Vater ließ sich vorhalten, dass er aus Schwäche die südlichen, eigenwilligen, der Kunst zugewandten Elemente seiner Herkunft an den preußisch- deutschen Nationalismus verriet. Der Mutter wird Ärgeres vorgehalten: ihre Stärke. Der Sohn schreibt die Geschichte der Ehe seiner Eltern als Sieg der preußischen Protestantin. In der Geschichte des leidenden, rebellierenden Künstlers als junger Mann, die beide Bücher verbindet, ist die Sehnsucht nach dem katholischen Gott als Inkubationsphase des Durchbruchs zur Kunst zu lesen.
Seltsam nur: Christoph Meckel, der seit langem in der Provence lebt, beschreibt den Süden, in dem er schreibt, zwar auch als Ort der Kunst. Vor allem aber als Ort, der jeden Besucher auf seine „nackte” Wahrheit reduziert. Der Gott der Mutter scheint mit in den Süden gezogen zu sein. So schreibt der Sohn nicht zuletzt vom Leiden des Kulturprotestantismus an sich selbst. LOTHAR MÜLLER
CHRISTOPH MECKEL: Suchbild. Meine Mutter. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2002. 124 Seiten, 13,90 Euro.
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Christoph Meckels Vaterbuch "war der Höhepunkt einer ganzen Reihe von literarischen Versuchen, mit denen Angehörige der 68er-Generation ihre Väter beschrieben, den autoritären Charakter, die kruden Arrangements mit den Nazis. Wie Christoph Meckel in seinem Vater die deutsche Malaise erkannte, hat etwas Allgemeingültiges." Die Zeit