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© BÜCHERmagazin, Katharina Granzin (kgr)
Ihre Mutter- und ihre Stiefmuttersprache erfüllten sie als Schriftstellerin nicht: Jhumpa Lahiri analysiert ihre Obsession für das Italienische
Was Jhumpa Lahiri erlebt, als sie 1994, im Alter von siebenundzwanzig Jahren, das erste Mal nach Italien reist, soll öfter vorkommen: Sie verliebt sich. Aber nicht in einen Italiener, auch nicht in das Land, die Kultur und die Lebensart, die dolce vita oder die gute Küche, sondern in die Sprache. Vielleicht ist nicht zufällig Florenz, wo sie mit ihrer Schwester vor Weihnachten eine Woche verbringt, der Ort des Geschehens, denn in der Hauptstadt der Toskana wird - so sagen nicht nur die Florentiner und berufen sich auf Dante - das beste, glockenreinste Italienisch gesprochen: "Es wirkt nicht wie eine Fremdsprache, obwohl ich weiß, dass es eine ist. Es wirkt, so seltsam es klingen mag, vertraut. Ich erkenne etwas, auch wenn ich fast nichts verstehe", notiert die Studentin nach wenigen Tagen. Dann ist es auch schon passiert: "Was ich spüre, ist etwas Physisches, Unerklärliches. Eine unbesonnene, absurde Erregung. Eine angenehme Spannung. Ein Blitzschlag. Liebe auf den ersten Blick."
"Eigentlich", so gesteht die Autorin kurz darauf, "habe ich keinen triftigen Grund, diese Sprache zu lernen. Ich lebe nicht in Italien, ich habe keine italienischen Freunde. Ich habe nur das Verlangen." Doch introspektiv und reflektiert, wie sie in ihrem Buch ihre Obsession analysiert, spürt Jhumpa Lahiri, die 1967 als Tochter bengalischer Eltern in London geboren wurde und in Rhode Island aufgewachsen ist, in ihrer Sozialisation den Grund dafür auf: Die ersten vier Lebensjahre, bis sie in die Schule kam, hat sie nur Bengalisch gesprochen und erst danach Englisch gelernt, das in dem Moment, als sie zur Leserin wurde, die Oberhand gewann.
Doch "identifizieren konnte ich mich mit keiner der beiden Sprachen", "das sprachliche Hin und Her brachte mich durcheinander". In Amerika kommt es vor, dass sie für eine Ausländerin, die kein Englisch spricht, gehalten wird, und wenn sie in Kalkutta ist, wird sie als Amerikanerin wahrgenommen. Die neue Sprache wird zum Ausweg, zu einem Akt der Emanzipation: "Ich glaube, Italienisch zu lernen, war eine Flucht vor dem anhaltenden Widerstreit des Englischen und des Bengalischen in meinem Leben.Eine Zurückweisung von Mutter- und Stiefmuttersprache, ein unabhängiger Weg."
Diesen langen, fordernden und zwanzig Jahre beanspruchenden Weg beschreibt Jhumpa Lahiri in einer Mischung aus Essay und Erfahrungsbericht: vom Kauf des ersten, seifenstückgroßen zweisprachigen Wörterbuchs, in das sie kleine grammatikalische Gleichungen einträgt, über "Teach Yourself Italian", beflissen absolvierte Grundkurse, selbstangelegte Vokabelhefte, Konversationsstunden, dem Erfolgserlebnis, einfache Unterhaltungen führen zu können, bis zu Glücksgefühlen beim Privatunterricht. Nicht ohne Blockaden und Zweifel wächst langsam, aber sicher die Sprachkompetenz. Tücken wie die Präpositionen oder der Unterschied zwischen Imperfekt und Perfekt werden allmählich gemeistert, der Wortschatz wird reicher, der Satzbau komplexer. Der Gebrauch von Hilfsmitteln nimmt ab, unverzichtbar aber werden sie nicht. Schließlich die Entscheidung, mit der Familie nach Rom zu ziehen. Schon sechs Monate vor dieser "Sprachpilgerschaft" liest Jhumpa Lahiri nur noch Italienisch. Ihre Leidenschaft, die ständige Jagd nach neuen Vokabeln, erfährt sie als Horizonterweiterung und Bereicherung.
Die Ankunft in Rom ist im Alltag voller Hindernisse, die letzte sprachliche Hürde aber nimmt Jhumpa Lahiri "beinahe automatisch": Sie beginnt, auf Italienisch zu schreiben, die ersten Monate nur ins Tagebuch, dann kleine Texte und Erzählungen. Das Anverwandeln der fremden Sprache bezeugt eine imponierende Anstrengung: Wie sie mit vielen literarischen Verweisen, Gleichnissen und erhellenden Abschweifungen davon erzählt, fügt sich zu einer kleinen, gedankenreichen Abhandlung, in der Persönliches und Poetologisches zusammenfinden.
Wie ihre Umgebung darauf reagiert, kommt nur am Rande vor, die "typisch" italienischen Reflexe ("May I help you?") machen es ihr nicht eben leichter. Die Metaphorik für ihr Verhältnis zum Italienischen wandelt sich, es wird zum Neugeborenen, neben dem ihr "mein Englisch wie ein behaarter, nach Schweiß riechender Halbwüchsiger" erscheint.
Aber auch die Autorin verwandelt sich. Sie sieht ihr Englisch bewusster, distanzierter - und neue Möglichkeiten: "Als Schriftstellerin kann ich mich demontieren und neu erfinden." Die Antwort auf die Frage nach ihrem Lieblingsbuch, die sie immer genervt hat, kommt auf einmal ganz selbstverständlich: Die "Metamorphosen" des Ovid. "Es ist nicht möglich", so heißt es mit Seitenblick auf Fernando Pessoa, "eine andere Schriftstellerin zu werden, aber vielleicht kann man zwei Schriftstellerinnen sein." Eingelöst wird das weniger mit den beiden Erzählungen, die sich unter den dreiundzwanzig Kapiteln finden, als mit dem ganzen Buch: Jhumpa Lahiri hat es "direkt auf Italienisch" geschrieben.
Neben den reflektierenden Passagen fallen die Kurzgeschichten, beide etwas blasse, durchsichtige Parabeln, ab. Die Erzählerin tut sich in der fremden Sprache schwerer als die Essayistin. So verspricht spannend zu werden, wie es nach diesem vorerst letzten Buch, das 2015, zwei Jahre nach dem Roman "The Lowland" ("Das Tiefland"), herauskam, für Jhumpa Lahiri weitergeht. Wird sie, die nach zwei Jahren in Rom in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt ist, weiter auf Italienisch oder - wahrscheinlicher - wieder in ihrer Stiefmuttersprache schreiben, einem Englisch, für das ihre italienische "Liebesgeschichte" nicht folgenlos geblieben ist?
ANDREAS ROSSMANN
Jhumpa Lahiri:
"Mit anderen Worten".
Wie ich mich ins
Italienische verliebte.
Aus dem Italienischen von Margit Knapp.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 142 S., geb., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die amerikanische Schriftstellerin Jhumpa Lahiri hat ein Buch über ihre Liebe
zum Italienischen geschrieben – und über ihre Einwanderung aus dem Bengalischen ins Englische
VON MAIKE ALBATH
Doch, man kann sich in eine fremde Sprache ebenso gut verlieben wie in einen anderen Menschen: Wie herrlich sind die Laute, wie weich und dunkel die Vokale, wie kräftig die Konsonanten im Italienischen, wie ungewohnt fühlt sich das rollende „r“ im Mund an und zu welch rhythmischen Temposteigerungen ist der Satzbau in der Lage! Und dann erst die vielen Zeitformen, all die Redewendungen und die Steigerungen der Adjektive! Doch das Wichtigste, was eine erst im Erwachsenenalter adoptierte Sprache bietet, ist Freiheit.
So zumindest erlebt es die amerikanische Schriftstellerin Jhumpa Lahiri, die bei einem Urlaub in Florenz Anfang der 90er- Jahre dem Italienischen verfällt und bei allen Mühen nie wieder davon lassen kann. In ihrem Buch „Mit anderen Worten“, das jetzt in deutscher Übersetzung erscheint, schildert sie diese Erfahrung und legt eine Art Sprach-Tagebuch vor. Der unterhaltsame Bericht über ihr stürmisches Liebesverhältnis mit dem Italienischen ist zugleich ihr Gesellenstück, denn es entstand 2014 nach einem zweijährigen Aufenthalt in Rom – und zwar auf Italienisch.
In 23 Kapiteln, die zwischen Essay und Autobiografie pendeln, auch vom Schreiben im Allgemeinen handeln und zwei kurze Erzählungen enthalten, zeichnet Jhumpa Lahiri eine vielfältige Migrationsgeschichte nach. Sie schreibt nicht nur über die teils berauschende, teils frustrierende Einwanderung in eine neue Sprache, die sie zuerst mit Privatunterricht, mehreren Reisen und dann sogar mit einer Übersiedlung nach Italien betreibt. Es geht auch um das unstillbare Heimweh ihrer Eltern und die Weigerung, sich der amerikanischen Kultur anzupassen.
Lahiri wurde 1967 als Tochter bengalischer Eltern in London geboren, wuchs in den USA auf und sprach zu Hause ausschließlich Bengalisch. Indien kannte sie nur aus den Ferien, aber ihre Mutter tat mitten auf Rhode Island so, als sei sie immer noch in Kalkutta. Kleidung, Küche, Lebenseinstellung, Meinungen, alles war genauso wie dort, wo sie herkam. Und wenn die Mutter ihre Familie in Indien besuchte, unterschied sie sich selbst nach vierzig Jahren in Amerika durch nichts von ihren Verwandten. Jhumpa Lahiri litt als Heranwachsende unter dieser demonstrativen Unangepasstheit, fand den indischen Akzent der Eltern peinlich und verbesserte sie manchmal. „Während meiner Kindheit in Amerika kamen mir meine Eltern immer so vor, als würden sie um etwas trauern. Nun verstehe ich: Es muss die Sprache gewesen sein“, schreibt sie während ihres Aufenthalts in Rom.
Bei der Tochter führte dieses trotzige Festhalten an der Herkunftskultur zu einer Gegenreaktion. Je mehr sich ihre Mutter auf Indien bezog, desto ambitionierter wurde Lahiris Umgang mit der Sprache ihrer amerikanischen Umgebung. Sogar die Tatsache, dass sie schließlich Schriftstellerin wurde, ließe sich als Konsequenz der Fremdheitserfahrung ihrer Eltern deuten. Thematisch allerdings bezieht sich Lahiri stark auf die Zugehörigkeit zur indischen Community: Genau dort sind ihre Erzählungen und Romane, für die sie sofort mit Preisen ausgezeichnet wurde, angesiedelt.
Dass sie sich das Italienische eroberte und es vollkommen zweckfrei lernte, ist eine Erfahrung von Autonomie. Die Annäherung an die fremde Sprache gestaltet sich äußerst langwierig, wie die Passagen über das Wörtersammeln, den Unterschied zwischen Perfekt und Imperfekt und erste Schreibversuche zeigen. Selbst nach mehreren Jahren Privatunterricht stellte Lahiri auf Literaturfestivals in Mantua oder auf Capri die Unzulänglichkeit ihres Italienischen fest. Wie viel einfacher war es doch, sich auf Englisch auszudrücken, wie viel differenzierter war ihr Wortschatz und wie geschmeidig ihre Syntax. Gleichzeitig nahm die Anziehungskraft des fremden Sprachkleids eher noch zu.
2012 tritt Lahiri dann eine „Sprachpilgerschaft“ an und geht mit ihrem Mann, einem Journalisten mit lateinamerikanischen Wurzeln, und ihren beiden Kindern nach Rom. Was auf den ersten Blick wie ein Spleen wirken könnte, war eine emotionale Notwendigkeit. Ihre eigene Unbehaustheit, die aus dem Changieren zwischen verschiedenen Kulturen herrührt, münzt sie in etwas Produktives um. Der Sprachwechsel ermöglicht Distanz zu ihrer schriftstellerischen Arbeit und wirkt wie ein Korrektiv bei allzu hochfliegenden Plänen – zu einem Meisterwerk wäre sie in der fremden Sprache ohnehin nicht in der Lage. Vom Rand des Italienischen aus zu schreiben, ohne den Echoraum der literarischen Tradition, passt zu ihrer Stellung in der amerikanischen Kultur, wo sie sich ebenfalls in der Peripherie verortet.
Lahiri stellt fest, dass sie, im Unterschied zu ihren Eltern, gar keine feste Verankerung hat. Die Bemerkungen zu den Folgen von Migration sind das Interessanteste an dem Band. Die beiden eingearbeiteten Kurzgeschichten fallen übertrieben symbolisch aus, so als würde Lahiri subtileren Erzählweisen in der ungewohnten Schreibsprache nicht ganz trauen. Wie sich das unter Krisen eroberte Italienisch schließlich anhört und welchen Ton die Schriftstellerin anschlägt, entgeht dem deutschen Leser zwangsläufig. Die Humboldt’sche Erkenntnis der verschiedenen Weltansichten, die in jeder Sprache stecken, wird aber sehr schön vermittelt. Das Italienische bleibt für Jhumpa Lahiri vage, doch sein Gebrauch setzt ganz andere Energien bei ihr frei, der Ballast des Englischen fällt von ihr ab. Sie verschreibt sich den neuen Denkformen und Klangwelten mit Haut und Haaren. Vor allem aber lässt sie ihrer Zunge freien Lauf.
Jhumpa Lahiri: Mit anderen Worten. Wie ich mich ins Italienische verliebte. Aus dem Italienischen von Margit Knapp. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 140 Seiten, 14, 95 Euro. E-Book 12,99 Euro.
Lahiri schreibt von den
Randgebieten des Italienischen
aus, ohne die klassische Tradition
In London geboren, in den Vereinigten Staaten aufgewachsen, im Englischen groß geworden und seit Jahren ins Italienische verliebt: Jhumpa Lahiri. Foto: picture alliance /dpa
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